Ausbreitung von Transfeindlichkeit
Veronika KracherEin Gespenst geht um im Westen – das Gespenst der Transgeschlechtlichkeit. Und alle Mächte der Cisnormativität haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, „Radikalfeministinnen“ und Bürgerlich-Konservative, die AfD und Querdenker*innen, rechtsradikale Trolle und Neonazis.
(Dieser Artikel thematisiert Transfeindlichkeit, als auch transfeindliche Gewalt)
Einer von denen, die sich ganz besonders gegen das Gespenst Transgeschlechtlichkeit engagieren, ist der rechtsradikale Kommentator und selbsternannte „theokratische Faschist“ Matt Walsh. Raum dafür bekommt er in Deutschland in der „Welt“, einer der größten Tageszeitungen des Landes. Dort wurden Walsh und seinem Film „What is a Woman“ am 06.09.2022 ein Artikel von zehn Minuten Lesedauer eingeräumt. Nun, es könnte sich auch um einen kritischen Artikel handeln, der thematisiert, dass Walshs Film von dem rechtsradikalen News Outlet „The Daily Wire“ finanziert wurde für das Walsh als Host arbeitet. Dass Walsh das antisemitische Verschwörungsnarrativ des „Großen Austausch“ vertritt. Oder dass er seine Karriere seit Jahren darauf aufbaut, transgeschlechtliche Menschen anzugreifen und zu dämonisieren (selbst Kinder bleiben nicht von seiner Propaganda verschont, mit „Johnny, das Walross“ hat er ein transfeindliches Kinderbuch publiziert). Dies artikuliert sich unter anderem, so die auf die US-amerikanische christliche Rechte spezialisierte Historikerin Annika Brockschmidt, in: „dem Vergleich von geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei trans Kindern und Jugendlichen mit sexueller Gewalt oder dem von Ärzt*innen, die diese Maßnahmen anbieten mit Nazi-Wissenschaftler*innen.“ Zudem fordert Walsh, so Brockschmidt, sowohl „Konversiontherapie“ für transPersonen, als auch die Kriminalisierung von geschlechtsangleichenden Operationen. Kurzum handelt es sich bei dem Jourrnalisten um wenig anderes als einen transfeindlichen Rechtsradikalen. Nun ist der Artikel über Walsh jedoch nicht kritisch, sondern im Gegenteil ausgesprochen affirmativ. Der Autor wird in dem sich immer wiederholenden neurechten Jargon als mutiger Kämpfer gegen eine linke „Cancel Culture“ inszeniert, die Schuld daran trägt, dass der Film von US-Medien außerhalb des rechten Randes weitestgehend unbesprochen blieb.
Dieser Text könnte als Ausrutscher verstanden werden – wären da nicht die dutzenden anderen Artikel, die in eine ähnliche Richtung gehen und die Inhalte von Walshs Film deckungsgleich wiedergeben. Diese lassen sich auch bei zahlreichen anderen bürgerlichen Zeitungen wie der FAZ oder NZZ, als auch bei den bürgerlichen Feministinnen von EMMA finden: das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es Männern, in Frauenräume einzudringen (als ob Männer, die sich Frauen gegenüber übergriffig verhalten wollten, zuerst den Personenstand wechseln würden)! Der Frauensport ist in Gefahr (nennen Sie mir drei transgeschlechtliche Olympia-Sportlerinnen)! Unsere Kinder werden von der Trans-Lobby indoktriniert (die omnipräsente Normalisierung patriarchaler Zweierbeziehungen ist hingegen vollkommen in Ordnung)!
Reaktionäre Bündnisse gegen „Cancel Culture“
Salonfähig war die strukturelle und konkrete Diskriminierung von transgeschlechtlichen Menschen eigentlich schon immer. In den letzten Jahren nimmt das Ausmaß des Hasses, den trans- inter- und nichtbinäre Menschen ertragen müssen, jedoch eine erschreckende neue Form an. Diese organisiert sich sowohl virtuell, als auch auf der Straße und bringt mitunter auf den ersten Blick recht überraschende Bündnisse mit sich, wie zwischen selbsternannten „Feministinnen“ und Menschen, die wirken als würden sie ihre Zeit auf einem rechtsradikalen Imageboard wie „Kohlchan“ totschlagen.
Oftmals wird Biologie als Legitimation der eigenen Transfeindlichkeit herangezogen, wie bei der Marinebiologin Marie-Luise Vollbrecht, deren Vortrag zu einer vermeintlichen Zweigeschlechtlichkeit an der langen Nacht der Wissenschaften der Humboldt-Universität Berlin nach Protesten abgesagt und dem anschließend unausweichlichen Lamento über die „Cancel Culture-Diktatur“ einer queeren „Woko Haram“ medienwirksam wiederholt wurde. Begleitet wurde das ganze Debakel einerseits von zahlreichen empörten Zeitungsartikeln über hysterische Queerfeminist*innen, andererseits von einer permanent befeuerten Twitter-Kampagne, die eine transfeindliche Aktivistin wie Vollbrecht als unschuldiges Opfer versuchte zu inszenieren. Bewusst verschwiegen wird dabei, dass die biologistisch geführte Debatte um „zwei Geschlechter“ nichts anderes ist als ein ideologischer Kniff, trans Menschen die Betroffenheit von struktureller Gewalt, als auch das Recht auf Existenz abzusprechen.
