Skip to main content

30 Jahre "Antifaschistische Aktion Schweden"

Einleitung

Am 9. September 2023 lud die Antifaschistische Aktion Schweden (AFA) nach Stockholm anlässlich ihres 30-jährigen Bestehens. Genoss_innen aus dem In- und Ausland kamen, um zu gratulieren. Hunderte Gäste feierten am Abend, während am Vormittag in einem Umzug verstorbenen Genoss_innen gedacht wurde.

AFA Schweden 30

Anfang der 1990er Jahre kam wieder Bewegung in die neofaschistischen Kräfte in Schweden. Die „Neuen Demokraten“ (Ny demokrati) feierten 1991 ihr Wahldebüt, Flüchtlingsheime wurden angegriffen, der „Vitt Ariskt Motstånd”1 (VAM, übersetzt "Weißer Arischer Widerstand") formierte sich und der „Lasermann”2 sorgte für Angst und Schrecken bei Menschen mit Migrationshintergrund. Zur rassistischen Gewalt im Land trat mit dem VAM eine neonazistische Ideologie hinzu, martialische Demonstrationen von maskierten Neonazis in Uniform flimmerten plötzlich über die Bildschirme.

Diese Entwicklung führte in den Jahren 1991 und 1992 zum Anstieg eines kurzweiligen aber breiten antifaschistischen Widerstandes mit zahlreichen Aktionen. Am 30. November 1991 formierte sich in Stockholm spontan eine Arbeitsgruppe, um eine Demonstration von Neonazis zu verhindern. Diese Arbeitsgruppe verwendete zum ersten Mal den Titel „Antifaschistische Aktion”. Der Winter 1991/92 war geprägt von spontanen Koalitionen antifaschistischer Gruppen, eine kontinuierliche Arbeit war jedoch schwer zu realisieren. Trotzdem gelang es, die erste neonazistische Welle in ihre Schranken zu weisen.

1993 gründeten 20 Antifa-Gruppen aus dem ganzen Land das Netzwerk „Antifaschistische Aktion”. Alle Gruppen im Netzwerk arbeiten selbstständig und bestimmen ihre eigene Agenda. Die AFA Schweden hat eine freiheitliche, sozialistische Grundeinstellung und sieht sich als Teil einer breiteren, militanten außerparlamentarischen Linken.

Seit ihrer Gründung ist die AFA Schweden mit einer Neonazi-Szene konfrontiert, die immer wieder durch extreme Gewalttaten auffällt. Die Morde von 1995 in Kode3 , Klippan4 und Västerås5 sprechen eine deutliche Sprache und der Mord an dem antifaschistischen Gewerkschafter Björn Söderberg im Jahr 1999 war ein Schock (vgl. AIB Nr. 50, 1.2000: "Schweden: Geht der Terror weiter?").

Die AFA Schweden machte deshalb auch nie einen Hehl daraus, dass antifaschistischer Widerstand den Neonazis auf der Straße begegnen muss und Militanz ein Teil der politischen Strategie ist. So gelang es immer wieder, die neonazistische Gewalt zurückzudrängen.

Als 1995 die faschistischen Übergriffe mit den Morden einen ihrer traurigen Höhepunkte erreichten, kam wieder mehr Bewegung in die antifaschistische Zusammenarbeit. Die Zeit vorher hatte die AFA Schweden für ihre Weiterentwicklung genutzt und seither stand das Netzwerk für eine Kontinuität, mit Erfahrung, politischer Basis und Wissen zum Widerstand beizutragen. Auch veränderte sie die vorwiegend defensive Ausrichtung ihrer Politik und ging mehr in die Offensive. Kampagnen gegen die Neonaziläden „Asgård” und „Last Resort” sind genauso ein Ausdruck dafür, wie die Verhinderung des "Rudolf Hess-Marsches" in Trollhättan im Jahr 1996.

2000 bis 2010

Die 2000er Jahre sollten das Jahrzehnt der Straßenmobilisierungen werden. Die AFA Schweden interpretiert den Antifaschismus über den reinen Kampf gegen Neonazis und RassistInnen hinaus. Sie verfügt über eine ausgeprägte Klassenidentität und Arbeiter_innen sind eine wichtige Zielgruppe. Die Mobilisierung zum EU-Gipfel 2001 in Göteborg war daher eine logische Folge. Vor Ort wurden nicht nur Gegendemonstrationen und Blockaden organisiert, sondern auch strukturelle Aufgaben wie Kommunikation, Koordinierung internationaler Genoss_innen und die Bereitstellung von Schlafplätzen übernommen. Der Gipfel wurde von großen Gegendemonstrationen und schweren Ausschreitungen begleitet, und die AFA Schweden genauso wie die Linke insgesamt im Nachhinein mit erheblicher Repression überzogen.

