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Der politische Durchbruch der "Schwedendemokraten"

Peter Andersson; grävande antifascistiskt researchmagasin; research.nu
Einleitung

Das Ergebnis der Parlamentswahl am 11. September 2022 ist politisches Neuland für Schweden. Das erste Mal in der Geschichte des Landes wird die Regierung mit den "Sverigedemokraterna"("Schwedendemokraten") von einer weit rechts stehenden Partei unterstützt. Die kommende Regierung ist eine Koalition des rechten Blockes, bestehend aus den Moderaten, den Christdemokraten, den Liberalen und den "Schwedendemokraten" (SD) als politische Mehrheitsbeschafferin. Zusammen konnten sie 49,6 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen.

Foto: News Øresund – Johan Wessman, CC BY 2.0

Jimmie Åkesson, Vorsitzender der Schwedendemokraten, bei einer Parteiveranstaltung.

Die linke Koalition musste sich mit 48,8 Prozent denkbar knapp geschlagen geben. Die vergangenen acht Jahre setzte sich die Regierung aus den Sozialdemokraten und der grünen Partei zusammen. Vier Jahre davon waren sie auf die Unterstützung von Linkspartei, den Liberalen und der Zentrumspartei (Centerpartiet) angewiesen. Die schlechte Nachricht der Wahlnacht im September war jedoch vor allem das Abschneiden der "Schwedendemokraten": Sie wurden mit 20.54 Prozent die stärkste Kraft im rechten Lager.

Ein solches Ergebnis war aber erwartet worden und führte schon im Vorfeld der Wahl zu einem historischen Paradigmenwechsel im politischen Schweden. Im rechten Lager wurde einer eventuellen politischen Öffnung den "Schwedendemokraten" gegenüber Einigkeit demonstriert. Das ist neu. Über Jahre herrschte Einigkeit über alle Parteigrenzen hinaus, dass mit den "Schwedendemokraten" nicht zusammengearbeitet wird. Die Wahlen 2018 bedeuteten den Anfang vom Ende dieser Übereinkunft. Die Moderaten ("Moderata samlingspartiet") waren die ersten, die eine Zusammenarbeit mit den "Schwedendemokraten" nicht mehr kategorisch ausschlossen. Die sich abzeichnende Wahlniederlage 2018 veranlasste die "Moderaterna" gar, für eine Koalition mit den "Schwedendemokraten" zu werben. Auf diese Weise sollte die Regierungsmacht zurückgeholt werden. Die Liberalen und die Zentrumspartei spielten das Spiel aber nicht mit und vereinabarten stattdessen mit den Sozialdemokraten das sogenannte Januar-Abkommen. Im Sommer 2021 entschieden die Liberalen jedoch dieses Abkommen wieder zu verlassen und willigten nun in eine Zusammenarbeit mit dem rechten Lager ein, ohne sich jedoch gegen die aktuelle Regierung zu stellen. Somit verblieb aus dem rechtem Lager nur die Zentrumspartei, die sich weiterhin einer Zusammenarbeit mit den SD verweigerte.

Der Ursprung der "Schwedendemokraten" geht aus den Resten der Organisation „Halte Schweden schwedisch“ (Bevara Sverige Svenskt - BSS) im Jahre 1988 hervor. Zur Gründungszeit der SD hatten die meisten ihrer Mitglieder Verbindungen in Neonazigruppen und neofaschistische Organisationen. Dies stand dem langjährigen Erfolg der Partei jedoch nicht im Wege. Viele ihrer Wähler_innen glaubten an die Abkehr von der extremen Rechten und im Jahr 2010 gelang mit 5,7 Pro zent der abgegebenen Stimmen erstmals der Einzug in das schwedische Parlament. Dieser Erfolg veranlasste die anderen Parteien zu dem Konsens, mit den SD nicht zu kommunizieren, geschweige denn zusammen zu arbeiten. Dies sollte für die nächsten 20 Jahre gelten. Knapp die Hälfte der Zeit dauerte es jedoch nur, bis dieser Konsens aufgekündigt wurde.

Seit der Gründung der SD ist das Wähler_inneninteresse an der Partei stetig und deutlich gewachsen. Es ist ihnen gelungen, Wähler_innen von allen Parteien abzuziehen. Der Löwenanteil wechselte jedoch innerhalb des rechten Lagers hinüber zu SD. Zu Beginn der Wahlen 2022 wurde -wie bei allen Wahlen seit 2010- in den Medien veröffentlicht, dass 214 Kandidat_innen der "Schwedendemokraten" Kontakte zur neonazistischen "Nordiska Motståndsrörelsen" (Nordische Widerstandsbewegung) und anderen neo-faschistischen Bewegungen pflegten.1 Wie immer versprach die Führung der SD Aufklärung und Konsequenzen, es solle fortan keine Kandidat_innen mit Kontakten zur extremen Rechten auf ihrer Liste mehr geben.

