„Klassenhass“ reloaded?
Weidel und Müllers in Bayreuth.
Ein rechter (Tech)-Milliardär, eine CDU-Politikerin und Viktor Orbán im autokratischen Ungarn, ein steuerflüchtiger Landliebe-Unternehmer und Alice Weidel im Kimono-Look ... unwillkürlich muss man dieser Tage an John Heartfields Fotomontage für die "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" (AIZ) mit dem Titel: „Der Sinn des Hitlergrußes: Kleiner Mann bittet um große Gaben. Motto: Millionen stehen hinter mir!“ aus dem Jahr 1932 denken.1
Zugegeben: „Klassenhass“ ist ein starkes Wort - „Charaktermasken“ jederzeit austauschbar im unpersönlichen Herrschaftssystem Kapitalismus wäre dazu der analytische Hinweis aus dem Marx-Lesekreis und „sie tun nichts für uns - doch sie leben von uns“ das Lied dazu aus den Kopfhörern.2 Zwei Milliardäre - dazu noch als Besitzer von Medienplattformen - die einer potentiellen zukünftigen Nazipartei ihre Reichweite verschaffen, das klingt nach einer gruseligen Netflix-Serie, man denkt an Bösewichter, die Weltherrschaftspläne schmieden und dabei ihre Katze streicheln.
Aber wäre der in den meisten Fällen vererbte oder durch Adel und NS-Herrschaft und Kriegsgewinn gründende Widerspruch von Arm und Reich nicht schon ungerecht genug, bedeutet Reichtum – nach wie vor - faktische Macht. Eine Macht, die sich systematisch einsetzen lässt, um politischen Einfluss zu gewinnen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Wegen zu großer Nähe des Geldgebers (Frank Gotthardt) einer CDU-Parteifeier zum rechten Empörungsportal NIUS, kritisierte „lobbycontrol“ die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Gotthardt saß jahrelang im CDU-Landesvorstand Rheinland-Pfalz, während Klöckner die Vorsitzende war. „Dort war Gotthardt als Landesvorsitzender des Lobbyverbands „Wirtschaftsrat der CDU“ ständiger Gast – und Klöckners Vorsitz. Und das, obwohl der Wirtschaftsrat keine Parteigliederung ist, sondern als Lobbyverband Unternehmensinteressen vertritt.“3
Mit Blick auf die Berichterstattung des vom Ex-BILD-Chef betriebenen NIUS-Portals, scheint eine CDU-AfD-Koalition dort das Fernziel zu sein. Dass Klöckner als CDU-Schatzmeisterin 2022 mit Gotthardt bzw. der „CDU App GmbH“ eine App für die CDU entwickeln wollte, passt da gut ins Bild. Dass Gotthardt für sein Medizin-Software-Unternehmen im CDU-Wirtschaftsrat eine eigene Fachkommission „Digital Health“ gründete - geschenkt.3 Dass führende Vertreter_innen des Wirtschaftsrats auf dem Kanal von NIUS prominent präsent sind, ist sicher Zufall. Wenn nun in einer ungarischen „Nibelungenstadt“ am rechten Ufer der Donau, der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel und der libertär-faschistoide Tech-Milliardär Peter Thiel bei einem „Netzwerktreffen“ einer rechten „Denkfabrik“ zusammenkommen, dann darf dort offenbar die Brandenburger CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig nicht fehlen. Ihre Begrüßung mit „die Brandmauer muss fallen – eher früher als später“ war da nur folgerichtig. Ludwig plädierte bereits vorher offen für eine „Mitte-Rechts-Koalition“.4
Wenn der kleine Faschismus kommt ...
