Der Mord an Karl-Hans Rohn
Ein Text des Gedenkbündnisses "Solingen 1993 - Niemals vergessen – Unutturmayacağız!"Vor 30 Jahren, am 13. November 1992, ermordeten Neonazis Karl-Hans Rohn in Wuppertal. Er ist in Wuppertal fast vergessen – es gibt kein Erinnerungszeichen, wir kennen nicht mal sein Grab. Nichts erinnert an das erste Wuppertaler Neonaziopfer seit dem 2. Weltkrieg.
Über das Leben von Karl-Hans Rohn ist uns nur wenig bekannt. Von seinen Freund*innen und Arbeitskolleg*innen wurde er Charly genannt. Viele Menschen kannten Charly Rohn, weil er regelmäßig durch die Kneipen zog. Oft hatte er auch seinen silbergrauen Zwergpudel dabei. Karl-Hans Rohn wurde am 23. November 1938 in Wuppertal geboren. Er erlernte das Metzger-Handwerk und war zweimal kinderlos verheiratet. Karl-Hans Rohn lebte in den letzten Jahren seines Lebens, soweit wir wissen, in äußerst prekären Lebensverhältnissen. Zeitweise arbeitetein den Fleischfabriken in Venlo oder auf Baustellen. Er wohnte in einer kleinen bescheidenen Wohnung.
„Laternchen“
Am Abend des 12. November 1992 betrat Karl-Hans Rohn die Kneipe „Laternchen“ in Wuppertal-Barmen und nahm am Tresen Platz, wo auch seine späteren Mörder saßen. Andreas Wember (26) und Michael Senf (19), beide in den Kreisen der „Nationalistischen Front“ (NF) organisiert. Die drei Männer tranken gemeinsam große Mengen an Alkohol, die Stimmung schien ausgelassen in der fast leeren Kneipe. Neben den Männern am Tresen war nur noch der Wirt, Marian Glensk (32), ein gemeinsamer Freund von Wember und Wembers Freundin anwesend.
Im Laufe des Abends begannen die mittlerweile betrunkenen Neonazis Rohn körperlich zu attackieren. Wember stürzte sich auf Rohn und schlug ihn vom Barhocker. Der nun am Boden liegende Rohn wurde nach diesem ersten Schlag von zwei Seiten mit Springerstiefeln getreten, bis er sich kaum noch rührte. Schließlich eskalierte der Wirt Marian Glensk die Situation. Er hatte vorher schon den Neonazis mitgeteilt, dass Rohn ein "Jude" sei. Jetzt hetzte er die Neonaziskinheads mit der Aufforderung auf „Macht Auschwitz wieder auf, Juden müssen brennen!“ Daraufhin überschüttete Michael Senf den am Boden liegenden Karl-Hans Rohn mit hochprozentigem Schnaps und zündete ihn an. Aufgrund der starken Geruchs- und Rauchentwicklung löschten die drei das am Boden brennende Opfer. Der schwer, aber noch nicht lebensgefährlich verletzte Karl-Hans Rohn wälzte sich stöhnend am Boden. Noch wäre Zeit gewesen, sein Leben zu retten.
Stattdessen verständigten sich die Täter, ihr Opfer mit dem Auto über die Grenze nach Venlo zu schaffen und sich dort dem Sterbenden zu „entledigen“. Marian Glensk ließ sich überreden sein Fahrzeug dafür zu nutzen und das Trio fuhr mit Rohn in die Niederlande, wo sie ihn nahe der Autobahn an einem Waldstück aus dem Wagen warfen. Wahrscheinlich starb Rohn noch auf der Fahrt, weil sich einer der Täter mit seinem gesamten Gewicht auf ihn setzte.
Der antisemitisch motivierte Mord an Karl-Hans Rohn
Der antisemitisch motivierte Mord an Karl-Hans Rohn in Wuppertal sorgte weltweit für Schlagzeilen. Für die Wuppertaler Polizei war die Tat aber nur eine „Kneipenschlägerei mit dramatischen Folgen.“ Der politische Hintergrund der beiden Haupttäter, ihre Mitgliedschaft in den Kreisen der neonazistischen „Nationalistischen Front“ (NF) spielte keine Rolle. Schnell konzentrierte sich die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft auf die „Richtigstellung“, dass Karl-Hans Rohn ja kein „richtiger“ Jude war. Die internationale und israelische Öffentlichkeit sollte mit dem Hinweis beruhigt werden, dass Rohn eine katholische Mutter und einen evangelischen Vater habe und in der Jüdischen Gemeinde in Wuppertal nicht bekannt sei.
