Die „Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland“
Johannes Grunert (Nachdruck aus LOTTA Nr. 85)In Mittelsachsen hat sich in den vergangenen Jahren ein Netzwerk völkischer (Neonazi-)Familien angesiedelt. Zusammen werben sie für den Zuzug westdeutscher Neonazis in Ostdeutschland. Ihr Projekt genießt in der Szene hohes Ansehen. Obwohl sie ihr Netzwerk größer aussehen lassen als es ist, geht ihre Strategie in Teilen auf und die Siedler*innen werden zunehmend zu einer Gefahr.
Mit seinen hohen Mauern und den massiven Toren ähnelt der Hof der Familie Strauch einer Festung. Vater Dankwart Strauch leitet von dem ehemaligen Bauerngut im 150-Einwohner*innen-Dorf Naunhof nahe der sächsischen Stadt Leisnig aus ein Geflecht von Verlagen und Vertrieben für neonazistische Literatur. „Warum biologische Lebensgestaltung”, „Der Totale Krieg” und „Das Organisationsbuch der NSDAP” sind Beispiele für die zahllosen Buchtitel, die er vertreibt. Dankwart Strauch und seine Frau Bente Strauch zogen 2015 mit ihren fünf Kindern in den kleinen Ort an der A14 zwischen Dresden und Leipzig. Die Familie wohnte vorher in Schleswig-Holstein und zählt zu den sogenannten völkischen Siedler*innen.
Zugezogen
Die Strauchs waren mit die ersten, die kamen. Heute wirbt die neonazistische Siedler*innen-Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ gezielt um Menschen wie die Strauchs: Junge Familien mit gefestigter nationalsozialistischer Einstellung, die das Leben in Westdeutschland nicht mehr hinnehmen wollten, da selbst ländliche Gegenden „überfremdet“ seien, wie es bei der Initiative heißt. Nach den Strauchs kamen weitere Familien. In der Region Leisnig mit ihren 8.000 Einwohner*innen sind es heute mindestens fünf Immobilien — meistens große Höfe –, die von Personen aus dem Umfeld der Initiative bezogen wurden.
Die meisten Siedler*innen waren schon lange vor ihrem Zuzug politisch aktiv. Auffällig ist ihre Nähe zur 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), bei der Kinder und Jugendliche zu gefestigten Nationalsozialist*innen erzogen wurden. Dankwart und Bente Strauch waren bei der HDJ genauso aktiv wie etwa Christian Fischer aus dem niedersächsischen Vechta, der 2018 seinen Hof bezog. Auch Lutz Giesen aus Berlin, der mit seiner Familie in die Nachbarschaft der Strauchs gezogen ist und Neu-Zuzügler Mario Matthes aus Rheinland-Pfalz waren Anhänger der Organisation. Heute sind viele von ihnen bei der Partei „Der III. Weg“ aktiv.
Die „Initiative Zusammenrücken“
Die treibende Kraft in der Siedlungsgemeinschaft ist Christian Fischer. Er spricht zusammen mit Christian Müller, ehemals Teil der „Nationalen Sozialisten Rhein-Main“, für die Initiative. Sie werben vor allem über ihren Telegram-Kanal für einen systematischen Zuzug nach „Mitteldeutschland“, womit alle ostdeutschen Bundesländer gemeint sind. Ein „Weiter so“ führe in den „biologischkulturellen Abgrund“, weshalb ein „taktischer Rückzug“ in den Osten angesagt sei. Ziel sei es, unter Weißen zu leben und die „Volkssubstanz“ zu erhalten. Die Motivation liegt damit zumindest bei der Führungsebene weniger in den persönlichen Beweggründen für einen Wegzug als in dem Idealbild einer rechten und weißen Hegemonie im Osten. Nach eigenen Angaben richtet sich die Initiative gleichermaßen an Familien wie an „politische Aktivisten“.
Als Beispiel dient ihnen der frühere Dortmunder „Die Rechte“-Kader Michael Brück, der 2020 nach Chemnitz gezogen war und bei der neu gegründeten extrem rechten Partei „Freie Sachsen“ eine neue Heimat fand. Dass die „Freien Sachsen“ mit ihren über 100.000 Follower*innen bei Telegram medial in die Offensive gingen und strategisch geschickter agieren als die etwas eingestaubte Vorgängerpartei „Pro Chemnitz“, dürfte zu einem Großteil Brück zu verdanken sein. Er hat erkannt, was „Zusammenrücken“ gern propagiert: Viele Sächs*innen seien für rechtes Gedankengut empfänglicher als die Menschen im Westen. Für seinen Entschluss zum Umzug in den Osten dürfte die Initiative jedoch keine Rolle gespielt haben. Brück ist seit vielen Jahren mit Chemnitzer Neonazis eng vernetzt.