Autoritäre Revolte
Der aktuelle transfeindliche Diskurs lässt sich als Form der „autoritären Revolte“ verstehen. Transfeind*innen inszenieren sich selbst als widerständige Kämpfer*innen gegen eine übermächtige Trans-Lobby, die den herrschenden politischen Diskurs fest in der Hand hat. Denn das Selbstbild Underdog, der sich auch noch „Frauenrechte“ auf die Fahnen geschrieben hat, – und dabei gänzlich ignoriert, dass trans Kämpfe inhärent feministisch sind, schließlich geht es unter anderem um den Kampf gegen eine biologistische, patriarchale Körper- und Reproduktionspolitik – ist nämlich um einiges angenehmer als das eines Bullies, der vulnerablen Menschen das Leben so schwer wie möglich macht.
Transfeindlichkeit ist keine subversive Gegenstimme, sondern in großen Teilen der Welt institutionalisiert, auch im Westen. In den USA, wo gerade auf allen Ebenen ein Krieg gegen progressive Errungenschaften geführt wird, zählt der Kampf gegen Transrechte zu einem der wichtigsten Programmpunkte der Republikanischen Partei. In republikanischen Staaten wie Iowa, Arizona oder Tennessee wurden in den letzten Monaten zahlreiche Gesetze erlassen, die beispielsweise verbieten, dass im Unterricht über queere Identitäten gesprochen wird, oder dass trans Kinder die Toiletten ihrer Wahl benutzen dürfen. Ron de Santis, Gouverneur von Florida, führt einen regelrechten Krieg gegen trans Menschen, mit dem Ziel, geschlechtsangleichende und trans-freundliche Maßnahmen generell zu kriminalisieren.
Hass gegen trans Menschen verbleibt selten im Internet oder in Zeitungen
Das Verschwörungsnarrativ einer reichweitenstarken und finanziell bestens ausgestatteten „Translobby“ erweist sich bei einem genaueren Blick übrigens primär als Projektion. Zum Glück gibt es inzwischen zunehmend Gesetze, die trans Menschen z.B. das Recht auf Personenstandsänderung oder entsprechende Operationen garantieren als auch Schutz vor transfeindlicher Diskriminierung bieten. Dennoch ist die strukturelle Unterdrückung von trans Menschen nach wie vor gewaltig: geschlechtsangleichende Maßnahmen sind teuer, transfeindliche Gewalt ist virulent und wird selten juristisch geahndet, trans Personen werden, so die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, überproportional im Arbeitsleben diskriminiert.
Nachdem der Account „Libs of TikTok“, dessen Inhalte primär darin bestehen dass die Betreiberin Jugendliche auf der Videoplattform queerfeindlich angreift und pathologisiert, hatte die Falschinformation verbreitet dass das Kinderkrankenhaus in Boston geschlechtsangleichende Maßnahmen an Jugendlichen durchführen würde. Kurze Zeit später erhielt das Krankenhaus mehrfach Bombendrohungen – mutmaßlich von Menschen, die sich „Kindeswohl“ auf die Fahnen schreiben. Ein anderes Beispiel für transfeindliche Gewalt ist das Doxxing-Forum „Kiwi Farms“, das an zahlreichen Hass-Kampagnen gegen transMenschen beteiligt war und für mindestens drei Suizide zu verantworten ist. In Deutschland ist der Mord an dem transMann Malte der traurige Höhepunkt der transfeindlichen Stimmungsmache der letzten Monate.
Ähnlich wie der Antifeminismus fungiert Transfeindlichkeit als Brückenelement zwischen der bürgerlichen Mitte und dem rechten Rand. Das gesellschaftlich breit akzeptierte Ressentiment gegen trans Personen mündet regelmäßig in dem antisemitischen Raunen einer bestens finanzierten „Lobby“, die nichts anderes im Ziel hat, als ihren gesellschaftlichen Einfluss zu vergrößern, Kinder zu indoktrinieren und letztendlich den Untergang der weißen, bürgerlichen Kleinfamilie herbeizuführen.
Gerade der Hass auf transMenschen zeigt, wie wenig Skrupel eine vermeintlich bürgerliche Mitte hat, was den Schulterschluss mit dem rechten Rand angeht – weswegen der Aktivismus gegen Transfeindlichkeit notwendiger Bestandteil antifaschistischer Kämpfe sein muss.