Erst viele Monate später beim Prozess erkannten die Richter zumindest den neonazistischen Hintergrund der Tat an. In der Urteilsbegründung hieß es u.a.: Die Täter seien „so mit rechtsradikalem Gedankengut vollgesaugt, dass sie in einem entscheidenden Moment nach rechtsradikalem Muster handelten.“ Andreas Wember und Michael Senf werden als Haupttäter zu 14 bzw. 8 Jahren (Jugendstrafrecht), und Marian Glensk zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Aus den Kreisen der NF
Was im Prozess kaum eine Rolle spielte, zwei der drei Täter (Andreas Wember und Michael Senf) waren in der „Nationalistischen Front“ (NF) von Meinolf Schönborn organisiert. „In ihrer Hochzeit soll die NF etwa 800 Mitglieder gehabt haben. Diese wurden sorgfältig und nach rigiden Kriterien ausgewählt und mussten vor der Aufnahme eine halbjährige Probezeit durchlaufen. [...] Mitglieder wurden in Wehrsportlagern paramilitärisch geschult,“ schrieb die "Bundeszentrale für Politische Bildung".
Aus NF-Schulungen wurden Taten: Am 17. Dezember 1988 verübte das NF-Mitglied Josef Saller einen Brandanschlag auf ein vorwiegend von Migrant:innen bewohntes Haus im bayerischen Schwandorf. Vier Menschen verbrannten bzw. erstickten.
Aus unseren Recherchen wissen wir, dass Andreas Wember wahrscheinlich Mitte 1992 in Wuppertal eine 10-köpfige Neonazigruppe gegründet hat, die er mit Hilfe von NF-Schulungsmaterial organisierte. Wember hatte auch reichlich Propagandamaterial, Flugblätter, Aufkleber, Mitgliederausweise und eine NF-Fahne in seiner Wohnung liegen. Öffentlich aufgefallen war Wember und Senf zum ersten Mal am 24. August 1992, als insgesamt fünf Personen einen Geflüchteten aus Togo, Ayaovi Assigno, in der Nähe des Flüchtlingsheims in der Wuppertaler Albertstraße zuerst bedrohten und dann körperlich angriffen. Wember schlug den Geflüchteten auf Brust, Bauch und Kopf, die anderen bedrohten ihn. Die Angreifer hatten Messer, Gasrevolver, CS-Gas und einen Holzschlagstock dabei. Ob die angreifenden Neonazis in der NF organisiert waren, interessierte nach unseren Recherchen weder die Staatsanwaltschaft noch den Wuppertaler Staatsschutz.
Die angeblich „unpolitischen Neonazis“
Andreas Wember und Michael Senf wollten sich sogar mit dem SS-Mörder Gottfried Weise aus Solingen mit einem eigenen Flugblatt-Entwurf solidarisieren, der bei der Hausdurchsuchung nach der Tat beschlagnahmt wurde. Weise war wegen fünffachen Mordes in Auschwitz zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt worden, war aber während einer Haftverschonung in die Schweiz geflüchtet, dort im August 1989 aber wieder verhaftet worden. Der organisierte Neonazismus hatte diese Fluchthilfe mitorganisiert und setzte sich in den folgenden Jahren sehr eifrig für die Freilassung des NS-Mörders Weise ein.
Alle diese Zusammenhänge spielten in den polizeilichen Ermittlungen, weder nach dem Überfall auf Ayaovi Assigno, noch nach dem Mord an Karl-Hans Rohn, eine Rolle. Die Wuppertaler Polizei und der Staatsschutz hatten sich nur wenig um die politischen Hintergründe der Mörder gekümmert. Es gab leider keine ernsthaften Ermittlungen Richtung NF-Strukturen. Laut Aktenlage wurden die NF-Aktivisten Wember und Senf nicht mal mit den regionalen NF-Strukturen um den Mettmanner Michael N. in Zusammenhang gebracht. Diese Spur hätte unweigerlich zur Solinger Kampfsportschule „Hak Pao“ geführt, in der der Mettmanner NF-Stützpunktleiter Michael N. trainierte. Er fungierte zeitweise als „Chauffeur“ des VS-Agenten Bernd Schmitt.
Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Polizei und Staatsanwaltschaft auch nach dem brutalen Mord nicht so intensiv ermittelte. Ab April 1992 war der Leiter der Solinger Kampfsportschule „Hak Pao“ Bernd Schmitt vom Verfassungsschutz NRW mit der gezielten Unterwanderung der NF (mit all den bekannten „Nebenwirkungen“ wie dem Solinger Brandanschlag) beauftragt worden. „Geheimdienstliche Aufklärung“ war – einmal mehr – wichtiger als die polizeiliche Aufdeckung von gefährlichen Neonazistrukturen.
Es bleibt daher feststellen: Hätte sich die Polizei nach dem Mord an Karl-Hans Rohn wirklich für die militanten Neonazistrukturen in der Region interessiert, hätte die Kampfsportschule „Hak Pao“ in Solingen-Gräfrath vielleicht schließen müssen.
Es gibt – zu keiner Zeit – ein Recht auf Schulung und Kampfsport für Neonazis und rechte Jugendliche. Das ist auch nach 30 Jahren sehr bitter festzustellen. Wir sollten daher die Opfer dieser Morde nicht vergessen! „Solingen 1993 – Niemals vergessen – Unutturmayacağız!“