Polen: PiS-Partei als Wächter der Festung Europa
@KAPTURAKPolen macht die Grenze zu Belarus dicht. Die PiS-Regierung bekämpft Geflüchtete mit Push-Backs und der Aussetzung von Grundrechten. Die Abschottung der Festung Europa geht mit einer innerpolnischen autoritären Formierung Hand in Hand.
Mitte August 2021 wurden die Bilder einer Gruppe afghanischer Geflüchteter an der Grenze von Polen und Belarus publik. 32 Personen kampierten dort im Freien ohne sauberes Trinkwasser, ausreichende Lebensmittel oder Zugang zu sanitären Einrichtungen. Auf der einen Seite eingekesselt von belarusischen Soldaten, auf der anderen vom polnischen Grenzschutz. Die Geflüchteten befanden sich bereits auf polnischem Gebiet, versuchten Asyl zu beantragen und wurden über die Grenze zurückgedrängt. Trotz akuter gesundheitlicher Beschwerden mehrerer Mitglieder der Gruppe, verwehrte der Grenzschutz jegliche medizinische Hilfe. Für polnische Hilfsorganisationen gibt es kein Durchkommen.
Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die umgehende humanitäre Versorgung anordnete, zeigte sich der polnische Staat unbeeindruckt. Schließlich verhängte Staatspräsident Andrzej Duda Anfang September 2021 auf Antrag der Regierung den Ausnahmezustand für die Region an der Grenze zu Belarus. Journalist*innen und Aktivist*innen ist seitdem der Aufenthalt in dieser Zone gänzlich untersagt.
Die Spitze eines Eisbergs
Seit Monaten finden an der polnischen EU-Außengrenze zu Belarus Push-Backs statt. Allein für August 2021 vermeldet der polnische Grenzschutz mehrere Tausend vereitelte Grenzübertritte und hunderte Festnahmen von Personen die überwiegend aus Afghanistan, Syrien, Irak sowie verschiedenen afrikanischen Ländern stammen. Aktivist*innen berichten wie vor ihren Augen Menschen verschleppt wurden. Teilweise verletzt, traumatisiert und ohne festes Schuhwerk geht es zurück in die Wälder von Belarus. Die bereits ausgestellten Anwaltsvollmachten zur Initiierung eines Asylverfahrens werden von den Beamten ignoriert. Mittlerweile gibt es Berichte über mindestens sechs im Grenzgebiet an Unterkühlung und Erschöpfung gestorbene Migrant*innen. (Stand Herbst 2021)
Durch den Ausnahmezustand bleibt das Geschehen im Grenzgebiet weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Ein grundrechtsfreier Raum, in dem Grenzschutz und Polizei ungestört ihrem Tun nachgehen können. Eine Ende August 2021 in Kraft getretene Ministerialverordnung legalisiert inzwischen die Rückführung ohne Möglichkeit zum Antrag auf Asyl. Für den polnischen Bürgerrechtsbeauftragten steht diese Verordnung im Widerspruch zur Verfassung und zur Genfer Konvention. Unbeeindruckt davon behandelt das polnische Parlament aktuell ein Gesetz das den Push-Backs eine zusätzliche formale Rechtsbasis verschaffen soll.
Die polnische Regierung rechtfertigt ihr Vorgehen mit der Behauptung eines hybriden Kriegs an der Ostgrenze. Von Russland gestützt lotst das Lukaschenko-Regime demnach gezielt und massenhaft Geflüchtete in Richtung EU. Tausende Menschen würden zu diesem Zweck etwa von Bagdad nach Minsk eingeflogen. Das grausame Spiel mit Menschen auf der Flucht lässt sich auch an den Grenzen zu Litauen und Lettland beobachten.
Die PiS-Partei schärft ihr nationalistisches Profil
Für Jarosław Kaczyńskis autoritäre PiS- Partei ("Prawo i Sprawiedliwość") sind die Vorgänge an der Grenze eine Gelegenheit das nationalistische Profil zu schärfen. Sie demonstriert Härte, Handlungs- und Wehrbereitschaft gegen eine vermeintliche äußere Bedrohung und „kulturell Fremde“, wie eine Losung aus dem Regierungslager lautet. Umgehend wurden Stacheldrahtbahnen entlang der Grenze verlegt, die Errichtung eines Zauns nach ungarischem Vorbild ist im Gange und in der Notstandszone patrouillieren die sogenannten Territorialwehreinheiten (WOT). Jene aus Zivilisten gebildeten Milizen sind ein zentraler Baustein der gesellschaftlichen Militarisierung unter Kaczyński. Die Bilder der Abschottung werden von staatlicher Seite bewusst verbreitet und Regierungsmitglieder lassen sich beim „Frontbesuch“ filmen.
Forciert wird ein solidaritätszersetzendes Bedrohungsgefühl. Die WOT-Milizen ("Wojska Obrony Terytorialnej") „informieren“ die Grenzbewohner*innen über angebliche Gefahren. Die Menschen sollen nachts die Türen abschließen und gegebenenfalls den Grenzschutz alarmieren. Begleitend schüren PiS-nahe Medien Ängste vor einem „Ansturm“ der Migrant*innen. Aktivist*innen werden diffamiert und Hilfsorganisationen die bewusste „Zerstörung Europas“ unterstellt.
