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Der Umgang der Medien mit der extremen Rechten

Bernard Schmid (Paris)
Einleitung

Der Umgang der französischen Medien mit der extremen Rechten, die ab 1983/84 ihre ersten Wahlerfolge feierte, hat im Laufe von zwei Jahrzehnten so gut wie alle erdenklichen Varianten durchlaufen.

Bild: flickr.com; Remi Noyon/CC BY 2.0

Jean-Marie Le Pen ist geübt im Umgang mit den Medien.

Der Front National, »eine Partei wie jede andere«?

In einer ersten Phase, die etwa von 1983 bis 1987 dauert, ist das Erscheinungsbild des Front National (FN) in den marktbeherrschenden Medien im Wesentlichen davon geprägt, dass dieser nahezu als eine »normale Partei, wie alle anderen auch« erscheint.

Dazu tragen mehrere Faktoren bei. Erstens ist Jean-Marie Le Pen, der »Gründervater« und unumstrittene Chef der rechtsextremen Partei, ein alter Bekannter der politischen Beobachter und Journalistinnen: Le Pen ist bereits im Januar 1956 erstmals ins französische Parlament gewählt worden (als Vertreter der »Poujadisten«, einer kleinbürgerlichen Protestbewegung gegen Steuern und gegen die Auswirkungen der Kapitalkonzentration). Insofern erscheint ihnen der »Lepenismus« spontan nicht als neues politisches Phänomen.

Zum Zweiten ist das damalige Profil des FN vor allem darauf ausgelegt, WählerInnen der konservativ-liberalen Rechtsparteien anzuziehen. Hintergrund dafür ist die Anfang der 80er Jahre akut werdende Krise der bürgerlichen Rechten, die mit dem Niedergang der traditionellen Mittelschichten eng zusammenhängt. In diesem Kontext wirbt der FN vor allem um Sympathien auf dem rechten Flügel der katholischen Wählerschaft. Mit diesem Profil unterscheidet der FN sich nach außen hin nicht übermäßig von der konservativen Rechten – auch wenn seine Entstehungsgeschichte eine andere ist, da die Le Pen-Partei in ihrer Gründungsphase nach 1972 zahlreiche offen neofaschistische und neonazistische Gruppen aufgesogen hat. Zum Dritten wird mit den Kommunalwahlen von 1983 die Einwanderungspolitik, mit dem Schüren von Ängsten, zum Wahlkampfthema der großen Parteien. Das gibt dem FN zwar zusätzlichen Auftrieb, lässt ihn aber auch nicht als radikal unterschiedlich gegenüber den bürgerlichen Organisationen erscheinen.

Vor allem die große konservative Tageszeitung Le Figaro öffnet immer wieder auch Politikern des Front National die Spalten. Zum ersten Mal darf Jean-Marie Le Pen um den Jahreswechsel 1982/83 dort einen Gastbeitrag unter dem Titel: »Die Immigration, Chance oder schlechtes Geschäft?« veröffentlichen. In den folgenden Jahren werden FN-Politiker wie Bruno Gollnisch oder Bruno Mégret des öfteren als Gastautoren im Figaro vertreten sein. Das dauert noch bis weit in die 90er Jahre, als sich der allgemeine Umgang mit der rechtsextremen Partei bereits gewandelt hat; heute allerdings hat der Figaro sich klarer auf das Mitte-Rechts-Spektrum orientiert und offeriert den Le Pen-Anhängern mittlerweile keinen Platz mehr.

Empörung und Enthüllung

Der Blick der JournalistInnen auf die Partei des Jean-Marie Le Pen beginnt sich in den späten 80er Jahren zu verändern. Voraus ging die so genannte »Detail-Affäre«: Am 13. Sep­tember 1987 hatte der FN-Chef in einer Fernsehsendung die Frage der historischen Existenz von Gaskammern in den KZs Nazideutschlands zum »Detail der Geschichte« erklärt, über das »die Historiker« nun endlich frei »debattieren« müssten. Der dadurch ausgelöste Skandal leitet eine Tendenzwende ein. Vor allem die bürgerlich-linksliberale Presse, wie die Pariser Abendzeitung Le Monde, und die sozialdemokratische Tageszeitung Libération publizieren nun häufiger Enthüllungsartikel über die wirkliche Natur des Front National, über seine historischen Wurzeln und seine ideologischen Mechanismen.

