Extreme Rechte & "heißer Herbst"
Die extreme Rechte wollte mit einem „heißen Herbst“ Gewerkschaften und linken Gruppen die soziale Frage streitig machen.
Ende August 2022 hatte das rechte „Compact“ Magazin zum Sommerfest auf das Anwesen des ehemaligen AfD Chefs von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg in Stößen geladen. Über Stunden trat im Festzelt auf, was in der (extremen) Rechten im Dreieck zwischen AfD, Querdenken und „Freie Sachsen“ einen Namen hat. Redner wie Jürgen Elsässer, Anselm Lenz und Hans Thomas Tillschneider schworen die Anwesenden auf die kommende Protestwelle ein. An rhetorischen Floskeln, die einen Brückenschlag zum linken politischen Spektrum suggerierten, fehlte es nicht. Es gelte, „vernünftig rechts und vernünftig links“ politisch zusammen zu führen. Insbesondere Sarah Wagenknecht gilt das Werben rechter Protagonisten. Das „Compact“-Magazin umschmeichelt die vormalige LINKE Fraktionschefin regelmäßig als Stimme der Vernunft in der Linken.
Zuletzt lud der Magdeburger AfD Fraktionschef Oliver Kirchner Wagenknecht öffentlichkeitswirksam zu einer Kundgebung der Partei in Magdeburg ein. Wagenknecht kam natürlich nicht. Doch insbesondere ihre Positionen zu den Themen Migration, Russland Sanktionen oder ihre Sicht auf die gesellschaftliche Repräsentanz von Minderheiten weisen Schnittmengen mit denen der AfD auf.
Anfang September 2022 war es dann soweit. Neben Die LINKE hatten auch die „Freien Sachsen“ in Leipzig eine Demonstration am gleichen Ort angemeldet. Doch der Versuch der feindlichen Übernahme der versammelten extrem rechten Aktivisten um Götz Kubitschek, Nicolai Nerling, Alexander (Malenki) Kleine, Martin Kohlmann und den Dresdner "Ufo-Rechtsanwalt" Jens Lorek1 scheiterte an der Entschlossenheit von Antifaschist*innen, die das Einsickern von Teilnehmer*innen der rechten Demonstration in die Kundgebung der Linken zu verhindern wussten. Dass die Rechten mit ihrer Intervention bei der Leipziger Montagsdemonstration vorerst gescheitert sind, bedeutet nicht, dass sie es andernorts, wo die Ausgangsbedingungen für linke Gruppen schwieriger sind, nicht erneut versuchen.
Rechte Strategen wie der Autor und „Antaios“ Lektor Benedikt Kaiser entwickelten bereits im Juli im Podcast der rechten Kampagnenagentur „Ein Prozent“ Szenarien, in denen die extreme Rechte zumindest in den Hochburgen der AfD in Ostdeutschland die Deutungshoheit über die Proteste gegen Inflation und steigende Energiepreise erlangen könnte. Ein Schlüssel dazu soll die in Ostdeutschland breit mehrheitsfähige Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland und für die Öffnung der Gaspipeline Nordstream 2 sein. Mit beiden Forderungen mobilisiert die AfD seit Anfang September 2022 zu Kundgebungen und Demonstrationen, und de-thematisiert damit zugleich die Frage der Regulierung der Energie Märkte, der Besteuerung von Konzernen und der Deckelung der Verbraucherpreise.
Die Gleichzeitigkeit von Energiekrise, sich abzeichnender Wirtschaftskrise und der sich daraus ergebenden steigenden Armut begreift die extreme Rechte als Chance, rechtsautoritäre Konzepte in jenem Moment umzusetzen, in dem in Staat und Gesellschaft aufgrund der multiplen Krisen ein Verlust an sozialer Stabilität eintreten sollte.
Von jeher ist der Ausnahmezustand eines der politischen Lebenselixiere der extremen Rechten. In einem solchen erweise sich, so die an Carl Schmitt angelehnte Denkweise, welche politischen Akteure über reale Macht und Durchsetzungsvermögen verfügten. Ein politisches Szenario für die Anforderungen an eine extremen Rechte im Falle einer Staatskrise legte der Politikwissenschaftler und Autor der rechten Monatszeitschrift „ZUERST!“, Manfred Kleine-Hartlage 2020 im „Antaios“ Verlag2 vor. Darin führt er die seit Jahrzehnten aus der extrem rechten Publizistik zu vernehmende Klage über ein angeblich in Politik und Gesellschaft herrschendes „Kartell“ der Macht des Linksliberalismus fort, welches Deutschland zu Grunde richte. Dessen Macht sei durch die genannten Krisen und die zu erwartenden sozialen Unruhen gefährdet, was dazu führe, dass das „Kartell“ zur Machtsicherung bereit sei, demokratische Regeln außer Kraft zu setzen oder am Ende blanke Gewalt anzuwenden. Im Falle, die Herrschenden delegitimierten sich auf diese Art, müsse die Rechte handlungsfähig sein, um die Krise in ihrem Sinne zur Durchsetzung rechter Politiken zu nutzen.
Volksgemeinschaft in neuem Gewand: "Solidarischer Patriotismus"
Es sind die dem „Flügel“ - also der (neo)faschistischen Pressuregroup der AfD- zuzurechnenden ideologischen Köpfe, die der Krise der Neoliberalismus einen "solidarischen Patriotismus" entgegensetzen. Der Konzeptansatz, den Benedikt Kaiser, ehedem Chemnitzer Neonazi-Aktivist und im ultra-rechten „Institut für Staatspolitik“ (IfS) mit der Analyse linker Gegner befasst, aus französischen und italienischen Kontexten auf Deutschland angewandt sehen will, nennt sich „Solidarischer Patriotismus“3 .
