Rechte Regierung - Vorbild Polen?
@Kapturak (Gastbeitrag)Warschau im Januar 2019. Eine Gruppe von Antifaschist*innen dringt in das Foyer des Nationalmuseums ein, um lautstark eine Abendveranstaltung zu stören. Dort waren der Chefredakteur der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, mit Roman Giertych, Gründer der Allpolnischen Jugend (Młodzież Wszechpolska) und langjährige Führungsfigur der polnischen extremen Rechten, zu einer Podiumsdiskussion zusammengekommen. Ihren gemeinsamen Nenner fanden die früheren Antipoden in der Ablehnung der seit 2015 regierenden PiS-Partei unter der Führung von Jarosław Kaczyński. Der antifaschistische Protest richtete sich indes nicht gegen die PiS-Regierung. Vielmehr prangerten die Antifaschist*innen das liberal-reaktionäre Stelldichein von Michnik und Giertych an.
Antifaschismus unter dem nationalistisch-autoritären PiS-Regime war niemals so einfach und eindeutig, wie das für viele von außen und im Nachhinein betrachtet erscheinen mag. Wenn derzeit nach Erfahrungen mit einem autoritären System und einer erfolgreichen politischen Praxis unter einer rechten Regierung gesucht wird, fällt der Blick häufig auf Polen. Das Land dient als leuchtendes Beispiel dafür, dass der globale Rechtstrend nicht zwangsläufig und unumkehrbar ist. Immerhin wurde in Polen die PiS-Regierung nach acht Jahren an der Macht abgewählt. Manche westeuropäische Beobachter*innen erkennen im polnischen Fall gar ein Erfolgsrezept für den Umgang mit rechten Regierungen generell. Der Verweis auf polnische Spezifika wird dabei gerne ignoriert oder als Trivialität abgetan, vielmehr wird auf Gemeinsamkeiten geschaut.
In der Tat finden sich viele transnational virulente rechte Tendenzen im polnischen Diskurs und in der programmatisch-ideologischen Ausrichtung des PiS-Regimes wieder. Landesspezifische Eigenarten sind oft eng mit global zirkulierenden Themen verknüpft. Ob es sich um den Kampf gegen „Genderideologie“, antifeministische Anti-Choice-Postulate, einen EU-feindlichen Nationalismus und Souveränismus, die rassistische Flüchtlings- und Muslimfeindlichkeit oder die Vorstellung vom Niedergang der westlichen Zivilisation als solcher handelt – diese Themen lassen sich hervorragend mit der hauseigenen national-katholischen Tradition verbinden. Polen als Bollwerk des christlichen Abendlandes ist ein beliebtes Konzept, sowohl im polnischen rechten Selbstverständnis wie auch in der internationalen Wahrnehmung.
Die weltweit von Rechten propagierten kulturkämpferischen Motive werden von Kaczyński, den polnischen Bischöfen und einem breiten rechten Medienkosmos schon seit Jahren aufgegriffen und mit lokalen Themen verwoben. Auch im praktischen Regierungshandeln finden sich jene autoritären Muster wieder, die man von anderen illiberalen Regimen kennt – allen voran die Demontage des Rechtsstaats, das Kapern des Verfassungsgerichts und des Justizapparats durch die Exekutive und die völlige Deformierung der öffentlichen – bzw. im polnischen Fall staatlichen – Medien zum parteitreuen Propagandainstrument.
Vor dem Hintergrund dieser inhaltlich-ideologischen Nähe zu rechten Bewegungen weltweit und verwandten Handlungsmustern liegt es nahe, dem polnischen Fall Vorbildcharakter zu attestieren. Als lehrreiche Praxis wird häufig eine breite Bündnispolitik gegen Rechts oder der feministische Kampf zur Mobilisierung breiter Bevölkerungsteile angeführt. In der Eklek-tik der Lösungsrezepte ist aber nicht selten auch das Bestreben erkennbar, Bestätigung für das eigene Konzept zu finden.
Im Folgenden werden keine derartigen Lösungsschemata vorgestellt. Stattdessen werden hier unabgeschlossene, offene Überlegungen angestellt mit Fokus auf die konkrete Akteurssituation. Rückblickend sollen dabei die Handlungsdynamiken sowie das innerpolnische linke und antifaschistische Verständnis von der Situation skizziert werden.
