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"Freie Sachsen" - radikal etabliert

Johannes Grunert (Gastbeitrag)
Einleitung

Seit der Gründung der Partei „Freie Sachsen“ im Jahr 2021 hat sich das Gesicht der extremen Rechten in Sachsen enorm gewandelt. Die Parteiführung weiß, in welchen Milieus ihre Positionen auf fruchtbaren Boden fallen und trifft auf einen wohlwollenden sächsischen Zeitgeist. Parolen, die vor ein paar Jahren der NPD vorbehalten waren, bleiben meist unwidersprochen.

Corona Spaziergang
(Foto: Johannes Grunert)

"Corona-Spaziergang" 2022 in Zschopau.

Es ist Freitagabend im erzgebirgischen Aue. Die engen Straßen mit den hohen Gründerzeit-Bauten rund um den Wettiner Platz versprühen hier einen städtischen Charme, wie man ihn im dörflich geprägten Erzgebirge selten findet. Die hell beleuchtete Gaststätte „Zum Kronprinzen“, nur 400 Meter vom Altmarkt entfernt, hat regen Zulauf, während die Autos draußen die letzten verbliebenen Plätze im Parkverbot belegen. Heute Abend kontrolliert hier niemand mehr. Der „Sachsentreff zum Kronprinz“, wie die Traditionsgaststätte in leicht abgewandelter Form heute heißt, hat im Mai nach jahrelangem Leerstand wiedereröffnet. Der neue Betreiber ist die extrem rechte Partei „Freie Sachsen“. Der Vorsitzende des lokalen Kreisverbandes ist Stefan Hartung, ein in der Region bestens bekannter NPD-Mann, der 2013 mit den "Schneeberger Lichtelläufen" so etwas wie den Grundstein für eine Entwicklung legte, deren Früchte er heute ernten kann.

Hartung war es, der 2013 als „Schneeberger Lichttelläufe“ verharmloste Fackelmärsche gegen die Unterbringung Geflüchteter am Rande von Schneeberg organisierte und damit als erster die Allianz zwischen Neonazi-Gruppen und der lokalen Bevölkerung auf die Straße brachte. Später kamen PEGIDA, Freital, Heidenau, Chemnitz und die ersten "Corona-Märsche".

Bei den „Freien Sachsen“ kamen später die Protagonist*innen vieler dieser Proteste zusammen. Nachdem sich die Partei durch die Telegram-Mobilisierung zu den montäglichen Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen eine breite Basis aufbauen konnte, zogen wechselnde Themen wie der russische Krieg in der Ukraine und aktuell der rassistische Protest gegen Geflüchtete zwar nicht mehr so viele Menschen wie zu Pandemiezeiten an, aber vielerorts hat sich eine feste Protestszene etabliert, die für die Partei vor allem die schnelle Verfügbarkeit eines breit gestreuten Netzwerks bedeutet. Ein Netzwerk, das sich mittlerweile über verschiedene politische Milieus erstreckt, die für die Partei leicht ansprechbar scheinen.  

Im „Kronprinz“ ist es gegen 19.30 Uhr voll. Einige Anhänger*innen sind direkt aus dem nahen Grünhain-Beierfeld gekommen. Dort machen sie seit mehreren Wochen jeden Freitag gegen eine geplante Unterkunft für Geflüchtete mobil. Das scheinbare Kontrastprogramm des Abends ist ein Vortrag des christlichen Fundamentalisten Thomas Schneider aus Breitenbrunn. Schneiders Rede zum Thema „Ein Kampf gegen Glaube, Freiheit und Ordnung“ ist jedoch nach allem, was man von draußen mitbekommt, eine bloße Wiedergabe der gleichen Parolen, wie sie in der extrem rechten Partei eh vorherrschen. In einem Atemzug schafft er es, die Themen Migration, Islam, Gender und Windkraft unterzubringen. Ohnehin steckt Schneider seit Jahren tief im (extrem) rechten Sumpf. Doch Thomas Schneider ist auch Pressesprecher des „Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e.V.“, einer Vereinigung, die mit Open-Air-Auftritten des evangelikalen Predigers Peter Hahne regelmäßig über 1.000 Menschen anzieht. Damit ist Schneider einer der für die Partei so wichtigen Multiplikatoren, wenn es darum geht, das politische Vorfeld für die Partei zu erobern.  

Großes Potenzial sehen die „Freien Sachsen“ offenbar auch in der „Reichsbürger“-­Szene. Parteichef Martin Kohlmann, selbst ein Monarchist, trat bereits mehrmals bei „Reichsbürger“-Kongressen auf. Zuletzt fand im ostsächsischen Göda ein eigener „Verfassungskongress“ statt, organisiert aus dem Umfeld der „Freien Sachsen“. Neben Martin Kohlmann waren Frank Haußner vom „Freien Thüringen“ und der umtriebige „Q-Anon“- und „Reichs“-Bewegte Hans-Joachim Müller als Redner angekündigt. 

