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Lesbos: „Yoga and Sport with Refugees“

Interview von Konfront-Streetwear.de
Einleitung

Das Kollektiv „Konfront Streetwear“ und „Less Talk Athletics“ haben die Spendenkampagne „Martial Arts with Refugees“ gestartet, um damit den Verein „Yoga and Sport with Refugees“ (YSR) in Griechenland durch Sach- und Geldspenden zu unterstützen. Auf Lesbos trafen sie sich mit Nina und Mussa von YSR für ein Interview. Dabei ging es nicht nur um die konkreten Aktivitäten vor Ort, sondern auch um das Leben und die Schwierigkeiten von Geflüchteten im Lager und was dies für die gemeinsame Arbeit bedeutet.

Geflüchtete trainieren in Bunkerruinen im Lager Karatepe auf Lesbos. Das Lager, dass von den Bewohner:innen auch Moria 2 genannt wird, wurde auf einem Truppenübungsplatz errichtete. Das Training ist selbstorganisiert, da der Verein nicht im Lager aktiv sein will.

Was sind eure Aufgaben bei YSR?

Nina: Ich bin Co-Leiterin von YSR. Unser Verein hat 2018 begonnen, Sport- und Yogaangebote zu schaffen für die Menschen, die auf dieser Insel gestrandet sind. Wir sind aber auch in Athen aktiv. Ich bin Trainerin für die Lauftrainings und mache das seit eineinhalb Jahren. Wir bieten verschiedene sportliche Aktivitäten für etwa 1.000 Menschen pro Monat an. Durch den Lockdown ist das jetzt natürlich anders. Wir haben ungefähr 400 Leute, die jeden Tag im Camp selbstorganisiert trainieren.

Mussa: Ich bin seit eineinhalb Jahren im Running-Team aktiv. Ich bin sehr glücklich darüber und dank Nina und Estelle1 können wir auch bei ihnen zu Hause trainieren. In eineinhalb Jahren hatten wir zwei Wettkämpfe auf der Insel.

Was sind die größten Probleme, mit denen ihr gerade zu kämpfen habt bezüglich des Lockdowns und der Situation im Camp?

Mussa: Das größte Problem, das wir zurzeit haben, ist, dass wir nicht aus dem Camp kommen, wann wir es wollen. Manchmal versuchen wir rauszugehen, auch wenn wir nicht „dran“ sind. Es gibt da eine Art Schichtplan, wer wann raus darf. Früher war das sehr schwierig, aber jetzt haben wir einige Möglichkeiten gefunden. Wir sind da kreativ. Da die Trainingsräume wegen Corona geschlossen sind, können wir innerhalb des Camps nicht ordentlich trainieren. Es gibt einfach keinen guten Platz.

Nina: Wir haben keine Möglichkeit ins Camp zu kommen, da wir hier nicht arbeiten. Das Einzige, was wir momentan machen können, ist, unsere Trainer:innen und Trainingsteilnehmer:innen mit allen Dingen zu unterstützen, die sie brauchen, damit sie im Camp aktiv bleiben und trainieren können. Da unsere Lehrer:innen von den Communities kommen, können sie das Training auch im Camp fortsetzen, aber wir können es nicht zusammen machen.

Warum wollt ihr euch nicht im Lager registrieren, Nina?

Nina: Wir wollen aus zwei Gründen nicht in dem Lager arbeiten: Erstens, weil wir den Menschen Momente des Durchatmens und der Normalität verschaffen wollen, außerhalb des Lagers in unserem eigenen „Safe Space“. Zweitens wollen wir die Existenz so eines Lagers generell nicht unterstützen und da irgendwie mit den Behörden zusammenarbeiten, um diesen Ort „besser“ zu machen.

Wie sieht es mit der Gleichberechtigung bei euch aus? Ihr arbeitet zwar als Team, aber am Ende des Tages leben die einen ohne Papiere in einem Lager und die anderen mit Papieren in einer Wohnung. Wie geht ihr damit um?

Nina: Das ist in der Tat eine große Herausforderung, weil wir ein Team sind und ich fühle mich wirklich als Teil des Teams, aber unterm Strich gibt es einen Unterschied, den du natürlich mitbekommst und den man auch zugeben muss: Ich gehe nach Mytilini2 und meine Umstände sind komplett andere. Ich kann reisen und mich frei bewegen, wann immer ich will. Auch der Fakt, dass ich eine Frau bin, die mit den ganzen Männern hier trainiert. Natürlich erzeugt das auch viele Fragen bei ihnen. Es ist halt eine ständige Auseinandersetzung mit diesen Themen und ich denke, das Einzige, das man da tun kann, und das ist auch das was wir machen, ist, darüber zu sprechen, es offen zu diskutieren.

Mussa: Jede:r mag doch Sport, oder? Und im Sport ist es egal, ob du Kongolese oder Somali bist, oder woher auch immer du kommst. Und natürlich gibt es auch welche, die darüber lästern, dass wir mit Frauen und Mädchen trainieren, aber wir freuen uns darüber. Die Leute, die nicht mit uns trainieren, können sagen was sie wollen, aber wir als Running-Team, wir sind wie eine Familie und das macht uns sehr glücklich.

