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Die Polnische Rechte und der Ukraine-Krieg

@KAPTURAK
Einleitung

Polnisch-ukrainische Bruderschaft, anti-russisches Ressentiment oder Putin-Loyalität. Die Haltung der polnischen Rechten zur Ukraine, zu Russland und in der Flüchtlingsfrage.

Foto: President Of Ukraine; flickr.com; Public Domain Mark 1.0

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (4.v.l.) und PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński (1.v.l.) zu Gesprächen bei Wolodymyr Selenskyj in der Ukraine.

Auf den ersten Blick ist die Haltung Polens und der polnischen Rechten hinsichtlich des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eindeutig. Die nationalistisch-autoritäre Regierung steht unverbrüchlich an der Seite des Nachbarlands. Russland wird dagegen als Erzfeind und Bedrohung für die gesamte europäische Zivilisation präsentiert. Gegenüber Westeuropa und Deutschland im Besonderen zeigt man sich in der Rolle des historisch erfahrenen Mahners und Aufklärers über die russische Gefahr.

Gleichwohl variierten die Positionen der polnischen Rechten zu Russland und zur Ukraine in den vergangen Jahren stark. Auch aktuell zeigen sich in dieser Frage innerhalb der verschiedenen Strömungen Widersprüche und interne Verwerfungen.

PiS­ Regierung

Besondere Entschlossenheit demonstriert derzeit das Lager um die regierende PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit). Parteichef Jarosław Kaczyński reiste bereits Mitte März 2022 zusammen mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sowie den Regierungschefs von Tschechien und Slowenien nach Kyiv. Die Ukraine wird als „Brudernation“ bezeichnet und im großen Maße mit zivilen und militärischen Gütern unterstützt.

Noch bis vor kurzem wäre eine derart positive Hinwendung zum östlichen Nachbarland kaum denkbar gewesen. Vielmehr hatten die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine unter der PiS-Regierung einen Tiefpunkt erreicht. In der für die Partei so wichtigen nationalistischen Geschichtspolitik spielten bislang antiukrainische Motive eine zentrale Rolle. Das Gedenken an die von ukrainischen Nationalisten während des Zweiten Weltkriegs an Pol*innen verübten Massaker in Wolhynien unter dem Kommando der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) sowie die gegenwärtige Glorifizierung der UPA und des UPA-Anführers Stepan Bandera in der Ukraine standen dabei im Mittelpunkt der Kontroverse. Gleichzeitig förderte die PiS- Regierung die Verehrung von nationalistischen Helden, die am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit für Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung verantwortlich waren. Forciert wurde darüber hinaus eine im rechten Spektrum populäre historische Territorialvorstellung mit Blick auf ehemals polnische Ostgebiete einschließlich eines polnischen Lwiw, die zwar aktuell keinen realistischen Anspruch beinhalten mag, zumindest aber als Fluchtpunkt eines nationalistischen Heimatnarrativs wirksam ist.

Gleichzeitig gab es zuletzt in PiS-nahen Kreisen vereinzelte Stimmen, die trotz einer tiefsitzenden Russlandfeindschaft Putin zumindest partiell als ideologisch-taktischen Partner im globalen „Kulturkampf“ gegen progressiv-liberale Entwicklungen – etwa in Gestalt einer behaupteten „Gender-“ bzw. „LGBT-Ideologie“ – in Betracht zogen; allerdings sind derartige Erwägungen kaum vergleichbar mit den offen pro-russischen Tendenzen, wie sie unter Rechten im Westen verbreitet sind.

Eine weiterreichende Anlehnung an Moskau verhindert zum einen die antagonistische Nationalerzählung mit Russland in einer wiederkehrenden Rolle als Gegner oder Unterdrücker – darunter die Zeit der polnischen Teilung mit dem Zarenreich als Teilungsmacht im 18./19. Jahrhundert, der polnisch-sowjetische Krieg 1919-21, der Hitler-Stalin-Pakt, das Massaker von Katyn oder der als Fremdherrschaft kategorisierte Staatssozialismus –, zum anderen eine religiös-kulturell aufgeladene Zivilisationslehre.

Mit Blick auf den polnischen Nationalkatholizismus fehlt eine gemeinsame zivilisatorische Grundlage mit Russland, wie es der PiS-nahe Historiker Andrzej Nowak bezeichnet. An dieser grundsätzlichen Einstellung ändert auch die häufig von der Opposition vorgebrachte, vor allem auf finanzieller Unterstützung basierende Russlandverbindung der unter PiS einflussreichen christlich-fundamentalistischen Ordo-Iuris-Stiftung wenig.