Für antifaschistische Arbeit und linke politische Praxis stellt sich zunächst die Frage nach dem Wesen des politischen Gegners sowie einer davon ausgehenden Priorisierung. Die Partei "Prawo i Sprawiedliwosc" (PiS) ist keine polnische AfD. PiS wurde und wird in Polen auch von linker, antifaschistischer Seite nicht in vergleichbarer Weise als Bedrohung erachtet, wie das in Deutschland mit Blick auf die AfD der Fall ist. Über diese Einschätzung kann man streiten. Inwieweit die Gefahr durch eine deutschvölkische, faschistische Bewegung mit Neonazi-Verbindungen, an die die AfD personell und ideologisch angebunden ist, anders zu gewichten ist als der nationalkatholische sozial-patriarchale Autoritarismus unter der Ägide von Jarosław Kaczyński, dessen wichtigste Bündnispartner die polnische katholische Kirche und die Solidarność-Gewerkschaft sind, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden.
Zum Gesamtbild der politischen Lage gehört, dass es in Polen mit der Ende 2018 gegründeten Konfederacja neben PiS ein starkes, extrem rechtes Parteienbündnis gibt, das erst aus dem Gegensatz zu PiS und aus der Opposition gegen die Kaczyński-Regierung heraus zu seiner heutigen Form fand. Die offen antisemitische, rechtslibertär ausgerichtete Konfedercja pflegt – im Gegensatz zur PiS – schon seit längerem enge Verbindungen zur AfD. Ein Teil ihrer Abgeordneten gehört einer gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament an.
Jenseits der parlamentarisch-parteipolitischen Ebene gibt es in Polen zudem ein facettenreiches rechtsextremes Spektrum. Unter einer rechts-autoritären Regierung wie der PiS sortiert sich die rechte Landschaft neu, einzelne Akteure profitieren, etwa durch eine neu kalibrierte Justiz, andere werden gezielt von staatlichen Stellen marginalisiert oder repressiert. PiS war immer bestrebt, den politischen Raum auf der rechten Seite zu kontrollieren und potentielle Machtkonkurrenten einzuhegen. Für bestimmte Gruppen ergab sich wiederum die Möglichkeit zur rebellischen Pose im Kampf gegen die Corona-Maßnahmen, welcher von Konfederacja & Co. als Widerstand gegen die „demo-liberalen Systemparteien“ präsentiert wurde und bis heute wird – eine Zuschreibung, die in etwa vergleichbar mit dem „Altparteien“-Vorwurf der deutschen Rechten ist und die in Polen aus extrem rechter Warte oft genug auch gegen die PiS in Regierungsverantwortung gerichtet ist.
Diese Gemengelage einer keineswegs monolithischen rechten Szene gilt es für Antifaschist*innen auch unter rechten Regierungen immer zu berücksichtigen.
Wenn es um die politische Strategie geht, stellt sich aus einer radikal linken, antifaschistischen Perspektive über kurz oder lang die Frage nach dem Umgang mit liberal-bürgerlichen und konservativen Kräften als Bündnispartner. Die Kontroversen um die Demos gegen Rechts Anfang 2024 sind ein aktuelles Beispiel dafür in Deutschland. In der polnischen Linken ist das Thema nicht erst seit der Machtübernahme der PiS präsent und umstritten. Seit langem wird die politische Landschaft in Polen von Rechten unterschiedlicher Couleur dominiert. Sowohl die PiS als auch deren Gegenspielerin, die PO (Bürgerplattform) – die Partei des heutige Regierungschefs Donald Tusk –, entstammen einer gemeinsamen konservativen Parteigruppierung (AWS). Seit zwei Jahrzehnten wechseln sich die beiden Parteien in der Regierung ab. Während die PO in besonderem Maße für den verheerenden Neoliberalismus im postsozialistischen Polen steht, hat Kaczyńskis nationalistisch-autoritäre PiS mit sozialstaatlichen Maßnahmen unter katholisch-patriarchalen Vorzeichen auf diesem Gebiet – etwa mit der Einführung eines Kindergeldes – tatsächlich für einen Paradigmenwechsel gesorgt. Es ist bei polnischen Linken keineswegs ungewöhnlich, PiS und PO als nahezu gleichwertige Übel zu begreifen. Nach dem Machtantritt der PiS hatte sich mit dem Label Symmetrismus für diese Haltung ein Begriff und eine dezidierte politische Position herausgebildet, die besonders in den ersten Jahren unter PiS in verschiedenen linken Fremd- und Selbstbestimmungsversuchen zum Tragen kam. Mit Bauchschmerzen hat sich die linkssozialdemokratische Razem-Partei dem Bündnis gegen PiS zwar angeschlossen. Unmittelbar nach den Wahlen 2023 erfolgte der Ausstieg, nachdem zentrale Postulate wie die Liberalisierung des Abtreibungsrechts und sozialstaatliche Minimalforderungen wie eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in den Koalitionsverhandlungen nicht berücksichtigt wurden.
