Feindbildkonstruktionen von Gender und Feminismus
Ally Osterfeld (Gastbeitrag)Debatten um Gender und dessen Ablehnung sind seit Längerem immer wieder Teil öffentlicher Diskussion. Im März 2013 wurde beispielsweise eine Kolumne von Harald Martenstein mit dem Titel „Schlecht, schlechter, Geschlecht“ im Spiegel veröffentlicht. Martenstein bezeichnet Gender Studies dort als „Antiwissenschaft“ und stellt Erkenntnisse über die kulturelle Konstruktion von Geschlecht in Frage.1 Darüber hinaus gehören zu diesen Debatten Auseinandersetzungen, die die mit dem Konzept Gender einhergehende Infragestellung von zwei biologisch bestimmten, sich ausschließlich einander begehrenden Geschlechtern ablehnen, ebenso wie die Ablehnung von geschlechtergerechter Sprache. Häufig sind solche Debatten geprägt durch heftige, hasserfüllte Anfeindungen und Hetze gegen das Konzept Gender sowie gegen Personen, die sich für feministische Inhalte einsetzen oder von der heteronormativen Norm, meist in Zusammenhang mit der Norm der Kleinfamilie bestehend aus Vater – Mutter – Kind(ern) abweichen.
Zuschreibungen von „Ideologie“, „Totalitarismus“ oder gar „Indoktrination“ an Gender und Feminismus sind zentraler Bestandteil dieser Agitation, die sich sehr oft im Netz zeigt. Auch wird vor vermeintlichen Gefahren von Gender, insbesondere für Kinder zum Beispiel in Form von „Frühsexualisierung“ gewarnt. Dabei werden Lebensweisen und Identitäten, die nicht auf biologisch bestimmten binären Geschlechtern und deren wechselseitige Beziehung zueinander beruhen, abgelehnt, geschlechtergerechte Sprache oder Schreibweise ebenfalls als „totalitär“ bezeichnet.
Dabei ist die Ablehnung von Gender und die Aufrechterhaltung einer binären Geschlechterordnung bei selbsternannten „Anti-Genderist*innen“ zentraler Bestandteil der (online) Agitation. Das Verständnis eines „Volks“ in der (extremen) Rechten basiert genau auf dieser binären Geschlechterordnung, bestehend aus den biologischen Kategorien „Männer“ und „Frauen“. Das Festhalten an einer binären Geschlechterordnung, die Ablehnung pluralisierter Lebensentwürfe, von Gender und Feminismus bilden eine Anknüpfungsmöglichkeit an (extrem) rechte Ideologie. Denn Gender stellt die biologisch bestimmte Grundlage, die für die Konstruktion der „Volksgemeinschaft“ nötig ist, in Frage.
Genau das nutzen (extrem) rechte Akteur*innen auch für sich. Wie Juliane Lang ausführt dienen „[...] Angriffe auf geschlechtliche, sexuelle und familiale Vielfalt [...] der extremen Rechten als Scharnier in die bürgerliche Mitte, zu gesamtgesellschaftlichen Debatten, von denen sie anderenorts ausgeschlossen ist“.2
Die Ablehnung von Gender und Feminismus geht häufig einher mit der Konstruktion von Gender und Feminismus als Feindbilder. Diese werden für negativ bewertete gesellschaftliche Veränderungen verantwortlich gemacht und ihnen wird eine große, über allem stehenden Macht zugeschrieben. Dadurch wird eine Unterdrückung suggeriert, gegen die mit der Verteidigung einer vermeintlich natürlichen Ordnung vorgegangen wird und ein selbsterklärter „Kampf“ um die Befreiung von den als „ideologisch“, „totalitär“ bezeichneten Phänomenen Feminismus und Gender geführt.
Solche Feindbildkonstruktionen von Gender und Feminismus zeigen sich häufig in Verschränkung mit verschwörungsideologischen Narrativen, insbesondere an der Zuschreibung von Macht an Gender und Feminismus und dem Warnen vor einer Gefährdung der Demokratie. Zum Beispiel bei Gabriele Kuby: Kuby, konservative katholische Autorin, verfasst Artikel wie „Genderprogrammierung durch Sexualerziehung - Zugriff der UN auf die Jugend der Welt“, wobei antifeministische Argumentationslogiken, wie eine angenommene Omnipräsenz „des“ Feminismus, verwendet werden und diese Gender und Gleichstellungsmaßnahmen zugeschrieben werden. Auf der Webseite von Kuby finden sich weitere Anti-Gender-Inhalte, die sich mit der vermeintlichen Zerstörung der „Freiheit“ durch „sexuelle Revolution“, mit „Frühsexualisierung“, Kubys Rede beim „Marsch für das Leben“ und im Zuge der Covid-19- Pandemie auch mit der vermeintlichen Gefährdung der Demokratie beschäftigen.3 Dabei wird auch behauptet, durch „Herrschende“ würden „Fäden gezogen werden“.4 Vor allem hier zeigen sich verschwörungsideologische Narrative.
