„Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland“
Die internationale Neonazi-Szene versuchte (gewaltsam) gegen Fritz Bauer vorzugehen.
Fritz Bauer war ein talentierter Jurist und wurde 1930 mit 26 Jahren der jüngste Amtsrichter in der Weimarer Republik. Als engagierter Verteidiger der Demokratie verlor er 1933 seine Arbeit und wurde für mehrere Monate im KZ eingesperrt. Ohne berufliche Perspektive und von den Nazis als Jude angesehen, emigrierte er 1936 nach Dänemark. Doch wenige Jahre später besetzte die Wehrmacht das Land und begann 1943 mit der Deportation der dänischen Juden in die Vernichtungslager. Fritz Bauer und seiner Familie gelang es mit einem Boot über den Öresund nach Schweden zu fliehen, wo sie den Krieg und den Holocaust überlebten.
Zurück in Deutschland
1949 kehrte Bauer nach Deutschland zurück und wurde 1956 Generalstaatsanwalt in Frankfurt. Was es bedeutete, als Jude, als der er sich selber aber nie sah, Linker und Flüchtling nach Deutschland und in ein Justizamt zurückzukehren, wo fast alle Bereiche des Lebens von ehemaligen Nazis und Kriegsverbrechern getränkt waren, kann man sich kaum vorstellen. Unzählige Positionen waren mit ehemaligen Nazi-Juristen besetzt, die verantwortlich waren für Todesurteile und Verfolgung – und dennoch weiter Recht sprechen durften.
Die Motivation von Fritz Bauer: beim Aufbau einer demokratischen Justiz mitwirken und NS-Täter vor Gericht stellen. „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland“ beschrieb Fritz Bauer einmal die Atmosphäre als antifaschistischer Staatsanwalt in einer immer noch braunen Justiz.
Seine größten und bis heute bekanntesten Erfolge: Nachdem sein Antrag, die BRD solle sich um die Auslieferung von Adolf Eichmann aus Argentinien kümmern von der Bundesregierung schnell abgelehnt wurde, informierte er über Umwege den israelischen Geheimdienst Mossad, dem es gelang, Eichmann 1961 in Jerusalem vor Gericht zu stellen. Auch der Auschwitz-Prozess in Frankfurt von 1963 bis 1965 sorgte für internationale Aufmerksamkeit. Die Vernichtungsmaschinerie des Konzentrations- und Vernichtungslagers wurde einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und ehemaliges Lagerpersonal vor Gericht gestellt. Durch dieses Engagement wurde er Zielscheibe von Neo- und Altnazis – aber auch konservativer Politiker.
Schändungen und Anschlagsplanungen
Der ehemalige HJ-Führer, Holocaust-Leugner und Mitgründer der Zeitschrift „Nation und Europa“ Karl-Heinz Priester aus Wiesbaden, gründete verschiedene neonazistische Sammlungsbewegungen und war international vernetzt. Für Ostern 1960 plante er einen Kongress in Wiesbaden, wo sich die zersplitterten rechten Organisationen treffen und neu formieren sollten. Im Vorfeld dieses Treffens ließ Fritz Bauer Hausdurchsuchungen durchführen und Beweismittel gegen Priester beschlagnahmen. Anstatt das konsequente Vorgehen Bauers zu unterstützen, kritisierte „Der Spiegel“ die angeblich „übertriebenen“ Hausdurchsuchungen bei Priester. Die hessische CDU stellte Anfragen im Landesparlament und Abgeordnete der CDU beschuldigten Bauer, er würde zu hart gegen die Rechte, aber zu mild gegen Linke vorgehen. Zwölfmal war Bauer bis 1965 Gegenstand von Debatten im hessischen Landtag und die Opposition drängte auf eine Versetzung Bauers aus seinem Amt.
Eine Gruppierung aus Niedersachsen, das „Freicorps Großdeutschland“, entwickelte konkrete Mordpläne gegen Bauer. Die Gruppe stürzte bereits in der Nacht auf den 20. April 1957 in Salzgitter-Lebenstedt einen Obelisken um, der zum Gedenken an jüdische, polnische und sowjetische Opfer des nahegelegenen KZs erinnern sollte. Auch Gedenksteine jüdischer Opfer wurden umgekippt und eine Strohpuppe mit „Deutschland Erwache“ und „Israel verrecke“-Parolen wurde an einem Holzkreuz für französische ZwangsarbeiterInnen aufgehängt. Die Empörung über diese Grabschändungen waren groß und erregten weltweit Aufmerksamkeit. Dennoch wurde jahrelang kein Täter überführt – ein Polizeibericht spricht von “Sympathien“ der örtlichen Bevölkerung mit der Tat und den Tätern, was die Ermittlungen erschwert habe.
Schließlich lieferte ein niedersächsischer Neonazi, Wilhelm Scholz, als V-Mann des Verfassungsschutzes die Täter aus: Günther Sonnemann - ehemaliger Scharführer der HJ und Volkssturm, ehemaliges Mitglied der „Sozialistischen Reichspartei“, verurteilt wegen Gewalt gegen KPD-Mitglieder und persönlich bekannt mit Karl-Heinz-Priester aus Wiesbaden. Auch Edelmund Dietze und Bernd Detlef Ebert wurde verdächtigt und angeklagt. Doch die Gruppe wollte es nicht nur bei Friedhofsschändungen belassen. Auch Attentate auf Repräsentanten der BRD - wie z.B. Fritz Bauer, Herbert Wehner und Heinz Galinski waren im Gespräch. Sonnemann bezeichnete Bauer als „Großinquisitor der Zionisten“ und versuchte, Kontakt mit ägyptischen Vertretern in Deutschland aufzubauen, um diesen für einen gemeinsamen Kampf gegen Kommunisten, Kolonialismus und Juden zu gewinnen. Auch ein Sprengstoffanschlag auf ein Ehrenmal in Bergen-Belsen war in der Planung gewesen.