Gleichzeitig verliert Le Pen auch einige bisherige Bündnispartner oder Unterstützer im bürgerlich-konservativen Lager. Jean-Marie Le Pen schlägt in jenen Jahren eine neue Taktik ein, jene des systematisch provozierten Skandals. Durch die Häufung von Wortspielen, wie das berüchtigte Durafour-crématoire (Dura­four war der Name eines jüdischstämmigen liberalen Ministers, und four-crématoire bedeutet »Verbrennungsofen«) von 1988, versucht er, in den Medien Aufmerksamkeit und Erregung zu provozieren, was ihm auch gelingt. Dabei verfährt er einerseits nach dem Motto: »Ob gut oder schlecht, Hauptsache, man redet von mir«; andererseits gehorcht sein Vorgehen aber auch in gewisser Weise einer Strategie. Indem er sich als »von den Medien und Meinungsmachern verfolgter Außenseiter der politischen Klasse« aufspielt, bemüht er sich um ein eigenständiges Profil.

Mit diesem kommt er zwar in konservativen Kreisen nicht mehr gut an; doch inzwischen ist die rechtsextreme Partei auch eher darum bemüht, ein neues Publikum zu gewinnen. Denn ihre Vordenker und Strategen sind in den späten 80er Jahren zu der Erkenntnis gelangt, dass der Platz der Le Pen-Anhänger jener der »Fundamentalopposition« gegen »das System« sei. Denn die Sozialdemokraten seien aufgrund ihrer in den 80er Jahren erfolgten »Bekehrung« zu Marktwirtschaft und Neoliberalismus, und die Parteikommunisten aufgrund der sich anbahnenden Veränderungen im damaligen Ostblock nicht mehr glaubwürdig als Vertreter der Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft. Deswegen liege die Zukunft der extremen Rechten darin, sich zur Verkörperung sozialen Protests aufzuschwingen. Le Pen als jemand, der selbst »durch die Medien diffamiert und durch die Justiz verfolgt« werde, bemüht sich so, zur Galionsfigur »aller Ausgegrenzten, Entrechteten und Beleidigten« zu werden.

Die Rechnung geht zwar nicht völlig auf, dennoch gelingt der extremen Rechten der Einbruch in eine enttäuschte, frustrierte und desorientierte ehemalige Linkswählerschaft. Die Empörung in den Medien über seine wiederholten ekelhaften Wortspiele und Provokationen kommt Le Pen in jener Phase durchaus zupass. Sie dient ihm als Begleitmusik, um sich entsprechend dieser Strategie als »jener, der geknebelt werden soll« in Szene zu setzen. Dies zeigt auch die Grenzen der Enthüllungs- und Empörungspolitik auf.

Die 90er Jahre: Der Front National im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

In den frühen neunziger Jahren erweitert die rechtsextreme Partei ihre neue Strategie. Unter dem Druck der wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung – zwischen den regierenden Konservativen mit ihren brachialen neoliberalen »Reformen« einerseits, und den sozialen Gegenbewegungen, Protests und Streiks andererseits – muss auch die extreme Rechte um eine verstärkte Profilierung bemüht sein.

Als Antwort auf diese Situation geht die Le Pen-Partei ab 1995/96 dazu über, selber eigene Satellitenorganisationen mit »sozialem« Profil zu gründen. Beispielsweise werden vom FN abhängige Arbeitslosenorganisationen, Mietervereinigungen im sozialen Wohnungsbau und Pseudo-Gewerkschaften (die aber später durch die Justiz verboten werden, da der Rechtstitel »Gewerkschaft« miss­bräuchlich benutzt werde) geschaffen. Damit ergibt sich eine neue Situation: Die extreme Rechte versucht sich als eine im gesellschaftlichen Alltagsleben verankerte »soziale Bewegung« in Szene zu setzen.

