Frankreich ganz rechts
REFLEXES (Paris) (Gastbeitrag)Am 15. März 1998 haben die Regionalwahlen in Frankreich stattgefunden. Wieder einmal hat der ultra-rechte "Front National" (FN) für Schlagzeilen gesorgt, denn für diese Regionalwahlen hatte der FN zum ersten Mal in seiner Geschichte Kandidaten in allen Bezirken des Landes aufgestellt. Der Aufstieg des FN ist also noch lange nicht beendet. Heute ist der FN in jedem Bereich des politischen Lebens präsent.
Das Ergebnis der Regionalwahlen ist durchaus alarmierend. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 57% aller Wahlberechtigten. Zwar gelang es der Vereinigten Linken, der Gauche Plurielle1 , die bisher nur drei Regionalpräsidenten gestellt hat, die relative Mehrheit der Stimmen in 12 von 26 Regionen zu gewinnen. Aber die Stimmengewinne für den FN haben die politische Landschaft in Frankreich tiefgreifend verändert.
Bündnisse an der rechten Parteien-Basis
Der FN erhielt 15,7 Prozent der Stimmen und schlug daraufhin den Parteien der "traditionellen" Rechten, dem "Rassemblement pour la République" (RPR) und der "Union pour la Démocratie Française" (UDF) vor, Bündnisse zu bilden, wenn beide Parteien offiziell sechs Punkten des FN-Programms2 zustimmen würden.
Die politischen Führungen beider Parteien lehnten diesen Vorschlag zwar offiziell sofort ab, aber fünf Regionalpräsidenten, die wiedergewählt werden wollten, akzeptierten das Bündnisangebot des FN. Jean-François Mancel, der ehemalige Generalsekretär der RPR, wurde daraufhin aus seiner Partei ausgeschlossen. In der Region Languedoc-Roussillon wurde Jacques Blanc (RPR) mit den Stimmen des FN zum Regionalpräsidenten der Region wiedergewählt, was ihn überhaupt nicht zu stören schien. Das Gleiche passierte auch in der Region Picardie und der Region Rhone-Alpes, wo Charles Baur (UDF) und der frühere Verteidigungsminister Charles Millon (UDF) mit Hilfe der FN-Stimmen als Regionalpräsidenten gewählt wurden. Nur der ebenfalls mit FN-Stimmen gewählte Regionalpräsident der Region Bourgogne, Jean-Pierre Soisson, erwägt nach einer dramatischen Anti-FN-Rede von Präsident Chirac seinen Rücktritt. Die traditionelle Rechte befindet sich seit den Regionalwahlen in einer tiefen Krise, von der der FN profitiert, ohne seine Verachtung für die konservativen und liberalen Parteien zu verbergen. Der FN-Führer Jean-Marie Le Pen erklärte am 17. März, also am selben Tag, als der FN sein Bündnisangebot machte, ganz offen, die traditionelle Rechte sei »dekadent« und befinde sich »im Niedergang«.
Die FN-Bürgermeister
1995 und 1996 wurden vier FN-Kandidaten zu Bürgermeistern der Städte Orange, Marignane, Toulon und Vitrolles (in Südfrankreich bzw. in der PACA-Region)3 gewählt. Seitdem versuchen diese FN-Bürgermeister eifrig, die rassistische Ideologie der Partei in die Praxis umzusetzen. Dabei zeigt sich, daß die konkrete Umsetzung der FN-Parolen in Kommunalpolitik zwar nicht immer gelingt; andererseits benutzen die Bürgermeister die Medienaufmerksamkeit immer wieder als Plattform, um weiter Werbung für den FN zu machen. Zum Beispiel hat Bruno Mégret4 versucht, die FN-Politik der sogenannten »preference nationale« in die Praxis umzusetzen. Er schlug eine Prämie von 5.000 Francs für Babys von »französischen oder europäischen Eltern« vor, die er zwar per Plakat und Medien überall ankündigte, die jedoch am Veto des Provinzpräfekten scheiterte.5
Bruno Mégret, der ursprünglich selber für das Bürgermeisteramt in Vitrolles kandidiert hatte, ist im übrigen nicht der einzige FN-Kandidat, der von der Justiz als Wahlkandidat aufs Abstellgleis gestellt wurde. Die erneute Kandidatur von Jean-Marie Le Chevallier, FN-Bürgermeister von Toulon und bisher einziger FN-Abgeordneter in der "Assemblee National", dem französischen Parlament, ist vom Verfassungsrat, der höchsten rechtlichen Instanz Frankreichs, abgelehnt worden. Er hatte das amtliche Mitteilungsblatt der Stadt Toulon für seine Wahlpropaganda genutzt. Außerdem hatte er in seinem Rechenschaftsbericht nicht die gesamten Kosten seiner Wahlkampfkampagne angegeben. Da er jetzt ein Jahr lang nicht für ein Wahlamt kandidieren darf, hat er sofort seine Ehefrau Cendrine Le Chevallier als Kandidatin präsentiert. Möglicherweise wollte Jean-Marie Le Chevallier damit anderen potentiellen FN-Kandidaten aus dem engeren Kreis um Le Pen zuvorkommen, auch wenn er selbst als Vertrauter des FN-Vorsitzenden gilt. Cendrine Le Chavellier ist seit 20 Jahren Mitglied im FN und kommt aus einer monarchistischen Familie. Als stellvertretende Bürgermeisterin von Toulon beschäftigt sie sich vor allem mit Jugendpolitik. Sie hat nach und nach immer mehr Einfluß in der Stadtverwaltung gewonnen und sich damit bei einigen lokalen Mitgliedern der FN nicht nur Freunde geschaffen.
