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Das Gedenken an Patrick Thürmer

Einleitung

Im AIB Nr. 89 (2010) widmeten wir den Text „Eine Frage der Wahrnehmung“ dem Gedenken an Patrick Thürmer, der am 2. Oktober 1999 in Sachsen von Neonazis ermordet wurde.

 Patrick Thürmer hatte keine Chance. Der schmächtige, 1 Meter 56 große Jugendliche war in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1999 zusammen mit einem Freund auf dem Nachhauseweg von einem Punkfestival in Hohenstein-Ernst­thal, als sie plötzlich einen blauen Kleintransporter bemerkten. „Da ist einer“, rief einer der drei Männer, die aus dem Auto heraus sprangen und sich auf den 17-jährigen Patrick und seinen Freund stürzten. Mit einem Axtstiel, einem Hammer und einem Billardqueue prügelten sie auf die beiden Punks ein. Patrick Thürmer erlitt schwerste Kopfverletzungen. Die Täter warfen ihn anschließend in einen Bach. Erst am nächsten Morgen fanden ihn Passanten blutüberströmt. Wenige Stunden später starb der Malerlehrling in einem Zwickauer Krankenhaus.

Während die überregionale Öffentlichkeit und auch auswärtige Antifaschist_innen kaum Notiz von dem tödlichen Angriff auf den Punk nahmen, wurden in der Region die Ereignisse des 3. Oktober breit diskutiert – wobei die Regionalmedien und die Bevölkerung massiv Stimmung gegen Jugendliche aus der Punkszene machten. Schließlich wurde schnell deutlich, dass der Ausgangspunkt für die tödliche Hetzjagd auf Patrick Thürmer ein Angriff von etwa 100 Neonazis auf das “2. 99er Punkfestival“ im alternativen Jugendhaus „Off is“ war. Am Angriff waren auch Türsteher der Firma „Haller Security Service Chemnitz“ beteiligt, die dem Chemnitzer Neonazi Thomas Haller gehörte. Haller gilt als offizieller Gründer der „HooNaRa“, einer extrem rechten Hooligan-Gruppierung um den Chemnitzer FC.

Notrufe von Festivalbesucher_innen und mindestens drei verletzte Punks führten allerdings zu keiner polizeilichen Reaktion. Gegen Mitternacht entschlossen sich rund 30 Punks zu einem Besuch der nahe gelegenen Diskothek „la Belle“, wo sie die Angreifer auf ihr Festival vermuteten. In der Diskothek würden “sehr viele Besucher kurze Haare haben“, räumte ein Polizeipressesprecher ein. Polizeieinheiten, die auf die Hilferufe der Punks nicht reagiert hatten, erschienen nun auf einen Notruf des Diskobetreibers hin, nachdem Türsteher die Punks schon vertrieben hatten. In den Jahren nach dem Mord fanden in der Diskothek immer wieder Neonazikonzerte statt.

Patrick Thürmer starb „stellvertretend für jene Linken“, die an dem Angriff auf die Diskothek beteiligt gewesen seien, stellt das Landgericht Chemnitz später im Prozess gegen die drei angeklagten Totschläger im Alter von 21 bis 24 Jahren im September 2000 fest. Ein dutzend Neonazi-­Skinheads und rechte Türsteher aus dem Umfeld der Diskothek hatten sich in der Nacht zusammengefunden, um Jagd auf Punks zu machen. Einen neonazistischen Hintergrund erkannte das Gericht dennoch nicht. Der 23-jährige Haupttäter, der „HooNaRa“ zugerechnet wurde und auch in engem Kontakt mit dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Marschner stand, wurde wegen Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt. Erst später wurde bekannt, dass auch Thomas Haller selbst an dem Abend an der Jagd auf Punks beteiligt war. Marschner wiederum hatte dem Haupttäter einen Tag nach dem Mord geraten, das von der Polizei gesuchte Tatfahrzeug abzukleben, damit die Fahnder es nicht entdecken.

Erst 2012 wurde Patrick Thürmer als Todesopfer rechter Gewalt offiziell anerkannt. Wie sehr sein Tod die alternative und nicht-rechte Jugendszene in der Region geprägt hat, wurde am zehnten Todestag 2009 deutlich. Rund 250 Antifaschist_innen und Jugendliche kamen zu einer Gedenkdemonstration nach Hohenstein-Ernstthal. Ihre Forderung an die Öffentlichkeit, Lokalpolitik und Sicherheitsbehörden war, einen Gedenkstein für Patrick Thürmer zu errichten und die tödliche Gefahr der lokalen Neonazi-Szene endlich ernst zu nehmen. Zuletzt wurde im Gedenken an Patrick Thürmer und alle anderen Todesopfer rechter Gewalt vom „Bündnis Chemnitz nazifrei“ eine Demons­tration organisiert. Die Demonstration führte auch zum lokalen Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus, an dem 2015 eine Tafel zum Gedenken an Patrick Thürmer angebracht wurde. 15 Jahre hatten Freunde und Familie für einen solchen Ort kämpfen müssen. Im 1999 angegriffenen Jugendhaus „Off is“ konnte eine im Anschluss an die Gedenkdemonstration geplante Lesung nicht stattfinden. Dessen Leiter erklärte gegenüber der „Freien Presse“ aus Chemnitz: „Wir stehen für politische Veranstaltungen nicht zur Verfügung.“

Die an dem Angriff auf das Punkkonzert beteiligten Neonazistrukturen bestanden weiterhin. In einem Interview 2007 merkte Thomas Haller an, dass „HooNaRa“, obwohl offiziell aufgelöst, sofort wieder zur Stelle seien, wenn man sie rufen würde. Die Mobilisierung zu den Hetzjagden in Chemnitz auf Migrant_innen im Sommer 2018 hat vor allem die „HooNaRa“-Nachfolgegruppe „Kaotic Chemnitz“ zu verantworten. 79 rechte, rassistische und antisemitische Angriffe zählte die Opferberatungsstelle Support 2018 allein in Chemnitz, was eine Vervierfachung im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Allein 48 dieser Angriffe wurden im Zusammenhang mit den rechten Aufmärschen verübt. An der Beisetzung des nun verstorbenen Haller beteiligten sich im März 2019 bis zu 1000 zum Teil vermummte Neonazis und rechte Hooligans.