Wo zieht man aus antifaschistischer Perspektive die Grenze zum politischen Gegner? Der Fall des eingangs erwähnten Roman Giertych verdeutlicht das Bündnisproblem im Kampf gegen Rechts. Giertych gilt als Gründungsvater der organisierten extremen Rechten in Polen nach dem Ende des Staatssozialismus. 1989 schuf Giertych mit der Allpolnischen Jugend die bis heute größte extrem rechte Kaderorganisation Polens, die sich direkt auf die gleichnamige radikal-antisemitische, katholisch-nationalistischen Studentenorganisation der Zwischenkriegszeit bezieht. Giertych war somit wesentlich an der Entstehung einer breiten antidemokratischen, katholisch-nationalistischen Bewegung in Polen beteiligt. 2006 trat er als Vorsitzender der Partei Liga der polnischen Familien (LPR) in die erste PiS-geführte Regierung ein. Als Bildungsminister vertrat Giertych eine reaktionär-queerfeindliche Politik, wollte Kafka, Gombrowicz und Goethe aus dem Lehrplan streichen und hetzte von höchster Stelle gegen das „Propagieren von Homosexualität“. Nach dem Ende der ersten PiS-Regierung wandte sich Giertych dem konservativ-liberalen Lager von Donald Tusk zu, den er auch privat als Rechtsanwalt vertritt. Nach 2015 wurde Giertych zu einem wichtigen Sprachrohr der liberalen Opposition. Kaczyński war mittlerweile zu seinem Intimfeind avanciert.
Die demonstrative Versöhnung von Giertych und der liberalen Gallionsfigur Michnik auf der Bühne des Nationalmuseums ist ein Schlüsselmoment, der den kurzen Weg vom Mainstream-Liberalismus zum Konservatismus und zur katholisch-nationalistischen Rechten unterstreicht. Der kleine, aber deutlich hörbare antifaschistische Protest dagegen rüttelte zumindest für einen kurzen Moment an der Selbstverständlichkeit eines solchen Schulterschlusses.
Inwieweit sich Giertych tatsächlich von früheren antidemokratischen Positionen distanziert oder für ihn persönliche Interessen und das Zerwürfnis mit Kaczyński im Vordergrund stehen, lässt sich kaum beurteilen. Offenkundig ist aber, dass er seine ultrakatholischen queerfeindlichpatriarchalen Ansichten niemals abgelegt hat und diese auch öffentlich bekräftigt. Mit den Wahlen 2023 zog Giertych als Abgeordneter der Parteienliste von Donald Tusk ins Parlament ein. Bei der entscheidenden Abstimmung über das Abtreibungsrecht im Juli 2024 trug Giertych mit dazu bei, dass in Polen weiterhin ein fast vollständiges Abtreibungsverbot besteht.
Der neue polnische Regierungschef selbst, Donald Tusk, wird international als liberale Lichtgestalt wahrgenommen. Dass der Wahlkampf 2023 streckenweise einem rassistischen Überbietungswettbewerb glich, in dem Tusk der PiS eine massive Zunahme der Einwanderung aus muslimisch geprägten Ländern zum Vorwurf machte, fand dagegen weniger Aufmerksamkeit bei den westlichen Fürsprecher*innen des langjährigen EU-Ratspräsidenten.