Im April 1961 wurden drei Personen in Niedersachsen verhaftet. Es folgten Urteile zu mehreren Jahren Zuchthaus bzw. Gefängnis.
Der Fall Bruno Lüdtke
In der Nacht zum 26. Juni 1963 wurde die Eingangstür vom Haus von Fritz Bauer mit einem Dutzend Hakenkreuzplakaten zugeklebt. Das Plakat war unterzeichnet mit „National Socialist Movement“.
Verdächtigt für diese Tat wurde der 36-jährige Bruno Lüdtke. Dieser ehemalige Wehrmachtssoldat stand ebenfalls in Kontakt mit Karl-Heinz Priester und versuchte sich international mit anderen Nationalsozialisten zu vernetzen.
So nahm er im August 1962 an einem Zeltlager des „Northern European Ring“ (NER) in der Nähe von London teil. Anführer des NER war der Anführer des „British National Socialist Movement“ (NSM) Colin Jordan. Der NSM sollte von Beginn an international ausgerichtet sein – das Zeltlager diente daher der Vernetzung verschiedener Neonazi-Gruppierungen aus verschiedenen Ländern. Einer der Teilnehmer war auch George Lincoln Rockwell. Der US-Amerikaner war in den 1960ern ein Aushängeschild der internationalen NS-Bewegung und hatte 1959 die „American Naziparty“ (ANP) und die „World Union of National Socialists“ (WUNS) gegründet. Er forderte die Deportation von Afroamerikanern, bedrohte seine Gegner mit Vergasung und betrieb systematisch Holocaustleugnung als Mittel der Propaganda.
Eben dieser Rockwell stand seit 1961 im engen Briefkontakt mit Bruno Lüdtke, der dann auch in die WUNS eintrat. Lüdtke übersetzte Rockwells Buch „This Time the World“ ins Deutsche und übte als Deutscher einen besonders starken Einfluss auf Rockwell aus. In den Briefen schrieb Lüdtke regelmäßig über Fritz Bauer und bezeichnete ihn als „marxistischen Generalstaatsanwalt“. Durch die Teilnahme von Lüdtke an den internationalen Treffen ist davon auszugehen, dass der Hass auf Fritz Bauer sich international in Neonazi-Kreisen verbreitete.
Zurück in Deutschland schrieb Lüdtke im Namen eines angeblichen „nationalsozialistischen Führungsrates“ Pamphlete. In diesen hetzte er gegen Fritz Bauer und drohte „der Schlange Israel und ihren bereitwilligen Bütteln“ die Vernichtung an. Einem Flugblatt legte er eine Feindesliste mit Adressen jüdischer Einrichtungen, Verfolgtenverbänden und Einzelpersonen bei – darunter die private Adresse von Fritz Bauer in Frankfurt. Als Lüdtke zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, organisierte die WUNS bzw. die ANP Proteste in den USA und England.
Die Gruppe um Reinhold Ruppe, Kurt Rheinheimer und Erich Lindner
9. April 1966: In Ludwigsburg wurde der 24-jährige Deutsch-Amerikaner Reinhold Ruppe beim Auskundschaften der „Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ verhaftet. Ziel des Neonazis war gewesen, diese in Brand zu setzen, um Verfahren gegen NS-Täter zu verhindern.
Ruppe und Kurt Rheinheimer gehörten dem Umfeld der ANP in den USA an und waren in die BRD ausgewandert. Erich Lindner war ein deutscher Neonazi. Gemeinsam sammelten sie Waffen und Sprengstoff und fingen an, Informationen über Fritz Bauer zu sammeln. Lüdtke, der von dem geplanten Attentaten der Gruppe nach der Festnahme erfuhr, schrieb 1966 einen begeisterten Brief an Rockwell. Er kritisierte nur, dass man sich habe erwischen lassen. Ruppe und Lindner wurden 1966 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.
Déjà-vu
Die Ähnlichkeiten dieser Taten aus den 1960er Jahren zu heute sind frappierend: Im Fokus stehen DemokratInnen und Jüdinnen und Juden – die Täter waren international vernetzt und konnten auf zahlreiche Waffen zurückgreifen. Dennoch wurden sie von Polizei und Presse als Einzeltäter dargestellt, die Gefahr von rechts verharmlost und das Unterstützernetzwerk nicht ausgeleuchtet.
Nach dem Tod von Fritz Bauer Tod 1968 wurde in seiner Wohnung eine Pistole gefunden. Völlig wehrlos wollte er nicht sein, wenn die Täter zu ihm in die Wohnung gekommen wären.
(Alle Informationen dieses Artikels stammen aus einem aktuellen Rechercheprojekt am Fritz-Bauer-Institut. www.youtube.com/watch?v=BTZQ4ClEZss)