Nicht klein beigeben: Nach den Wahlen in Sachsen
ART Dresden (Gastbeitrag)2020 befragte "Alternative Dresden News" mehrere politisch aktive Gruppen in Sachsen zu ihren Einschätzungen über die Rolle der AfD in Sachsen. Die damaligen Beiträge fanden wir auch heute noch so aktuell, dass wir das "Antifa Recherche Team Dresden" erneut um ihre Einschätzungen baten.

Ein Neonazi-Mob griff am 4. November 2000 in Pirna eine Solidaritätskundgebung der „Aktion Zivilcourage“ an. Diese solidarisierte sich mit dem Imbiss „Antalya Grill“, der zuvor regelmäßig Ziel neonazistischer Attacken gewesen war. Heute ist (mindestens) einer der Neonazis AfD-Politiker in Sachsen. (https://naziwatchdd.noblogs.org/post/2019/11/05/heidenau-aus-dem-sss-umfeld-zum-afd-stadtrat/)
Die AfD ist die erste faschistoide Partei nach dem Nationalsozialismus, der es gelungen ist, sich unter den zur Wahl stehenden Parteien bundesweit zu etablieren. Mit enormer medialer Aufmerksamkeit seit ihren ersten Schritten hat die Partei mittlerweile eine politische Stärke erlangen können, die selbst ein fraktionsübergreifend erarbeiteten Antrag zur Prüfung eines Verbots durch das Bundesverfassungsgericht zu einer Zitterpartie macht.
Zur wenige Monate zurückliegenden Landtagswahl in Sachsen gewann die AfD 30,6 Prozent (2019: 27,5 Prozent) der abgegebenen Stimmen. Ein ähnliches Ergebnis erzielte sie in Brandenburg, in Thüringen wurde sie sogar stärkste Kraft. Das Ergebnis der Erststimmen für Direktmandate lag mit 34 Prozent im sächsischen Landesschnitt sogar noch höher. Und bereits 2019 machten Nachwahlbefragungen deutlich: Über 60 Prozent der Wähler*innen wissen, was sie tun. Sie wählen die Partei aus inhaltlichen Gründen. Von allein werden sich diese Wahlergebnisse auch zukünftig nur wenig ändern.
Schon lange existiert in Sachsen ein Stammwähler*innenpotential für nationalistisch-völkische Politik, von dem zuvor die NPD über zwei Legislaturperioden profitieren konnte. Eine weiterreichende gesellschaftliche Auseinandersetzung blieb trotzdem lange aus und ist bis heute prekär: Wer vor dem Aufschwung der Neonazis warnte oder sich ihm praktisch entgegenstellte, war landauf-landab mit dem Vorwurf der Nestbeschmutzung konfrontiert und nicht selten auch Ziel von Repressalien.
Die NPD und der praktizierte Umgang mit ihr, besonders im konservativ-bürgerlichen Lager, hat das Feld für die AfD vorbereitet. Sie konnte das NPD-Wähler*innenpotential inhaltlich an sich binden und Schritt für Schritt erweitern. Herausgekommen ist ein Bündnis zwischen überzeugten Neonazis und nationalistischen bis konservativ-bürgerlichen Milieus. Dort lässt man sich offenbar weder von den zahlreichen Skandalen rund um das AfD-Personal abschrecken, noch von einem offenkundig destruktiven, autoritär-nationalistischen Parteiprogramm.
Was ist bei den Wahlen 2024 passiert?
Ihre Position konnte die AfD sowohl in den Kommunen als auch im Land weiter ausbauen. Insgesamt errang sie 321 (2019: 253) Mandate in den Landkreisen und den kreisfreien Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig. Hinzukommen 1430 (2019: 844) Mandate in Stadt- und Gemeinderäten sowie Gemeindeteilen. Flächendeckend gab es Stimmenzuwächse, wenngleich nicht mehr in so starkem Ausmaß wie noch 2019. Ein Schwachpunkt der AfD bleibt bestehen: Es fehlt immer noch an Kandidat*innen. Während 2019 150 Mandate unbesetzt blieben, sind es 2024 bis zu 252. Diesen strukturellen Mangel bestätigt auch der Blick auf die Parteibasis: 2.800 Mitglieder hatte der sächsische Landesverband Ende 2023, nur 200 mehr als 2019. Damit war die AfD bis zum Aufkommen des "Bündnis Sarah Wagenknecht" (BSW) die mitgliederschwächste Partei mit Landtagsfraktion.