Nina: Das ist auch etwas sehr wichtiges für uns, dass wir die einzelnen, verstreuten Individuen zusammenbringen und so etwas wie eine Familie schaffen.

Wie geht ihr mit dem Rassismus und der ständigen Ausgrenzung um?

Nina: Es ist eine riesengroße Herausforderung, diese Ungleichheiten und den Rassismus zu überwinden, aber unser Weg ist es, das mit Hilfe des Sports zu erreichen. Als Verein versuchen wir wirklich, die Stärken der Menschen zu zeigen. Wir wollen niemals die „traurigen Bilder von armen Geflüchteten“ zeigen. Es sind starke Menschen, die die Projekte selbst leiten und gemeinsam sind wir „Yoga und Sport“.

Fühlst du dich als „alleinstehender Mann“[fn]Als Kategorie im europäsichen Asylsystem „single man“ manchmal zurückgelassen?

Mussa: Ja klar. Wann immer es etwas vom UNHCR oder den NGOs gibt, ist es für die Familien. Sie bekommen ihren Ausweis, wir werden zurückgelassen. „Yoga and Sport“ ist eine der wenigen Organisationen, die da Angebote haben. Ich bin nun eineinhalb Jahre hier. Natürlich fühle ich mich zurückgelassen. Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl. Ich habe meine Familie verlassen, meine Eltern, meine Geschwister und mein Land, um mir ein gutes Leben in einem anderen Land zu ermöglichen und nicht, um in einem Gefängnis wie diesem zu leben. Ist es denn illegal, dass ich Single bin? Ich habe Angst, abgewiesen oder abgeschoben zu werden. Nach anderthalb Jahren weiß ich immer noch nicht, was passieren wird.

Hilft dir der Sport, mit den Umständen umzugehen, in denen du gefangen bist? Wie kommst du mit dem psychischen Druck klar, der hier auf euch lastet?

Mussa: Natürlich hilft es mir in dieser schrecklichen Situation. Eine gute Sache ist, dass es uns etwas von all den negativen Gedanken und Gefühlen im Lager ablenkt und darüber sind wir echt froh.

Wie hat sich die Situation im Vergleich zum alten Camp verändert?

Mussa: Als wir hierherkamen, war es sehr schlecht. Wir waren in einem großen Zelt mit 120 anderen und wir mussten kleine Zelte in das große Zelt stellen, um uns warmzuhalten. Es gab keine Duschen. Wenn es geregnet hat, gab es Überschwem­mungen. Jetzt ist es etwas besser. Wir haben ein Zimmer mit acht Jungs des Running-Teams und wir haben Eimerduschen. Eine Sache, die ich im alten Lager wirklich gehasst habe, waren die gewalttätigen Kämpfe untereinander. Das gibt es nicht mehr. Es ist besser als das alte Moria-­Lager, aber es ist kein Ort, an dem wir leben wollen.

Gestaltet es sich schwierig, Frauen in das Training einzubeziehen oder Kurse für sie zu organisieren?

Nina: Erstmal wollen die Frauen nicht so oft auf Videos oder Fotos zu sehen sein. Aber ja, es ist eine große Herausforderung und es gibt viele kulturelle Unterschiede, die wir überwinden müssen. Aber Frauen, die aktiv in einem Team sind, können ein gutes Beispiel sein und andere Frauen ermutigen, an den Trainings teilzunehmen. Darüber hinaus bieten wir natürlich auch spezielle Trainings nur für Frauen an. Wir hatten und haben ein paar sehr gute und starke Trainerinnen in unseren Projekten, speziell in Athen. Sohila ist zum Beispiel eine Karatetrainerin. Sie hatte bereits in Afghanistan den schwarzen Gürtel und war im alten Moria schon aktiv bei uns. Jetzt ist sie in Athen und unsere Koordinatorin vor Ort.

Mussa: Ja, Sohila ist in Athen. Sie ist ein guter Mensch und ich freue mich wirklich für sie. Sie ist Karate-Trainerin und sehr stark, und sie unterrichtet und motiviert auch andere Frauen.

Wie siehst du die Zukunft von YSR, Nina?

Nina: Es wäre toll, wenn wir es schaffen, dieses Projekt fortzuführen, solange es eben notwendig ist. Besser wäre es, wenn es hier keine Menschen mehr geben würde, die unter diesen Umständen leben müssen. Aber so lange sie hier sein müssen, versuchen wir auch hier zu sein.

Was sind eigentlich deine Träume, Mussa?

Mussa: Wenn ich in einem anderen Land ankomme, hoffe ich, ein Haus zu haben, zur Schule zu gehen und in einer Küche kochen zu können. Ich liebe es zu kochen. Aber mein wirklicher Traum ist, an Marathon-Wettbewerben teilzunehmen, ein Champion zu werden, ja, das ist mein größter Traum. Und ich möchte sagen: Wir sind alle ein Team und niemand kann uns trennen. Lang lebe „Yoga und Sport“. (lacht)

Mehr Informationen zur Spendenkampagne findet ihr auf: konfront-streetwear.de/moria

  • 1Estelle ist auch bei YSR auf Lesbos aktiv.
  • 2Hauptstadt der Insel Lesbos