Extrem rechter Grenzschutz
Die extreme Rechte jenseits von PiS hat das Thema Grenzschutz schnell für sich entdeckt. Eine im vergangenen Jahr zum Schutz der Kirchen vor den feministischen Protesten gegen das Abtreibungsverbot gebildete, gewaltbereite katholisch-nationalistische Gruppierung – die sogenannte „Nationalwehr“ - zeigte schon bald Präsenz in der Grenzregion und bot den staatlichen Kräften ihre Unterstützung bei der Geflüchtetenabwehr an.
Genauso inszenierten sich Vertreter des "Ruch Narodowy" ("Nationale Bewegung") als einsatzbereit und kündigten Patrouillenfahrten an. Das unnachgiebige Handeln der Regierung wird in diesen Kreisen begrüßt.
Neben ideologischen Elementen enthält der Kampf gegen Geflüchtete auch ein machttaktisches Element: Kaczyński besitzt derzeit keine feste Mehrheit im polnischen Parlament. Durch das äußere Bedrohungsszenario und ein rigides Durchgreifen kann sich die PiS-Partei als verlässliche nationalistische Kraft profilieren sowie die eigenen Reihen und die Flanke am rechten Rand vorläufig schließen.
Die Abstimmung des Parlaments über den Ausnahmezustand an der Grenze wurde mit den Stimmen der extrem rechten Konfederacja-Partei gewonnen, die der PiS-Regierung sonst gerne eine inkonsequente pseudorechte Politik zum Vorwurf macht. Die parlamentarische Debatte um die Abstimmung zeigte deutlich, wie nationalistische Bedrohungsrhetorik, Grenzabschottung und Notstandspolitik das rechte Lager über PiS hinaus eint und zugleich der Markierung des inneren Feindes dient. Oppositionelle, die sich gegen den Notstand und die Geflüchtetenpolitik der Regierung wandten, wurden umgehend als „antipolnisch“ oder „Fünfte Kolonne“ gebrandmarkt.
Die Hetze von rechts trifft generell alle, die den Zustand an der Grenze nicht hinnehmen und die Situation dokumentieren, die am Grundrecht auf Asyl festhalten oder Geflüchteten helfen wollen. NGOs und einzelne oppositionelle Abgeordnete versuchten tagelang die bei Usnarz Górny eingekeilte Gruppe direkt zu unterstützen. Die liberalen Medien berichteten ausführlich von der Situation vor Ort – bis zum Pressestopp durch den Ausnahmezustand. In Warschau und anderen Städten Polens finden Solidaritätsdemonstrationen und Protestaktionen statt, darunter ein Hungerstreik vor dem Parlamentsgebäude.
Insgesamt bleiben die Proteste überschaubar und auch die parlamentarische Opposition ist mit Ausnahme der Links-Fraktion in der Geflüchtetenfrage zurückhaltend. Für manche ist das Thema als Hebel gegen die PiS-Regierung interessant. Donald Tusk, ehemals EU-Ratspräsident und heute Vorsitzender der konservativ-liberalen Bürgerplattform (PO), betont die Notwendigkeit gesicherter Staatsgrenzen. Der PiS-Regierung lastet der Chef der größten Oppositionspartei eine Rekordzahl „illegaler Migranten“ an.
Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen
Zweifellos ist das harte Vorgehen gegen Geflüchtete und die Einrichtung der Notstandszone eine Machtdemonstration der PiS-Regierung. Die martialische Grenzsicherung entspricht der eigenen Ideologie und wird entsprechend propagandistisch ausgeschlachtet. Dennoch wäre es verkehrt das harte Vorgehen allein als Ausdruck der nationalistisch-autoritären Kaczyński-Regierung zu verstehen.
Die rassistische Politik der Abschottung ist keine Erfindung Polens, sondern Standard an den EU-Außengrenzen. In den PiS-Medien ist von der Verteidigung Europas die Rede. Und tatsächlich setzt man die Grenzpolitik der Staatengemeinschaft mustergültig um. Grenzzäune, illegale Push-Backs sowie die Schaffung unerträglicher Lagersituationen für Geflüchtete kennt man bereits von der südlichen Außengrenze. Angesichts der gewollten Katastrophe von Moria auf der Insel Lesbos, sind auch die menschenfeindlichen Zustände an der EU-Ostgrenze als Teil des Systems der Festung Europa zu begreifen.
Bei ihrem Besuch Anfang September 2021 in Warschau stärkte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel der PiS-Regierung den Rücken. Ihren Appell für die Möglichkeit humanitärer Hilfe richtete sie primär an die belarusische Seite. Es gehe darum, die Außengrenzen der EU zu schützen, so wie man das schon im Falle von Griechenland getan habe. Für sein zynisches Spiel kann Lukaschenko auf genau diesen Abschottungsgrundsatz der EU setzen. Erst dadurch werden die Geflüchteten zu einem Druckmittel für den Autokraten.