Mit Kriegsbeginn im Februar 2022 verschwanden im Regierungslager anti-ukrainische Töne und uneindeutige Positionen gegenüber Russland fast vollständig. Dafür wurden die tradierten antirussischen Muster mit neuem Leben erfüllt. Das betrifft die Legende um den laut PiS-Narrativ von Russland verursachten Flugzeugabsturz von Smolensk im Jahr 2010 genauso wie den mit anti-russischem Ressentiment fast untrennbar verknüpften Antikommunismus. Derzeit werden auch die letzten noch erhaltenen Rote-Armee-Denkmäler in Polen aus dem öffentlichen Raum verbannt.

Die extreme Rechte jenseits von PiS – Konfederacja

Für deutlich größere Kontroversen sorgt der Russland-Ukraine-Komplex bei der extremen Rechten jenseits von PiS. Seit Jahren hatte etwa das mit elf Abgeordneten im polnischen Parlament vertretene Parteienbündnis Konfederacja auf eine außenpolitische Neuausrichtung gedrängt. Ziel war die Abwendung von den USA und wenigstens implizit eine Hinwendung zu Russland. Mit dem russischen Angriff trat jedoch ein ukrainesolidarische Haltung in den Vordergrund, die insbesondere von der Fraktion des Ruch Narodowy (Nationale Bewegung) und der parteinahen Kaderorganisation Allpolnische Jugend getragen wird.

Andere Teile der Konfederacja widersetzen sich dieser Positionierung. Der antisemitische Verschwörungsideologie Grzegorz Braun stimmte als einziger Abgeordneter gegen die pro-ukrainische Solidaritätserklärung des polnischen Sejm. Der rechtslibertäre Flügel der Konfederacja, in dem es ohnehin schon seit längerem starke Spannungen gibt, zerbricht wiederum an der kaum verhohlen putin-freundlichen Haltung des KORWIN-Parteichefs Janusz Korwin-Mikke, der unter anderem mit seinen Zweifeln bezüglich des Massakers von Butscha für Aufsehen sorgte. Mehrere Abgeordnete und Spitzenfunktionäre haben die Partei inzwischen verlassen.

Im Mai 2022 kam es zur Gründung einer neuen rechts-libertären Partei „Die Freiheitlichen“. Inwieweit aus den Distanzierungen innerhalb der Konfederacja-Führung jedoch nachhaltige Spaltungslinien werden, lässt sich derzeit noch nicht beurteilen. Immerhin gehört es zum Erfolgsrezept der Formation, einen relativ heterogenen Strauß an Positionen zu repräsentieren. Einstweilen führt die inkohärente Haltung der Konfederacja in der Ukraine-Russland-Frage allerdings eher zu einem Zustimmungsrückang, worauf jüngste Umfragen hindeuten.

Die außerparlamentarische extreme Rechte

Auch außerhalb des Parlaments zeigen sich deutliche Gegensätze und Widersprüche. Die Haltung zur Ukraine ist bei den tonangebenden extrem rechten Organisationen in Polen seit Jahren umstritten. Vorherrschend waren bis zuletzt fast immer anti-ukrainische Positionen, die sich aus einer Ablehnung der ukrainischen Bandera-Verehrung, den östlichen Territorialfantasien und der blutigen polnisch-ukrainischen Geschichte speisen.

Noch vor wenigen Jahren organisierten das neofaschistische National-radikale Lager (ONR), die Allpolnische Jugend und der Ruch Narodowy Demonstrationen gegen die zunehmende Arbeitsmigration aus der Ukraine. Auf dem Warschauer Unabhängigkeitsmarschs, dem zentralen nationalistischen Großereignis in Polen, wurde 2016 eine ukrainische Flagge verbrannt.
2018 kam es rund um den Unabhängigkeitsmarsch zum Streit über die Teilnahme extrem rechter Vertreter aus der Ukraine, der Carpathian-Sich, im selbsternannten „Schwarzen Block“, der sich seit längerem als radikalere Alternative zur breiteren nationalistischen Bewegung geriert.

Entgegen dem extrem rechten Mainstream suchten nämlich Akteure aus dem (post-) autonom-nationalistischen Spektrum wie die inzwischen aufgelösten Szturmowcy schon seit längerem die Nähe zur ukrainischen extremen Rechten im Rahmen internationaler Vernetzungsbestrebungen. Konkrete ukrainische Kooperationspartner stammten aus dem Umfeld von Misanthropic Division, Asow bzw. des Nationalkorps.

