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Status Quo in Sachsen

e*vibes – für eine emanzipatorische Praxis (Gastbeitrag)
Einleitung

Im September 2020 befragte die addn-Redaktion mehrere politisch aktive Gruppen in Sachsen zu ihren Einschätzungen über die Rolle der AfD in Sachsen unter dem Titel „Status Quo“.1 Die damaligen Beiträge fanden wir auch heute noch so aktuell, dass wir zwei Gruppen erneut um ihre Einschätzungen baten.

e*vibes

AIB: Welche Probleme und Veränderungen mit der AfD als stärkste Oppositionskraft in Sachsen seht ihr?

e*vibes: Wir sehen, dass mit dem Erstarken der AfD auch die Parteien der sog. „Mitte“ versuchen AfD-Themen zu übernehmen. Hierbei findet der Versuch statt, die AfD rechts zu überholen und dadurch Stimmen von deren Wähler*innen abzugreifen. Dieser Versuch stärkt aber nur weiter die AfD und geht dabei insbesondere zu Lasten von marginalisierten Gruppen. Für diese wird das Klima in Sachsen dabei immer feindlicher. Insbesondere Geflüchtete und Migrant*innen werden hierbei zum Feindbild Nummer eins erklärt. Dies führt dazu, dass immer restriktivere Maßnahmen gegenüber Geflüchteten umgesetzt werden, auch ohne dass die AfD an der Regierung beteiligt ist.

Hier kann als Beispiel die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete genannt werden oder die Durchführung von immer brutaleren Abschiebungen. So wurde in Hamburg vor kurzem sogar eine Mutter mit ihren Kindern aus einem Frauenhaus abgeschoben. In der Umsetzung einer migrationsfeindlichen Politik findet auch immer wieder eine direkte Zusammenarbeit mit der AfD und anderen Parteien statt, sodass man in Sachsen schon längst nicht mehr von einer „Brandmauer“ sprechen kann. 

So wurde z.B. im Landkreis Bautzen dem AfD-Antrag zur Abschaffung der Stelle des Ausländerbeauftragten auch mit Stimmen von anderen Parteien mit einer deutlichen Mehrheit zugestimmt. Insbesondere die CDU scheint kaum mehr Berührungsängste bei der Zusammenarbeit mit den Faschist*innen von der AfD zu haben. So hat Ministerpräsident Kretschmer sich am gleichen Tag mit dem sächsischen AfD-Chef getroffen als bekannt wurde, dass mehrere AfD-Politiker als Mitglieder der „Sächsischen Separatisten“ wegen terroristischen Umsturzplänen verhaftet wurden. 

Nichts davon ist wirklich überraschend, fassungslos und wütend sind wir trotzdem. Die CDU macht sich hier zum Steigbügelhalter einer faschistischen Partei, die als parlamentarischer Arm des Rechtsterrorismus fungiert.

Auch zivilgesellschaftliche oder linke Projekte geraten aufgrund des Erfolgs der AfD und des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks immer stärker unter Druck. Insbesondere im ländlichen Raum abseits der großen Städte leisten diese Projekte wichtige Arbeit und sind oft die einzigen Beratungs- und Rückzugsorte für Menschen, die nicht in das Weltbild von Faschos passen. Durch die Wahlerfolge der AfD wird die Finanzierung dieser Projekte schwieriger und sie sind von weiteren finanziellen Kürzungen bedroht. 

Neben diesen finanziellen Unsicherheiten kommt es auch immer wieder zu Bedrohungen und Einschüchterungsversuchungen bis hin zu körperlichen Angriffen gegenüber demokratisch engagierten Menschen. So wurde zuletzt eine Mitarbeiterin eines Mehrgenerationenhauses in Freiberg sexistisch beleidigt, verfolgt und körperlich angegriffen. Auch das „Bunte Meißen“, ein demokratischer Verein, der sich für Zivilcourage einsetzt, ist Ziel von rechten Attacken. Die Mitarbeitenden erhielten diverse Briefe mit rassistischen Beleidigungen und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Außerdem wurde das Vereinsschild am Eingangszaun angebrannt, um die Mitarbeitenden weiter einzuschüchtern. Auch auf politischer Ebene steht das „Bunte Meißen“ unter Beschuss. So wurde auf Antrag durch den AfD-Stadtrat und früherem NPD-Mitglied René Jurisch ein Projekt des Vereins „Buntes Meißen“ von einer Vorschlagsliste für eine EU-finanzierte Förderung genommen.

Wir sehen also sehr deutlich, wie durch die Stärke der AfD die Lage für marginalisierte Gruppen und für Menschen, die sich in Sachsen für ein demokratisches Miteinander einsetzten, prekärer und bedrohlicher wird. Umso wichtiger ist es dagegen zu halten und progressive Projekte in Sachsen zu unterstützen. Für uns gilt ganz klar Feminismus und Antifaschismus gehen hier Hand in Hand.

