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Wehrsportgruppe der Reserve – Gruppe Jens G.

Recherchenetzwerk Hannover
Einleitung

Im September 2021 durchsuchten Polizist_innen im Auftrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg acht Objekte in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die Staatsanwaltschaft wirft neun Beteiligten vor, sich einer bewaffneten Gruppe angeschlossen oder diese befehligt zu haben.

Jens G.
Bild: Screenshot facebook

Genießt den militärischen Habitus – Selbstinszenierung des Militär- und Waffen­fans Jens G. in sozialen Netzwerken.

Das Ziel dieser extrem rechten Gruppe sei es gewesen, rassistische Anschläge durchzuführen und Migrant_innen zu töten. Bei den Durchsuchungen wurden knapp 250 Waffen und Waffenteile sowie dazugehörige Munition gefunden. Mutmaßlicher Anführer der Gruppierung ist Jens G. - (ehemaliger) stellvertretender Vorsitzender der Reservis­ten-Kreisgruppe Hannover. Sechs der neun Beschuldigten waren Reservisten der Bundeswehr und ehemalige Fallschirmjäger.

Zufallsfund des MAD

Aufgefallen ist die Gruppe um Jens G. über Umwege: Bei einer Routineüberprüfung eines Referenten im Verteidigungsministerium durch den „Militärischen Abschirmdienst“ (MAD) wurden auf dessen Handy Verbindungen und Chats mit Jens G. festgestellt. Der Referent in der Abteilung „Strategie und Einsatz“ hatte Zugang zu sensiblen Geheiminformationen, etwa über das „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) und über verdeckte Ermittler_innen des MAD. Gegen ihn laufen derzeit interne Ermittlungen. In der Gruppe um Jens G. soll er allerdings nicht aktiv gewesen sein. So geriet Jens G. allerdings in den Fokus der Ermittlungsbehörden.

Jens G. - Militärfanatiker und Leiter von Schießtrainings

Schaut man sich die Profile von Jens G. in den Sozialen Medien an, wird eines relativ schnell klar: Jens G. ist eine Art Waffenfanatiker und ein großer Fan von Allem was mit dem Militär und der Bundeswehr zu tun hat. Auch wenn er selbst nicht mehr aktiv im Dienst ist, so genießt er doch sichtlich den militärischen Habitus mit all seinen autoritären Gebaren. Neben seiner Arbeit als Zimmermann in der niedersächsischen Wedemark in der Region Hannover, organisiert Jens G. Treffen von Kübelwagen-Fans.1

Als aktiver Reservist leitete er Schießtrainings, wies Reservisten in Maschinengewehre ein, leitete Übungswochenenden mit Sanitäts-, Absicherungs- und Orientierungsinhalten und war Verantwortlicher für Militärfahrzeugtreffen. Vom hannoverschen Reservisten-Kreisvorstand wird er als guter Ausbilder beschrieben, der sehr gute Kenntnisse über Waffen der Bundeswehr habe. Neben G. gehören zwei weitere Beschuldigte der Reservisten Kreisgruppe Hannover an.

Jens G. war nicht nur aktives Mitglied und Ausbilder der Reservisten, er war zudem auch stellvertretender Vorsitzender der Reservisten-Kreisgruppe Hannover. Diese versuchte Anfangs ihre Verbindungen zu ihm zu verschleiern. Nachdem „Der Spiegel“ über Jens G. als Kopf der „Wehrsportgruppe“ berichtete, wurden plötzlich die Beiträge, Namen und Bilder der Vorstandsmitglieder von der Seite gelöscht. Schaut man derzeit auf die Website sind nur noch die Kontaktdaten des Vorsitzenden zu finden, wo zuvor noch das Portrait und der Name von Jens G. zu sehen war. Auf Nachfragen verschiedener Medien, beteuert der Verband, von der rassistischen und völkischen Gesinnung nichts gewusst zu haben. Sie wollten voreilige Schlüsse vermeiden. Daher sei Jens G. von seinen bisherigen Aufgaben entbunden, bis es ein Ergebnis der Untersuchungen gebe. Außerdem positioniere man sich grundsätzlich gegen jeden Extremismus. Eine deutliche und nachdrückliche Distanzierung von Personen aus den eigenen Reihen, die wohlmöglich aus rassistischen Motiven Migrant_innen ermorden wollten, sieht anders aus.

