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Themen und Kampagnen der türkischen extremen Rechten in Deutschland

Ismail Küpeli (Gastbeitrag)
Einleitung

Auch Personen mit Türkeibezug können in einer vielschichtigen rechten Szene aufgehen, da es eine große ideologische Übereinstimmung gibt bzgl. völkisch-nationalistischer, rechtsautoritärer, antisemitischer, queerfeindlicher und antifeministischer Haltungen.

air do gun
(Foto: Screenshot von x bzw. twitter/bilgiliueretmen)

Der „Politfluencer“ Bilgili Üretmen im Erdoğan/„AirDoGun“-Shirt.

Während die extreme Rechte in der Türkei in einem gesellschaftlichen Umfeld handelt, in dem wichtige Bausteine ihrer Ideologie mehrheitsfähig sind und im Einklang mit der türkisch-islamischen Staats­ideologie stehen, gestaltet sich die Situation für die türkische extreme Rechte in Deutschland deutlich anders. Die Mehrheitsgesellschaft steht der Ideologie der türkischen extremen Rechten indifferent bis ablehnend gegenüber. Will sie in politischen, gesellschaftlichen und medialen Räumen agieren, muss sie sich bedeckt halten. Diese grundlegend unterschiedliche Situation hat vielfältige Konsequenzen und verschiebt die Funktion des türkischen Nationalismus für dessen Anhänger:innen: Während die Ideologie in der Türkei der Legitimation und Sicherung politischer Macht dient, fördert sie in Deutschland primär die Schaffung eines positiven Selbstbildes sowie einer Gruppenidentität.

Ideologische Transformation

Die Ideologie selbst muss sich den gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland allerdings immer wieder auch anpassen. Dies wird in Bezug auf antiarmenischen Rassismus und Antisemitismus besonders deutlich. Während der antiarmenische Rassismus für die Mobilisierung nach „innen“ noch eine gewisse Relevanz hat und keineswegs verschwunden ist, besitzen antiarmenische Erzählungen in Bezug auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft keinerlei Anschlussfähigkeit – vielmehr sorgen sie in der Kommunikation bei anderen politischen Akteur:innen für Irritationen und zusätzliche Probleme. Die anti­armenische Mobilisierung in Europa im Zuge des Bergkarabach-Krieges 2020, bei der die türkische extreme Rechte den Konflikt nutzte, um antiarmenische Angriffe etwa in Frankreich durchzuführen, erhielt keinerlei Unterstützung von politischen Kräften außerhalb der türkischen Nationalist:innen selbst. Vielmehr führten diese Angriffe zu einem stärkeren staatlichen Vorgehen gegen die türkische extreme Rechte in Frankreich.

Gänzlich anders stellt sich die Ausgangslage in Bezug auf Antisemitismus dar -  insbesondere hinsichtlich der Erscheinungsform des israelbezogenen Antisemitismus - der gewissermaßen als eine Brückenideologie quer über gesellschaftliche Gruppen, politische Lager und identitäre Milieus funktioniert. Mithilfe antisemitischer Erzählungen kann die türkische extreme Rechte in den Austausch mit anderen politischen Akteur:innen (sowohl aus der Mehrheitsgesellschaft als auch aus anderen de facto Minderheiten) treten und sich an größeren Mobilisierungen beteiligen.

So traten etwa  bei den antiisraelischen Protesten in Deutschland im Mai 2021 türkische Nationalist:innen sehr öffentlichkeitswirksam auf und waren augenscheinlich ein wichtiger Teil des Protestgeschehens. In solch antisemitischen Mobilisierungen sind türkische Nationalist:innen nicht mehr randständig und minoritär, sondern Teil von größeren Allianzen und können sich entsprechend mit anderen Akteur:innen vernetzen. Ihre Beteiligung an den Protesten wurde selbst vom eher linken Flügel der antiisraelischen Bewegung geduldet.

Während einerseits also der antiarmenische Rassismus in der Kommunikation mit der Mehrheitsgesellschaft in den Hintergrund treten muss, ist der gleichzeitig stärkere Rückgriff auf antisemitische Erzählungen für türkische Nationalist:innen durchaus einfach zu bewerkstelligen. Das verschwörungsideologische Denken und die manichäische Weltanschauung (in der stets zwischen „wir“ und „dem Feind“ unterschieden wird) spielen sowohl beim antiarmenischen Rassismus als auch beim Antisemitismus eine zentrale Rolle.

Die Erfahrungen, die türkische Nationalist:innen in den letzten Jahren gesammelt haben, werden dazu führen, dass auch in Zukunft antisemitische Narrative stärker eingesetzt werden. Aber der antiarmenische Rassismus wird dadurch keineswegs verschwinden, sondern innerhalb der türkischen extrem rechten Bewegung in Deutschland weiterhin eine gewisse Relevanz behalten.

