Männlichkeit in der extremen Rechten seit 1945
Yves Müller (Gastbeitrag)Geschlecht, Sexualität und Familie stellen zentrale Kategorien für die Politik des organisierten Nationalismus dar und bestimmen ihre öffentliche Selbst-Inszenierung. Mehr noch: Geschlechter- und Familienbilder sind konstitutive Elemente rechter Ideologie.
Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ war auch Männlichkeit in eine Art „Krise“ geraten. Das im Nationalsozialismus hegemoniale Ideal soldatischer Männlichkeit schien endgültig ausgedient zu haben. In der extremen Rechten zeigen diese Traditionsbestände jedoch eine erstaunliche Beharrlichkeit. Die Zeitgeschichte der extremen Rechten ist gleichsam von Kontinuitäten und Veränderungen in den Geschlechterbildern geprägt.
Zwei Grundannahmen vorweg: Erstens ist Männlichkeit ein konstituierendes Ideologiefragment der extremen Rechten, neben Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus. Allerdings wird dies zumeist in der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet. Es handelt sich allerdings nicht um ein empirisch fassbares Einstellungsmuster, sondern um ein Element der Dominanzkultur (Birgit Rommelspacher), ist somit in die gesellschaftliche Machtstruktur eingewoben und wird dadurch unsichtbar gemacht. Zweitens: Weil es sich bei Männlichkeit in der extremen Rechten – ich spreche explizit nicht von extrem rechter Männlichkeit – um eine Dominanzkultur handelt, wird Männlichkeit querliegend in jedem Thema, in jeder Kampagne, bei jeder Aktivität und in allen Spektren der extremen Rechten verhandelt.
Jugend-Hype – 1950/60er Jahre
Der Jugend-Topos ist seit jeher verbreitet. Es geht stets um die Gegenüberstellung des schwachen, kraftlosen Alten gegen das starke, kraftvolle Neue beziehungsweise Junge. Bereits in der Weimarer Republik war ein regelrechter Jugend-Hype ausgebrochen – inklusive Gefallenen-Verehrung und Langemarck-Mythos –, den sich die Nationalsozialisten lediglich zunutze zu machen wussten. Daher ist der Bezug auf die „Jugend“ nicht (nur) als Nachwuchsrekrutierung misszuverstehen, sondern als Formel in der Abwehr von Liberalismus und Pazifismus, Kommunismus und Kapitalismus zu verstehen.
Auch der „SA-Lyriker“ und nach 1945 Präsident des (neo)nazistischen "Deutschen Kulturwerks Europäischen Geistes" (DKEG) Herbert Böhme hat sich der „deutschen Jugend“ verschrieben: Schon in den 1930er Jahren konzentrierte der damalige Nachwuchsdichter sein Engagement auf die Studentenschaften und die HJ, vor denen er regelmäßig bei Veranstaltungen auftrat. Seit den 1950er Jahren suchte er den Kontakt zu den nationalistischen und völkischen Jugendbünden, die er in die Arbeit des DKEG einzubinden gedachte. So sollte die „um ihre Vorbilder“ gebrachte Jugend zu neuer Verantwortung herangezogen werden. Diese von Böhme apostrophierte „betrogene Jugend“ nämlich einte ein über die „Sprache des Blutes“ geknüpftes Band mit den vorherigen Generationen. Gerade die Jugend sei von den „Schatten der Vergangenheit“ – gemeint ist die Niederlage und „Entnazifizierung“– unbelastet und habe „für dumme Jungenstreiche und gammelnde Einzelgänger“ wenig übrig, so hoffte Böhme.
Die Realität freilich sah anders aus: Zu keinem Zeitpunkt konnte der organisierte Nationalismus in den zersplitterten und mitunter stark zerstrittenen Jugendgruppen kaum mehr als ein paar Tausend Jugendliche versammeln. Die Schuld an dieser mangelnden Mobilisierungsfähigkeit freilich sollten andere tragen. Immer wieder wurde die alliierte „Re-Education“ für den angeblichen „Sittenverfall“ verantwortlich gemacht. Aus Sicht der Rechten war die Nachkriegs-Jugend bedroht durch Dekadenz und Materialismus. Mit Coca-Cola, Bluejeans, Rock’n’Roll und „Halbstarken“ hielt in den 1950er und 60er Jahren die „Amerikanisierung“ Einzug auf westdeutschen Straßen und in den Wohnzimmern der Adenauer-Republik. Tatsächlich wurden auch Geschlechtervorstellungen ein wenig durchlässiger. Der kulturelle Ablösungsprozess der Flakhelfer-Generation der ‚45er‘ vom Nationalsozialismus wirkte sich auf die Gesellschaft der Bundesrepublik aus, die eine „Fundamentalliberalisierung“ (Jürgen Habermas) erfuhr.
Hie und da in den Veteranenvereinigungen ebenso wie in Unterhaltungsspielfilmen überdauerten die Männlichkeitsvorstellungen von „Kameradschaft“, „soldatischem Geist“, „Ehre“ und „anständig geblieben sein“. In der Politik, der Verwaltung, in den Betrieben und Büroetagen waren die ehemalige Wehrmachtsoldaten lange Zeit allgegenwärtig. Die Kriegsgeneration stellte bis in die 1960er Jahre ein gehöriges Wählerpotential dar, das niemand verprellen wollte.