Auf der Seite von „WikiMANNia“ (eine wie eine Datenbank aufgebaute Webseite, auf der Begriffe aus Sicht von Männerrechtler*innen erklärt werden) wird direkt von einer „Neuen Weltordnung“ gesprochen, zu der die Menschen durch Gender „umerzogen“ würden.5 Durch die Verbindung und gleichzeitigem Auftreten der Ablehnung von Gender und Feminismus mit verschwörungsideologischen Narrativen bilden diese eine Anknüpfungsmöglichkeit für weitere (extrem) rechte Ideologien und Akteur*innen.
Die strikte Ablehnung von Abtreibung kann ebenfalls mit der Ablehnung von Gender und Feminismus einhergehen. Beispielsweise wird dies bei Birgit Kelle (ebenfalls Katholikin und Autorin) deutlich, wenn die Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade vom Supreme Court in den USA positiv bewertet und Abtreibung als „Tötung von Babys“ bezeichnet wird.6 Auch setzen sich feministische Bestrebungen ganz gezielt für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper in Form von (freiem und legalem) Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ein. Die Ablehnung von Abtreibung bei antifeministischen Akteur*innen richtet sich gegen solche feministischen Bestrebungen.
Mit dem in den zuvor skizzierten Beispielen geführten „Kampf“ gegen Feminismus und Gender bzw. dem Warnen vor dessen vermeintlicher Bedrohung wird ebenfalls gegen solche feministische Forderungen vorgegangen. Durch den Bezug auf eine biologisch bestimmte Geschlechterordnung, mit klarer Rollen- und Aufgabenzuschreibung an Frauen, wird auch Gebären und Kinderkriegen als elementare Aufgabe zur Aufrechterhaltung des „Volks“ angesehen. Denn dies ist wichtiger Bestandteil von Frauenbildern in der (extremen) Rechten. Laut Renate Bitzan zeichnet sich die klassische Weiblichkeitskonstruktion bei extrem rechten Frauen dadurch aus, dass sie sich eindeutig an Geschlechterdifferenz orientiert, Mutterschaft als Pflicht betrachtet und sich auf völkische Argumentationen bezieht.7
Somit bietet die Ablehnung von Abtreibung und der Bezug auf biologistische Geschlechterbilder eine Möglichkeit, an (extrem) rechte Inhalte anzuknüpfen: Durch Gender und feministische, emanzipatorische Forderungen drohe das Aufbrechen dieser vermeintlich „natürlichen“ Aufgaben und Rollenzuschreibungen. Damit wird die Selbstbestimmung über den eigenen Körper mit Verweis auf vermeintlich „natürliche“ Geschlechterrollen abgelehnt, was der Aufrechterhaltung einer als „weiß“ und heterosexuell konstruierten „Volksgemeinschaft“ diene.
- 1Martenstein, Harald (2013). Schlecht, schlechter, Geschlecht. Online: www.zeit.de/2013/24/genderforschung-kulturelle-unterschiede/komplettans… (letzter Zugriff: 12.06.2019; der Artikel war damals auf der Webseite der Zeit frei einsehbar, ist aber auf Grund einer Paywall nicht mehr frei zugänglich).
- 2Lang, Juliane (2018): Alles beim Alten?! Überlegungen zur anhaltenden Relevanz von Geschlechterpolitik in der extremen Rechten. In: Alexander Häusler & Helmut Kellershohn (Hrsg.): Das Gesicht des völkischen Populismus. Neue Herausforderungen für eine kritische Rechtsextremismusforschung. Münster: Unrast, S. 147–161, S. 152.
- 3Die Webseite von Gabrile Kuby ist unter www.gabriele-kuby.de/ einsehbar (Zugriff: 04.03.23).
- 4Vgl. www.gabriele-kuby.de/ (Zugriff: 04.03.23).
- 5Beitrag „Genderismus“ auf Wikimannia, https://at.wikimannia.org/Genderismus (Zugriff: 24.02.23).
- 6Webseite von Birgit Kelle, https://vollekelle.de/2022/06/24/die-abtreibungsdebatte-der-usa-ist-zur… (Zugriff: 25.02.23).
- 7Vgl. Bitzan, Renate (2011). „Reinrassige Mutterschaft“ versus „nationaler Feminismus“ – Weiblichkeitskonstruktionen in Publikationen extrem rechter Frauen. In: Ursula Birsl (Hg.): Rechtsextremismus und Gender. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich, 115–127, S. 117