Alter Bekannter der völkischen Szene mit bester Vernetzung

Jens G. fällt nicht nur durch seine Obzession für alles Militärische auf. Nach Recherchen von Andrea Röpke und Olaf Meyer, die sie im „blick nach rechts“ veröffentlicht haben, soll Jens G. in der völkischen Szene Niedersachsen kein Unbekannter sein Im Gegenteil: Jens G. nahm demnach an mehreren völkischen Veranstaltungen Teil. Röpke und Meyer schreiben dazu: „Im Landkreis Uelzen, in der Nähe von Bienenbüttel besuchte er 2016 einen „Maitanz“ der völkischen Szene. Zu diesem Event wurden sogenannte Sippenmitglieder aus dem politischen Spektrum von NPD, Wiking-Jugend, Heimattreuer Deutscher Jugend, Sturmvogel, Identitäre Bewegung, AfD und rechtsextremer Bünde zum Tanz in den abgelegenen Ortsteil Edendorf geladen. G. reiste mit einem olivfarbenen Volkswagen an. Mit vielen der Gäste war er vertraut.“

Ebenfalls - und wahrscheinlich nicht zufällig -  befindet sich in Jens G.s Freundesliste der Schwiegersohn von Joachim Nahtz aus Eschede. Auf Hof Nahtz finden seit Jahrzehnten extrem rechte Veranstaltungen, Parteitage, „Wehrsportübungen“ und Brauchtumsfeierlichkeiten der völkischen Szene statt. Mittlerweile hat die NPD-Niedersachsen Joachim Nahtz den Hof abgekauft und baut diesen zum Schulungszentrum aus.

Am 28. September 2001 protestierten Bundeswehr- und Reserveangehörige in der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ mit einem Appell gegen die Entlassung des Oberleutnant der Reserve Götz Kubitschek aus einer Wehrübung wegen seines Buches über den Bosnienkrieg und seiner damaligen Tätigkeit als Autor in der „Jungen Freiheit“. Zu den Unterzeichnern gehörte damals auch „Jens G[...], Zimmermann / Obe­rleutnant d.R“. Aus diesem Umfeld stammt auch ein weiterer Facebook-Freund von Jens G., der mittlerweile verstorbene Peter Boßdorf. Dieser war seit Jahrzehnten in der "neu rechten" Szene aktiv, schrieb für die „Junge Freiheit“, trat als Referent bei Götz Kubitscheks ultra-rechtem „Institut für Staatspolitik“ auf und war zuletzt angesehener Bundeswehrexperte.

„Wehrsportübungen“ im Landkreis Hameln

Laut Informationen der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (HAZ) soll die Gruppe um Jens G. auf einem Gut bei Hameln auf eigene Faust „Wehrsportübungen“ durchgeführt haben. Ob auf dem Gelände oder in nahegelegenen Schießständen auch mit scharfen Waffen trainiert wurde, ist bislang unklar, genau so wo sie genau stattfanden. Die Wahl des Landkreis Hameln für diese Übungen verwundert jedoch nicht. Seit Jahrzehnten finden hier immer wieder extrem rechte „Wehrsport“- und Schießübungen statt. Auch Personen aus dem Kreis um Johannes K. aus dem ehemaligen Umfeld von „Blood & Honour Niedersachsen“ haben hier bereits regelmäßig „Wehrsport“- und Survival-Übungen durchgeführt.

Was bleibt?

Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es deutlich mehr offene Fragen als Antworten und Erkenntnisse. Vieles lässt sich bisher nur erahnen oder mutmaßen und wird erst durch weitere Recherchen und die kommenden Gerichtsverfahren geklärt werden können.

Es wird sich zeigen, wer noch von den Plänen wusste, an den Veranstaltungen teilnahm oder die Gruppe direkt oder indirekt unterstützte. Dass extrem rechte Personen und Gruppierungen innerhalb des Militärs bei weitem keine „Einzelfälle“ sind, ist hinlänglich bekannt. Wie gefährlich diese mit ihrem Wissen und Zugängen zu Material und Infrastruktur sind, lässt sich nur erahnen.

An dieser „Wehrsportgruppe“ zeigt sich nochmals nachdrücklich die Gefahr, die von der völkischen Szene ausgeht. Sie schafft einen fruchtbaren Nährboden für solche „Wehrsportgruppen“. Größtenteils unbeobachtet von der Öffentlichkeit, von staatlichen Stellen belächelt und verharmlost, können die Akteur_innen über Jahrzehnte Strukturen und Netzwerke aufbauen. Die eigene Gemeinschaft wird ideologisch ab dem Kindesalter geschult und gefestigt. Sie bietet eine Infrastruktur und festigt langjährige Kontakte in der eigenen Szene und darüber hinaus. Die Szene sieht sich dabei selbst als eine Art völkische Avantgarde. Völkisches Elitedenken, (extrem) rechte Ideologie und der Zugang zu Waffen sind immer eine gefährliche Mischung.

  • 1Als Kübelwagen werden historische Militärfahrzeuge bezeichnet