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Zypern: Schutzlose „Randgruppen“

Wassilis Aswestopoulos
Einleitung

Auf Zypern ermordete ein Serienmörder eine bislang unbekannte Anzahl Frauen. Seit April 2019 versucht die Polizei, den Umfang der Taten zu erfassen. Unabhängig davon, wie viele Morde tatsächlich auf das Konto von Nikos Metaxas gehen, verdeutlicht der Umgang mit den Taten die rassistischen Strukturen im Staatswesen. 

Bild: Screenshot von facebook

Der Serienkiller Nikos Metaxas präsentiert sich in den Sozialen Medien.

Metaxas führte ein nach außen hin vorbildliches Leben. Er diente als Hauptmann der Nationalgarde und wurde dafür ausgezeichnet, gründete eine Familie und war Hobbyfotograf. Die Fotos teilte er in sozialen Netzwerken und fand dort Enthusiasten, mit denen er auf Fototour am „roten See“ entlang ging. Der See, ein in einer früheren Metallmine entstandenes Gewässer, ist voll mit toxischem, undurchsichtigem Wasser. Die Metalloxide bieten ein farbenprächtiges Fotomotiv. Für Metaxas bot der See zudem ein Versteck für die ermordeten Frauen. Die sozialen Netzwerke nutzte der Offizier auch, um seine Opfer zu finden.

Metaxas ermordete systematisch Migrant_innen. Dies bewahrte ihn vor einer früheren Entdeckung. Denn Polizeibehörden und der zuständige Minister versagten, weil sie sich trotz mehrfacher Warnung, zahlreichen Anzeigen, Presseberichten und einem den Missstand anprangernden offenen Brief, nicht bequemten, nach den Verschwundenen zu suchen. Der griechische „Sexologe“ und Psychiater Thanos Askitis - der politisch für die sozialdemokratische KinAl (PASOK) tätig ist - fasste in einem späteren Täterprofil zusammen, die meisten Ermordeten hätten als „Frauen dieser Rasse von Geburt an die Charaktereigenschaft der Unterwerfung und des Dienen“.

Egal was Askitis in dieser - mindestens als unglücklich zu bezeichnenden - Formulierung andeuten wollte: Es klingt so, als würde er sich die Einstellung des Täters zu eigen machen und aussprechen, was in den Köpfen vieler Männer existiert: Eine Frau ist ein Mensch zweiter Klasse. Auf Femizide, auf Morde an Frauen durch ihre aktuellen oder früheren Lebenspartner, reagieren viele mit einem gewissen Grad an Verständnis für den Täter. Wenn ein eifersüchtiger Mann, ob in Griechenland oder Zypern, seine Partnerin tötet, hört man oft „er war blind vor Liebe“ oder „sie hat ihn um den Verstand gebracht“. Die, die das aussprechen, sind nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die in der Nachbarschaft des jeweiligen Tatorts leben, und meinen, vor der Fernsehkamera eine Erklärung für die Tat liefern zu müssen. Wehe dem Opfer, das auch noch einen realen Grund für die Eifersucht liefert.

Was die Achtung vor der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen zählt, davon zeugt nicht zuletzt eine Strafrechtsreform, welche die Regierung von Alexis Tsipras in der letzten Woche vor der Auflösung des Parlaments im Juni 2019 verabschieden lassen möchte. Aus vor allem für eine nominell linke Regierung nicht nachvollziehbaren Gründen soll mit Artikel 336 dieser Gesetzesnovelle die Definition der Vergewaltigung neu geregelt werden. Eine Vergewaltigung liegt demnach nur vor, wenn das Opfer sich genügend gewehrt hat. Es ist erschreckend, wie viele Fälle misshandelter und ermordeter Frauen mit der laxen Einstellung des Staats gegenüber der Gewalt gegen Frauen zusammenhängen.

Die im November 2018 auf der Insel Rhodos in Griechenland ermordete Studentin Eleni Topaloudi hatte sich vor ihrer Ermordung an die Polizei gewandt, um eine Vergewaltigung anzuzeigen. Die Beamten auf der Wache wimmelten sie ab. Später wurde bekannt, dass es von der Tat ein Video gab, welches die Täter mit anderen teilten. Topaloudi wurde danach zur Verdeckung der Tat ermordet. Beide Mörder waren für ihre Gewalttätigkeit bekannt. Einer ist Sohn einer reichen Familie, der zweite ist „albanischer“ Abstammung. Auch in diesem Fall ist ein rassistisches Schema erkennbar. Der Sohn der reichen Familie wurde, so erklären es die Kommentatoren, vom „Albaner“ angestiftet. Der „Albaner“ ist ein zur griechischen ethnischen Minderheit Albaniens zählender, in Griechenland aufgewachsener Mann.

