Strategische Brandstifter
Andreas WettlauferDer Rechtsruck in Deutschland, der sich neben den realpolitischen Konsequenzen in einem rassistischen Klima ausdrückt, das in Halle, Kassel, Hanau und auf dem Mittelmeer bereits tausenden Menschen das Leben gekostet hat, wurde auch von einem rechtsintellektuellen Netzwerk vorbereitet, welches sich um die „Alternative für Deutschland“ (AfD) herum organisiert.
Die etablierten Parteien stehen aufgrund der Wahlerfolge der AfD immer häufiger vor der Wahl, sie entweder, wie jüngst in Thüringen, mit in die Regierungsbildung einzubeziehen oder bisherige Zusammenschlüsse zugunsten von wenig handlungsfähigen Großkoalitionen aufzugeben. Die Ursache für die Entwicklung in der politischen Einstellung der Wählerschaft zu suchen, ist der Diskussion über geeignete Gegenstrategien durchaus zuträglich, greift aber dennoch zu kurz. Eine umfassende Erklärung kommt nicht umhin, sich auch unmittelbar mit der Partei und dem sie umgebenden rechtsintellektuellen Netzwerk auseinanderzusetzen, welches die Taktiken entwirft, mit denen latent rechtsradikale Einstellungen aktiviert und menschenfeindliche Politik gesellschaftsfähig gemacht wird.
Die Schlüsselpersonen des Netzwerks, welche vor allem im Umfeld des von Götz Kubitschek, Karlheinz Weißmann und Stefan Hanz im Jahr 2000 gegründeten „Institut für Staatspolitik“ (IfS) zu finden sind, erfüllen die Funktion von VordenkerInnen, während die AfD Lärm für die Durchsetzung von anti-modernen Positionen in den Parlamenten macht. Auf der Straße werden beide von PEGIDA und der „Identitären Bewegung“ (IB) flankiert. Entsprechende personelle Überschneidungen sind bestens dokumentiert.1 ,2 Zusammen bilden die genannten Organisationen den Kern einer rechtsradikalen Strömung, die verharmlosend als „Neue Rechte“ bezeichnet wird.3
Burschenschaften sind ihr kulturelles Milieu, da sie mittels autoritärer Erziehung und dem Lebensbundprinzip Ressourcen in Form von Nachwuchs, Veranstaltungsräumen und Geldern zur Verfügung stellen, also Synergieeffekte erzeugen. Über die interne Zusammenarbeit hinaus, versucht die Strömung mit dem Konzept des „Binnenpluralismus“ eine Brücke zwischen Konservatismus und dem rechtsradikalen Lager herzustellen. Dies geschieht insbesondere auf den IfS-Akademien und der Buchmesse „Zwischentag“.4 ,5 Das mittlerweile von Erik Lehnert geführte, aber weiterhin unter Schirmherrschaft von Götz Kubitschek arbeitende Institut in Schnellroda, versucht schon seit zwei Jahrzehnten die Saat für einen autoritären Umsturz auszubringen. Struktur und Zielgruppen des IfS wurden bereits in den AIB-Ausgaben 63 und 84 beleuchtet.6 ,7 Nachgeholt werden muss eine tiefergehende Auseinandersetzung mit seinen Strategien.
Der Binnenpluralismus ist Teil der metapolitischen Grundausrichtung, mit deren Hilfe die Strömung versucht, autoritäre Positionen in breitere gesellschaftliche Diskurse einzubringen. Neben den Wertvorstellungen von AfD-MandatsträgerInnen zielt die Einflussnahme natürlich auch auf die Grundeinstellung der deutschen Gesamtbevölkerung ab. Metapolitik ermöglicht es den TaktgeberInnen im Hintergrund der Realpolitik zu agieren. Sie fokussieren sich auf langfristig meinungsbildenden Themen, wie Kultur- und Geschichtspolitik. Die Selbstbezeichnung als „Neue Rechte“ ist dabei genauso Teil einer kalkulierten Strategie wie die zahlreichen Skandale, die mittels nationalsozialistischer Rhetorik inszeniert werden. Im Kontext müssen jene nicht mehr als Tritt ins Fettnäpfchen, sondern als geplante Provokation verstanden werden. Durch das regelmäßige Vorstoßen ins Unsagbare soll jede Diskussion zu einem Grenzfall der Meinungsfreiheit gemacht werden, um neues Land zu gewinnen. Auch wenn am Anfang ein Zurückrudern notwendig ist, wird das Gesagte nach mehrmaliger Wiederholung als alltäglich erscheinen, insbesondere dann, wenn der Mainstream das Gesagte zeitnah repliziert. Im Rahmen der Provokation solle zudem versucht werden, die emotionalen Barrieren zu den Zuhörenden einzureißen, indem die eigenen Positionen verharmlost und als majoritär dargestellt werden. Man sage ja schließlich nur was alle Deutschen denken und sich keiner auszusprechen getraue.