Räume für derlei Veranstaltungen zu finden, scheint für die Partei heute keine Hürde mehr zu sein. Mehrere Gasthöfe in Sachsen sind im Besitz von Anhänger*innen oder Mitgliedern der Partei. In Schwarzenberg fungierte gar ein kommunales Gebäude, das von dem rechten Stadtrat Erik Weber gepachtet wurde, als Gründungsort der „Freien Sachsen“. Mit der prorussischen Aktivistin Alena Dirksen in Mittweida, dem erzgebirgischen Kreisverbandsvize Matthias Stiehler und dem Grimmaer Oberbürgermeisterkandidat Rainer Umlauft ist nur ein Bruchteil der Gastwirt*innen genannt, die im Namen der „Freien Sachsen“ unterwegs sind. Die meisten Veranstaltungen aus dem Dunstkreis der Partei finden derzeit in der Pension Elli Krößner in Hartmannsdorf bei Chemnitz statt. Neben Konzerten mit dem "Verschwörungsmusiker" Björn Winter („Björn Banane“) ließ Wirt Ralf Heber hier schon Veranstaltungen mit dem „Compact-Magazin“-Gründer Jürgen Elsässer, Neonazi-Kadern wie Michael Brück und Udo Pastörs oder dem mittlerweile auch bei den „Freien Sachsen“ aktiven Zwickauer Neonazi Sanny Kujath stattfinden. So dienen die Gastwirt*innen nicht nur als Garantie für jederzeit verfügbare Räume, sondern fungieren nicht selten selbst als Multiplikator*innen.  

Das größte Potenzial finden die „Freien Sachsen“ allerdings in der Wählerklientel, die die AfD in den letzten Jahren für sich erschlossen hat. Darin dürfte der eigentliche Grund liegen, aus dem die „Freien Sachsen“ insbesondere die führenden Köpfe der AfD immer wieder hart angreifen. Hier der legitimierte und integre „Bürgerwiderstand“, da die verlogenen, elitären Abgeordneten der AfD – mit diesem Bild versuchen die „Freien Sachsen“ der AfD ihr Stimmvolk abzuringen. Die AfD wiederum weiß, dass sie die „Freien Sachsen“ bisher nicht braucht und die in weiten Teilen neonazistischen Aussagen und Biografien eine Gefahr darstellen. So stehen die „Freien Sachsen“ auch weiterhin auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD.

Bei einer Diskussionsveranstaltung der AfD vor wenigen Wochen in Mittelsachsen meldete sich Christian Fischer, Initiator der völkischen Initiative „Zusammenrücken“, zu Wort und kritisierte den Unvereinbarkeitsbeschluss im Zusammenhang mit den kommenden Wahlen. Der AfD-Landtagsabgeordnete Lars Kuppi erwiderte, die Unvereinbarkeit gelte nur für den Fall, dass jemand Mitglied der AfD werden wolle. „Es wird eine Zusammenarbeit geben“, betonte Kuppi, denn auf kommunaler Ebene sei diese bereits etabliert.

Die „Freien Sachsen“ haben sich noch nicht entschieden, ob sie bei den Landtagswahlen 2024 antreten wollen und möchten erst die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Juni abwarten. Während die Partei in einer Umfrage des Instituts Wahlkreisprognose mit 2,5 Prozent zum ersten Mal in einer Befragung aufgeführt wird, dürfte eine Umfrage des Vereins „Alter Gasometer“ und der „Westsächsischen Hochschule“ in Zwickau mehr über die Stimmungslage in Sachsen aussagen: Über 20 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, das gemeinsame Demonstrieren mit „extremistischen Kräften“ müsse bei gleichen Zielen in Kauf genommen werden.  

Ein gewisser Teil dieser 20 Prozent dürfte in den aktuellen Protestmilieus bereits erschlossen worden sein und die „Freien Sachsen“ sind weiterhin bestrebt, die von ihnen vor allem über ihren Telegram-Kanal angesprochenen Menschen an sich zu binden und zu radikalisieren. Während die Partei sich während der "Corona-Proteste" mit eindeutig neonazistischen Aussagen noch zurückhielt, werden der Gefolgschaft heute T-Shirts mit Aufdrucken wie „Jugend ohne Migrationshintergrund“ angeboten. Auch besonders extrem auftretende Parteikader haben inzwischen freie Hand. Der ehemalige NPD-Kreisverbandsvorsitzende Max Schreiber aus Heidenau legitimiert auf seinen Demonstrationen mittlerweile regelmäßig Selbstjustiz gegen staatliche Institutionen und Geflüchtete und der aus Schleswig-Holstein ins erzgebirgische Stützengrün gezogene Parteivertreter Sören Schlesiger flog zuletzt aus dem Neonazi-Chat „Rock Hate Forum“, weil er einen Kameraden als „Auschwitzfutter“ bezeichnet hatte. In der Partei werden stetig die Grenzen des Sagbaren ausgeweitet.

Das passiert auch im „Kronprinzen“ in Aue. Neben regelmäßigen Öffnungszeiten an drei Wochentagen mit Feierabendbier und günstigem Essen finden mittlerweile auch Liederabende von Neonazi-Musikern statt. Frank Rennicke und der Zwickauer Liedermacher Maik Krüger alias „FreilichFrei“ waren schon da.

Die „Freien Sachsen“ präsentieren sich heute gern unverwundbar. Nachdem die Partei ihr Chemnitzer Büro im Stadtzentrum in den letzten Jahren noch bunt bemalt hatte, um von den mehrmaligen Farbattacken abzulenken, strich sie es in diesem Jahr von außen schneeweiß. „Uns kann niemand etwas anhaben“ ist die Nachricht nach außen. Und mit jedem Tag, den sie recht behält, geht sie einen Schritt weiter nach vorn.