Online-Wahlkampf

Die Social Media-Aktivitäten der organisierten türkischen extremen Rechten lassen sich einordnen im Rahmen der gesamten politischen Aktivität entsprechender Organisationen und Parteien. So zielen diese primär auf konkrete Ziele wie etwa die Mobilisierung der eigenen Zielgruppe für politische Kampagnen und Veranstaltungen, die Verbreitung und Festigung extrem rechter Ideologie bei der eigenen Anhängerschaft sowie der Bekämpfung von politischen Gegner:innen durch Hetze und Drohungen.

In der ersten Jahreshälfte 2023 war insbesondere der Wahlkampf in der Türkei das bestimmende Motiv in den gesamten politischen wie auch Social Media-Aktivitäten der organisierten türkischen extremen Rechten. Ein relevanter Teil der online getätigten Äußerungen ist im Kontext der Wahlen in der Türkei einzuordnen. Entsprechend der Ideologien und Politiken des Wahlbündnisses „Volksallianz“ - in der rechtsautoritäre, extrem rechte und islamistische Parteien zusammen agierten - beinhalten auch die Social Media-Äußerungen der organisierten türkischen extremen Rechten türkisch-nationalistische, antidemokratische, antipluralistische, queerfeindliche, antifeministische und weitere rechte und extrem rechte Narrative. Diese Narrative werden verknüpft mit konkreten politischen Forderungen und Positionen, die dazu dienen sollen, die eigene Zielgruppe für den Wahlkampf und in diesem Beispiel auch ganz konkret für die Stimmabgabe zu mobilisieren.

Rechtsoffenes Verschwörungsdenken

Während diese Vorgehensweise der organisierten türkischen extremen Rechten bereits aus vorherigen Wahlen bekannt ist und die Social Media-Aktivitäten von solchen eher gefestigten Strukturen inzwischen auch in der kritischen Öffentlichkeit wahrgenommen werden, bleiben die Aktivitäten einer neuen Akteursgruppe weitgehend unbeachtet.

Es handelt sich hierbei um Personen, die augenscheinlich nicht Mitglied der klassischen Organisationen und Parteien der türkischen extremen Rechten sind. Vielmehr ist ein fragmentarischer und eher symbolischer Bezug auf die Ideologie der türkischen extremen Rechten zu beobachten. Die Social Media-Äußerungen dieser Akteursgruppe beziehen sich auch deutlich weniger auf die politischen Ereignisse in der Türkei, sondern viel stärker auf Entwicklungen in Deutschland, aber auch auf globale Themen der rechtsoffenen Szene von Verschwörungsideolog:innen (wie etwa „Great Reset“ oder der „Große Austausch“).

Damit sind diese Akteur:innen vielmehr als Teil einer rechtsoffenen bis extrem rechten politischen Szene in Deutschland zu verstehen und weniger als eine abgrenzbare feste Gruppe der türkischen extremen Rechte. Dieses Aufgehen von Personen mit Türkeibezug (um den Begriff „türkeistämmig‘“ zu meiden) in einer vielschichtigen rechten Szene wird auch dadurch erleichtert, da es eine große ideologische Übereinstimmung gibt bzgl. völkisch-nationalistischer, rechtsautoritärer, antisemitischer, queerfeindlicher und antifeministischer Haltungen. Hinzu kommt eine grundsätzliche Affinität für Verschwörungsdenken und Feindbildkonstruktionen sowohl innerhalb der türkischen extremen Rechten als auch bei Rechten aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft.

Antiisraelische Mobilisierungen

Seit dem 7. Oktober 2023 dominiert indes ein Themenfeld die Social Media-Aktivitäten der gesamten türkischen extremen Rechten: die antiisraelische Mobilisierung nach den Hamas-Terrorangriffen und der darauf folgenden israelischen Militäroffensive im Gazastreifen. Hier kann die extreme Rechte an weitverbreitete antiisraelische Narrative und Denkmuster anknüpfen und diese im Sinne ihrer Ideologie des israelbezogenen Antisemitismus zuspitzen.

Dabei sind bisweilen keine grundlegenden Unterschiede zwischen den Äußerungen der extremen Rechten und Akteur:innen der übrigen, vermeintlich moderateren Rechten festzustellen: Exemplarisch dafür steht die öffentliche Unterstützung der Hamas durch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der Israel als faschistisch bezeichnet und dessen Existenzrecht in Frage stellt. So erhalten extrem rechte Diskurse eine sehr große Reichweite.

Auch deshalb bedarf es einer kontinuierlichen Beobachtung der Aktivitäten beider Akteursgruppen - sowohl der organisierten als auch der eher vereinzelten türkischen extremen Rechten - um Gefahren für die demokratische und pluralistische Gesellschaft insgesamt sowie die konkrete Gefährdung für Menschen, die im Visier der extrem rechten Ideologien stehen, einschätzen und bekämpfen zu können.