Das rechte „Ein Prozent“-Netzwerk
Die „Neue Rechte“ befindet sich im Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ gegen die parlamentarische Demokratie. Ein Kernziel ist dabei die Delegitimierung etablierter politischer Akteure wie Gewerkschaften, Parteien oder zivilgesellschaftlicher Initiativen. Der Beitrag beleuchtet am Beispiel des Netzwerks „Ein Prozent“ diesen „Kulturkampf von rechts“.
Seit 2010 hat in Deutschland mit der sogenannten Sarrazin-Debatte eine Diskursverschiebung nach rechts(-außen) stattgefunden, die sich mit der als Krise empfundenen Steigerung der Migrationsbewegungen seit 2015 weiter beschleunigt hat. Politisch profitieren dabei nicht die Parteien und Organisationen der neonazistischen Szene – wie die NPD −, sondern Akteur_innen der „Neuen Rechten“ (NR).
Die „Neue Rechte“ ist eine Bezeichnung für eine bestimmte Ideologie oder geistige Strömung der (extremen) Rechten, die sich in erster Linie an das Gedankengut der "Konservativen Revolution" anlehnt, also an jene Intellektuellen, die als Vertreter eines ‚antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik‘ (Kurt Sontheimer) gelten. Als weitere wichtige ideologische Anknüpfungspunkte wären darüber hinaus die intellektuellen Sympathisanten und Wegbereiter des italienischen Faschismus zu nennen. Ihre Akteur_innen setzen auf ein Konzept, welches angelehnt an den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci die Erlangung der „kulturellen Hegemonie“ forciert. Es geht dabei um die Meinungsführung im „vorpolitischen Raum“, der die Erringung der politischen Macht folgen soll. Zentral für die Gramsci-Rezeption der NR in Deutschland waren die Publikationen des „neurechten“ französischen Vordenkers Alain de Benoist.1
Die spektrenübergreifende Aktualität dieser Strategie zeigt sich bei zahlreichen Kongressen und Publikationen. So bezog sich der Jurist und ehemalige NPD-Funktionär Thor von Waldstein schon 2015 auf Taktiken und Organisationen, welche die („metapolitische“) Vorarbeit leisten sollen, um darauf aufbauend die politische Macht zu erringen: „Durch spektakuläre Aktionen und einprägsame Bilder, wie sie etwa von der Konservativ-Subversiven Aktion (KSA) oder der Identitären Bewegung (IB) vorexerziert wurden, kann überhaupt erst wieder der Boden bereitet werden, auf dem metapolitisch gesät und anschließend politisch geerntet werden kann (…).“ In jene mittlerweile existierende Riege des „neurechten“ Netzwerkes ist neben der „Identitären Bewegung“ (IB) auch die Initiative „Ein Prozent“ einzuordnen.
„Ein Prozent“ – Netzwerk der (extremen) Rechten
Zum weitverzweigten Netzwerk der NR zählen Verlage wie der „Verlag antaios“, Publikationen wie die „Blaue Narzisse“ und auch aktivistisch ausgerichtete Organisationen wie die „Identitäre Bewegung“. Das „Ein Prozent“-Netzwerk gehört seit 2015 ebenfalls dazu und verbindet dabei verschiedene Ziele: Durch ein seriöses Auftreten und vermeintlich investigative Recherchen wird versucht, die Delegitimierung politischer Gegner voranzutreiben, gleichzeitig wird durch bildgewaltige Aktionen Arbeit im „vorpolitischen Raum“ geleistet. Darüber hinaus fungiert „Ein Prozent“ als Vernetzungs- und Crowdfundingplattform für zahlreiche (extrem) rechte Initiativen und Gruppierungen.