Der russische Angriff veranlasste dieses pro-ukrainische Lager nun zu einer dezidierten Stellungnahme. Das Szturmowcy-Umfeld, die polnische Ausgabe des „Der III. Weg“, der neopaganistische Niklot und das mittlerweile mit diesen Strömungen eng kooperierende neofaschistische ONR veröffentlichten Anfang März 2022 einen Aufruf, der als Outcall gegen die internationale russlandtreue Rechte zu verstehen ist. Es handelt sich um ein „Statement gegen die skandalösen Äußerungen von Vertretern westlichen nationalis- tischen Denkens hinsichtlich der russischen Invasion in der Ukraine“. Russland wird darin als ein auf einer fremdartigen Zivilisation basierendes Imperium dargestellt. Erstaunt zeigt man sich über die distanzierten bis offen russlandfreundlichen Äußerungen der „Alt-Right“-Community. Das polnische Bündnis erkennt darin den westlichen imperialistischen Anspruch, über das Leben kleiner Nationen entscheiden zu dürfen. „Wir kennen dieses Land viel besser als es euch Dugin und andere erzählten. Russland ist kein Nationalstaat. Russland wird Europa und die Welt nicht retten“ heißt es in der Erklärung. Russland sei ein ewig hungriges, multi-ethnisches Monster und eine Bedrohung für die Unabhängigkeit kleiner Nationalstaaten.

Die nach eigenem Verständnis anti-imperialistische Verlautbarung richtet sich direkt an verschiedene Protagonisten der internationalen rechten Szene, die auch namentlich aufgelistet werden – darunter Nick Griffin, Eric Striker, Gregory Conte, Marian Kotleba oder die italienische Forza Nuova. Sollten diese ihre prorussische Haltung nicht ändern, werde man sie für in Polen unerwünscht und zu Personae non gratae erklären. Nimmt man den Appell ernst, so bedeutet das unter anderem einen Bruch des ONR mit langjährigen internationalen Verbündeten wie der Forza Nuova oder dem slowakischen ĽSNS Marian Kotlebas. Tatsächliche Konsequenzen dürften spätestens auf dem Warschauer Unabhängigkeitsmarsch im November sichtbar werden, wo einige der Genannten regelmäßig einen Gastauftritt haben.

Neben dieser klaren Positionierung an der Seite der Ukraine gibt es aber auch in Polen nach wie vor ganz offen prorussisch eingestellte extrem rechte Kreise. Dazu gehört der neonazistische, panslavistisch-neopaganische Zadrużny Krąg (Zadruga- Kreis) – eine sich bewaffnet und militant präsentierende Splittergruppe, laut Antifa-Recherche der polnischen 161-Crew auch mit Verbindungen zu internationalen "Blood & Honour"-Zusammenhängen sowie zur russischen Neonazi-Gruppe Rusich. Diese Gruppe verbreitet derzeit offensive pro-russische Propaganda. Dabei unterhielt der Zadrużny Krąg noch bis zuletzt Verbindungen zu (post-)autonom-nationalistischen Kreisen sowie zum ONR-Umfeld. Ob sich hier ein dauerhafter Bruch manifestieren wird oder doch nur eine oberflächliche Distanzierung erfolgt, gilt es abzuwarten.

Ein allgemeiner Gradmesser für die Stimmung in breiteren, nicht notwendig politisch organisierten Milieus in Polen ist schließlich zweifellos das Verhalten der fast durchweg rechtslastigen Hooligan-Szene. Dort war anti-ukrainische geschichtspolitische Symbolik jahrelang an der Tagesordnung. Seit dem Beginn von Putins Angriffskrieg dominieren in den Stadion dagegen klubübergreifend antirussische Parolen und Choreographien.

Haltung zu Geflüchteten

Ging es bislang um die außenpolitische und geostrategische Positionierung sowie die Beziehungen innerhalb der internationalen rechten Szene vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs, so berührt die Debatte um ukrainische Kriegsflüchtlinge das nationalistische Selbstverständnis und das Binnenverhältnis der polnischen Rechten auf einer anderen Ebene.

Über drei Millionen Menschen flohen in den ersten beiden Monaten seit Kriegsbeginn nach Polen. Die PiS-Regierung bekräftigt auch in diesem Punkt ihre solidarische Haltung mit der Ukraine, wenngleich der Staat einen Großteil der Flüchtlingshilfe auf private Initiativen und das Engagement der Bevölkerung abwälzt. Wie sehr diese ostentative Willkommenskultur in eklatanter Diskrepanz zu der brutalen Bekämpfung von Flüchtenden aus nicht-europäischen Ländern an der polnisch-belarusischen EU-Außengrenze steht, wurde bereits verschiedentlich beschrieben.