Die Skandale und Prozesse um den FN
Im November 1997 rückte die Département Protection Sécurité (DPS), der paramilitärische "Ordnungsdienst" des FN um Bernard Courcelle, ins Blickfeld der Medien und der Öffentlichkeit. Die Zeitung Liberation veröffentlichte ein Interview mit einem ehemaligen DPS-Mitglied, der über alle illegalen Aktionen und Aktivitäten des DPS auspackte. Er beschrieb die »Stoßtrupps« und deren »Sonderaufgaben«. Ihre Aufgabe ist es, die »führenden Köpfe« der antifaschistischen Bewegung zu »zerschlagen«. In dem Interview wurden sowohl die persönlichen Daten und die Waffen der DPS-Mitglieder genannt, als auch die Namen, Adressen und Fotos, die der DPS von JournalistInnen gesammelt hat, die über den FN schreiben und recherchieren. Der FN hat - wie nicht anders zu erwarten - den gesamten Inhalt des Interviews dementiert. Trotzdem wurde eine interne FN-Ermittlung begonnen, um den Namen des ehemaligen DPS- Mitglieds herauszufinden.
Wenige Monate später, im Februar 1998, folgte dann der nächste Skandal, der jetzt die Justiz beschäftigt. Am 3. Februar wurden in Paris sieben Personen und in La Reunion eine achte Person verhaftet. Dabei beschlagnahmte die Polizei Waffen, Scanner und 150.000 Francs, die nach Angaben der Polizei aus einem Banküberfall stammen sollen. Unter den Verhafteten befanden sich drei ultra-rechte Polizisten: Patrick Guillermic und Fréderic Jamet, zwei führende Köpfe der "Front National Police" (FNP) um Jean-Paul Laurendeau6 . Frederic Jamet ist außerdem weiterhin Mitglied des FN und kandidierte für den FN bei den Regionalwahlen.
Auch FN-Chef Le Pen hat momentan Ärger mit der Justiz. Er wurde von der Staatsanwaltschaft in Versailles angeklagt, weil er am 30. Mai 1997 in Mantes-la-Jolie mehrere Anti-FN-DemonstrantInnen, darunter eine sozialistische Bürgermeisterin und mehrere Mitglieder von der antifaschistischen Gruppe "Section carrément anti Le Pen" (SCALP), angegriffen hatte. Die Staatsanwaltschaft forderte bei Prozeßeröffnung das Gericht auf, Le Pen zu einer zweijährigen Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, drei Monaten Haft auf Bewährung und 20.000 Francs Geldstrafe zu verurteilen. Da ein Urteil in dem Verfahren allerdings erst im April erwartet wird, konnte Le Pen ungehindert bei den Regionalwahlen in der PACA-Region kandidieren. Der FN reagierte auf den Prozeß mit eigenen Aufmärschen. In Versailles versammelten sich am 21. Februar 1998 nach Polizeiangaben rund 5.000 FN-Anhänger, um Druck auf die Versailler Justiz auszuüben, Le Pen freizusprechen. Eine Woche später fand dann eine FN-Versammlung in Marseiile statt. Unter den rund 1.000 Teilnehmern befanden sich fast alle führenden Köpfe und Spitzenkandidaten des FN: Bruno Megret, Jacques Bompard (Bürgermeister von Orange) und Le Chevallier.
Der FN hat seinerseits Strafanzeige gegen AntifaschistInnen gestellt, weil diese FN-Mitglieder am Marschieren gehindert und sie mit Parolen wie »Le Pen, Faschist und Mörder« beschimpft hätten.