Wir sehen in der Boulevardpresse eine AfD-Chefin Alice Weidel vor dem Opernhaus in Bayreuth bei einer Walküre-Inszenierung des Antisemiten und Hitler-Lieblingskomponisten Richard Wagner mit einem Gläschen Sekt umrahmt von einem Milliardär-Ehepaar, das wie Weidel den Wohnsitz in der Schweiz unterhält: Beate Ebert und Theo Müller („Milchbaron“). Selbst BILD nennt ihn „Steuerflüchtling“.5 Erwartungsgemäß heißt die BILD-Meldung aber nicht „Nazi-Alarm!“. Wir lesen „Partnerlook!“ und erfahren mehr über Weidels „Kimono-Outfit mit farblich abgestimmter Häkeltasche und Pointe-Ballerinas“. Ob die AfD-Parteichefin im Kimono bei der Gelegenheit an das Jahr 1933 und die „Bayreuther Festspiele“ als Wallfahrtsort der neuen NSDP-Regierung denken musste, war leider nicht Teil der Berichterstattung.
Was wir wissen: Im Januar 2025 im RTL-“Kandidatencheck“ erklärte Weidel eine Einbindung von „Superreichen“ in eine AfD-Regierung, wie den Tech-Milliardär Elon Musk in die Regierung der USA, sei genau ihr Ding, sie könne es sich „sehr, sehr“ gut vorstellen, einen Elon Musk, einen Peter Thiel „und natürlich auch jemanden wie Theo Müller“ in einer Regierung zu haben. (...) „Ich glaube, dass es dem politischen Betrieb guttäte, wenn deutlich mehr Menschen mit wirtschaftspolitischem Sachverstand und vor allen Dingen auch erfolgreiche Unternehmer ihren Sachverstand mit einbringen“.6
In der Urfassung des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 war „Anreizung zum Klassenhaß“ vielleicht nicht ohne Grund unter Strafe gestellt, die Feministin Rosa Luxemburg saß deswegen im Gefängnis.
Der Chef kauft die (öffentliche) Meinung?
Die AfD hatte dieses Jahr eine Großspende von über 1,5 Millionen Euro erhalten. Als Spender wurde der Arzt Winfried Stöcker bekannt. Zuvor hatte der Rekord für die höchste AfD-Parteispende mit rund 266.000 Euro beim Bauingenieur Hartmut Issmer gelegen. Doch es ist noch Luft nach oben: Reiner Strangfeld vermachte vor seinem Suizid 2018 der AfD mehr als zehn Millionen Euro. Noch wird geprüft, ob sein Testament gültig war.
Das Bürobedarfsunternehmen „Böttcher AG“ (Jena) landete Anfang 2025 in den Medien, weil der Verdacht einer möglichen „Strohmannspende“ in der Höhe von 999.900 Euro an die AfD publik wurde. Als Spenden-Absender meldete die AfD der Bundestagsverwaltung Horst Jan Winter mit einer „Briefkastenadresse“ in Blankenhain (Thüringen). Wie „DER SPIEGEL“ berichtete, lebt Winter stattdessen in Jena und war zum Zeitpunkt der Spende Mitglied im Aufsichtsrat der „Böttcher AG“. Er soll demnach das Geld von Udo Böttcher (Vorstandschef) erhalten haben. Dieser erklärte daraufhin, von der Zuwendung an die AfD nichts gewusst zu haben. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen sah daher keinen Anlass für Ermittlungen.
Dass Udo Böttcher laut Medienberichten wiederholt AfD-freundliche Postings auf Social-Media-Kanälen abgesetzt habe, scheint kein belastendes Indiz gewesen zu sein. Jüngst wurde bekannt, dass Udo Böttcher Mitarbeiter_innen „monatlich finanziell honorieren“ wolle, die ihn und seine Firma in sozialen Netzwerken gegen kritische Berichterstattung verteidigen würden.
Antifeministische Nazi-Adel-Traditon mit Wirkmacht
Ein detaillierter Gastbeitrag „Antifeminismus als Familientradition“ von Andreas Kemper zeigt auf, warum wir uns auch im Jahr 2025 mit extrem rechtem (AfD)-Adel beschäftigen sollten: Untereinander verheiratete bzw. verwandte Adelige des Hochadels bzw. des Ex-Nazi-Hochadels sind tonangebende Funktionär*innen im Antifeminismus, wenn es um Homofeindlichkeit und Abtreibung geht. Die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) und die Initiative „Demo für alle“ (DfA) wurden von AntifemistInnen mit Namen „von Galen“, „von Westphalen“, „von Lüninck“ oder „von Beverfoerde“ ins Leben gerufen.