Bald nach seinem Wahlsieg erklärte der liberale Hoffnungsträger auf die Frage nach den fortgesetzten Push-backs an der polnisch-belarusischen Grenze: „Das ist eine Frage des Überlebens unserer westlichen Zivilisation. Wir müssen aufwachen und verstehen, dass wir unser Territorium, die Grenzen schützen müssen, dass unsere Welt untergeht, wenn wir offen sind für alle Formen der unkontrollierten Migration.“
Wie verhielten sich linke, antifaschistische Kräfte in Polen vor diesem Hintergrund? Die ersten großen Proteste nach der Regierungsübernahme der PiS-Partei waren gegen die Zerschlagung der unabhängigen Justiz gerichtet und wurden von einem bürgerlichen, urbanen, meist älteren Publikum getragen. Linke, ob aus außerparlamentarischen aktivistischen Zusammenhängen oder aus dem Umfeld der 2015 neugegründeten linkssozialdemokratischen Razem-Partei, übten sich in kritischer Distanz. Nicht zuletzt assoziierten viele die Justiz mit den Ungerechtigkeiten des postsozialistischen Transformationskapitalismus, etwa im Kontext der Privatisierung von Kommunalwohnungen oder arbeitsrechtlichen Entscheidungen.
Wenig motivierend waren auch solche prominenten Protagonisten der liberalen Protestbewegung wie Leszek Balcerowicz, der als Architekt der „Schocktherapie“ wie kein Zweiter für massenhafte Arbeitslosigkeit und soziale Einschnitte nach der Wende steht. In dieser Bewegung war mehr Rück- als Fortschritt erkennbar. Das augenscheinliche Desinteresse junger
Menschen zog heftige Vorwürfe aus dem liberalen Lager gegenüber einer vermeintlich verwöhnten Generation nach sich. Zumindest aus radikal linker Sicht war auch die dominierende nationalistische Symbolik der liberalen Proteste wenig attraktiv; neben der Nationalhymne konnte man auf den Kundgebungen regelmäßig die Parole „Hier ist Polen“ vernehmen, ein Slogan, der an „Wir sind das Volk“-Rufe in Deutschland erinnert. Dazu kamen die unvermeidlichen antikommunistischen Parolen, die nicht nur lagerübergreifend zum rhetorischen Standard-Repertoire in Polen nach 1989 gehören, sondern hier auch direkt gegen den vermeintlichen „PiS-Sozialismus“ und die neu implementierten sozialstaatlichen Maßnahmen zielten.
Antifaschistische Arbeit im engeren Sinne, die in Polen ohnehin in ihren Ressourcen und personellen Kapazitäten stark limitiert ist, war in dieser Zeit kaum gegen die PiS-Regierung, sondern vielmehr gegen die extreme Rechte jenseits von PiS gerichtet; etwa in Form der Gegendemonstration zum alljährlichen rechtsextremen Unabhängigkeitsmarsch in Warschau am 11. November.
Auch Recherche und Analyse fokussierten sich auf neonazistische Kräfte, die Hooliganszene, Kampfsport und RechtsRock sowie das Um- und Vorfeld der Konfederacja. Antifaschistische Studierende in Warschau widmeten sich mit einem regelmäßigen Gedenken an den Antisemitismus an polnischen Universitäten in der Zwischenkriegszeit einem Thema, das am lagerübergreifenden, gesellschaftlich breit verankerten affirmativ nationalistischen Geschichtsnarrativ kratzen sollte.