Anspruch und Wirklichkeit
Dass Brück von der Initiative dennoch als Paradebeispiel für einen Zuzügler präsentiert wird, zeigt, dass sie sich größer propagiert als sie tatsächlich ist. Müller und Fischer behaupten in einem Interview mit dem Multiaktivisten Frank Kraemer aus Eitorf (Rhein-Sieg-Kreis), sie bekämen etwa 1.000 Anfragen von Siedlungswilligen pro Jahr. Um die Siedelnden in die Regionen zu vermitteln, bediene man sich sogenannter Botschafter, die Zuzügler*innen in einer Art Pat*innenprogramm bei ihrer Ansiedlung unterstützten. 100 Siedlungswillige seien innerhalb eines Jahres mit Botschaftern vermittelt worden, „zahlreiche“ von ihnen hätten den Umzug bereits vollzogen, Interviewer Kraemer stehe selbst kurz davor.
Mit eigens produzierten Imagevideos von grünen Wäldern und Brauchtumsfeiern in völkischer Gemeinschaft scheinen sie allerdings bei vielen die Erwartung geweckt zu haben, ihnen werde von der Initiative ein Komplettpaket inklusive Arbeitsplatz und Integration in neonazistische Kamerad*innenkreise organisiert. Fischer und Müller mussten schon mehrmals darauf hinweisen, dass das Siedeln auch einen großen Teil Eigeninitiative erfordere. Rund ein Drittel aller, die sich bei „Zusammenrücken“ meldeten, seien Ostdeutsche, die sich als Botschafter anböten. Die „Achse Thüringen — Sachsen“ sei mit Botschaftern gut besetzt und es gebe sie mittlerweile in allen ostdeutschen Bundesländern. Tatsächliche Zuzüge, die auf die Initiative zurückgehen, sind allerdings bisher nur in Mittelsachsen bekannt. Durch das Suggerieren eines flächendeckenden Netzwerks findet Zusammenrücken in der Szene jedoch eine so große Beachtung, dass weiterhin mit Zuzügler*innen zu rechnen ist, vor allem in Sachsen.
Diskussion in der Szene
In der Neonaziszene bleibt die Initiative „Zusammenrücken“ nicht ohne Widerspruch: In Interviews bei Frank Kraemer und einem Podcast von „Der III. Weg“ kritisiert unter anderem Julian Bender, Leiter des „Gebietsverbands West“ der Partei, die Initiative. Eine Tendenz zu multikultureller Hegemonie sei in den westdeutschen Großstädten zwar erkennbar, ein Leben unter Weißen im ländlichen Raum aber noch möglich. Die Angst, die Siedlungsbewegung könne die westdeutschen Strukturen weiter schwächen, ist unüberhörbar.
Eine andere Kritik kam von „Freie Sachsen“-Chef Martin Kohlmann, den Fischer und Müller auf ihrem Telegram-Kanal interviewten. Der eher regionalistisch eingestellte Kohlmann, der mit seiner Partei unter anderem die Abspaltung Sachsens von der BRD fordert, verlangte den hochmütig auftretenden Siedler*innen zunächst Demut ab — schließlich seien sie in Sachsen fremd und hätten sich erst zu integrieren.
Trotz Vorbehalten genießt „Zusammenrücken“ in der Szene einen großen Rückhalt, da es mit den Leisniger Siedler*innen bereits Vorreiter gibt. Im Kontrast dazu stehen andere, im Vergleich aussichtslos erscheinende extrem rechte Siedlungsbestrebungen wie der „Weiße Ethnostaat“ von Frank Kraemer oder die „Strategie der Sammlung“, die der österreichische „Identitäre“ Martin Sellner jüngst im „Compact-Magazin“ vorstellte. Während Kraemer zusammen mit Weißen anderer Nationalitäten einen eigenen weißen „Ethnostaat“ in Osteuropa gründen will, verliert sich Sellner, dessen Versuch durchaus an „Zusammenrücken“ angelehnt zu sein scheint, in Träumereien von einer parallelstaatlichen Struktur, die ein eigenes Sozialsystem beinhalten soll. Die Initiative „Zusammenrücken“ hegt derlei Vorstellungen zum Teil auch, doch die Siedler*innen sind bereits da und haben mit ihren Unterwanderungsversuchen begonnen.