Die heutige stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende war eine „von Oldenburg“, bevor sie einen „von Storch“ heiratete. Die Familie väterlicherseits von Beatrix von Storch arbeitete im Nationalsozialismus mit Heinrich Himmler zusammen, der die NS-„Reichszentrale gegen Homosexualität und Abtreibung“ gegründet hat.
Ein Nazi-Prinz mit dem Namen Josias von Waldeck-Pyrmont wurde 1934 persönlich in den zweiten Senat des Volksgerichtshofes gehoben, nachdem er die Erschießung des homosexuellen SA-Chefs Röhm organisiert hatte.7 Beatrix von Storchs Mutter ist die Tochter vom NS-Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk. Sie heiratete 1970 Huno Herzog von Oldenburg. Beatrix von Storchs Großvater Nikolaus von Oldenburg war SA-Standartenführer und richtete 1941 noch vor dem Angriff auf die Sowjetunion, eine Bitte an Himmler: „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich kurz wissen lassen würden, ob grundsätzlich die Möglichkeit des Ankaufs größerer Güter im Osten nach Kriegsende für mich gegeben sein wird.“
Nach 1945 ging es weiter. Storchs Großtante Ingeborg Alix gründete 1949 ein „Hilfswerk der Helfenden Hände“, mit dem NS-Funktionäre nach 1945 unterstützt wurden. „Die christliche Welt im III. Jahrtausend“ war der Titel einer Tagung von Beatrix Vater Huno Herzog von Oldenburg im Jahr 2004. Er hatte eine Reihe von Antisemiten, Verschwörungsideologen und "Reichsbürger" eingeladen. Zu den Teilnehmern gehörten: Eberhard und Immo Hamer, Gerhoch Reisegger, Reinhard Uhle-Wettler und "Reichsbürger" Matthes Haug. Im Anschluss der Tagung fuhr Reisegger zur deutschen Neonazi-Gruppe „Kampfbund nationaler Sozialisten“ nach Moskau. Haug hat später eng mit dem als Rechtsterroristen angeklagten Heinrich XIII. Prinz Reuß zusammengearbeitet. Heinrich Reuß ist Großcousin von Huno von Oldenburg. Vater Huno gründete zusammen mit seiner Tochter Beatrix und ihrem späteren Ehemann Sven von Storch den Verein „Zivile Koalition“. Man könnte fast vermuten: Was mit der Erschießung von Röhm durch Beatrix von Storchs Großonkel Prinz Waldeck zum Ausdruck kam, zieht sich durch...
Der Skandal um die gescheiterte Bundesverfassungsgerichts-Wahl zeigt, wie gefährlich die Vernetzung und Tradierung antifeministischen Narrative im Adel ist: „Ihre seit Jahrzehnten gepflegten Organisationen sind in der Lage, auch kurzfristig wirkmächtige Kampagnen zu starten – wie hier gegen Frauke Brosius-Gersdorf.“8
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AIZ, Jg. XI, 1932, Nr. 42, 16. Oktober 1932
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LP: Der Kampf geht weiter: Warum geht es mir so dreckig, Ton Steine Scherben, 1971
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lobbycontrol.de: Julia Klöckner und der Mann hinter NIUS, Christina Deckwirth 28. August 2025
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fr.de, Auftritt mit Weidel: Fraktion kritisiert CDU-Politikerin Ludwig, Laura May, 5. August 2025
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bild.de: Zum Walküren-Ritt in Bayreuth: AfD-Weidel und ihr Milch-Milliardär Theo Müller, Hans-Jörg Vehlewald / Peter Tiede, 17. August 2025
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stern.de: Weidel kann sich Müllermilch-Chef in Regierung vorstellen, 20. Januar 2025
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wikipedia.org/wiki/Josias_zu_Waldeck_und_Pyrmont
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blog.campact.de/2025/07/von-storch-familie-brosius-gersdorf-antifeminismus/