Polens Regierung jongliert am rechten Rand – mit tödlichen Folgen
@KapturakMit über 200.000 Menschen fand in Warschau am 11. November 2018 der nationalistische sogenannte Unabhängigkeitsmarsch statt. Seit 2010 veranstalten extreme Rechte den Umzug am Nationalfeiertag in seiner heutigen Form. Federführend sind dabei das neofaschistische „Nationalradikale Lager“ (ONR)1 und die „Allpolnische Jugend“ (MW)2 , die in der Tradition gleichnamiger antisemitischer Organisationen der Zwischenkriegszeit stehen. Als Parteiorganisation mit diesen verbunden ist die „Nationale Bewegung“ (RN)3 . Inzwischen hat sich der Marsch auch zu einem Schaulaufen der internationalen rechten Szene entwickelt.
Novum war 2018 die offizielle Beteiligung der polnischen PiS-Regierung1 . Der Grund: Das 100-jährige Jubiläum der 1918 erlangten staatlichen Unabhängigkeit. Anders als in den Vorjahren wollte man dem neofaschistischen Bündnis die Hauptstadt diesmal nicht allein überlassen. Ursprünglich hatte die Regierungspartei PiS noch versucht, die Ausrichtung der Jubiläumsfeierlichkeiten an sich zu ziehen. Nach gescheiterten Übernahme- und Auflageversuchen sah sich die Regierung zu direkten Verhandlungen mit ONR & Co. genötigt. Die extreme Rechte war nun ebenbürtiger Partner.
Regierungsbeteiligung und Jahrhundertjubiläum sorgten für eine Rekordteilnahme und hoben das für den Marsch typische Verschmelzen von extrem rechten Kadern, Hooliganverbänden und einer breiten Masse nicht politisch organisierter polnischer PatriotInnen auf ein neues Niveau. Für die extreme Rechte bedeuteten die Verhandlungen und deren erfolgreicher Ausgang nicht nur einen Legitimationsschub, sie fühlte sich damit als eigentliche Trägerin der nationalen Bewegung „von unten“. Auf dem Unabhängigkeitsmarsch wurde die Regierungspartei PiS verhöhnt: „Das ist unser Marsch!“, skandierte der Block der „Allpolnischen Jugend“.
Der 11. November spiegelt das ambivalente Verhältnis zwischen der nationalistisch-autoritären PiS und der organisierten extremen Rechten wider. Einerseits erweitert die Regierung die Spielräume nach rechtsaußen und einschlägige AkteurInnen genießen Schutz vor Repression durch Justiz und Exekutive. Immer wieder gelangen Kader des ONR oder der MW auf Posten in öffentlichen Institutionen. Historische antikommunistische Heldenreferenzen der extremen Rechten sind inzwischen prominent in den staatlichen Gedenkkanon integriert. Andererseits verfolgt das extrem rechte Lager einen Konfrontationskurs. PiS habe nicht nur viele Versprechen gebrochen, sondern sich ganz grundsätzlich als „pseudorechte“ Systempartei erwiesen. Dabei geht es unter anderem um die Forderung nach einem PolExit, das von PiS auf Eis gelegte totale Abtreibungsverbot, steigende Zuwanderungszahlen oder ein angebliches „Kriechen“ vor Israel auf der diplomatischen Ebene. Außerdem sehe man sich Versuchen der Vereinnahmung durch PiS ausgesetzt.
Letzteres scheint der Fall des früheren Vorsitzenden der „Allpolnischen Jugend“ Adam Andruszkiewicz zu bestätigen, der zum Jahreswechsel zum Staatssekretär im Ministerium für Digitalisierung ernannt wurde. Noch bis 2016 stand Andruszkiewcz an der Spitze jener Organisation, die zu den wichtigsten extrem rechten Formationen in Polen zählt. Es gibt Aufnahmen, die den heutigen Staatssekretär beim Skandieren homophober Parolen oder als Organisator rassistischer Aufmärsche gegen muslimische Zuwanderung zeigen. Neben anderen extremen Rechten war auch Andruszkiewicz 2015 über die Wahlliste des rechtspopulistischen Ex-Popstars Paweł Kukiz in das polnische Parlament gelangt. Während sich der extrem rechte Abgeordneten-Zirkel in immer neuen Grabenkämpfen aufrieb, gelang es Andruszkiewicz, seine Marke weiter aufzubauen, um schließlich von PiS in die Regierung geholt zu werden.
Dabei handelt es sich jedoch um keinen direkten Schulterschluss von PiS mit der organisierten extremen Rechten. Mit dieser hatte Andruszkiewicz schon vor geraumer Zeit gebrochen. Er gilt dort als rückgratloser Karrierist und Verräter. Die RN-Führung hält Andruszkiewicz für eine künstlich aufgebaute „PiS-Atrappe“ – gefördert unter anderem durch häufige Auftritte im staatlichen Fernsehen, von dem sich die RN konsequent übergangen sieht. Die Beförderung Andruszkiewiczs entspricht somit der Linie, extreme Rechte auf Posten und Ämter zu hieven, zugleich aber das extrem rechte Spektrum organisatorisch kleinhalten zu wollen. Daneben geht es für PiS auch darum, den rechten Rand der eigenen Wähler_innen bei der Stange zu halten. Für Wahlergebnisse wie 2015 muss die Partei ein breites Spektrum bedienen und mit unterschiedlichen Impulsen in Balance halten. Gegenüber sporadisch gemäßigteren Tönen im Wahlkampf schafft die Personalie Andruszkiewicz einen dauerhaften Anreiz für das extrem rechte Wahlvolk.
