„Revolution Chemnitz“
Mitte September 2018 griffen Neonazis nach einer Demonstration von „Pro Chemnitz“ eine Gruppe grillender Migrant_innen im Chemnitzer Schloßteichpark an. Ein Migrant wurde hierbei durch eine Flasche am Kopf verletzt. Die Neonazi-Gruppe hatte sich zuvor im Park als „Bürgerwehr“ bezeichnet und verschiedene Menschen zu „Befragungen“, Ausweiskontrollen und Taschenkontrollen genötigt. Mehrere Personen wurden hierbei auch attackiert. Kurz darauf konnten 17 Tatverdächtige festgesetzt werden. Die Gruppe und deren Motivation ließ sich unkompliziert feststellen. Ein jugendliche Neonazi aus Erlau hatte einen Pullover mit dem Aufdruck „Abgestempelt. Weil wir Deutsch fühlen. Rechtsterrorist NAZI Tätervolk“ an. Der Tatverdächtige Sten Ertl (Nossen) trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Angriff“ und abgebildeten Waffen. Marcel Walenta (Chemnitz/Burkhardtsdorf) hatte den Aufdruck „Volksaufstand Ostdeutschland“ präsentiert. Der Chemnitzer Christian Keilberg hatte sich gleich eine Stichschutzweste angezogen und Handbandagen, einen Gebissschutz und einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker mitgenommen. Der Chemnitzer Sven Weigt war bei der rechten Demonstration als Ordner eingesetzt gewesen und führte Quarzsand-Handschuhe mit sich. Martin Herrmann (Flöha/Chemnitz) präsentierte ein Tattoo der RechtsRock-Band „Sleipnir“ und berichtete den Beamten in seiner Vernehmung gleich direkt von „dreckigen Südländern“ im Park.
„Probe Lauf“ für Terrorpläne
Im Nachgang dieser Aktion stellte sich bald heraus, das die Gruppe mehr als ein Mob gewaltbereiter sächsischer Demonstrationsbesucher war. Ein Tatverdächtiger berichtete, das in einer speziellen Chatgruppe nicht nur über eine geplante „Rache an der Antifa“ und „Unzufriedenheit mit der Asylpolitik“, sondern auch über illegale Waffen kommuniziert wurde. Als die Ermittler einen Blick in die beschlagnahmten Handys von Walenta und Weigt warfen, stießen sie auf brisante Chats. Über den Messenger „Telegram“ hatten sich die Neonazis im September 2018 unter dem Namen „Revolution Chemnitz“ zusammengetan, um „effektive Schläge“ gegen „Linksparasiten, Merkelzombies, Mediendikatur und deren Sklaven“ u.a. mit Schusswaffen durchzuführen und die „Revolution“ zu planen. Der NSU würden da hingegegen wie eine „Kindergarten-Vorschulgruppe“ wirken. Man besprach den Kauf von Handfeuerwaffen und Maschienenpistolen, um am 3. Oktober 2018 mit einer „Aktion“ die „Systemwende“ bewirken zu können.
Daraufhin übernahm das LKA Sachsen und schließlich die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ gegen Christian Keilberg, Marcel Walenta, Sten Ertl, Sven Weigt, Martin Herrmann, Willi Maximilian Weise (Chemnitz), Tom Woost (Lunzenau) und Christopher Weinberger (Mittweida). Die Bundesanwaltschaft begründete die Übernahme des Verfahrens u.a. mit der erheblichen Gefahr für das „Ansehen der Bundesrepublik im Ausland, wenn hier die Gruppierung am Tag der deutschen Einheit plant, eine größere Aktion durchzuführen“.
Die Gruppierung plante, ähnlich wie 2017 die rechte Terrorgruppierung um den Bundeswehroffizier Franco A.1 , durch eine „False Flag“-Aktion den ersehnten „Bürgerkrieg“ auszulösen. „Wenn es nicht von alleine geschieht muss es nur so aussehen als hätten die Parasiten angefangen. Bedeutet wir dürfen nicht erwischt werden sondern der Fokus liegt darauf, dass die Beamten denken links dreht frei.“ Dann „sind die Bullen zu 88,88 % auf unserer Seite“ waren sich die sächsischen Neonazis sicher.