Die selben Medien, die auch die entschuldigenden Kommentare von Nachbar_innen der Opfer oder Täter ausstrahlten, geben ebenso rassistischen Äußerungen ein Podium. Derartige Sendungen verkaufen sich gut. Doch auch die ökonomische Lage spielt eine Rolle. Polizeiwachen werden personell ausgedünnt, in der Schulung und Weiterbildung der Beamten wird gespart. Je weniger Fälle diese bearbeiten, umso besser kommen sie mit ihren Budgets zurecht. Dies führt zu einer selektiven Gerechtigkeit. Verwundert es in diesem Zusammenhang, dass Beamte Vergewaltigungen, die erst nach Tagen angezeigt werden, oder Vermisstenanzeigen für Menschen, die im Land über kaum Verwandtschaft verfügen, gern a priori ad acta legen?

So geschah es auch mit den Opfern des Serienmörders auf Zypern. Die Besonderheit der Insel, deren Nordteil sich seit 1974 unter türkischer Besatzung befindet, ermöglichte es den Beamten, Vermisstenanzeigen mit einer zynischen Begründung abzulehnen. Sie verwiesen darauf, dass die Vermissten aus freien Stücken in den Nordteil gegangen sein könnten. Polizeibeamte erklärten, sie hätten „Besseres zu tun als nach „schwarzen Frauen“ zu suchen“.

Die bislang bekannten Opfer sind Mary Rose Tiburkio (38), Sierra Grace (6), Arian Palanas (28) und Marikar Valdez von den Philippinen, Livia Florentina Bunuea (36) und ihre Tochter Elena Natalia Bunuea (8) aus Rumänien sowie die Nepalesinnen Romania und Khadka Anu (30). Es gibt 22 weitere „verschwundene“ Frauen, die ebenso nach Zypern einwanderten und in das Tatmuster passen. Sie gehören aber auch zu jener Personengruppe, um die sich die Polizei, nach eigenem Eingeständnis, weniger sorgt.

Die hohe Zahl der verschwundenen Frauen beunruhigte seinerseits Louis Koutroukides, den Chef der Vereinigung der Gebäudereiniger. Er fand das Verschwinden von so vielen Frauen, die sich als Dienstmädchen und Reinigungskraft verdingten, verdächtig. Später kam heraus, dass Metaxas per Internet auch bei ihm nach Reinigungsfrauen gefragt hatte. Koutroukides ließ nicht locker, ging mehrfach zur Polizei und wurde immer wieder abgewimmelt. Er schrieb einen offenen Brief an den Minister der Justiz, welcher im August 2019 veröffentlicht wurde. In diesem Brief prangerte er die Untätigkeit der Polizei an und postulierte rassistische Motive, sowohl bei dem von ihm vermuteten Täter als auch bei der Untätigkeit der Polizei.

Die gleichen Befürchtungen gab es in den Kreisen der Migrant_innen. Allerdings traute sich keine der Frauen zur Polizei zu gehen. Nicht nur, dass sie ahnten, dass auch ihre Anzeigen ohne Erfolg sein würden, sie befürchteten zudem repressive Maßnahmen bis hin zur Ausweisung. Koutroukides wurde als lästiger Spinner eingestuft. Der Fall kam folgerichtig nicht durch die Polizei ins Rollen, es waren Touristen, welche die erste Leiche fanden.

Der Minister für Justiz und Öffentliche Ordnung, Ionas Nicolaou, musste nach dem Bekanntwerden der Details zurücktreten. In der Folge von Nicolaous Rücktritt wurden auch Spitzenbeamte der Polizeiführung ausgetauscht. Plötzlich entdeckte die Polizei, dass „Orestis“ über das soziale Netzwerk „badoo“ Kontakt mit einigen der „Verschwundenen“ hatte und über YouTube seine Tätigkeit als „Modellfotograf“ anbot. Schließlich fand sie durch einfaches Nachfragen heraus, dass Metaxas Orte aufsuchte, an denen sich Migrantinnen trafen und dort nach Reinigungsfrauen für einen überdurchschnittlich hohen Stundenlohn von 20 Euro suchte. Im Internet postete „Orestis“ rassistische Parolen. Bereits 2018 hatte sich die getrennt lebende Ehefrau von Metaxas an die Polizei gewandt. Sie meldete einen heftigen Familienstreit und Bedrohungen gegen ihr Leben und das Leben ihrer Kinder durch ihren Gatten, der keine Scheidung akzeptieren wollte. Von einer Anzeige gegen ihn sah sie, aus welchem Grund auch immer, ab.

Ob die Polizei intern, nach einer Selbstreflexion der Gründe für Metaxas lange unentdeckte Mordserie aufarbeitet und künftig anders handelt, muss abgewartet werden. Die Erfahrung zeigt leider, dass Zweifel daran mehr als angebracht sind.