Die Deutsche Besatzung der Ukraine im Zweiten Weltkrieg
Sofort nach Beginn des Ukraine Krieges im Februar 2022 begannen die schiefen historischen Vergleiche zum Thema Nazismus, Nazi-Kriegsverbrechen und Deutsche Besatzung der Ukraine im Zweiten Weltkrieg auf allen Seiten. Was war die tatsächliche historische Realität unter der deutschen Besatzung in der Ukraine?
Sofort nach Beginn des Ukraine Krieges im Februar 2022 begannen die Vergleiche. Den Auftakt machte der russische Präsident Wladimir Putin: Der Angriff auf die Ukraine geschehe aus Selbstverteidigung und als Schutz für die von einem Genozid bedrohte Bevölkerung im Donbass. Ziel sei u.a. eine „Entnazifizierung“ der Ukraine, denn Neonazis hätten in der Ukraine die Macht übernommen. Der Angriff auf die Ukraine wurde somit als Wiederkehr des großen Vaterländischen Krieges gegen Nazi-Deutschland inszeniert.
Doch schiefe historische Vergleiche sind kein Alleinstellungsmerkmal allein von Putin. „Jetzt erleben wir die Rückkehr des imperialen Eroberungskrieges. Und der ähnelt in vielen Orten dem Vernichtungskrieg von SS und Wehrmacht gegen die Sowjetunion“ kommentierte der außenpolitische Sprecher der Grünen, Jürgen Trittin, Anfang Mai 2022. Die FAZ titelte: „Wie man einen Vernichtungskrieg über- lebt“ – und auch der ukrainische Präsident Selenskyj zieht regelmäßig Parallelen zum Zweiten Weltkrieg. In seiner Rede zum 8. Mai 2022 verglich er die Zerstörung von Mariupol mit der Vernichtung europäischer Städte durch nazideutsche Bomben, das Massaker von Butscha wird in eine Linie mit den Nazi-Kriegsverbrechen im französischen Oradour und im tschechischen Lidice gestellt. Bilder von Wehrmachtssoldaten werden in Videos zusammen mit Bildern von russischen Soldaten gezeigt. Selenski betonte, die Russen würden versuchen ihre „Lehrer“, gemeint sind die Nazis, zu übertreffen.
Nazivergleiche scheinen also auf beiden Seiten zur Standardausstattung der jeweiligen Propaganda zu gehören. Aber: Was war die tatsächliche historische Realität unter der deutschen Besatzung in der Ukraine?
Unternehmen Barbarossa
Am 22. Juni 1941 Juni griff die Deutsche Wehrmacht die Sowjetunion an. Der Front folgten sogenannte „Einsatzgruppen“, die gezielt Opposition und Minderheiten erschossen. Juden, Roma, Behinderte - die „Shoah durch Kugeln“ erfolgte in der Ukraine nicht mit Gaskammern, sondern durch diese Einsatzkommandos. In der Ukraine wurde den Nazis klar, dass eine Ermordung aller Jüdinnen und Juden Europas im Bereich des Möglichen lag. Bis 1945 starben so ca. acht Millionen Ukrainer_innen, darunter fünf Millionen Zivilist_innen und davon über eine Million Jüdinnen und Juden.
Jedoch sahen viele Ukrainer_innen die Deutschen anfangs als willkommene Befreier gegen die sowjetischen Besatzer an. Gerade in der Westukraine war Kollaboration weit verbreitet. In den ersten Monaten unterstützten ca. 200.000 ukrainische Hilfspolizisten die Deutschen, von denen mindestens 40.000 unmittelbar an den Erschießungen jüdischer Menschen teilgenommen haben.
Dabei konnten die Deutschen auf anti-jüdische Vorurteile eines Teils der ukrainischen Bevölkerung aufbauen. Als die Wehrmacht nach der Flucht der Roten Armee hunderte Leichen von ukrainischen Nationalisten in Gefängnissen und Massengräbern vorfand, die der sowjetische Geheimdienst NKWD kurz vor dem Abzug erschossen hatte, war dies der willkommene Anlass zu Pogromen.
Aryeh Klonicki, ein Jude aus Kowel, schrieb in sein Tagebuch am 7. Juli 1943: „Die Deutschen, denen sich Ukrainer anschlossen, gingen von Haus zu Haus, um nach Juden zu suchen. [...] Auf diese Weise kamen etwa 5000 Menschen zu Tode“. Zeugen aus Brzezany, beschrieben: „Scharen ukrainischer Bauern, meist junge Leute, welche gelb-blaue Fahnen mit dem ukrainischen Dreizack trugen, füllten die Straßen. [...] Die Leute gaben dem NKWD und den Juden die Schuld. [...] Der größte Teil der Juden [...] wurde mit Besenstielen ermordet, an denen Nägel befestigt waren.“ Tausende wurden so in den ersten Kriegswochen durch Massaker umgebracht. Der bekannteste ukrainische Nazi- Kollaborateur und Antisemit war Stepan Bandera, der hoffte mit seiner eigenen nationalistischen Bewegung und mit Unterstützung des Deutschen Reichs einen eigenen faschistischen Staat gründen zu können. In der Westukraine fielen zigtausende polnische Zivilist_innen und Jüdinnen und Juden dieser Rebellenarmee zum Opfer.
