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„Die letzten Männer des Westens“

Einleitung

Interview mit dem Autor Tobias Ginsburg zu den Themen Antifeminismus, (extreme) Rechte und Transfeindlichkeit.

 

Foto: Michael Grössinger; CC BY-NC-ND 2.0

Lesung „ARGEkultur“ (Salzburg, Österreich) am 12. November 2018 mit Tobias Ginsburg.

AIB: Du hast für dein Buch „Die letzten Männer des Westens“ fast anderthalb Jahre undercover in Gruppierungen der extremen Rechten und radikaler Antifeministen recherchiert. In wie weit sind hier Extreme Rechte, Männlichkeitsideologie und die Ablehnung bzw. Unterdrückung jeglicher sexuellen Diversität miteinander verbunden?

Ginsburg: Immens. Es ist kein Zufall, dass sich der rechte Kampf gegen Demokratien und offene Gesellschaften so oft zunächst gegen die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten richtet. Das ist eine altbewährte Praktik: Antifeminismus, Misogynie und Hass auf queere Menschen, zusammen mit der Sehnsucht nach einer „traditionellen“ Männlichkeit und Geschlechterverhältnissen von vorvorgestern, das sind ganz zentrale Ideologeme extrem rechten Denkens. Es beinhaltet ein flirrendes Versprechen von Macht: die Rückkehr in eine nostalgische und gänzlich fiktionale Weltordnung, in der jeder Typ, wenn er nur hart genug den Macker markiert, auch über Macht verfügt. In gewisser Weise ist das auch einfach grundsätzlich das Versprechen des Patriarchats: Jetzt kriegst du vielleicht noch aufs Maul, aber irgendwann bist du oben und darfst runtertreten! Es ist also nicht verwunderlich, dass politischer Männlichkeitswahn als Instrument der rechten Radikalisierung so gut funktioniert. Damit erreicht man allerhand wütende und gekränkte Männer, und zwar aus so ziemlich allen gesellschaftlichen Schichten und Klassen.

AIB: Wie präsent ist das Ziel einer starren und binären Geschlechterzuweisung in rechten und konservativen Netzwerken?

Ginsburg: Klar ist das sehr präsent. Das Festhalten an Hierarchien und Beschwören vermeintlich natürlicher Ordnungen ist für rechte und rechtskonservative Ideologien konstitutiv, und Genderrollen sind da ganz zentral. Allerdings gibt es selbst in verschiedenen Gruppierungen der extremen Rechten große Unterschiede, was als „echte“ Männlichkeit und Weiblichkeit verstanden wird. In der organisierten Neonazi-Szene gibt es etwa durchaus Frauen in wichtigen Führungspositionen und man kann auf gewaltbereite Aktivistinnen treffen, die dem Bild kriegerischer Walkyren nacheifern. In weiten Teilen der sogenannten „Neuen Rechten“ hingegen werden Frauen als Gebärmaschinen und Haussklavinnen wahrgenommen. Die Art wie dort intern über Frauen gesprochen wird ist wirklich schwer erträglich, dabei versucht die „Neue Rechte“ sich nach außen krampfhaft als irgendwie modern zu inszenieren. Und auch bezüglich der Männlichkeitsideale gibt es innerhalb der Bewegungen Unterschiede, und auf meinen Undercoverrecherchen musste ich sehr verschiedene Männlichkeitsperformances hinlegen - vom pseudointellektuellen Schnösel über den dauerkirchernden Troll bis zum hyperaggressiven Fressenpolierer. Aber die archaischen Attribute „echter Männlichkeit“ bleiben immer dieselben: hart und resilient muss Mann sein, immer Macher, immer Täter – den Schwachen und der Schwäche begegnet man mit Verachtung und Gewalt.

AIB: Auf welche nationalen und internationalen Netzwerke bist du gestoßen, die den Kampf gegen eine obskure „Translobby“ vorantreiben?