Revolutionäre Bestrebungen gegen die Moderne
Um dem ausgerufenen „Ende der Geschichte“ etwas entgegenzusetzen, öffnete Armin Mohler die Zeitschrift Criticon in den 1990er Jahren für rechtsradikale Positionen. Kurz zuvor publizierte er seine Doktorarbeit mit dem Titel „Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932“, in der er suggeriert, dass die porträtierten Autoren eine rechte, aber vom Nationalsozialismus unabhängige, Denkschule gebildet hätten. Mit diesem Vorgehen sollte der Strömung eine neue ideologische Basis geschaffen werden, welche eine Abgrenzung zum (Neo-)Nazismus ermöglicht. Bei näherer Betrachtung stellt man hingegen fest, dass es sich um ein unhaltbares Konzept handelt, das „mehr Verwirrung als Klarheit stiftet“.8
Auch die medial offensiv gestaltete Feindschaft gegenüber Geflüchteten aus dem islamischen Kulturkreis ist Kalkül. Die Feindschaft ist prädestiniert dafür, eine große Aufmerksamkeit zu generieren, da es sich um ein sichtbares Gegenüber handelt, das als Bedrohung für die „deutsche Leitkultur“ inszeniert werden kann. Insgesamt lässt sich jedoch ein gespaltenes Verhältnis erkennen: Vor allem diejenigen MigrantInnen, die an ihrer Kultur festhalten, sind nicht nur Feind- sondern auch Idealbild, weil sie noch über ihre „ursprüngliche kulturelle Identität“ verfügen würden. Darüber hinaus kaschiert diese Inszenierung die Ablehnung von allem was mit der Moderne assoziiert wird. Dies ist neben dem Judentum, der Linken und der USA insbesondere die Existenz des bürgerlichen Staates mit seinen egalitären Grundrechten. Das Prinzip der freien Wahlen biete die Basis für die politischen Verfehlungen der etablierten Parteien, insbesondere für den angeblich stattfindenden „großen Austausch“. Die rechten Verschwörungstheorien sind Ausdruck einer von pathischen Projektionen geprägten Weltsicht, an die offen antisemitische Positionierungen ideologisch anschlussfähig sind.9
Auch wenn die Strategien der Strömung als metapolitisch bezeichnet werden, dienen sie einem klar politischen Ziel: auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen an der Umsetzung der „Konservativen Revolution“ zu arbeiten. Mit dieser ist letztlich eine gewaltsame Machtübernahme gemeint, in Folge derer die Gesellschaft nach ultra-konservativen und nationalistischen Gesichtspunkten umgestaltet werden soll. Über den Ablauf schreibt Kubitschek unter Bezugnahme auf Ernst Jünger:
„Der Tag, an dem der parlamentarische Staat unter unserem Zugriff zusammenstürzt, und an dem wir die nationale Diktatur ausrufen, wird unser höchster Festtag sein. Es wird nicht protestiert in Vortragsreihen, sondern sehr sachlich und nüchtern mit Handgranate und Maschinengewehren auf dem Straßenpflaster.“10
Antifaschistische Gegenstrategien
Während die Bezeichnung „Neue Rechte“ für die erste Generation des rechtsintellektuellen Netzwerks noch zutreffend war, hätte sie spätestens Anfang der 1990er Jahre als Verharmlosung entlarvt und aus dem Sprachgebrauch gestrichen werden müssen. Es ist Zeit diesen Schritt jetzt zu gehen. Der hier verwendete Begriff „intellektueller Rechtsradikalismus“ soll als Diskussionsanstoß betrachtet werden. „Intellektuell“ ist dabei nicht als Aufwertung zu lesen, sondern drückt die Gefährlichkeit aus, welche die Akteure durch ihre Vormachtstellung im rechten Binnenpluralismus erzeugen.
Die Analyse des intellektuellen Rechtsradikalismus ist für die antifaschistische Linke dringend geboten. Nur so können die verschleierten Ziele erkannt und Verharmlosungen skandalisiert werden. Der notwendige Ausschluss aus öffentlichen Diskursen ist mit Verweis auf die revolutionären Konzepte möglicherweise leichter zu erreichen, denn nur so kann das Einsickern von menschenfeindlichen Einstellungen in den vorpolitischen Raum unterbunden werden. Die fatale Vorstellung, Rechtsradikale durch kritische Diskussion „zurück in die Mitte“ zu holen, sitzt hingegen der Strategie der Selbstverharmlosung auf.
Die autoritäre Saat geht gerade in Ostdeutschland gut auf, weil die Strömung dort am aktivsten ist und ihr vergleichsweise diskussionsbereit begegnet wird. Die Landtagswahl 2017 in Niedersachsen, bei der die AfD mit 6,2 Prozent weit weniger als die prognostizierten Stimmen erhielt, kann hingegen als Positivbeispiel angeführt werden, an dem sich Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrem Handeln orientieren können.11
- 1Identitäre und die AfD. In: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 114, 2017
- 2Gebhardt, R.: AfD und Neue Rechte. In: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 111, 2016
- 3Schedler, J.: Die extreme Rechte als soziale Bewegung. In: Handbuch Rechtsextremismus, 2016
- 4Alte und Neue Rechte vereint in Schnellroda. In: Störungsmelder, 2017
- 5Treffen der Neuen Rechten: Eine Messe für Salonrassisten. In: Störungsmelder, 2013
- 6Das neurechte Institut für Staatspolitik. In: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 63, 2004
- 7Burschel, F.: Das Institut für Staatspolitik. In: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 84, 2009
- 8Breuer, S.: Anatomie der Konservativen Revolution, wbg Academic, 1995
- 9Lauchengrund, A.: Was bedeutet Solidarität?. In: Transit Magazin, 2020
- 10Kubitschek, G.: Die Spurbreite des schmalen Grats. Verlag Antaios, 2016
- 11Zillmer, A.: Lehren aus der Landtagswahl in Niedersachsen. In: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 117, 2017