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Gegen jeden „Genderismus“

Juliane Lang
Einleitung

Familienpopulismus erhält neuen Aufwind

Foto: Max Bassin

Europäische Redner im Schatten des Kölner Doms: Mathias Ebert, Béatrice Bourges, Farida Belghoul, Alain Escada (v.l.n.r.)

Im selbsterklärten „Kampf gegen den Genderismus“ und mit populistischen Forderungen zur Besserstellung „deutscher Familien“ hat die extreme Rechte strömungsübergreifend Themen ausgemacht, von denen sie sich Anschluss an Diskurse im bürgerlichen Mainstream verspricht. Unter Schlagwörtern wie „Raubtierfeminismus“, „Frühsexualisierung von Kindern“ oder „Kultur­marxismus“ setzen derzeit mehr denn je Familienpopulist_innen unterschiedlicher politischer Couleur zum Rundumschlag gegen die moderne Gesellschaft an und verhandeln eine Palette an Themen: vom gesellschaftlichen Umgang mit Homosexualität bis zur Rolle von Frauen und Männern in modernen Gesellschaften, von Abtreibungspolitiken bis zur Kindererziehung, von staatlichen und suprastaatlichen Familienpolitiken bis hin zum „Mythos Multikulti“. Bedroht erscheinen (die heterosexuelle, ethnisch deutsche) Familie, das „deutsche Volk“ und die „deutsche Kultur“. Während eine derartige Krisenrhetorik von Seiten der extremen Rechten bekannt ist und in erster Linie der (Re-) Manifestierung der völkischen (hier: Geschlechter-) Ordnung dient (Vgl. AIB Nr. 100), finden sich extrem Rechte mit der Hetze gegen den „Genderismus“ derzeit in einem Fahrwasser mit einer Vielzahl familienpopulistischer Akteur_innen wieder.

„Kampf dem Genderismus“

Fundamentalistische Christ_innen, Maskulist_innen1 , Rechtspopulist_innen, und die selbsternannten „Wutbürger_innen“ von nebenan fühlen sich herausgefordert von den Kritiker_innen einer „natürlichen“ Ordnung der Geschlechter. Zur Disposition steht nicht weniger als die heterosexuelle Norm im gesellschaftlichen Zusammenleben — und damit die Gesellschaft an sich. „Die Gender-Ideologie (...) zerstört das Wertefundament unserer Gesellschaft. (...) dann ist der Kulturverfall unausweichlich.“, malt das Bündnis „Besorgte Eltern“ aus Köln ein Bedrohungsszenario ganzer Kulturen und ruft zu Demonstrationen gegen staatliche Bildungs- und Gleichstellungspolitiken auf. Solche und ähnliche Demonstrationen haben in den letzten Monaten bundesweit zugenommen: in Stuttgart ruft ein „Aktionsbündnis Elternrecht wahren — Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unser Kinder!” nun schon zur vierten Demonstration „Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ auf, in München wurde eine für den 10. Mai 2014 geplante Demonstration unter dem Motto „Demo für alle: Gegen Gender-Ideologie, Pädophilie und Frühsexualisierung unserer Kinder an Kitas und Grundschulen“ von den Veranstal-ter_innen — dem Bündnis „Besorgte Eltern Bayern“ — kurzfristig abgesagt. In der Schärfe ihrer Rhetorik unterscheiden sie sich in Teilen nur wenig von extrem rechten Kampagnen. Offiziell distanzieren sie sich jedoch von offen neonazistischen Gruppierungen und Parteien, so etwa in München von der NPD-nahen „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA) um den NPD-Kader Karl Richter. Zugleich heißt es etwa bei der Unterstützer_inneninitiative „Schützt unsere Kinder“: „Der Kampf gegen die Umerziehungsversuche einer kleinen Gruppe von Ideologen und Lobbyisten kann nicht alleine geführt werden. (...) Deshalb sind alle willkommen, die sich den verhängnisvollen Entwicklungen der letzten Jahre entgegenstellen wollen: Anhänger aller Religionen, Konfessionen, politischen Einstellungen und Wertesysteme, soweit sie die Gender-Mainstreaming-Ideologie ablehnen und die Zerstörung der Familie aufhalten.“ (zukunft-familie.org). Über politische Lager hinweg wird ein anti-moderner Diskurs über die Ordnung der Geschlechter, die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sowie nicht-normative Lebensweisen gespeist, in welchen sich die extreme Rechte problemlos einreihen kann.