In der Selbstbeschreibung heißt es, man verstehe sich als „professionelle Widerstandsplattform für deutsche Interessen“ und wolle Widerstand „gegen eine politische Klasse [leisten]“. Dieser Pathos lässt neben der Konstruktion als „Kämpfer für den Normalbürger“ schon die omnipräsente Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie in ihrer derzeitigen Form erahnen. Zur Namensgebung heißt es: „Wir brauchen die Unterstützung von einem Prozent der Deutschen, nicht mehr. Ein Prozent reicht aus!“ Öffentlich formuliert werden nur wenige Ziele wie „Grenzsicherung“, „konsequente Abschiebung“ und „Schutz des Volks- und Privateigentums“. Daneben ist das langfristige Ziel offenbar die Ablösung der gewählten demokratischen Regierung: „Wer die Auflösung des Rechtsstaats und unserer Lebensordnung zu verantworten hat, muss abtreten.“
„Ein Prozent“ ist Schnittstelle zwischen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), der „Neuen Rechten“ und dem klassischen Neonazi-Spektrum. So wurde die Gründung der Initiative bereits Mitte 2015 auf dem Blog der „Sezession“, einer von Götz Kubitschek verantworteten Publikation, bekannt gegeben. Der zu Beginn aktive Vorstand verdeutlicht die netzwerkartige Struktur. So waren neben Kubitschek auch Jürgen Elsässer (Chefredakteur des verschwörungsideologischen „COMPACT“-Magazin), Hans-Thomas Tillschneider (AfD Sachsen-Anhalt) und der emeritierte Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider an der Gründung beteiligt. Mittlerweile werden als Vorstand Helge Hilse und der (extrem) rechte Burschenschaftler Philip Stein benannt, der „Ein Prozent“ inzwischen maßgeblich nach außen vertritt. Andere Aktivisten von „Ein Prozent“ entstammen der Neonazi-Szene. So leitete beispielsweise der ehemalige Neonazi-Kameradschafter und Vorsitzende der NPD-Jugendorganisation Michael Schäfer 2017 die Wahlbeobachter-Kampagne von „Ein Prozent“.2 Auch der aus Thüringen stammende „Ein Prozent“-Mitarbeiter Simon Kaupert soll mindestens 2015 an einem Pfingstlager der NPD-Jugendorganisation teilgenommen hab en.3
Gegen den Moschee-Bau in Erfurt-Marbach
Um die Arbeit von „Ein Prozent“ beispielhaft aufzuzeigen, werden im Folgenden zwei Aktionen als Fallbeispiele beleuchtet. Seit im Jahr 2016 bekannt wurde, dass die islamische Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt-Marbach eine eigene Moschee errichten möchte und ein entsprechendes Baugrundstück erworben hat, begannen in Erfurt Proteste gegen diese Bestrebungen. Unter dem Namen „Bürger für Erfurt“ formierte sich eine Protestgruppe. Ein Sprecher und einige Mitglieder verließen die Gruppe jedoch bald wegen der zunehmenden Radikalisierung der internen Diskussionen.4 Bei „Ein Prozent“ fanden sich bereits ab Sommer 2016 erste Erwähnungen der „Bürger für Erfurt“. Im Dezember folgte ein erstes kurzes Video ganz im Inszenierungsstil der Identitären: Im Video wird die kitschig inszenierte Marbacher Dorfidylle den angeblich zu erwartenden Negativfolgen eines Moscheebaus entgegengestellt. Gleichzeitig wird der Bau der Moschee mit einer Delegitimierung aktueller politischer Verantwortungsträger_innen verknüpft und diese als „undemokratisch“ dargestellt. Letztlich wird ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen dem Bau der Moschee und dem konstruierten Volkswillen der „Erfurter Bürger“ behauptet. Im Duktus des Videos handelt es sich bei den etablierten Parteien um „Anti-Demokraten“, weil diese eine Moschee gegen den Willen einer behaupteten Mehrheit genehmigt haben. Das Vorhaben, eine bereits auf dem Rechtsweg genehmigte Moschee im Namen „des Volkes“ verhindern zu wollen, gilt als legitim. Die virale Verbreitung solcher Botschaften ist das zentrale Ziel zahlreicher „neurechter“ Organisationen. Daher dienen Videos – wie auch in diesem Fall − oft als bevorzugtes Medium.