Die zeitgleich mit den Kommunalwahlen stattfindende Europawahl konnte die AfD deutlich für sich entscheiden: 31,8 Prozent stimmten für die AfD, die CDU folgte mit 21,8 Prozent abgeschlagen auf Platz 2. Allerdings sagt die Zahl mehr über die CDU als über die AfD, die hier ungefähr das Landtagswahlergebnis vorwegnehmen konnte, während viele Wähler*innen
der CDU ihr Kreuz bei anderen Parteien machten. Bei den Landtagswahlen gelang es der Partei das Ergebnis von 2019 nochmals leicht zu verbessern - trotz der beinah um acht Prozent gestiegen Wahlbeteiligung. Insgesamt 40 Abgeordnete (2019: 38) stellt die Partei in dieser Legislatur und verfehlte die Sperrminorität nur denkbar knapp. 28 der Abgeordeten ziehen über ein Direktmandat in den Landtag, nur zwölf über die Landesliste.
AfD: Ein Machtfaktor
Diese Wahlergebnisse sprechen für ein „Weiter so!“ im AfD-Landesverband, der seit Jahren von den sogenannten „Flügel“-Netzwerken um Björn Höcke dominiert wird und einen offen nationalistisch-völkischen Kurs verfolgt. Die nun abermals ausgebaute Verankerung in der Fläche wird den Druck auf zivilgesellschaftliche Vereine und Initiativen, kulturelle und soziale Einrichtungen, aber auch grundsätzlich auf demokratische Parteien und ihre Akteure erhöhen. In allen Kreistagen und inbesondere in den Räten von fast allen Mittelstädten wie etwa Grimma, Aue-Bad Schlema, Zwickau, Riesa, Döbeln, Bautzen, Görlitz oder Freiberg stellt die AfD die größte Fraktion. Hinzukommen seit diesem Jahr ein erster Oberbürgermeister-Posten in Pirna, so wie ein erstes hauptamtliches Bürgermeisteramt in Großschirma.
Auf Landesebene lässt die AfD-Fraktion zumindest Anzeichen einer Professionalisierung erkennen und konnte öfter als in der vorhergehenden Legislatur strategische Erfolge erzielen. Die Ansprache in den Wahlkämpfen erfolgt zunehmend zielgruppengerecht. Das junge, männliche Klientel bekam im zurückliegenden Wahlkampf vom skandalträchtigen Europaabgeordneten Maximilian Krah versprochen, dass die „rechte“ Einstellung die Erfolgschancen bei der Suche nach Partner*innen erhöhen würde. Mit Blick auf das ältere Klientel wurden
Friedensbotschaften plakatiert, Rentner*innen versprach man die Bekämpfung der Altersarmut. Inhaltlich mag das widersprüchlich bis wirr erscheinen, allerdings nur solange man von der Partei tatsächlich Lösungen erwartet. Sie verfolgt jedoch ein anderes Konzept: Möglichst viele Milieus hinter einem gemeinsamen Feindbild zu versammeln. Das wird nach bekanntem Muster geformt. Über die parteieigenen und im politischen Vorfeld aktiven Medienkanäle wird ein schier endloser Strom an destruktiver Hetze ausgespielt, um die Aufmerkssamkeit des Publikums zu binden. In den Meldungen werden Tatsachen verdreht und zurechtgebogen, bis sie in das von der AfD angestrebte Narrativ passen. Je nach Bedarf werden damit rassistische, nationalistische, verschwörungsideologische und antidemokratische Ressentiments eingebracht oder verstärkt. Mit möglichst viel Furor wird der geneigten Anhänger*innenschaft und denjenigen, die noch dazu werden sollen, Gründe präsentiert, die zeigen, dass „das System“ am Ende sei. „Schuldige“ werden markiert und unter Druck gesetzt. Zum Schluss wird die einfache Lösung für alle Probleme angeboten: das Kreuzchen bei der AfD, um „die Wende“ zu vollenden. Es ist das klassische Muster faschistischer Heils-Rhethorik, wie etwa die Studie „Falsche Propheten“ der "Otto-Brenner-Stiftung" über die Agitiation der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen unlängst feststellte.