Marsch in Salem

Während der EU-Gipfel ein einmaliges Ereignis war, etablierten sich in den Folge­jahren zwei jährlich stattfindende Neonazi-­Demonstrationen. Der Marsch in Salem6 entwickelte sich schnell zu einer der größten Neonazi-Demonstrationen in Europa. Die Organisierung von Gegenaktivitäten wurde zu einer der Hauptaufgaben in diesen Jahren. Die Strategien waren vielfältig und reichten von Gegendemonstrationen, Platzbesetzungen, klandestinen Aktionen bis zu zu Besetzungen von Verkehrsknotenpunkten. Es bestand nicht immer Einigkeit unter den verschiedenen AFA Gruppen und so es kam vor, dass zu verschiedenen Aktionen mobilisiert wurde. Nach einigen Jahren verlor der Marsch immer mehr an Bedeutung und die Anzahl der TeilnehmerInnen ging langsam zurück. Nach internen Konflikten wurde der Marsch 2011 nach Stockholm verlegt, um so wieder mehr Personen mobilisieren zu können. Am Tag des Aufmarschs trafen einige hundert Neonazis auf einen starken antifaschistischen Widerstand und die Demonstrationsstrecke war am Ende sehr kurz. Seit 2011 ist der Salemmarsch Geschichte.

Marsch am Nationaltag

Der jährliche Marsch am Nationaltag versammelte um die 1.000 Neonazis, die auf einen starken antifaschistischen Widerstand trafen. Wegen interner Auseinandersetzungen fand der Marsch 2009 nicht mehr statt. Insbesondere in den Wochen vor den Aufmärschen stieg die Anzahl der militanten Auseinandersetzungen steil an.

2013 und 2014 – Die schwierigen Jahre

Seit ihren Gründungsjahren sah sich die AFA Schweden immer wieder mit Neonazi-­Gewalt konfrontiert. Dass auch in Phasen ohne größere Neonazi-Mobilisierungen immer mit brutalen Übergriffen gerechnet werden musste, zeigen die folgenden Jahre: Im Dezember 2013 überfielen 30 Neonazis vom "Nordisk Resistant Movement" (NMR, Nordische Widerstandsbewegung) eine bürgerliche, antirassistische Demonstration in Kärrtorp, südlich von Stockholm. Gemeinsam mit anderen Demonstrierenden gelang es der AFA den Angriff abzuwehren und die Neonazis zu verjagen. Trotzdem stellte der Angriff auf eine friedliche Demonstration ein neues Level rechter Gewalt dar.

Wenige Monate später befand sich im südschwedischen Malmö eine Gruppe Antifaschist_innen auf dem Heimweg von einer Demonstration zum 8. März. Im „linken Viertel”  Möllan wurden sie unvermittelt von einer Gruppe Neonazis angegriffen, die brutal auf die Antifaschist_innen einprügelte und mit Messern um sich stach. Erst zu Hilfe eilende Antifaschist_innen konnten dem Angriff Paroli bieten, bis schlussendlich die Polizei erschien. Der Antifaschist Showan wurde ins Koma geprügelt und überlebte den Angriff nur knapp. Fast alle Antifaschist_innen aus der angegriffenen Gruppe waren verletzt und hatten, teilweise mehrere, Messerstiche abbekommen. Als Reaktion wurde zur Unterstützung der Betroffenen und deren Umfeld, aber auch um den antifaschistischen Widerstand zu bündeln und stärken, die Kampagne „Kämpa Malmö” (Kämpfe Malmö) gegründet, die in Schweden und international Aufmerksamkeit und eine Unterstützung erlangen sollte.

Am 23. August hatte die "Svenskernes Parti" ("Partei der Schweden") zu einer Wahlkundgebung zum Limhamn Torv in Malmö mobilisiert. Die 2000 Gegen­demonstrant_innen wurden massiv von der Polizei angegriffen, Polizeiautos fuhren in die Menschenmenge und Polizist_innen auf Pferden ritten ohne Rücksicht auf Verluste durch dicht an dicht stehende Menschen. Mehrere Genoss_innen wurden dadurch schwer verletzt.

Heute

Organisierungsversuche der extremen Rechten in Schweden gab es in den letzten drei Jahrzehnten viele. Doch nur die "Nordische Widerstandsbewegung" (NMR), die 1997 von ehemaligen VAM-Mitgliedern als SMR ("svenske motståndsrörelsen") gegründet wurde, kann auf eine langjährige Geschichte zurückblicken.

Der AFA Schweden ist es in den letzten 30 Jahren gelungen, einen konstanten und teils massiven Druck auf die Neonazi-Szene auszuüben. Dass dies die Aufrechterhaltung von langjährigen Neonazi-Organisationen in Schweden deutlich erschwert hat, steht außer Frage. Die AFA Schweden hat damit alle neofaschistischen Organisationen in Schweden überlebt. Doch ist sie damit leider nicht überflüssig geworden. Auch wenn die Aktivitäten organisierter Neonazis in den letzten Jahren zurückgegangen sind, rückte die schwedische Gesellschaft massiv nach rechts. Die rechten „Schwedendemokraten“ (SD) sind mittlerweile Mehrheitsbeschaffer für die schwedische Regierung und der von allen Parteien eingehaltene Pakt „Keine Zusammenarbeit mit der SD” ist in sich zusammengefallen. Die Prognosen für die Zukunft zeigen in die falsche Richtung. Es gibt also noch viel zu tun.