Neben dem Jonglieren auf der „Akteursebene“ setzt PiS die Öffnung des medialen Diskurses für extrem rechte Denkmuster ungehemmt fort. Über das staatliche Fernsehen schürt die Regierung nicht nur rassistische, antisemitische und homophobe Ressentiments, hier werden auch Vorurteile über vermeintliche „Polen der schlechteren Sorte“ (O-Ton Kaczyński), eine gewalttätige putschbereite und vom Ausland unterstützte „totale Opposition“, eine vaterlandsfeindliche Richterkaste und (post-)kommunistisch durchsetzte korrupte Eliten verbreitet.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Ermordung des Oberbürgermeisters von Gdańsk zu bewerten. Paweł Adamowicz war am 14. Januar 2019 während eines Charity-Events auf der Bühne erstochen worden. Im Anschluss erklärte der Täter der Menge, dass er unschuldig im Gefängnis gesessen habe. Verantwortlich sei die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) - die liberal-konservative Oppositionspartei - der Adamowicz bis 2015 angehört hatte. Durch PiS-Medien werden immer wieder unliebsame Personen gezielt diskreditiert. In einer Hetzkampagne wurde Adamowicz zu einer der finstersten Gestalten der politischen Szene stilisiert. Monatelang suggerierte das Staatsfernsehen Verbindungen zu Korruptions- und Betrugsaffären sowie mafiösen Immobiliengeschäften. Aber auch eine anti-polnische, pro-deutsche oder gar pro-nazistische Haltung wurde Adamowicz unterstellt – der Bürgermeister schließe an die Tradition des Danzigs der Dreißigerjahre an. Sogar eine Lügengeschichte über die Benennung einer Straßenbahnlinie nach einem Nazi-Schergen fand Verbreitung. Besondere Feindschaft erfuhr Adamowicz von rechtskatholisch-fundamentalistischen Gruppen im Verbund mit der extremen Rechten aufgrund seiner Unterstützung für die LGBT-Bewegung2 . Denn als Bürgermeister hatte er an der Gdańsk-Pride teilgenommen. Auch für seine offene Haltung gegenüber Migrant_innen und Geflüchteten wurde Adamowicz angegriffen.
Gdańsk gehörte zu jenen polnischen Städten, die 2017 entgegen der Regierungslinie ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten erklärt hatten. Als Reaktion stellte die „Allpolnische Jugend“ medienwirksam „politische Totenscheine“ für die betreffenden Bürgermeister_innen aus. Die Hetze der extremen Rechten ging hier Hand in Hand mit der Propaganda des staatlichen Fernsehens, wo der Bericht über eine angebliche Einladung Adamowiczs für Migrant_innen mit Horrorfilmklängen untermalt wurde. Nach dem Mord zog sich die Rechte auf die Strategie zurück, das Attentat durch den Fokus auf psychische Probleme des Täters zu entpolitisieren. Stefan W. ist wohl kein organisierter oder ideologisch gefestigter extrem Rechter. Dass er aber seine individuelle Rache ausgerechnet auf Adamowicz richtete und diesen zum legitimen Ziel erklärte, kommt nicht von ungefähr. Seinen stereotyp gegen die PO-Eliten gerichteten Hass und eine antidemokratisch-autoritäre Grundhaltung bekräftigt Stefan W. auch über das Attentat hinaus. Gdańsk lehnt er für seinen Prozess als angebliche Heimstätte der Bürgerplattform ab. Bereits früher hatte er den Wunsch nach einem Dikator Jarosław Kaczyński geäußert3 .
Kurz nach dem Attentat bezeichnete der Verschwörungstheoretiker Grzegorz Braun Adamowicz als nationalen Verräter. Braun kandidiert nun für dessen Nachfolge. Passend zu den rechten Projektionen wirbt er mit dem Slogan „Gdańsk. Hier ist Polen“. Unpolnisch sei dagegen das vermeintliche Adamowicz-Gdańsk, wie seine Wahlspots suggerieren – nämlich jüdisch, deutsch, korrupt, feministisch und homosexuell. Braun gehört auch zu jener neuen extrem rechten Allianz, zu der sich zu Beginn des Jahres der RN, der rechtslibertäre Janusz Korwin-Mikke und die zentrale Protagonistin der polnischen Anti-Choice-Bewegung, Kaja Godek, zusammengeschlossen haben. Das erklärtermaßen EU-feindliche Bündnis ist bestrebt, sich bei den EU-Parlamentswahlen als Alternative zu PiS und als einzig wahre polnische Rechte zu etablieren.
- 1Die Partei „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS), zu deutsch „Recht und Gerechtigkeit“ wird als nationalkonservativ, rechts und autoritär charakterisiert.
- 2Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender 6 Vorsitzender der „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS)
- 3Dieser war 2006 bis 2007 Ministerpräsident von Polen. Kaczyński vertritt ein ultra-konservatives sowie streng katholisches Weltbild. Einer fortschreitenden Integration Polens innerhalb der Europäischen Union steht er feindlich gegenüber.