In einem internen Strategiepapier der „Identitären Bewegung“ heißt es etwa 2015: „Die Identitäre Bewegung ist eine metapolitische Kraft, die versucht, Ideen, Parolen und Bilder in das metapolitische Feld zu führen. Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen. Die ganze Arbeit, die wir in eine Aktion reinstecken, wird nutzlos, wenn die Bilder, die es transportiert, nicht klar und von guter Qualität sind. Wir müssen Wörter und Bilder wählen, die der Mehrheit gefallen und für sie verständlich sind.“ Diesen oder ähnlichen strategischen Maßgaben folgend organisierte „Ein Prozent“ im März 2017 eine Aktion, die es genau auf solche verbreitbaren Bilder anlegte. Mehrere Aktivist_innen aus dem Umfeld der IB und von „Ein Prozent“ errichteten ein mehrere Meter hohes („christliches“) Holzkreuz neben dem Moschee-Baugrundstück. Rund zehn weitere Kreuze folgten. Die Instrumentalisierung christlicher Symbolik gegen „den Islam“ ist bereits seit 2014 von PEGIDA bekannt. Ein wenig später folgendes Propaganda-Video und zahlreiche Bilder dienten dann zur viralen Verbreitung der Aktion. Die inszenierte Provokation hatte Erfolg: Bundesweit berichteten Medien – bis zur Tagesschau – über die Aktion. „Ein Prozent“ wurde die Möglichkeit gegeben, sich breit und oft ohne kritische Recherche zur Einordnung der Organisation zu inszenieren. Damit hat sich auch in Erfurt die von Kubitschek bereits 2007 formulierte Strategie der Provokation als erfolgreiches Mittel erwiesen, die eigenen Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Raumnahme
Um nicht nur virtuell Einfluss zu generieren, braucht es reale Anlaufpunkte, die als Orte der Vernetzung und Strukturierung dienen. Neben dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS) in Schnellroda, den Räumen der „Bibliothek des Konservativismus“ in Berlin entstand in Halle ab 2016 ein Hausprojekt, das von Protagonist_innen der „identitären“ Gruppe „Kontrakultur“ bewohnt wird.5 Für Referate „neurechter“ Vordenker, wie auch für Vorträge extrem rechter Organisationen wie der ukrainischen Neonazi-Partei „National Corps“ dient die im Haus ansässige Kneipe „Flamberg“. Auch extrem rechte Konzerte fanden schon in den Räumlichkeiten statt. Finanzielle und ideologische Unterstützung erhält das Projekt vor allem von „Ein Prozent“, die auf ihrer Webseite von „unserem Haus“ sprechen und betonen, dass entsprechende Projekte ein „Meilenstein im politischen und kulturellen Kampf“ seien.
Einen weiteren Raum versucht „Ein Prozent“ in Dresden zu etablieren - wenn bislang ohne eine solche Kraft, wie sie das Haus in Halle auf die bundesweite extreme Rechte auszustrahlen vermag. Im Februar 2017 eröffnete dort ein Büro von „Ein Prozent“. Das Mietverhältnis hielt, dank antifaschistischer Interventionen, nicht lang an. Seit spätestens Frühjahr 2019 versucht „Ein Prozent“ diese Lücke mit einem neuen Objekt in Dresden-Reick zu schließen, wie das „Antifa Recherche Team Dresden“ im Mai 2019 bekannt gab. Am Klingelschild hatte dort, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, der Name des stellvertretenden Vorsitzenden des AfD-Kreisverbandes Dresden, Joachim Klaudius, gestanden, neben vier weiteren Namen, die alle dem „Ein Prozent“-Netzwerk zuzuordnen sind.
Unterstützung durch die AfD bekam „Ein Prozent“ schon in Halle. So hatte Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt, im September 2017 im Wohnprojekt der „Kontrakultur“ sein Abgeordnetenbüro eröffnet. Auch in Cottbus gibt es mit der „Mühle“ seit nunmehr einem Jahr ein Ladenlokal aus dem „Ein Prozent“-Netzwerk, wo die Vernetzung lokaler (extrem) rechter Akteure mit überregionaler Unterstützung vorangetrieben wird. Anders als in Halle bleiben die Raumnahme in Cottbus wie auch die rassistischen Mobilisierungen von „Zukunft Heimat“ bisher weitestgehend unwidersprochen.
Gegenmobilisierung & Aufklärung
Die „Neue Rechte“ hat in den vergangenen Jahren wie keine andere (extrem) rechte Strömung von der politischen Situation in Deutschland profitieren können. Gegenstrategien gegen einen intendierten Rechtsruck der Debatten und eine (lokale) Verankerung entsprechender (extrem) rechter Akteure müssen auf mehreren Ebenen ansetzen. So ist die Etablierung des Hauses in der Hallenser Stadtgesellschaft an der gut vernetzten und breiten antifaschistischen Gegenmobilisierung und Aufklärungsarbeit in Halle gescheitert. Eine Aufklärung über Akteur_innen, Ideologie und Strategien der NR ist dabei von zentraler Bedeutung, um extrem rechte Strategieansätze zu entzaubern und einen regional angepassten Handlungsansatz zu schaffen.
(Der Text basiert auf einer gleichnamigen Veröffentlichung der Mobilen Beratung in Thüringen (Mobit) und wurde für diese Ausgabe von der AIB-Redaktion umfangreich redaktionell bearbeitet.)
- 1Für den Gesamtüberblick empfehlenswert ist das Buch von Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die NEUE RECHTE und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017.
- 2Vgl. Neumann, János (2017): Das ‚Ein Prozent‘ Recherchenetzwerk. In: Der Rechte Rand - Ausgabe 169 - November 2017
- 3Vgl. ebd.
- 4Vgl. ZDF heute plus (2017): „Kreuze gegen Moschee: Umstrittenes Projekt in Erfurt“. Sendung vom 16. März 2017.
- 5Vgl. dazu AIB Nr. 116: "Ein identitäres Haus in Halle"