„Porno-Welle“ und Homosexualität – 1970/80er Jahre
Die Liberalisierungs- und Säkularisierungsprozesse der 1960er und 70er Jahre riefen scharfe Reaktionen der extremen Rechten hervor. Nun griff das Gespenst der schulischen Sexualaufklärung um sich. Das mag nicht zuletzt auch daran gelegen haben, dass die sexuelle „Befreiung“ in linken und linksliberalen Kreisen verstärkt mit der Frage der gesellschaftlichen Demokratisierung verknüpft worden war.
Der Kulturkampf wurde auch im Bereich der Literatur ausgetragen. So war der Schriftsteller Günter Grass wegen seiner Novelle Katz und Maus (1961) als „Verfasser übelster pornographischer Ferkeleien“ bezichtigt worden. DKEG-Präsident Herbert Böhme brandmarkte Grass als „Exponent linksgedrallter Literatur“. Grass sei ein „Scharlatan“ und seine Arbeit eine „Unkultur“. Schon in den Jahren der Weimarer Republik und schließlich im Nationalsozialismus wurden die Werke von Literaten wie Bertolt Brecht, Alfred Döblin und Lion Feuchtwanger von rechter Seite als „Asphaltliteratur“ herabgewürdigt. „Asphalt“ wird hier zur Metapher für die Großstadt, die den Menschen ebenso entwurzele, wie die Demokratie, die nur Chaos bedeuten würde. Auch nach 1945 nutzen die Rechten den Begriff, um gegen den verkümmerten, bekenntnislosen „Asphaltmenschen“ anzuschreiben. Der „Asphalt“ entziehe dem Menschen „den Boden unter den Füßen“ und nehme diesem seine „wirkliche Erdbezogenheit“. Der so entfremdete Mensch trage „Stöckelschuhe“ und habe ein „Stöckelherz“, so Böhme. Seinen „Geruch“ versuche er durch „Parfüme und Farbstifte“ zu übertünchen. Schließlich habe er kein „Volk“, er sei schlechthin „heimatlos“. Hinter all dem sollte ein böser Plan jüdischer Kräfte – wahlweise auch der USA oder des Kommunismus – stecken, denn die Rechten fürchteten nichts weniger als die „Zersetzung“ und Zerstörung der Gemeinschaft. So sind Vorstellungen von der richtigen oder falschen Sexualität eng mit dem Antisemitismus verwoben.
Doch es sollte noch schlimmer kommen: Die Novellierung des Strafrechts in Hinblick auf die Sanktionierung der Pornographie und damit der Rückzug des Staates aus dem Bereich provozierte schließlich nicht nur die extreme Rechte. Dies führt zur weitgehend vergessenen Geschichte des Rechtsterrorismus in den 1970er und 80er Jahren. Einer der vehementesten Gegner der daraufhin als Feindbild propagierten „Porno-Welle“ war Manfred Roeder, der später als Rechtsterrorist Bekanntheit erlangte. Ende der 1960er Jahre kam Roeder in Kontakt mit christlich-klerikalen Kreisen. Im August 1970 hatte er zusammen mit einigen Mitstreiterinnen ein Banner der die Offenbacher Sexmesse „Intim 70“ mit Farbe beschädigt und Flugblätter verteilt. Die „Entwürdigung des Menschen und die Verhöhnung unserer bestehenden Gesetze“ wurde beschworen, Sexbesessenheit der Gesellschaft konstatiert und insbesondere Homosexualitäten als Ausdruck „abartiger Triebe“ gekennzeichnet. Als Gegenmittel wurde die Rückkehr zu Gott anempfohlen.
Die rechtsterroristische „Gruppe Ludwig“ verübte zwischen 1977 und 1984 in Oberitalien und Westdeutschland verschiedene Terroranschläge auf Etablissements des Rotlichtmilieus und Homosexuelle, aber auch auf Drogenabhängige und Geistliche. Am 7. Januar 1984 warfen zwei Männer je einen Kanister Benzin in den Eingangsbereich der Münchner Diskothek „Liverpool“ in und setzten das Lokal in Brand. Acht Menschen wurden verletzt. Corinna Tartarotti, eine 20-jährige Barangestellte, erlag drei Monate später ihren schweren Verletzungen. Gerade die Taten dieser Gruppierung, auf deren Konto mindestens 15 Morde gehen, verweisen auf die engen Verbindungen von Teilen der extremen Rechten zum christlichen Fundamentalismus.
Fazit
Es gibt durchaus Verwandlungen in der extremen Rechten im Laufe der Jahrzehnte. Doch ihr Markenkern bleibt: Stets sieht man sich als Bewahrer und Beschützer von Familie, Volk, Nation gegen äußere und innere Feinde. Überall drohe eine existenzbedrohende „Krise“. Männlichkeit kann hier als Re-Souveränisierungsstrategie angesehen werden.
Strategien gegen Rechts sollten sich daher eine kritische Analyse von Männlichkeitskonstruktionen und -bildern der extremen Rechten zu eigen machen.