Frankreich: Der "Front National" im Sommer 1998
FN-Aufmarsch in Paris
Mehr als 12.000 Mitglieder des ultra-rechten "Front National" (FN) marschierten bei ihrem traditionellen 1.Mai/Jeanne d'Arc' Aufmarsch durch die Straßen von Paris. Wie schon in den vergangenen Jahren wurde der Aufmarsch von jungen Neo-Faschisten in Jeanne d'Arc Kostümen und Soldatenuniformen aus dem 15. Jahrhundert angeführt. Unter Fahnenschwenken und Parolen wie »Frankreich den Franzosen« und »Le Pen als Präsident« - strömten tausende von Le Pen-UnterstützerInnen ins Stadtzentrum am Place de l'Opera, um ihrem Führer zuzuhören.
Für AntifaschistInnen war insbesondere die Jugendsektion des FN mit rund 300 Aktivisten interessant. Diese geringe Zahl deutet darauf hin, daß die Jugendorganisation des "Front National", der "Front national de la jeunesse" (FNJ), einiges an Anziehungskraft verloren hat. Trotzdem war das Jugendkontingent sehr wichtig, da dessen Auftreten und ihr Erscheinungsbild viel unverhohlener und offener neofaschistisch war als bei den zurückhaltenderen älteren TeilnehmerInnen.
In den vergangenen Jahren hatten sich Le Pen und der FN auf die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte des Datums 1. Mai konzentriert. Aber in diesem Jahr spielte die »Soziale Frage« nur eine untergeordnete Rolle, und Le Pens Anbiederungsversuche an Gewerkschaften und ArbeiterInnen fielen wesentlich spärlicher aus als noch im Jahr 1996. AntifaschistInnen führen diese Veränderung auf den relativen Mißerfolg des FN zurück, die anfänglichen Stimmengewinne unter ArbeiterInnen in eine reale Basis unter der Arbeiterschaft umzuwandeln. Obwohl der FN bei den Regionalwahlen Stimmengewinne verzeichnen konnte, gelang es ihm trotzdem nicht, sein öffentlich erklärtes Ziel zu erreichen, mehr als 300 Sitze in Regionalparlamenten und so viele Stimmen wie erhofft aus der Arbeiterschaft zu gewinnen.
Die Veränderung im Zielpublikum war am deutlichsten in Le Pens Rede zu bemerken: In seiner Tirade griff Le Pen die us-amerikanischen Medien dafür an, daß sie die Globalisierung unterstützen würden, die seiner Ansicht nach »einen Liberalismus ohne Bremsen und Grenzen« fördern würde. In einer ganz klar antisemitischen Anspielung behauptete Le Pen, daß das »internationale Finanzkapital Nationen zerstört, und seine Propheten sind CNN; die Washington Post und die Enrokratie in Brüssel«. Außerdem kritisierte Le Pen die Einführung des Euro im Jahr 1999. Er hofft darauf, daß die französische "Kommunistische Partei" (PCF), die aus anderen Gründen die Europäische Währungsunion ablehnt, dadurch gelähmt sei, daß sie an einer Regierung beteiligt ist, die das Projekt Euro unterstützt. Le Pen erklärte, daß jetzt nur noch der FN einen glaubwürdigen Kampf gegen die Europäische Union führen könne.
Der Aufmarsch des FN zeigte, daß sich inzwischen fast die gesamte neofaschistische Rechte in Frankreich hinter Le Pen stellt und so auch mobilisiert. Die kleinen Splittergruppen beteiligten sich nahezu alle am 1. Mai-Aufmarsch des FN - oft mit ihren eigenen Transparenten. Es steht außer Frage, daß der Aufmarsch dazu diente, die FN-Mitglieder angesichts der zwei schweren Rückschläge zu beruhigen, die der FN vor kurzem einstecken mußte.
Rückschläge für den FN
Ein Gericht hatte es als erwiesen angesehen, daß Le Pen einen Antifaschisten angegriffen hatte und ihn daraufhin für zwei Jahre zum Verlust seiner Bürgerrechte verurteilt. Trotz eines Berufungsantrages von Le Pen ist davon auszugehen, daß die nächsthöhere Instanz das Urteil bestätigen wird. Wenn dem so sein sollte, wird Le Pen nicht als Kandidat bei den nächsten Europawahlen kandidieren und auch nicht die Liste der FN anführen können. Außerdem verlor der FN seinen einzigen Sitz in der Nationalversammlung.
Jean-Marie Le Chevallier, der gleichzeitig auch FN-Bürgermeister von Toulon ist, verlor den Sitz, nachdem festgestellt worden war, daß es ernsthafte Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung seines Wahlkampfes gegeben hatte. Er hatte wesentlich mehr Geld für seinen Wahlkampf ausgegeben als rechtlich erlaubt ist. Im Vorwahlkampf für die Nachwahlen am 3. Mai, bei denen Le Chevalliers Sitz neu besetzt werden sollte, stellte Le Chevallier eigenmächtig seine Ehefrau Cendrine Le Chevallier als Kandidatin auf. Das verursachte enormen Ärger bei einigen FN-Mitgliedern im Süden, die argumentiert hatten, daß die Kandidatin vom Führungsgremium der Partei hätte ernannt werden sollen. Le Chevalliers Vorgehen hat die Flügelkämpfe im FN weiter angeheizt. Diese waren ohnehin schon durch die Kritik an Le Pens Führungsstil in einem Buch des langjährigen und führenden FN-Mitglieds Roger Gaucher entfacht worden.
Trotz der eigenmächtigen Aktion ihres Mannes, wurde Cendrine Le Chevallier sehr schnell von Le Pen unterstützt, der offensichtlich große Stücke auf ihre nahezu fanatische Loyalität zur Partei und ihre zwanzigjährige Karriere als rechte Aktivistin hält. In der Gegend von Toulon ist das Ehepaar Le Chevallier zwar als führendes rechtes Funktionärs-Duo etabliert, aber sie genießen bei den ParteiaktivistInnen nicht viel Popularität.
Diese Tatsache könnte u.a. zur knappen Wahlniederlage von Cendrine Le Chevallier beigetragen haben. Im ersten Wahlgang erhielt sie 39 % aller Stimmen und hatte 6 % Vorsprung vor ihrem schärfsten Konkurrenten von den Sozialisten. Im zweiten Wahlgang gewann der sozialistische Kandidat dann mit einer hauchdünnen Mehrheit von genau 33 Stimmen (!) gegen Cendrine Le Chevallier. Der erste Wahlgang demonstrierte den mehr oder weniger kompletten Zusammenbruch von Jacques Chiracs konservativer "Rassemblement pour la République" (RPR) im Süden - sie erhielt gerade einmal 22% der Stimmen.
Außerdem zeigte er eine alarmierende Gleichgültigkeit unter den WählerInnen, insbesondere ehemaligen RPR-WählerInnen. Nur die höhere Wahlbeteiligung und die Tatsache, daß einige konservative WählerInnen ihre Stimme im zweiten Wahlgang den Sozialisten gaben, führte zur Niederlage des FN. Der Transfer von WählerInnenstimmen von Rechts nach Links ist ein neues Phänomen, dessen Wiederholung abzuwarten bleibt. Der FN verlangte die erneute Stimmenauszählung, wird damit aber wohl nicht durchkommen. Angesichts des Vorgehens des FN in den Regionalparlamenten und der jüngsten Aufmärsche, gibt es keinen Grund zur Beruhigung: Denn der FN hat damit begonnen, sein Potential auszunutzen und sorgt überall für Ärger.