Es waren schließlich andere Themen, die dem Protest gegen PiS eine neue Dynamik verliehen. Erst der Kampf gegen den katholisch-patriarchalen Zugriff auf die Gesellschaft und die Körper der Menschen mobilisierte neue jüngere Gruppen unter emanzipatorischen Vorzeichen: Während eine queerfeindliche Hetzkampagne von Kirche, staatlichen Medien und Regierung 2019 in selbsterklärten „LGBT-Ideologiefreien Zonen“ gipfelte, blühte in Polen die Pride-Bewegung auf. „Gleichheits“-Märsche fanden erstmals im ganzen Land statt, nicht nur in den urbanen Zentren wie Warschau oder Kraków. Die Etablierung von Pride-Paraden in der Provinz, wechselseitig unterstützt durch solidarische Menschen aus anderen Regionen, ist sicher eine der ermutigendsten Erfahrungen der letzten Jahren in Polen. Dass die „LGBT-Ideologie-freien Zonen“ inzwischen nach und nach von der Landkarte verschwunden sind, kann als Erfolg der Bewegung gewertet werden, ist zugleich aber auch dem (finanziellen) Druck von internationaler Seite durch EU und internationale Partnerstädte zu verdanken.
Die größte Mobilisierungswelle erfolgte im Rahmen der Proteste gegen das fast absolute Abtreibungsverbot im Herbst 2020. Wochenlange Massendemonstration waren die Folge. Dass auch diese Proteste linke Kritik erfuhren und dass nicht zuletzt die Beteiligung der Konservativ-Liberalen des Tusk-Lagers, die den parteipolitischen Antagonismus und den Kampf gegen PiS in den Vordergrund stellten, einer der Gründe für das Ende der Protestdynamik war, sollte angesichts einer oft vereinfachenden Erfolgserzählung nicht unerwähnt bleiben.
Dennoch kann dieser Mobilisierungseffekt zusammen mit einem längerfristigen allgemeinen Säkularisierungstrend als eine wichtige Ursache für die Wahlniederlage der PiS im Herbst 2023 betrachtet werden, als viele junge Frauen gegen PiS stimmten. Das reaktionäre Bündnis, in dem sich die PiS-Partei gemeinsam mit der polnischen katholischen Kirche gegen die fortschreitende gesellschaftliche Liberalisierung stemmte, kam damit vorerst an sein machtpolitisches Ende.
Die nun regierende Anti-PiS-Koalition, ein Kompromissbündnis aus starken neo-liberalen sowie rechtskonservativen, katholisch-nationalen Kräften mit einem kleinen sozialdemokratischen Anteil, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck und bestätigt bislang viele Befürchtungen. Der autoritäre Durchgriff auf die demokratischen Institutionen ist vorerst gestoppt. Das staatliche Fernsehen fungiert nicht mehr als rechtes Propaganda- und Parteiorgan. Bemühungen um eine Rekonstruktion der liberalen Rechtsstaatlichkeit sind sichtbar, wenn auch mit vielen Hindernisse verbunden. Gescheitert ist dagegen die Liberalisierung des strikten Abtreibungsverbots. Das Versprechen an die vielen feministisch motivierten Jungwähler*innen wurde wenig überraschend nicht eingelöst.
Mit der ungemindert brutalen Abschottung und den kontinuierlichen Push-Backs an der polnisch-belarusischen EU-Außengrenze erfüllt die Tusk-Regierung dafür ein anderes Postulat des rassistischen Wahlkampfes und findet sich damit ohnehin ganz im Einklang mit der generellen EU-Politik (Stichwort GEAS). Im Juli 2024 wurde vom Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Grenzschützer*innen beim Schießen auf Geflüchtete von strafrechtlicher Verantwortung befreit. Und während der Lehrplan an den polnischen Schulen zwar von manchem grotesk-nationalistischen Ballast aus der PiS-Zeit entschlackt wird, hat der polnische Verteidigungsminister schon ein Gesetz zur „patriotischen Erziehung“ angekündigt, „das zum Ziel hat jegliche Revolution - von links und von rechts - zu verhindern“.
Ob und wie weit man also mit liberal-konservativen Kräften einen gemeinsamen Weg gehen will, um das „größere Übel“ abzuwehren, bleibt eine immer wieder neu zu verhandelnde Frage, meist ohne befriedigende Antwort.
Im Gegensatz zur gängigen Außenwahrnehmung verläuft aus polnischer antifaschistischer Sicht die grundlegende politische Kampflinie nicht notwendigerweise zwischen PiS und Anti-PiS. Die reaktionäre Hegemonie, den Rassismus und den katholisch fundierten Nationalismus gilt es, über die vermeintlich so eindeutigen Lagergrenzen hinweg zu bekämpfen.