Die artikulierten Bedrohungsszenarien in Bezug auf Migration, Gender oder Bekämpfung des Klimawandels verfangen - insbesondere dann, wenn sie nicht konsequent zurückgewiesen werden und auch die klassischen reichweitestarken Medien erreichen. Als Türöffner betätigte sich maßgeblich die CDU von Michael Kretschmer, die mit der permanenten Forderung nach Grenzkontrollen, Grenzpolizei, Abschiebungen und Obergrenzen ungeniert
in das Agendasetting der AfD einstimmte. Das mag seiner Partei eine Zerreißprobe erspart haben, der Flurschaden jedoch bleibt enorm. Während Kretschmer und die CDU damit beschäftigt waren die AfD-Klientel zu umarmen, nutzte das die AfD für Raumgewinn. Wer sich ihr entgegenstellt, ist oft mals auf sich allein gestellt: Keine Brandreden zur Verteidigung der Demokratie als der von einem Mitte-Links-Bündnis gewählte Landrat in Mittelsachsen unter anderem aufgrund anhaltender Bedrohung und Diffamierung seinen vorzeitigen Rücktritt verkündet. Keine schützende Hand in Großschirma, wo dem langjährigen Bürgermeister vom AfD-Landtagsabgeordneten Rolf Weigand mit Dienstaufsichtsbeschwerden „der Krieg erklärt“ wurde, bis dieser es nicht mehr aushielt und sich selbst tötete. Eher noch Zustimmung, als mutmaßlich die AfD ein Gutachten des CDU-geführten Sächsischen Rechnungshofes durchsticht und mit Hilfe eines eifrigen Redakteurs der "Leipziger Volkszeitung" einen Skandal konstruiert, um das Landesprogramm "Integrative Maßnahmen" zu attackieren. Keine Intervention als die nachgeordneten Behörden dann den Dachverband sächsischer Migrant*innen-Organisationen in die Insolvenz treiben. Selbstverständlich auch Schweigen, als das sächsische LKA mit der Abschiebung der*des Antifaschist*in Maja mal eben den Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht aushebelt und selbiges in bisher nicht gekannter Form herausfordert. Kein Widerspruch, als der Pirnaer Oberbürgermeister auf AfD-Ticket einen Festakt zu „75 Jahren Grundgesetz“ im Rathaus untersagt. Schnell zurück zum Alltag, als der Generalbundesanwalt mit den „Sächsischen Separatisten“ die nächste rechtsterroristische Gruppierung in Sachsen aushebt - in der, wie auch bei der „Patriotiochen Union“, AfD-Aktivisten eine maßgebliche Rolle spielen.
Kampf ums Vorfeld
Die AfD weiß sehr genau, was sie da treibt. So gibt es zumindest Anzeichen, dass die Partei versucht, gegen ein mögliches Verbotsverfahren vorzubeugen. Zuletzt setzt die Partei auf ein arbeitsteiliges Vorgehen und überlässt die „Drecksarbeit“ den „Freien Sachsen“, einem Nachfolge-Produkt der NPD, erweitert um ein verschwörungsideologisches Milieu. Dort sammeln sich alle, die bei der AfD nicht mitspielen dürfen und verfolgen ein Geschäftsmodell basierend auf Dauermobilisierung und (digitaler) Propaganda. Dabei wird alles verarbeitet, was Aufmerksamkeit und Potenzial für Hetze verspricht und mit der Forderung nach Systemsturz verknüpft. Bei den Wahlen war das fast nur für überzeugte Neonazis interessant, allerdings haben die 2,2 Prozent Listenstimmen für die "Freien Sachsen" der AfD wahrscheinlich den Sieg bei den Landtagswahlen 2024 gekostet.