Buchstabiert wird hier ein völkischer Antikapitalismus, der verbal gegen die neoliberale Globalisierung keilt, und den ethnischen Nationalstaat als schützenden Hafen sozialer Wohlfahrt preist. Kaisers „Solidarischer Patriotismus“ rührt eine Mixtur aus neo-keynesianischer Nationalökonomie und brauner Volksgemeinschaftsideologie an. Es ist Björn Höcke, der diesen Konzeptansatz gern in Realpolitik übersetzt sehen möchte, und postuliert, die AfD sei keine neoliberale Partei, sondern die des „Solidarischen Patriotimus“, der Rentner, Arbeiter und Angestellte sozial besser stellen wolle – wenn sie ethnische Deutsche sind.
Die Rolle der AfD
Von der Mobilisierung sozialen Protests erhofft sich die AfD in den ostdeutschen Bundesländern zu profitieren. Bereits im Zuge der Corona Proteste agierte die AfD mit einer Doppelstrategie. Mal trat sie offen als Organisatorin von Protesten auf und führte diese an. Mal war sie innerhalb dieser Proteste offiziell unsichtbar, aber über einige ihrer Funktions- und Mandatsträger durchaus präsent. Mit ihrer Kampagne zum „heißen Herbst“ wird die AfD versuchen, sich erneut als Bewegungspartei zu profilieren. Dabei steht sie in konkurrierender Kooperation mit den „Freie Sachsen“, die als rechte Sammlung in Sachsen erfolgreich mobilisieren. Ihren Resonanzraum erweitern könnte die AfD über die Proteste der Handwerker und mittelständischen Betriebe, die aufgrund der steigenden Energiepreise in existentielle Nöte geraten. Gelingt es, deren Artikulation in den Kontext der AfD zu stellen, erschließt die Partei eine gewichtige Mobilisierungsressource.
Wer geht mit wem auf die Straße?
Die Frage, wie mit Neonazis und extrem rechten Aktivisten bei sozialen Protesten umzugehen sei, stellte sich bereits im Jahr 2004 bei den Protesten gegen die Hartz IV Gesetzgebung. An den damaligen Protesten, die zehntausende Menschen mobilisierten, beteiligten sich in Ostdeutschland auch Neonazis. Antifa Gruppen versuchten damals, Neonazis von den Protesten zu vertreiben, oder wenigstens ihren Wirkungskreis einzuschränken. Dies gelang in den Regionen mit wechselndem Erfolg, in dem Neonazis geoutet, und auf Demos isoliert wurden. Gleichwohl löste die Präsenz von Neonazis bei den Hartz IV Protesten innerhalb antifaschistischer Strukturen die Debatte aus, ob es sinnvoller sei, sich gänzlich zurückzuziehen und auf ein antifaschistisches Recherche Monitoring zu beschränken. Es ist absehbar, dass diese Debatte zurückkehrt.
Die im September 2022 begonnenen Demonstrationen in den ostdeutschen Bundesländern mögen mit Blick auf die Zahl der Teilnehmenden und der Orte beeindrucken. Sie bleiben bisher jedoch deutlich hinter den Veranstaltungs- und Teilnehmerzahlen zu Hochzeiten der "Corona-Proteste" im Winter 2021 zurück. Jene, die jetzt protestieren sind ihrer Herkunft nach weitgehend identisch mit denen, die Träger der "Corona-Proteste" waren. Dabei handelt es sich um einen politisch rechts motivierten Protestkern, dessen Umfeld sich erweitern dürfte, wenn dort Positionen vertreten werden, die politisch breiter anschlussfähig sind. Dies ist etwa bei der Forderung nach dem Ende der Russland Sanktionen und der Öffnung von Nordstream 2 der Fall.
Eine Schlüsselrolle für die Erweiterung des Protestmilieus dürfte den Handwerkern zukommen. Deren Betriebe geraten durch Energiekrise und Inflation in existentielle Not. Zugleich repräsentieren sie den gesellschaftlichen Resonanzraum des unteren Mittelstandes, also der Kleinbourgeoisie, den die extreme Rechte traditionell adressiert.
Mitte September 2022 startete die AfD ihre Kampagne zum „heißen Herbst“ unter dem Motto „Unser Land zuerst“. In den ostdeutschen AfD Hochburgen setzt die Partei dabei auf mehr als nur Plakatkampagnen. Die Hegemonie über den Charakter der Straßenproteste will die Partei halten, in dem sie arbeitsteilig mit ihrem politischen Vorfeld in den Kleinstädten und Regionen vorab choreografierte Protestformen schafft, die keinen Raum für linke Deutungen lassen. Die Voraussetzungen dafür sind in Ostdeutschland günstig, da die Partei hier in der Gesellschaft als normaler politischer Akteur angesehen wird.
Deshalb gilt es, in Protestbündnissen auf eine Abgrenzung zu rechten Akteuren zu dringen, deren Argumentation gerade im Hinblick auf die Sanktionspolitik gegenüber Russland zu dekonstruieren, und eine solidarische Multiperspektivität zu vertreten, die Interessengruppen mitdenkt, die die Bundespolitik unberücksichtigt lässt. Wer sich an Protesten beteiligt, muss die Teilnahme von Neonazis an diesen erwarten, sich darauf vorbereiten und jeweils vor Ort prüfen, wie linke Politikangebote kommuniziert werden.