Anklage gegen „Reichsbürger“-Terror-Netzwerk
Ende Dezember 2023 erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen einen Teil des „Reichsbürger“-Netzwerkes um Heinrich XIII. Prinz Reuß (Frankfurt/M.), das geplant hatte mit Waffengewalt die Regierung zu stürzen. Neben dem Paragraph 129 ist u.a. auch illegaler Waffenbesitz angeklagt. Ein erster Prozess begann im April 2024. Mittlerweile wurden die wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen bekannt.
(Ex-) Militärs planen Umsturz
Die Entstehung der Gruppierung ist auf einen Videocall Ende Juli 2021 zwischen dem nach Brasilien ausgewanderten Rüdiger Wilfried Hans von Pescatore mit einer Personengruppe in Deutschland zurückzuführen. Seine Gesprächspartner waren Maximilian Eder (Eppenschlag) und Peter Wörner (Fichtelberg) sowie die frühere AfD-Mitarbeiterin Ruth Hildegard Leiding (Heppenheim), Thomas Tscherneschek (Buch am Wald) und Harald Pfitzer. Im Gegensatz zu anderen rechten Umsturz-Plänen waren hier (frühere) militärische „Fachleute“ am Werk. Pescatore war früher ein Kommandeur des „Fallschirmjägerbataillons 251“. Eder und Wörner sind ehemalige Mitglieder des „Kommando Spezialkräfte“ (KSK). Pfitzer ist ein ehemaliger Soldat des "Jagdgeschwaders 74".
Die Zuordnung einiger der Beschuldigten zum Netzwerk wurde den Ermittlern leicht gemacht: Die „Reichsbürger“ Ralf Helmut Schlatter (Horb am Neckar) und Markus Haarmann entwarfen eine „Verschwiegenheitserklärung“, die im Rahmen der Rekrutierung neuer Mitglieder eingesetzt wurde. Ihre Unterzeichnung war Voraussetzung für eine Aufnahme in die Vereinigung. In der Urkunde verpflichtete sich der Unterzeichner zur Verschwiegenheit bei der „Reaktivierung Deutschlands“ und der „Befreiung des Deutschen Volkes“. Verstöße sollten als Hochverrat mit der Todesstrafe geahndet werden. Mindestens 136 Personen unterschrieben die Erklärung.
Der Planung folgten konkrete Schritte
Eder, Wörner und Pfitzer wurden von der AfD-Politikerin Dr. Birgit Theresia Malsack-Winkemann (Berlin) durch den Bundestag geführt, um bewaffnete „Festnahmen“ von Politiker_innen zu planen. Wörner soll gemeinsam mit dem früheren AfD-Stadtrat Christian Wendler (Olbernhau) erfolglos versucht haben Sven Birkmann zur personellen Unterstützung anzuwerben. Zu diesem Zeitpunkt war Birkmann Rädelsführer einer anderen terroristischen Gruppierung („Vereinte Patrioten“).
Im Zuge der Suche nach potentiellen Mittätern bestanden der Waffenhändler Markus Maaske (Chemnitz), Thomas Lohse und Jorn Härich die Vorstellungsgespräche bei Wörner und von Pescatore und gehörten zum militärischen Arm der Vereinigung. Wörner organisierte ein Schießtraining, an dem neben ihm von Pescatore sowie Tscherneschek, Wendler, Pfitzer, Lohse, Härich, Tomas Mihalic, Nadine Jungblut, Kai Schneider, Antonio Marcos Nicolas-Amat, Corrado Pülz und Frank Seerig teilnahmen. Ziel der Übungen war es laut Anklage, geeignete Einsatzkräfte für den Angriff auf den Deutschen Bundestag auszuwählen.