Ginsburg: Das Narrativ von vermeintlichen Trans- oder Homolobbys und deren düsteren Machenschaften finden sich im Kern rechtsreaktionärer Bewegungen auf dem halben Globus. Ob ich nun in der US-amerikanischen Alt Right oder klerikalfaschistischen Strukturen, in der maskulistischen Red-Pill-Szene oder im Netz der sogenannten „Neuen Rechten“ rumgeschnüffelt habe - diese Talking Points sind zentral. In der letzten Dekade haben sich rechte Narrative und antidemokratische Strategien weltweit angeglichen - und so ist auch das Sprechen von einer „Translobby“ Teil weiterer Narrative und Feindbilder. Dazu gehört auch das Geraune von einer kulturmarxistisch-feministischen Verschwörungen oder von orchestrierter Degeneration und Verweiblichung, Erzählungen, die an antisemitische Verschwörungsmythen anknüpfen. Sie sind der Klebstoff, der christlich-fundamentalistische Netzwerke mit der extremen Rechten verbindet, und zugleich erreichen sie auch das Bürgertum.

Das ist vermutlich das Erschütterndste daran: Man muss sich wirklich nicht erst bei irgendwelchen Faschos oder Fanatikern einschleichen, um von „Translobbys“, „Verweiblichung“ oder dem Untergang „traditioneller Familien“ zu hören – Narrative, die vor zehn Jahren meist nur vom rechten und fundamentalistischen Rand zu hören waren, sind heute in großen Tageszeitungen und Bestsellern zu lesen, die haben sich in der sogenannten Mitte der Gesellschaft breitgemacht.

AIB: Wie würdest Du den realpolitischen Einfluß von den Netzwerkern von "Ordo Iuris" und "Agenda Europa" einschätzen?

Ginsburg: Die polnische Organisation "Ordo Iuris" ist ein rechtsextremer und christlich-fundamentalistischer „Think Tank“, bei dem ich mich als vermeintlicher AfD-Politiker eingeschmuggelt habe. Sie ist eine treibende Kraft hinter der anhaltenden Offensive gegen die Rechte von Frauen und queeren Menschen, war federführend bei Kampagnen und Gesetzentwürfen wie dem Abtreibungsverbot oder den sogenannten „LGBT-freien Zonen“, zu denen sich ein Drittel des Landes bekannt hat. Der realpolitische Einfluss ist also bestürzend groß: Die Organisation arbeitet mit dutzenden angeschlossenen Anwaltskanzleien zusammen, hat direkte Verbindungen in die Regierung, ans oberste Gericht, die Ministerien und Regionalverwaltungen. Zugleich sind sie aber eingebettet in das eben schon angesprochene transnationale Netzwerk aus rechtsradikalen und christlich-fundamentalistischen Gruppierungen, das von US-amerikanischen Evangelisten über Brüssel bis zu Kremlnahen Oligarchen reicht.

In den letzten zehn Jahren fand eine zunehmende Öffnung der rechten, religiösen Sphäre hin zu rechtsextremen und ultra-konservativen Akteuren statt. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der "World Congress of Families", ein jährliches Schaulaufen der religiösen Rechten, zu dem zusehends einflussreichere Politiker*innen und Regierungsmitglieder aus aller Welt auftauchen, oder auch das große europäische Lobby-Netzwerk "Agenda Europe", das von 2013 bis 2018 seine Existenz mehr oder minder geheim halten konnte: über hundert antifeministische Organisationen aus 30 Ländern, Verbindungen in den Vatikan und zur EU. Deren Einfluss ist also offenkundig, ihre Absichten, der Kampf gegen Menschenrechte und offene Gesellschaften auch. Dabei wurden mir bei meinen Recherchen in Polen allerdings nicht nur Einblicke in diese düsteren Netzwerke gewährt, sondern ich bekam eine regelrechte Strategieberatung. Ja, die Menschen mit denen ich sprach waren überzeugt von ihrem rechtschaffenen Kampf gegen Kulturmarxismus, Feminismus und „Degeneration“ – aber sie wussten zugleich sehr genau, dass dieses Glaubensbekenntnis eine mächtige Waffe ist. Dass es adaptierbar ist, anwendbar und erweiterbar auf verschiedene Gesellschaften, dass ich auch in Deutschland damit bürgerliche Menschen für den Kampf gegen Frauen- und Menschenrechte gewinnen könnte. Die Voraussetzungen dafür seien ja auch in Deutschland bereits geschaffen, das Netzwerk gespannt, die rechten Kolleg*innen längst am Werk.

Polen ist uns eben nicht nur geographisch nah - der rechte Backlash und politische Männlichkeitswahn ist schon längst in Deutschland angekommen.