Der Schmerz dürfte sich dennoch in Grenzen halten: Wirkt die AfD neben den "Freien Sachsen" doch regelrecht seriös und normal, was ihrer Selbstverharmlosungs- und Normalisierungsstrategie durchaus entgegenkommt. Insofern sind die "Freien Sachsen" weniger Konkurrenz, sondern vielmehr willkommene Ergänzung im Kampf um die Köpfe und eine Parteivorfeldorganisation für die „Drecksarbeit“. Wie nah sich beide dann doch sind, zeigten die Razzien gegen das der AfD sehr nahestehende "Compact-Magazin": Eine Durchsuchung führte nach Pirna in das von der NPD betriebene „Haus Montag“ und zum ehemaligen NPD-
Fraktionssprecher Thorsten Thomsen.
Mit dem sächsischen Ableger vom "Bündnis Sarah Wagenknecht" existiert seit kurzem außerdem ein weiterer Akteur, der sich der AfD bereitwillig andient. Das erklärte Ziel des BSW, der AfD die Wähler*innen streitig zu machen, ist erwartungsgemäß nicht aufgegangen und scheint so ernst auch nie gemeint gewesen zu sein. Die parlamentarische und gesellschaftliche Linke wurde erheblich geschwächt und Teile ihres Wähler*innenklientels in den Vorhof der AfD geführt. Dort hängt man jetzt gemeinsam ab und das Ergebnis deutet sich bereits an: Verbrüderung. Der BSW-Landtagsabgeordnete Jens Hentschel-Thöricht fand sich unlängst in Görlitz auf der Bühne der "Freien Sachsen" wieder. Im Leipziger Stadtrat beantragt die BSW-Fraktion unter Zustimmung von AfD und CDU Mittelkürzungen für das antifaschistische Zentrum "Conne Island". Im Landtag hat die BSW-Fraktion, bis auf eine Ausnahme, AfD-Anträgen für einen "Corona-Untersuchungsausschuss" und gegen eine Raketenstationierung zugestimmt.
Was also tun?
Die schlechte Nachricht ist zweifellos: Antifaschistische Politik in Sachsen hat auch 2024 keine irgendwie verlässlichen Mehrheiten. Die gute Nachricht ist: Es ist keine, denn das war hier nie anders. Aber antifaschistische Arbeit ist darauf auch gar nicht angewiesen. Insofern ist die Antwort einfach: Weitermachen und mit klarem Kopf nicht den Blick von den gesellschaftlichen Abgründen abwenden. Wer AfD und faschistische Formierung bekämpfen will, sollte wissen, wie diese funktionieren: Eine plausible Analyse des politischen Gegners AfD und seiner Schwachpunkte ist das eine, ein kritischer Blick auf die gesellschaftlichen Umstände, in der diese Partei gedeiht, das andere. Antifaschistische Arbeit behält am besten
beides im Blick: Akteure und Verhältnisse. Nur so lässt sich sinnvolle Praxis entwickeln.
Klar, manchmal helfen Schellen, aber bei 30 Prozent Stimmanteil scheint das dann doch ein aussichtsloses Unterfangen. Der AfD ist so nicht beizukommen. Was also dann? Manchmal braucht es mehr Judo, weniger Muay Thai. Immer Solidarität üben mit denen, die von der Partei angegriffen werden - und dabei nicht wegen inhaltlicher Differenzen kleinlich sein. Neue gesellschaftliche Bündnisse müssen wachsen und sind nicht einfach da. Die Agitationsstrategien der Partei durchkreuzen. Auf Medien einwirken und sie offen kritisieren, wenn sie der AfD eine Plattform bieten. Plattformen wie Youtube & TikTok nicht aus der Verantwortung entlassen. Die Vernetzungen der Partei in "Neue Rechte" und Neonaziszene einerseits und ins konservative Milieu in CDU und FDP weiterhin offenlegen. Druck für ein AfD- Verbot machen, den Staat dort nicht aus der Verantwortung entlassen, aber sich nicht auf den Staat verlassen.
Last but not least: Es braucht linke Politik. Mit vehementen und auch mal provokativen Aktionen mit eigener Schwerpunktsetzung kann der Einflussnahme der AfD entgegengewirkt werden. Weiterhin CSD und Queerprides organisieren und unterstützen. Politikfelder groß machen, die die AfD gar nicht auf dem Schirm hat: Aus blankem Desinteresse, wie in der Mietenpolitik, oder aufgrund von Problemleugung, wie in der Klimakrise. Nicht klein beigeben, sondern gemeinsam gegenhalten.