Verschwörungideolgien treffen Umsturzpläne
Eder reiste derweil gemeinsam mit der „dieBasis“-Politikerin Johanna Elisabeth Findeisen-Juskowiak (Frickingen) in die Schweiz, um dort ein Interview mit einem Mädchen zu führen, das angab von „korrupten Politikern“ in unterirdische Tunnel entführt worden zu sein. Diese hätten versucht aus Kinderkörpern ein Verjüngungselexier zu gewinnen.
Der Ex-Soldat Marco van Heukelum (Wöschbach), behauptete für die Vereinigung einen Kontakt zu einer geheimen, weltweiten Militär-„Allianz“ herstellen zu können, die plane, die Kinder zu befreien. Um zwischen der „Allianz“ und den deutschen „Kämpfern“ zu vermitteln nutzte van Heukelum den Telegram-Kanal „Frag uns doch – Das Original“ von dem „Reichsbürger“ Alexander Quade (Dutenhofen). Der Tod der englischen Königin wurde als Signal für den bevorstehenden Angriff der „Allianz“ gewertet und von Pescatore und diverse Mitstreiter versammelten sich in einer Art „Gefechtsstand“ in Neustetten.
Um durch eigene Observationsmaßnahmen einen Eingang zu den unterirdischen Tunneln zu finden und um Waffen und Ausrüstung für den Angriff auf den Bundestag zu erwerben, wurden die Schweizer Zwillingsbrüder Claudio und Sandro R. angeworben und mit hohen Geldbeträgen versorgt. Obwohl die Brüder weder Waffen lieferten, noch den Eingang zum geheimen Tunnelsystem fanden, forderten sie von der Vereinigung einen hohen sechsstelligen Betrag, der durch Eder beglichen wurde. A
us dem Umfeld der Vereinigung konnten Hans-Joachim Heuer (Jesteburg), Florian Burges (München) und Dr. Melanie Andrea Ritter (Landkreis Peine) überzeugt werden, das (potentielle) Terror-Netzwerk mit hohen Geldbeträgen zu unterstützen.
Hoffen auf Russland
Die Vereinigung hoffte die „Russische Föderation“ zur Unterstützung ihrer Pläne gewinnen zu können. Hierfür besuchten Reuß und die russische Staatsbürgerin Vitalia Bondarenko (Frankfurt/Bad Lobenstein) das Generalkonsulat in Leipzig. Auch Findeisen-Juskowiak führte mehrere Gespräche mit Vertretern des Generalkonsulats in Frankfurt am Main. Die Vereinigung hoffte u.a. auf „geheimdienstliche Kapazitäten“ und Möglichkeiten zur militärischen Ausbildung in Russland.
Posten, Posten, Posten
Die Vereinigung vergab selbst geschaffene Posten. Ein Führungskreis („Rat“) traf sich auf dem Jagdschloss Waidmannsheil in Bad Lobenstein. Der „Rat“ bestand aus sechs Ressorts, die durch von Pescatore (Militär), dem „dieBasis“-Kandidaten Michael Andreas Achim Fritsch (Inneres), der früheren Richterin Malsack-Winkemann (Justiz), Dr. Melanie Ritter (Gesundheit), dem Hannoveraner Anwalt Dr. Tim Paul Gorgass (Außen) sowie Tscherneschek und Leiding (Transkommunikation) vertreten wurden. Die Leitung des Bereichs „Sicherheit und Polizei“ unterstand dem ehemaligen Polizeibeamten Fritsch (Alfeld/Leine). Aus der Chatgruppe „Veteranen Oberfranken“, die u.a. von Wörner administriert wurde, konnte der frühere Soldat Tomas Mihalic für die Leitung des Bereichs „Menschenwesen“ angeworben werden. Bondarenko war von Reuß für eine „Abteilung Russland“ der Vereinigung vorgeschlagen worden.