Durch schleichende Unterwanderung zur „National Befreiten Zone“?
Das Leisniger Siedler*innennetzwerk ist seit spätestens 2018 bemüht, an andere gesellschaftliche Kreise anzuschließen und so ihren Wirkungsbereich zu erweitern. Damit verfolgen sie das altbekannte Konzept der „National Befreiten Zone“, nach dem in einer Region die eigene Machtposition zu einer derartigen Hegemonie ausgebaut werden soll, dass staatlicher Einfluss kaum noch vorhanden ist. Anfänge der Einflussnahmeversuche sind bereits erkennbar.
Christian Fischer, sein Leisniger Parteikamerad Michael Haack und der ehemalige JN-Kader Mathias König gründeten im April 2020 zunächst den Leisniger Ableger der sachsenweiten Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen, um Einfluss auf das regionale verschwörungsideologische Milieu nehmen zu können. Während der Flut im Ahrtal betätigten sie sich an den Aufräumarbeiten und berichteten darüber auf Telegram. Auf dem gleichen Telegram-Kanal, den sie vor allem zur Bewerbung der Anti-Corona-Maßnahmen-Kundgebungen nutzen, kündigen die Siedler*innen zudem regelmäßig nicht-rechte Kulturveranstaltungen in Leisnig an, die sie nicht selten auch selbst besuchen.
Bislang steht die Leisniger Bevölkerung der Annäherung von rechts verhalten gegenüber. In Elternvertretungen von Schulen und Kindergärten sind die Siedler*innen aber bereits vertreten und Bilder zeigen Siedler bei Bauarbeiten am Domizil eines lokalen Kampfsportvereins. Nicht zuletzt führen manche von ihnen im Namen des „Der III. Weg“ klassische neonazistische Propagandaaktionen wie das Aufstellen schwarzer Kreuze oder Kriegsgräberpflege in der Stadt Leisnig durch.
Im Schatten der AfD
Mit dem Versuch, mit Kundgebungen das lokale verschwörungsideologische Milieu zu erreichen, hatten die Siedler*innen nur geringen Erfolg: Kaum mehr als 100 Teilnehmende brachten sie zu ihrer größten Kundgebung im Frühsommer 2020 zusammen, wovon ein wesentlicher Teil aus den kinderreichen Siedler*innenfamilien und der lokalen Neonaziszene kam. Stattdessen nehmen die Siedler*innen an anderen Aufmärschen in der Region teil, wo ihre Präsenz von den lokalen verschwörungsideologischen Initiativen unwidersprochen hingenommen wird. Getreu ihrer Strategie vermitteln sie so den Eindruck einer breiten Verteilung ihres Netzwerks und einer lokalen Verankerung in der oftmals bereits rechtsoffenen Zivilgesellschaft mittelsächsischer Ortschaften.
Ein Leisniger Antifaschist berichtet, dass organisierter Widerspruch gegen die Siedler*innen schwer zu organisieren sei. Ein lokales Bündnis habe einmal ein Banner in Sichtweite der Montagskundgebungen aufgehängt. Zu mehr Protest sei man kaum in der Lage: „Das liegt vor allem an der eigenen Position als Minderheit. Man kennt die Wahlergebnisse und die vorherrschende Meinung der Bevölkerung und erwartet somit wenig oder gar keinen Rückhalt aus der Zivilgesellschaft.“
Für linke Projekte liege die Gefahr derzeit ohnehin woanders: „Während sich die Siedler*innen auf ihren Dörfern verstecken, ist die AfD für linke Projekte derzeit eine viel größere Bedrohung. Seitdem sie mit 23 Sitzen im Kreistag zweitstärkste Kraft ist und in den Ausschüssen sitzt, hat sie eine tatsächliche Macht und versucht, lokalen Initiativen und alternativen Jugendclubs das Leben schwer zu machen.“ Für die Leisniger Siedler*innen macht die AfD wichtige Vorarbeit. In ihrem Schatten haben sie leichtes Spiel.