Die Chat-Gruppe dahinter
Die Mitglieder von „Revolution Chemnitz“ sahen sich selber als „Führungskräfte“ der Neonazi-Szene an, die „alles in die Hand nehmen und keine Worte mehr verlieren wollen!“. Die meisten von ihnen waren in der Vergangenheit bereits mit diversen Straftaten in Erscheinung getreten. Der Beschuldigten Tom Woost und drei weitere Personen aus dem Kreis der Verdächtigen wurden von Sicherheitsbehörden bereits dem Kreis um die verbotene militante Neonazi-Gruppe „Sturm 34“ zugerechnet, die 2009 vom Bundesgerichtshof als eine „kriminellen Vereinigung“ eingestuft wurde. Martin Herrmann soll 2018 eine unangemeldete Neonazi-Demonstration vorbereitet haben und die Chat-Gruppe „Wehrsport Sachsen“ betrieben haben. Christian Keilberg gilt als eine Art Initiator von „Revolution Chemnitz“ und hatte Anbindung an das sächsische Security-Gewerbe. Laut beschlagnahmten Unterlagen war er u.a. bei der Firma „Pro+Sec Promotion + Security“ aus Lichtenau beschäftigt gewesen. Im Jahr 2014 wurde bekannt, das er Kontodaten der Partei „Die Linke“ ausgespäht hatte, um damit unberechtigte Einkäufe vorzunehmen.
Während der Gerichtverhandlung gegen „Revolution Chemnitz“ wurde ein brisanter Brief von Christian Keilberg an das „Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen“ von Anfang 2015 verlesen, wie der Blog „Prozesstagebuch ‚Revolution Chemnitz‘“ berichtete. In diesem Brief aus der Justizvollzugsanstalt Dresden bat Christian Keilberg darum, „diesen Brief ernst zu nehmen.“ Weiter schreibt er: „Ich bin seit elf Jahren in der rechten Szene, aber seit sieben Jahren zu einem anderen Zweck.“ Er sei nur noch in der Szene, um „Strukturen und Personen zu analysieren und zum Verfestigen von Kontakten und dem Gewinn von Vertrauen.“ Zu diesem Zweck habe er 2015 „Revolution Chemnitz“ gegründet. In seinem Brief bot er sich als Vertrauensperson an, damit „nicht wieder eine braune Terrorzelle wie der NSU entstehen kann.“ Der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes hatte jedoch bereits im Vorfeld vor Gericht das Wirken einer Vertrauensperson bzw. eines Agent Provocateur in den Reihen von „Revolution Chemnitz“ ausgeschlossen. Man hätte die Gruppen-Mitglieder auch nicht selbst überwacht. Keilberg sei allerdings bereits 2005 im Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes aufgenommen worden und hätte sich einen Umzug nach Hessen finanzieren lassen.2 Später kam er zurück nach Sachsen und verkehrte weiter in Neonazi-Kreisen.
Der Prozess
Ende März 2020 wurde schließlich das vorläufige Urteil3 im Strafverfahren gegen die „Gruppe Chemnitz“ verkündet. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat die acht Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und drei Monaten und fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht sah es nach 34-tägiger Hauptverhandlung als erwiesen an, dass sich die Beschuldigten in einer geschlossenen Chatgruppe mit dem Namen „Planung zur Revolution“ zu der rechtsterroristischen Vereinigung „Revolution Chemnitz“ formierten, deren Ziel es war, Schusswaffen zu beschaffen, um unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen einen Umsturz der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland in Gang zu setzen.4
Chat-Terroristen ?
Es bleibt festzuhalten, dass die (Gruppen)-Dynamik einer neonazistischen „Organisierung“ über entsprechende Chat-Gruppen nicht zu unterschätzen ist. Für militante Neonazis mit elitärem Selbstverständnis ist in Hochzeiten rassistischer Mobilisierungen der Weg von Endzeit-Szenarien hin zur Planung von neonazistischer Gewalttaten und Anschläge nicht weit. Doch in diesem Fall zu loben, dass die Behörden hier rechtzeitig eine Gefahr erkannt und erfolgreich interveniert hätten, wäre übertrieben. Angesichts der vorausgegangenen Gewalttaten aus dem Kreis der verurteilten Personen, könnte gesagt werden, dass aufgeregte Betriebsamkeit erst an dem Punkt einsetzte, wo ein bewaffneneter Systemsturz konkret geplant wurde.
- 1Vgl. AIB Nr. 115
- 2Vgl. revolution-chemnitz.org: „7. Februar 2020: 28. Verhandlungstag“ und „23. Januar 2020: 26. Verhandlungstag“ vom 2. März 2020
- 3Die Urteile müssen vom Bundesgerichtshof überprüft werden. Alle acht Angeklagten haben Revision eingelegt.
- 4Vgl. OLG Dresden, Urteil vom 24. März 2020, Aktenzeichen: 4 St 3/19