Heimatschutzkompanien für den „Tag X“
Zur Vorbereitung auf den Umsturz am „Tag X“ und die durch die Vereinigung geplanten „Aufräumarbeiten“ und „Säuberungen“ sollte ein deutschlandweites System von insgesamt 286 „Heimatschutzkompanien“ aufgebaut werden. Hierbei handelte es sich um militärisch organisierte Verbände. Die Kompanien besichtigten Kasernen als mögliche Stützpunkte oder vergaben diverse Posten wie „Fahrer der Gefangenenbusse“. Der „Militär“-Kreis um Pescatore, Fritsch, van Heukelum und dem früheren KSK-Soldaten Andreas Meyer führte mehrere Rekrutierungsveranstaltungen für ihre Kompanien durch. Wolfram Bernd Sieber und Pfitzer entwickelten die Datenbank „MZVZ“, um einen automatisierten und sicheren Informationsfluss zwischen dem „Militär-Stab“ und den einzelnen Heimatschutzkompanien zu gewährleisten.
Nicht nur Spinner
Die Beschuldigten verband eine Ideologie aus Versatzstücken von Narrativen der sog. Reichsbürger und Selbstverwalter sowie des Verschwörungskomplexes QAnon. Strukturell waren sie u.a. in der AfD, dieBasis, der Corona/Pandemie-Leugner-Szene, bei „Querdenken“ und „Reichsbürgern“ eingebunden gewesen. Weitere Verbindungen nach rechts sind anzunehmen.
Van Heukelum war gemeinsam mit Haarmann im „Vaterländischen Hilfsdienst“ aktiv. Bei Wörner fanden die Ermittler einen Ausweis der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“. Die Staatsanwaltschaft Gera führte im Jahr 2016 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung krimineller Vereinigungen gegen ihn. Wörner wurde damals verdächtigt, Mitglied einer Gruppe gewesen zu sein, die in das Organisationsnetzwerk der neonazistischen „Europäischen Aktion“ (EA) eingebunden gewesen sein soll. Das Verfahren wurde jedoch 2019 eingestellt. Wörner bot über seine Firma „Wolfszeit Outdoor und Krisenmanagement UG“ sog. Survivalkurse an. Hier war 2019 u.a. der rechte YouTuber Nikolai Nerling dabei. Findeisen und Eder wurden Anfang November 2021 von Frank Büntert alias „Jessie Marsson“ zu einem „Reichsbürger“-Seminar nach Słubice in Polen eingeladen.
Dass es einigen Mitgliedern der Vereinigung durchaus ernst mit ihren Plänen war, zeigte Markus Peter Leykamm (Reutlingen), als er am 22. März 2023 während einer Hausdurchsuchung auf zwei Polizisten insgesamt zehn Schüsse abgab und diese verletzte.
Geplante „Heimatschutzkompanien“:
Nr. 137 „Mittelsachsen“: Kompaniechef Zienert aus Freiberg.
Nr. 139 „Erzgebirgskreis“: Leitung durch Uwe Schmerler.
Nr. 148 „Jena, Saale Holzland Kreis, Saale Orla Kreis“: Leitung durch Norbert Walter Gudopp.
Nr. 201 „Sigmaringen, Bodenseekreis“: „Kommandant“ Andreas Herrmann.
Nr. 221 „Freudenstadt und Tübingen“: Führungskreis aus Schlatter, Matthias Hetz und Steffen Wilde.
Nr. 366 „Region Hannover, Barsinghausen, Gerden“: Leitung durch das (frühere) Mitglied des SEK Niedersachsen Frank Hensel
Nr. 372 „Wolfsburg, Gifhorn“: Jörg S. bemühte sich um Aufbau.
Nr. 373 „Heidekreis, Celle“: Leitung durch das (frühere) Mitglied des MEK des LKA Niedersachsen Torsten Bartels
Nr. 374 „Lüneburg, Uelzen, Lüchow-Dannenberg“: Ellen K. bemühte sich um Aufbau.
Nr. 377 „Nienburg Weser, Verden“: Nadine S. bemühte sich um Aufbau.
Nr. 378 (Minden, Lübbecke): Leitung durch Yvonne Griese aus der Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke.