Arnsdorf: „Zivilcourage“ von rechts
Über Arnsdorf, ein kleiner Ort nahe Dresden, wird immer wieder als ein „gespaltener Ort“ gesprochen. Bereits 2015 lud sich die Stimmung im Dorf rassistisch auf, als bekannt wurde, dass Geflüchtete untergebracht werden sollen. Die Asylunterkunft wurde nie realisiert — dafür Arnsdorf für rechte Umtriebe bundesweit bekannt. Ein Video, in dem der aus dem Irak geflüchtete Shabas S. von vier Männern einer vermeintlichen Bürgerwehr aus einem Supermarkt gezerrt wird, sorgte 2016 überregional für Aufmerksamkeit. Ein Jahr später ist er tot, der Prozess um die Freiheitsberaubung eingestellt, die rechte Schulterschlusskampagne „Solidarität für Arnsdorf“ erfolgreich und der Fall keineswegs abgeschlossen.
Über Arnsdorf, ein kleiner Ort nahe Dresden, wird immer wieder als ein „gespaltener Ort“ gesprochen. Bereits 2015 lud sich die Stimmung im Dorf rassistisch auf, als bekannt wurde, dass Geflüchtete untergebracht werden sollen. Die Asylunterkunft wurde nie realisiert — dafür Arnsdorf für rechte Umtriebe bundesweit bekannt. Ein Video, in dem der aus dem Irak geflüchtete Shabas S. von vier Männern einer vermeintlichen Bürgerwehr aus einem Supermarkt gezerrt wird, sorgte 2016 überregional für Aufmerksamkeit. Ein Jahr später ist er tot, der Prozess um die Freiheitsberaubung eingestellt, die rechte Schulterschlusskampagne „Solidarität für Arnsdorf“ erfolgreich und der Fall keineswegs abgeschlossen.
„Ist schon schade, dass man ‘ne Bürgerwehr braucht, oder?“
In dem im Juni 2016 veröffentlichten Video ist zu sehen, wie ein junger Geflüchteter an einer Supermarktkasse steht. Offenbar gibt es Unstimmigkeiten zwischen ihm und der Kassiererin. Plötzlich betreten vier Männer den Markt, gehen zielstrebig auf ihn zu, packen und zerren ihn aus dem Laden. Es ist eine Frauenstimme zu hören: „Ist schon schade, dass man ‘ne Bürgerwehr braucht, oder?“. Dass die Männer Shabas S. anschließend mit Kabelbindern an einen Baum fesselten, ist auf dem Video nicht mehr zu sehen. Die hinzugerufene Polizei bescheinigte ihnen — so die Täter — alles richtig gemacht zu haben und führte den Geflüchteten ab. Auch der Görlitzer Polizeichef verteidigte das Verhalten der Vier als korrekt und notwendig.
Die Arnsdorfer Bürgermeisterin verurteilte indes das Vorgehen und positionierte sich klar gegen die Aktion und deren UnterstützerInnen. Das Video verbreitete sich über die sozialen Netzwerke und wurde zehntausende Male angesehen. Der Fall geriet bundesweit in die Medien. Während die Tat von einigen verurteilt wird, die zum Teil das Bild des hässlichen Sachsen bestätigt sehen, verbreiten sich aber auch wilde Gerüchte. Shabas S. sei mit einer Weinflasche auf die Kassiererin losgegangen, hätte im Supermarkt randaliert und gestohlen. Viele sind sich einig: Die Männer bewiesen Mut und schützten die Bevölkerung vor einer Bedrohung. Auf rechten Plattformen werden sie wie Helden gefeiert.
Geschehen war der Angriff bereits am 21. Mai 2016. Zu dieser Zeit war Shabas S. Patient in der psychiatrischen Klinik Arnsdorf. Er soll an diesem Tag mehrere Male im Netto-Markt erschienen sein und versucht haben, eine leere Telefonkarte umzutauschen. Mehrere Medien berichteten dabei übereinstimmend: Es gab keine Hinweise auf einen Diebstahl oder gewalttätige Handlungen. Ein zunächst eingeleitetes Verfahren gegen ihn wird eingestellt. Ermittelt wird stattdessen wegen Freiheitsberaubung gegen die vier Männer.
Erfolgreiche Solidaritätskampagne für stolze Angeklagte
Die im Video zu sehenden Männer Detlef Oelsner, Felix Leutloff, Bernd Götz und Sebastian Rätke bekennen sich zu der Tat und verteidigen ihr Vorgehen. Sie inszenieren sich als Opfer medialer und staatlicher Willkür. Ihre „Zivilcourage“ werde ihnen nun zum Verhängnis gemacht. Auf der Facebook-Seite des „Arnsdorfer Bürgerforums“ wird nur Stunden vor dem Übergriff mit der Gründung einer Bürgerwehr gedroht. Die Existenz einer solchen wird jedoch stets bestritten.
Oelsner sitzt für die CDU im Gemeinderat, verteidigte mehrfach sein Vorgehen und lehnte es ab, sich nach Aufforderung der Bürgermeisterin zu entschuldigen. Seine Frau Karin Oelsner ist nach eigenen Angaben die „Vorsitzende des Unterstützungsvereins“ und trat im Zuge dessen am 10. April 2017 bei PEGIDA in Dresden auf. Leutloff und Rätke teilen in sozialen Netzwerken extrem rechte Inhalte. Rätke ist außerdem, zumindest virtuell, mit dem lokalen Ableger des „Road Eagle MC“ verbunden. Der vierte Angeklagte Götz soll Mitglied dieses im Ort gut integrierten Motorrad-Clubs sein. Zwei der RechtsanwältInnen im Prozess sind aus den Kreisen der Neuen Rechten in Sachsen bekannt. Frank Hannig gilt als PEGIDA-Unterstützer und CDU-Mitglied. Maximilian Krah war 25 Jahre lang CDU-Mitglied, wechselte kürzlich zur AfD und ist als eine Art rechtspopulistische Szenegröße zu betrachten. Beide engagieren sich, neben der eigentlichen Verteidigung, mit Videos und Textbeiträgen zum Fall.
Im Februar erstellte Krah eine Facebook-Seite, auf der er zu Spenden für das Verfahren aufrief und den Fall thematisierte. Wenig später übernahm die rechte „Ein Prozent“-Initiative und baute eine erfolgreiche Kampagne auf. Nach eigenen Angaben gingen über 20.000 Euro auf das Spendenkonto ein, dessen offizieller Empfänger Detlef Oelsner ist. „Ein Prozent“ produzierte außerdem ein Video, in dem drei der Angeklagten sowie Rechtsanwalt Krah mitwirkten. Als die Betreiber_innen des Netto-Marktes eine Unterlassung gegen die Darstellung des Marktes auf Propagandamaterial seitens der Kampagne erwirkten, wurde kurzerhand zum Boykott des Marktes aufgerufen. UnterstützerInnen fordern außerdem bei PEGIDA und in sozialen Netzwerken „Solidarität mit den Arnsdorfer Helden“ und monierten, dass „Zivilcourage unbescholtener Bürger“ nun bestraft würde. Der Slogan „Zivilcourage ist kein Verbrechen“ wurde im lokalen rechten Milieu schnell etabliert.
Hauptbelastungszeuge tot aufgefunden
Eine Woche vor dem geplanten Prozessbeginn Ende April 2017 fand ein Jäger eine Leiche im Tharandter Wald. Schnell wurde klar: Es ist der Gefesselte von Arnsdorf, der zuletzt in einer Unterkunft nahe des Fundortes gelebt hatte. In einer Obduktion konnte der Todeszeitpunkt auf Januar 2017 eingegrenzt werden. Eine Gewalteinwirkung sei nicht erkennbar, teilten die Behörden mit, die Todesursache sei Unterkühlung gewesen. Die Ermittlungen zu den genauen Todesumständen, etwa warum der Mann im Wald gewesen war oder ob es einen Zusammenhang zwischen seinem Tod und einer epileptischen Erkrankung gibt, dauern an.
Prozess wird zum Eklat
Bereits am frühen Morgen des 24. April 2017 fanden sich etwa einhundert SympathisantInnen mit Schildern und Transparenten am Amtsgericht in Kamenz ein. Die Behörden unterschätzten offenbar die Brisanz des Prozesses. Der Rahmen und die Gestaltung der Verhandlung ließen es Berichten zufolge zu, einen Schauprozess zugunsten der Angeklagten zu führen. Wenige Stunden nach Eröffnung des Verfahrens wurde es nach §153 StPO ohne Auflagen eingestellt. Zur Begründung hieß es, geringe Schuld und fehlendes öffentliche Interesse an der Strafverfolgung hätten zur Entscheidung geführt. Da die Einstellung mit der Zustimmung aller Seiten stattfand ist der Fall juristisch damit abgeschlossen. Ohne Hauptzeugen sei es zudem nicht möglich gewesen, sich ein umfassendes Bild zu machen.
Am Abend desselben Tages ließen sich Bernd Götz und Frank Hannig bei PEGIDA bejubeln. Außerdem erschienen an diesem Abend Felix Leutloff, Sebatian Rätke und der Chef des MC „Road Eagle“ bei der Gemeinderatssitzung, bedrohten Anwesende und forderten die Bürgermeisterin dazu auf, sich nun zu entschuldigen und zurückzutreten. Diese zog daraus Konsequenzen und erstattete Anzeige gegen die Drei.
Staatsanwaltschaft und Zeuge bedroht
Wenig später wurde — nach einem Hin und Her von Informationen und Dementi — bekannt, dass ein ermittelnder Staatsanwalt massiv bedroht und ein Zeuge eingeschüchtert wurde. Bereits am Prozesstag wurden Richter und Staatsanwaltschaft von Personenschützern des LKA begleitet. In insgesamt fünf Fällen wird nun deswegen ermittelt. Von einem politischen Motiv wird dennoch nicht ausgegangen. Es sei nicht gesichert, dass der Arnsdorfer Fall wirklich ursächlich für die Bedrohungen ist, so die zuständigen Stellen.
„Uns wurde klar zu verstehen gegeben, dass es im Ort keine Hemmschwelle mehr gibt.“
In mehreren Berichten wird ein bedrohliches Klima im Ort beschrieben. Wer nicht an der Seite der „Zivilcouragierten“ steht, wird scheinbar schnell zum Feind.
Immer wieder neue Informationen zum Fall sorgen für weitere Nachrichten. Den von vielen ersehnten Dorffrieden wird es wohl vorerst nicht geben. Die geladene Stimmung fasste ein Gemeinderat und Mitglied von „Buntes Arnsdorf“ treffend zusammen: „Uns wurde klar zu verstehen gegeben, dass es im Ort keine Hemmschwelle mehr gibt.“