AIB: Wie hat sich die Stärke der AfD auf rechte Netzwerke, AntifeministInnen und deren Mobilisierungen ausgewirkt?

e*vibes: Durch die Wahlerfolge der AfD und die Diskursverschiebung nach rechts sehen wir deutlich, wie extrem rechte und reaktionäre Kräfte an Selbstbewusstsein gewinnen. Faschos werden auf den Straßen, in den Öffis oder an Schulen sichtbarer und zeigen auch an vermeintlich linken Orten stärker Präsenz. Beleidigungen, Anfeindungen und körperliche Angriffe auf Menschen, die nicht in das rechte Weltbild passen, nehmen spürbar zu. Hierbei findet der Versuch statt, sich weitere Räume zu nehmen und diese rechts zu besetzen. Ziel hiervon ist die Einschüchterung von politischen Gegner*innen, um die eigenen politischen Vorstellung durchzusetzen. 

Dieses Selbstbewusstsein der rechten Szene zeigte sich auch sehr deutlich anhand der großen Neonazi-Mobilisierung gegen die CSDs diesen Sommer, wie z.B. in Bautzen oder in Görlitz. Besonders das junge Alter der Teilnehmenden der Neonaziaufmärsche ist hierbei erschreckend. So scheint es, als würde sich aktuell in Sachsen eine extrem rechte Jungendkultur etablieren, wo es „cool“ ist, rechts zu sein. Die „Elblandrevolte“, eine Ortsgruppe der "Jungen Nationalisten" (JN) aus dem Raum Dresden, spielte bei der Mobilisierung gegen die CSDs eine wichtige Rolle und hat insbesondere durch den Angriff auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke (SPD) überregional mediale Bekanntheit erlangt. Durch das gewaltsame Auftreten der Gruppe sollen queere und linke Menschen eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht werden.

Neben der rechten Vernetzung gegen die CSDs gibt es auch Vernetzungen und Bündnisse von weiteren Antifeminist*innen. Hier spielt Social Media eine wichtige Rolle, wo eine Vernetzung von „jungen modernen Antifeministen“ stattfindet. Auch die AfD und insbesondere Maximilian Krah sind immer wieder durch antifeministische Aussagen aufgefallen, die besonders bei TikTok eine große Reichweite erzielen konnten. Dies führt dazu, dass antifeministische Narrative weiter normalisiert werden und auch unter einer sehr jungen Zielgruppe weitere Verbreitung finden. 

Neben diesen Phänomenen beschäftigt uns auch weiterhin die Mobilisierung von rechten Abtreibungsgegner*innen, die jährlich einen sog. „Schweigemarsch für das Leben“ in Annaberg-Buchholz abhalten. Hierbei werden die Allianzen zwischen extrem rechten Akteur*innen und fundamental religiösen Abtreibungsgegner*innen sichtbar.

AIB: Welche Rezepte habt ihr im Umgang mit der AfD? Welche waren wirksam und welche haben ihr Ziel verfehlt?

e*vibes: Eier, Tomaten, ... Aber so unterhaltsam es auch wäre, stellt das natürlich leider nur einen kurzen Moment der Befriedigung dar. Stattdessen möchten wir an unsere Feststellung aus einem Diskussionsartikel von 2020 anknüpfen, die sich heute vielleicht sogar noch aktueller denn je anfühlt:

„Die feministische Bewegung ist weltweit einer der wichtigsten Akteure gegen den rechten Backlash und reaktionäre Politik. Ob in Brasilien, USA, Rojava – die Widerstandskraft, und der Erfindungsreichtum feministischer Kämpfe kann nicht hoch genug geschätzt werden.“

Besonders in den letzten Monaten scheinen feministische Kämpfe als das verbindende Feindbild antifeministischer Ideologien nicht nur von Antifa-Gruppen sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erhalten. Nach den erwartbar düsteren ostdeutschen Wahlergebnissen sowie der steigenden Bedrohung von rechten und antifeministischen Angriffen auf den Straßen ist es ein bestärkendes Gefühl, wenn feministische Kämpfe Beachtung finden. Es hilft uns letztlich allen, den Mut nicht zu verlieren. Und Mut braucht es gerade jetzt, denn es gibt kein „Rezept“ gegen die AfD sowie (rechts-)konservative Parteien, das von heute auf morgen wirkt.

Klar ist: Wir brauchen einen langen Atem. Und um den nicht zu verlieren, braucht es Solidarität mit den Genoss*innen im Knast, mit Verfolgten und mit den Menschen, die aktuell am stärksten betroffen sind von der menschenfeindlichen, rassistischen, antifeministischen Stimmung in Parteien und der gesamten Dominanzgesellschaft. 

Auch wenn das keine direkte Aktion gegen Parteien wie die AfD ist, gibt es den Menschen Kraft, die jeden Tag kämpfen - im Kleinen wie im Großen. Das sollten wir uns bewusst machen und deshalb unsere eigene politische Wirksamkeit keinesfalls unterschätzen!