Auch dabei spielen die Medien eine wichtige Rolle. Die daraus entstehende Situation kann nur ihre größte Aufmerksamkeit erregen. Denn sie ist – bezogen auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – historisch neu, knüpft aber andererseits an Aktionsformen des geschichtlichen Faschismus und Nationalsozialismus an. Deswegen werden alle entsprechenden Aktivitäten des Front National intensiv verfolgt, etwa die Gründung der ersten FN-eigenen »Gewerkschaften« oder die Einrichtung der ersten rechtsextremen »Suppenküche für Obdachlose« vor einem Pariser Bahnhof im Jahr 1996.

Dabei dienen aber wiederum die Medien in hohem Maße als Resonanzboden für die rechtsextreme Politik, die dadurch erst ein breites Publikum findet. Denn zwar bedient die Le Pen-Partei sich solcher Organisations- und Handlungsformen, doch handelt es sich dabei allenfalls um »Keimzellen« rechtsextremer Sozialbewegungen mit je einigen hundert Aktivisten, die weit davon entfernt sind, beispielsweise der SA der deutschen Nazis zu ähneln. Durch die allgegenwärtige Präsenz von Artikeln über diese Bemühungen der extremen Rechten in der bürgerlichen Presse der Jahre 1996 bis 1998 findet der FN aber einen mächtigen Resonanzboden für die Wahrnehmung seiner Aktivitäten.

In jenen Jahren polarisiert sich die innenpolitische Landschaft zeitweise rund um den Front National. Diesem ist dadurch eine starke und dauerhafte Präsenz in den Medien gesichert, gleichzeitig werden aber auch immer wieder starke Gegenaktivitäten und Demonstrationen hervorgerufen.

2000: Der Fall in die mediale Bedeutungslosigkeit

Dann erfolgt die Parteispaltung zum Jahreswechsel 1998/99, die aus Machtkämpfen zwischen dem Parteiapparat und dem auf seine persönliche Machtposition wachenden Parteichef Le Pen resultiert.

Daraufhin erfolgt in den Medien vorübergehend der Abstieg ins Nichts. Denn nach ihrem schwächeren Abschneiden bei den Europaparlamentswahlen 1999, sechs Monate nach der Spaltung, verschwindet die extreme Rechte vorübergehend fast völlig aus den Zeitungsspalten und Medienkommentaren.

Viele JournalistInnen haben sich in dieser Phase für eine Strategie des »Totschweigens« entschieden: Wenn man künftig einfach nicht mehr so viel über die extreme Rechte spreche, dann sei sie jetzt vielleicht historisch erledigt. Zugleich wechseln die Rechtsextremismus-SpezialistInnen vieler großer Zeitungen, etwa Christiane Chombeau bei Le Monde, ihr Thema und konzentrieren sich künftig auf andere Domänen. Etwa zwei Jahre lang wird es weitgehend still um die extreme Rechte.

Als Erste mahnt die Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Ausgabe vom 6. November 2001, im Hinblick auf die ein halbes Jahr später anstehende Präsidentschaftswahl, dass eine Entwarnung möglicherweise fehl am Platz wäre. Sie sieht Le Pen bereits als künftigen »dritten Mann« bei der Präsidentenwahl, der die Wahl zwischen den beiden »großen Kandidaten« (dem Bürgerlichen Jacques Chirac und dem Sozialdemokraten Lionel Jospin) entscheiden könnte. Das klingt zu dem Zeitpunkt überraschend. Le Monde begründet die Befürchtung damit, dass der Wahlkampf vom Thema »Innere Sicherheit« beherrscht werde. Ferner überschatteten die ideologischen Folgen der Attentate vom 11. September die Wahlvorbereitung.