Ein Lippenbekenntnis, wie sich nur wenige Wochen später herausstellen sollte: Ein weiteres SD-Mitglied fiel durch mehrere Veröffentlichungen für den "Nordiska Motståndsrörelsen" (NMR) auf.
2018 kündigten die SD eine interne Untersuchung, das sogenannte Weisse Papier, an. Es sollten die neonazistischen Verbindungen der SD-Mitglieder zwischen 1988 und 2010 offen gelegt werden. Lange Zeit ließ sich jedoch kein Historiker für diese Aufgabe gewinnen und so dauerte es bis 2021, bis die Untersuchung durchgeführt werden konnte. Der erste Teil der Untersuchung wurde im Sommer 2022 veröffentlicht. Das Ergebnis war eindeutig: Zwei Drittel der SD Gründungsmitglieder hatten Verbindungen zur Neonaziszene.

Einen Monat nach der Wahl 2022 einigte sich der rechte Block auf das Tidö-Abkommen (benannt nach dem Schloss, auf dem die Verhandlungen stattfanden). Die Tidö-Erklärung sieht zwar keine Ministerposten für Politiker_innen der SD vor, sie konnten aber fast alle wesentlichen Punkte ihrer Politik in dem Papier verankern. Mit anderen Worten: der weit rechts zu verortende Populismus der SD ist jetzt offizielle Regierungspolitik. Eine zentrale Rolle spielen hierbei selbstverständlich Verschärfungen in der Migrationspolitik.

Der Fokus wird auf illegalisierte Menschen gerichtet. Abschiebungen werden stark vereinfacht und können nun schon bei leichten Vergehen durchgeführt werden, Übersetzungshilfen bei Terminen im Krankenhaus oder beim Arbeitsamt sollen abgeschafft werden, für die Kosten müssen die Betroffenen selbst aufkommen. Ebenso soll geprüft werden, ob schon der Verdacht einer Straftat für eine Abschiebung ausreicht. 2018 wurden in Schweden permanente Aufenthaltsgenehmigungen, die sich in der Bearbeitung befinden, in befristete Erlaubnisse umgewandelt. Das geht den "Schwedendemokraten" nicht weit genug und sie werden wohl prüfen lassen, ob schon erteilte permanente Aufenthaltsgenehmigungen auf befristete zurückgestuft werden können.

Teile der schwedischen Zivilgesellschaft kritisieren die Tidö-Erklärung deutlich und warnen vor dem Bruch verschiedener Menschenrechtsabkommen, welche Schweden unterzeichnet hat. Die in Schweden und auch international agierende Gruppe „Civil Rights Defenders“ bezeichnete die Verhandlungsresultate als einen Rückschritt für die Menschenrechte in Schweden.2 Nur einen Tag später forderte ein führender "Schwedendemokrat" die Entziehung von staatlichen Geldern für diese Organisation. Ein Politiker einer Partei, welche der Regierung die notwendige Mehrheit verschafft, greift auf diese Art und Weise direkt die Meinungsfreiheit im Land an.

Auch die schwedische „Gesellschaft für den Erhalt der Natur“ urteilt kritisch über das Tidö-Abkommen und und sieht „einen Rückschritt im Kampf gegen den Klimawandel.“3 Auch hier kam die Reaktion prompt, ein führendes Verwaltungsmitglied der SD forderte in einer Mail an die „Gesellschaft für den Erhalt der Natur“ die Offenlegung von privaten Geldgebern.

Zwei Monate sind seit der Wahl mit Regierungsverhandlungen vergangen und die Politik und das Budget der kommenden Regierung nimmt Form an. Die Politik der "Schwedendemokraten" ist hierbei offen zu erkennen. Trotzdem sehen sich die SD, wie auch die restlichen Parteien des rechten Blockes, Kritik ihrer Basis ausgesetzt. Ihnen wird das Nichteinhalten von Wahlversprechen wie z.B. das Senken der Gaspreise, vorgeworfen. Darüberhinaus muss sich die SD gegenüber ihrer Basis rechtfertigen, dass sie sich ohne Ministerposten hat abspeisen lassen.

Es ist keine Frage, Schweden stehen vier dunkle Jahre bevor. Es wird Regierungspolitk sein, Migrant_innen den Aufenthalt im Land so beschwerlich wie möglich zu gestalten. Dass bei der Regierung ein Wille besteht die Repressionsschraube noch weiter anzuziehen, steht außer Frage. Da die Einwanderungsmöglichkeiten schon auf ein Minimum beschränkt sind, wird der Fokus verstärkt auf Abschiebungen gelegt werden. Es sind aber auch vier Jahre, in denen sich der rechte Block, bestehend aus Neoliberal bis Konservativ, auf eine gemeinsame Politik einigen muss, was sicher nicht einfach wird. Und es kann eine Chance der Linken sein, eine Bewegung aufzubauen, welche der rassistischen und reaktionären Politik der kommenden Regierung etwas entgegen setzt.