Die "Charlemagne Hammerskins" (CHS)
Neben dem FN ist auch die neofaschistische Szene weiterhin aktiv. Die Affäre um die CHS, die "Charlemagne Hammerskins" (CHS), ist ein gutes Beispiel für die Aktivitäten dieser Szene. Nach der Schändung des jüdischen Friedhofs von Toulon im Juni 1996, waren drei Jugendliche verhaftet worden. Die Brüder Christophe Magnoni und David Magnoni wurden für im Oktober 1997 deshalb zu Gefängnisstrafen verurteilt. Bei Hausdurchsuchungen in diesem Zusammenhang stieß die Polizei auf Dokumente, die zu Ermittlungen gegen die Zeitschrift "W.O.T.A.N." („Will Of The Aryan Nation“)7 führten. "W.O.T.A.N." ist die Zeitschrift des CHS, die von Hervé Guttoso, einem 25jährigen ehemaligen Skinhead aus Marseiile gegründet wurde. Guttuso war schon an einem anderen Skinhead-Fanzine namens "Neuvième Croisade" beteiligt. Nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA veröffentlichte Guttuso eine Zeitung namens "Terreur d’élite", die die Neonazi-Terror-Strategien von David Lane und "THE ORDER" aus den USA verbreitete. Um sich der Justiz zu entziehen, flüchtete Guttuso zuerst von Marseiile nach Paris und dann zum ehemaligen "Combat 18"-Anführer Charlie Sargent nach England. Von England aus führte er dann die "Charlemagne Hammerskins" weiter. Dazu benutzte er unter anderem seine beiden neuen Zeitschriften "W.O.T.A.N." und "14 Mots" sowie das Internet.8
Guttusos Propaganda war extrem antisemitisch und rief zu terroristischen Aktivitäten und Morden an politischen Gegnern auf. Die bevorzugten Ziele seiner Hetze waren Patrick Gaubert9 und Simone Veil10 . International lagen die "Charlemagne Hammerskins" aber auch mit mehreren anderen Ablegern der internationalen "Hammerskin Nation" (HSN) in Streit, die sie abwertend „Hammer Skum Nation“ (Skum=Scum, dt. „Abschaum“) beschimpften.
Am 10. Februar 1998 wurde Guttuso dann in Chalmsford bei Charlie Sargent von Scotland Yard verhaftet. Gleichzeitig wurden gegen die CHS auch in Frankreich ermittelt: Führende Mitglieder der CHS wie Éric Monnier, ein Student und Computerspezialist aus Lyon, zwei Jugendliche aus Rouen (Normandie), Ronald Robin und Cyril Dieupart, sowie Laurent Franchet aus Marseiile wurden bei den Razzien verhaftet.
- 1Vereinigte Liste der Sozialistischen Partei (PS), der Kommunistischen Partei (PC) und der Grünen (Les Verts). Hinzu kommt, daß die Trotzkistische Partei (Lutte Ouvriere) 3,2 Prozent und einen Regionalabgeordneten gewonnen hat.
- 2Bei den Programmpunkten ging es um Bereiche wie Steuerpolitik, Innere Sicherheit, Bildungspolitik, »Schutz der französischen Identität«, aber nicht um die Politik der sog. »preference nationale« (die diskriminierende Politik des FN, die darauf abzielt, Franzosen in allen gesellschaftlichen Bereichen, bei der Arbeitsplatz- und Wohnungsvergabe sowie bei Sozialhilfezahlungen, zu bevorzugen).
- 3PACA steht für die Provinz Provence-Alpes-Cotes d'Azur.
- 4Catherine Megret soll Vitrolles mit Hilfe ihres Ehemannes verwalten. Er selbst durfte nicht mehr kandidieren, weil er die Wahlkampfkostengesetze verletzt hatte. Die WählerInnen, die Catherine Megret gewählt haben, wußten genau, daß sie eigentlich für Bruno Megret stimmten.
- 5Diese staatliche Unterstützung gilt bisher für französische Kinder, aber auch für Kinder von MigrantInnen, die in Frankreich geboren sind.
- 6Die FNP (Front National-Police) ist die vom FN gegründete Polizeigewerkschaft. Ihr wurde im letzten Jahr der Gewerkschaftsstatus aberkannt, was zu ihrer Auflösung führte.
- 7Wotan ist sowohl der Gott der nordischen Mythologie als auch die Abkürzung von »Will of the Aryan Nation«.
- 8Die Homepage wurde in Kanada von STC.Net betreut.
- 9Leiter der LICRA und ehemaliger Antirassismusexperte der konservativen Regierung.
- 10Simone Veil ist KZ-Überlebende und Politikerin im konservativen Lager.