Aber: Die Deutschen hatten nie vorgehabt der Ukraine eine eigene Unabhängigkeit zu gewähren. Der eroberte „riesenhafte Kuchen“ sollte beherrscht, verwaltet und unter deutschem Oberbefehl ausgebeutet werden. Die Ukrainer_innen wurden, wie fast alle Bewohner_innen Osteuropas, als „Untermenschen“ angesehen, denen eine eigene Existenzberechtigung abgesprochen wurde. Besatzung, Ausplünderung, Vertreibung, Mord und Sklavenarbeit waren das Programm Deutschlands für die besetzte Ukraine. 64 Prozent der Ukrainer_innen sollten nach Sibirien deportiert werden. Damit sollte die Basis dafür gelegt werden, die Ukraine langfristig zu „germanisieren“ und nur jene Ukrainer_innen im Land zu lassen, die der Deutschen Besatzung als Sklavenarbeiter_innen nützlich sein würden. Circa eine Million Ukrainer_innen wurden für Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht.
Deutsche Kriegsverbrechen
Die größte und bis heute bekannteste Mord-Aktion in der Ukraine: Babi Jar: Am 29. September 1941 trieben die Deutschen alle jüdischen Einwohner_innen Kiews vor die Stadt in eine Schlucht. Tagelang erschossen sie dort Männer, Frauen und Kinder. Innerhalb von nur drei Tagen wurden 33.700 Menschen massakriert. Die Schlucht wurde zur zentralen Mordstelle der Region, wo auch Roma hingebracht und erschossen wurden. Schicht um Schicht von menschlichen Körpern stapelten sich übereinander. Die Schlucht wurde anschließend von Wehrmachtseinheiten gesprengt, in den letzten Kriegsmonaten wurden jüdische Sonderkommandos gezwungen die Leichen wieder auszugraben und zu verbrennen, um Beweise zu vernichten.
Sowjetische Kriegsgefangene, von denen sehr viele Ukrainer_innen waren, wurden gezielt verhungert gelassen.
Doch neben Jüdinnen und Juden und Kriegsgefangenen machten die Deutschen auch vor ukrainischen Zivilist_innen nicht halt. Am 1. März 1943 umstellten SS-Einheiten und ungarische Einheiten als Vergeltung für einen Partisanenangriff die Siedlung Korjukiwka. Alle 6.700 Einwohner _ innen wurden ermordet – neben Erschießungen wurden viele in Theater und Restaurants getrieben, die dann angezündet wurden. Unter den Ermordeten waren auch über 700 Kinder. Über 1.000 Häuser wurden in nur zwei Tagen zerstört. Korjukiwka war damit das größte Massaker an einer nicht- jüdischen Bevölkerung während des gesamten Zweiten Weltkriegs.
Am Ende der circa drei Jahre andauernden deutschen Besatzung hatte jede_r vierte Ukrainer_in durch Mord oder Hunger sein Leben verloren. Bandera wurde, nach anfänglicher Kollaboration, im KZ Sachsenhausen inhaftiert um jegliche nationalistische Eigenständigkeit der Ukraine zu zerschlagen. Über 40 Denkmäler gibt es heute für Bandera in der Ukraine, eine der größten Straßen in Kiew wurde 2016 nach ihm benannt.
Der Krieg der russischen Armee gegen die Ukraine ist grausam, die Begründung für den Einmarsch fadenscheinig. Doch von den Verbrechen während der Deutschen Besatzung sind beide Seiten meilenweit entfernt. Weder gab es einen Genozid im Donbass, noch systematische Massenmorde durch russische Truppen. Sah Deutschland die Menschen der Ukraine als „slawische Untermenschen“ denen keine Gnade gewährt werden sollte, sind diese für Russland im aktuellen Krieg „nur“ gewöhnliche Feinde, die besiegt und unterworfen, aber nicht physisch vernichtet werden sollen. Jegliche Vergleiche mit den NS-Verbrechen laufen so auf eine Verniedlichung der deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs hinaus.
Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland.
Literatur:
• Mark Mazower: Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Bonn 2010.
• Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. Verfolgung und Vernichtung 1933-1945. Bonn 2006.
• Die tödliche Utopie. München 2008.