Demo für alle

Mit Neid blicken all jene Akteur_innen nach Frankreich, wo die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im vergangenen Jahr Hunderttausende auf die Straße gebracht hat. Anlässlich der Pläne der Baden-Württembergischen Landesregierung, sexuelle Vielfalt als Querschnitt im Rahmenlehrplan aller weiterführenden Schulen zu verankern, wähnten Familienpopulist_innen die Gelegenheit, einen ähnlichen Protest auch in Deutschland auf die Straße zu bringen. Gabriel Stängle, Realschullehrer und Prädikant der evangelischen Landeskirche, initiierte im Dezember 2013 eine (Online-) Petition unter dem Titel „Keine Bildungsreform unter den Farben des Regenbogens“ und entfachte damit eine öffentliche Debatte. Binnen zwei Monaten kamen über 190.000 Unterschriften zusammen, davon etwa 82.000 aus Baden-Württemberg. Dabei gibt ein Blick auf die Petitionsseite bereits einen Überblick über das Spektrum, das hier mobilisiert: In der Sidebar „Woher kommen Unterstützer“ werden mehrheitlich neurechte, maskulistische1  und christlich-fundamentalistische Seiten wie die der Jungen Freiheit, Politically Incorrect, Kopp-Verlag, der Freien Welt oder der Pius-Bruderschaft genannt. 

Kurz nach Abschluss der Petition am 27. Januar 2014 rief das Stuttgarter Bündnis in Anlehnung an das französische Vorbild der „Manif pour tous“ zur ersten „Demo für alle“ am 01. Februar 2014 auf dem Stuttgarter Schlossplatz auf. Auf der Liste der Redner_innen und Unterstützer_innen der Demonstration finden sich neben familienpopulistischen Vereinen und Initiativen pro­minente Antifeminist_innen: so etwa Gabriele Kuby, die 2010 von der NPD im Sächsischen Landtag als Expertin für Gleichstellungspolitik geladen wurde und regelmäßig in neurechten und Grauzonen-Publikationen veröffentlicht, sowie Beatrix von Storch, rechtskonservativer Flügel der AfD und Strippenzieherin im konservativ-familienfundamentalistischen Netzwerk rund um die „Zivile Koalition e.V.“ und die Plattform „Freie-Welt.net“. Nach Beobachtungen von Stuttgarter Antifaschist_innen werden Neonazis und Neurechte auf den Demonstrationen von den Veranstalter_innen geduldet.2  RNF und NPD in Baden-Württemberg berichten somit wohlwollend über den Protest und rufen zur Teilnahme an den Demonstrationen auf.

Gefährliche Allianzen

Antifaschist_innen aus Süddeutschland benennen die Bündnisse, die sich in Baden-Württemberg seit etwa einem halben Jahr zusammentun, treffend als „gefährliche Allianzen“ und stellen fest: „Bei den homophoben Protesten versammeln sich verschiedene offen rechte, rechtspopulistische, christlich-fundamentalistische und faschistische Gruppierungen und bilden zu einem bestimmten Thema eine Allianz. Eine gefährliche Dynamik, welche verschiedenes reaktionäres Potential bündelt, welches ansonsten kaum gemeinsame Berührungspunkte noch Zusammenarbeit hinbekommt.“3  Diese Einschätzung lässt sich auch auf andere Bündnisse wie „Besorgte Eltern“ aus Köln oder Bayern übertragen. Ohne die Teilnahme extrem rechter oder rechtspopulistischer Gruppierungen und Einzelpersonen kleinreden zu wollen, liegt die Gefahr dieser „Allianzen“ eben nicht in der offenen Unterstützung der Demonstrationen von Seiten der neonazistischen Rechten, sondern darin, dass hier anlassbezogen Bündnisse geschmiedet werden, die sich inhaltlich nicht weit entfernt von völkischen Familienpolitiken bewegen. Die Familie als heterosexuelle Gemeinschaft von Mann-Frau-Kind dient den hier benannten Akteur_innen als Garant einer traditionellen Geschlechterordnung, jede Form der Liberalisierung von Lebensweisen und Familienmodellen als „gesellschaftszersetzend“. Familie gerät hier zur Ideologie, mit der auf populistische Weise Politik gemacht und um die Zustimmung breiter Massen geworben wird. Es ist damit zu rechnen, dass familienpopulistische Bündnisse nicht verstummen werden und um Einfluss im gesamtgesellschaftlich virulenten Diskurs um die Ordnung der Geschlechter buhlen: „Die Demo am 5. April hat gezeigt: Die Gegner des ‚Bildungsplanes 2015’ haben den Kampf um die öffentliche Meinung gewonnen.“4 Damit dies nicht zum Status quo wird, ist es an emanzipatorischen Bündnissen, dem sich im Aufwind befindlichen Familienpopulismus etwas entgegenzusetzen und rechte Diskurse nicht nur dort anzugehen, wo neonazistische Parteien wie die NPD offen mit am Start sind.
 

  • 1Zum Maskulismus Vgl. Claus, Robert (2012): Antifeminismus in Bewegung. Maskulismus zwischen angestrebter Salonfähigkeit und vulgärem Frauenhass. In: Lotta — antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. S. 5—7.
  • 2www.antifa-stuttgart.tk
  • 3Bündnis gegen gefährliche rechte Allianzen: www.gegenrechteallianzen.tk
  • 4„Besorgte Eltern“ Köln, 8.5.2014.