Die polnische Rechte ist sich hinsichtlich dieser offenkundig rassistischen Differenzierung, die zugleich integraler Teil der Abschottungspolitik der Europäischen Union ist, grundsätzlich einig. Die Unterscheidung in „richtige“ (ukrainische) und „falsche“ (außereuropäische) Geflüchtete wurde von der organisierten extremen Rechten nicht nur von Beginn an rhetorisch maßgeblich forciert, sondern auch durch konkrete Aktionen öffentlich- keitswirksam unterstrichen. Der Organisator des jährlichen Warschauer Unabhängigkeitsmarschs Robert Bąkiewicz erhielt für die Versorgung ukrainischer Geflüchteter staatliche Fördergelder in Höhe von über 250.000 Złoty.

Im Konfederacja-Umfeld war die Phase einer zur Schau gestellten Solidarität mit den ukrainischen Flüchtlingen dennoch nur von kurzer Dauer. Nationalistische Grundeinstellung und nicht zuletzt die routinemäßige Rolle als Opposition rechts von PiS traten bald in den Vordergrund. Seit der zweiten Märzhälfte 2022 trommelt die Konfederacja immer lauter gegen die Belastung des öffentlichen Haushalts und letztlich der polnischen Steuerzahler*innen durch die ukrainischen Geflüchteten. „Ja zur Hilfe, nein zu Privilegien“ heißt die Losung. Der Regierung wird eine angebliche Bevorzugung der ukrainischen Geflüchteten vorgeworfen, die zum Beispiel kostenlos Bahn und öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können und Zugang zu polnischen Sozialleistungen haben. Der Vize-Chef des Ruch Narodowy Krzysztof Bosak stellt die tatsächliche Schutzbedürftigkeit vieler Flüchtlinge in Frage.

In rechten Kreisen mehren sich abfällige Stimmen über die vielen ukrainischen Flaggen in der polnischen Öffentlichkeit. Anfang Mai 2022 nahmen Konfederacja-Vertreter ein vermeintlich von einem Ukrainer verübtes Tötungsdelikt in Warschau zum Anlass für gezielte Hetze gegen Zuwanderung. Der Täter entpuppte sich schließlich als Pole und Konfederacja-Sympatisant.

Inzwischen diskutiert die extreme Rechte auch immer heftiger über die ethnische Zusammensetzung der polnischen Nation und die Möglichkeit einer Assimilierung der ukrainischen Geflüchteten. Ausgangspunkt sind dabei historische ethno-nationalistische, im Kern völkische Reinheitsvorstellungen, die der Ideologie- tradition des Vordenkers der polnischen Rechten Roman Dmowski entstammen. Das unter dem Eindruck des russischen Angriffs gestärkte ukrainischen Nationalbewusstsein wird aus dieser Perspektive als Problem aufgefasst. Die ethnische Homogenität der heutigen polnischen Gesellschaft, die im internationalen rechten Diskurs als musterhaft gilt und für das Selbstverständnis der polnischen Rechten wesentlich ist, scheint in Gefahr zu sein. Die postulierte polnisch-ukrainische Brüderlichkeit findet im nationalistischen Denken letztlich schnell ihre Grenzen.

In den kommenden Monaten dürfte es entscheidend sein, welche Stimmungen in der Bevölkerung angesichts einer verstetigten Migrationssituation die Oberhand gewinnen, ob das Solidaritätsgefühl gefestigt oder ob die weit verbreiteten und historisch tradierten antiukrainischen Vorbehalte durch die extreme Rechte (re)aktiviert werden können.

Ebenso wird sich zeigen, inwieweit sich die spontan artikulierten pro-ukrainischen Positionen wesentlicher Teile der polnischen Rechten etablieren, ob Richtungswechsel und innere Widersprüche nur temporären Charakter haben oder ob sich szeneinterne Spaltungstendenzen entlang der Haltung zu Russland und der Ukraine ausweiten. Auch eine Neuorientierung im internationalen System wirft für die verschiedenen Strömungen der polnischen Rechten viele Fragen auf. Dass Teile der polnischen extremen Rechten bereits die Sorge vor einer verstärkten EU-Integration als Folge des Konflikts mit Russland äußern – auch wenn PiS bestrebt ist, diese Entwicklung mit einem Bedeutungszuwachs Polens als Bollwerknation des Westens im eigenen Sinne zu kanalisieren –, zeigt, wie prekär und offen die weitere Entwicklung ist.