Die Bestürzung wird groß sein, als Jean-Marie Le Pen dann am 21. April 2002 nicht nur Dritter, sondern überraschend sogar Zweiter wird. Dabei kam die vorübergehende Stille um ihn Le Pen letztendlich sogar zugute. Denn er konnte sie nutzen, um nunmehr auf seine neue »Altersweisheit« (den Begriff gebrauchte er selbst) abzustellen und um als weniger gefährlich zu erscheinen. Tatsächlich erscheinen wenige Berichte über ihn vor der Wahl, mit Ausnahme der letzten 14 Tage, in denen es aber vor allem um seine Schwierigkeiten geht, die für eine Kandidatur erforderlichen 500 Unterstützungsunterschriften von Bürgermeistern oder Parlamentariern zu bekommen. Dadurch kann Le Pen letztendlich eine noch breitere Wählerschaft ansprechen: Einerseits sind seine bisherigen rechtsextremen Thesen weniger präsent, und andererseits kann er sich aufgrund seiner Schwierigkeiten erneut als »Opfer des Systems« fühlen. Die ideologische Aufladung des gesamten Wahlkampfs mit der »Sicherheits«problematik hat unter­dessen neues Wasser auf seine Mühlen gegossen.

In den 14 Tagen zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl findet in allen Medien eine hektische Wiederentdeckung der extremen Rechten statt, aber auf inhaltlich niedrigem Niveau. Die ebenso spontane wie breite gesellschaftliche Mobilisierung verhindert dann jedoch, dass Le Pen im zweiten Wahlgang Stimmenzuwächse erhält, die er für den Neuaufbau seiner Partei gebrauchen könnte.

Die letzte Phase: Erbfolgekrieg beim FN

Die daran anschließende und bis heute anhaltende Phase ist im Wesentlichen vom Streit um die Nachfolge des alternden Parteichefs ge­prägt. Dabei stehen sich die Altkader (um Bruno Gollnisch und den FN-Bürgermeister von Orange, Jacques Bompard) einerseits und die von Jean-Marie Le Pen zu seiner Nachfolgerin aufgebaute, jüngste Tochter des Chefs – Marine Le Pen – andererseits gegenüber.

Dieser zähe Stellungskrieg bildet ein gefundenes Fressen für die Medien, deren Berichterstattung dabei zwi­schen Regenbogenjournalismus (mit den persönlichen Portraits der Beteiligten, und anfänglich vor allem von Marine Le Pen als relativ »moderner« und attraktiv wirkender Frau) und politischer Analyse schwankt. 

Ähnlich wie bereits während der »großen« Parteispaltung von 1999 versuchen viele JournalistInnen dabei aber gleichzeitig, durch das Ausweiden des Konflikts der extremen Rechten auch Schaden zuzufügen. Tatsächlich schadete der nunmehr seit fast zwei Jahren anhaltende Dauerkonflikt dem Einfluss der extremen Rechten erheblich, da deren autoritär eingestellte Wählerschaft keinen Konflikt in den »eigenen Reihen« schätzt. Auch derzeit benutzen viele Protagonisten des aktuellen innerparteilichen Machtkampfs die Medien, denen Äußerungen und Informationen »gesteckt« werden, als Tribüne. Momentan nutzt der extremen Rechten die hohe Aufmerksamkeit in den Medien aber nicht, da sie gespalten und geschwächt erscheint und die Nachfolgefrage nicht geregelt ist. Fraglich ist, ob diese Feststellung auch dann noch zutreffen wird, wenn eine Seite sich im Machtkampf durchgesetzt haben wird. Denn die ProtagonistInnen gewinnen dabei zugleich an öffentlichem Bekanntheitsgrad.

Ein (vorläufiges) Fazit

Im Laufe ihrer zwanzigjährigen Geschichte als Partei mit »Masseneinfluss« hat die französische extreme Rechte unterschiedliche Strategien im Umgang mit den Medien an den Tag gelegt, und ist selbst mit unterschiedlichen Umgangsformen seitens der JournalistInnen konfrontiert worden. Diese verschiedenen »Behandlungsmethoden« sind zwar nicht vollkommen ohne Auswirkungen auf die rechtsextreme Partei und ihr Umfeld geblieben. Doch letztendlich hat keine der periodenweise verfolgten Umgangsweisen der Medien dazu geführt, ihre Wahlergebnisse und ihren gesellschaftlichen Einfluss auf längere Sicht hin zu verringern. Ein Rückgang der gesellschaftlichen Verankerung des FN hängt demnach nicht allein vom Agieren der Medien ab. Das kann aber nicht bedeuten, dass diese keinerlei Verantwortung trügen, wo es um die öffentliche Wahrnehmung der extremen Rechten und die Verbreitung ihrer Thesen geht.