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Die "Berliner Burschenschaft Gothia"

Ulli Jentsch / Martina Renner (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Berliner Burschenschaft Gothia (BBG) war schon immer eine Organisation am äußersten rechten Rand, in der Berliner CDU-Mitglieder die wesentliche Rolle als Funktionäre und aktive Burschen gespielt haben.

Burschenschaft Gothia
(Bild: Faksimile Junggothenzeitung, 31. Dezember 2021)

Gothen in vollem Wichs und Fuchsfell chargieren ihren Bundesbruder: Thorsten Elsholtz, der Ex-AfD-Sprecher gehört zu den Vorständen der Vereinigung Alter Gothen e.V.

Ein Lebensbund von CDU und AfD

Die Gothia ist tief verankert in dem Milieu eines wohlhabenden Berliner Rechts-Konservatismus, die Altherrenschaft bringt überdurchschnittlich viele Rechtsanwälte, Ärzte und Akademiker aus einem gutbürgerlichen Milieu zusammen, die sich hier und da gerne mit den Insignien untergegangener deutscher Reiche und Vorbildern aus dem alten deutschen Adel schmücken.

In den sozialen Medien ist man über alle Parteigrenzen befreundet, grüßt und liked sich: der Pankower CDU-Schatzmeister, der wohlhabende Immobilienmagnat in Prenzlauer Berg, das Zehlendorfer AfD-Mitglied, der Rechtsanwalt in Neukölln, der CDU-Stadtverordnete in Nauen oder der Unternehmensberater aus Kleinmachnow. Die Verbindungen reichen bis in die Bundesgeschäftsstelle der AfD und in den Bundestag, Gothen arbeiten für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus und für einflussreiche Wirtschaftsverbände, sind bei der Bundeswehr oder in den Reservistenverbänden aktiv.

Ebenso wie sich die (extreme) Rechte in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, hat sich die personelle Zusammensetzung der Burschenschaft und damit die Arbeit auf dem Verbindungshaus verändert. So tauchten ab Mitte der 2010er Jahre Kader der "Identitären", der "Jungen Alternative" (JA) und der AfD sowie anderer, kleiner Bünde dort auf. Doch die führende Rolle der CDU-Parteimitglieder blieb in der Altherrenschaft und deren Verein bisher bestehen. In der „Vereinigung Alter Gothen e.V.“ (VAG) arbeiten CDU-Mitglieder aktiv mit bekannten und exponierten Mitgliedern der AfD und der JA zusammen.

Das Netzwerk um Peter Kurth

Im Zentrum des öffentlichen Interesses stand am Anfang des Jahres 2024 plötzlich ein Mitglied der Gothia, dessen führende Rolle vorher nicht genug erkannt worden war: Peter Kurth. 

Kurth war kurzzeitig Berliner CDU-Finanzsenator (1999-2001) und diente bereits seit 2014 in der VAG als Vorstandsmitglied. Jetzt wurde öffentlich, dass Kurth sich nicht nur mit einschlägigen Mitgliedern der (extremen) Rechten auf seiner Dachterrasse getroffen hatte, um dort einer Buchvorstellung des AfD-Politikers Maximilian Krah zu lauschen, sondern vermutlich auch die Finanzierung der „Identitären Bewegung“ (IB) durch verschachtelte Kreditkonstruktionen mitgetragen hatte. 

Kurth war Mitglied im CDU-Bezirksverband Prenzlauer Berg, der unter dem dortigen Vorsitzenden Sebastian Greve vielfältige Verbindungen in die (extreme) Rechte aufwies. Und auch hier tauchten zwei Gothia-Mitglieder auf: Mario Meusel, Kassenwart der VAG und Christian Forsch aus der Iuvenis1, der noch Anfang 2024 Schatzmeister der CDU in Alt-Pankow war. Ebenfalls dort Mitglied ist der Jurist Ulrich Vosgerau, bekannt aus seinen Aktivitäten in der AfD-nahen „Desiderius-Erasmus-Stiftung“. 

Nachdem seine Teilnahme an dem "Potsdamer Treffen" bekannt wurde, musste er ebenso wie seine Parteikollegen Meusel und Norman Gutschow eine Stellungnahme an den Berliner Parteivorstand liefern.2 Gutschow, Vorsitzender in Alt-Pankow und in dieser Funktion fleißiger Förderer der Rechtsaußen in der Partei, war zuvor u.a. als Mitarbeiter in der „Bibliothek des Konservatismus“ aufgefallen. Der Ausgang dieses Verfahrens ist unbekannt.

In der Gothia wurde Kurth von einem anderen früheren Senatsmitglied unterstützt: Michael Büge, ehemaliger CDU-­Staatssekretär in der "Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales". Er hatte die Mitgliedschaft in der Gothia dem Verbleib im Amt vorgezogen und wurde daraufhin 2013 entlassen. 2014 schlug er als Vorsitzender der Gothia der Hauptversammlung der VAG zwei weitere CDU-Mitglieder als „seine Vorstandskandidaten“ vor: Mario Meusel solle als Kassenwart für das „operative Geschehen“ und Kurth als zweiter Vorsitzender „für strategische Aufgaben“ zuständig sein. Beide wurden einstimmig gewählt und gehören dem Vorstand noch heute an.3

Die Öffnung zur AfD und JA samt deren IB-Einsprengseln in jenen Jahren fand also unter der Ägide eines CDU-Vorstandes in der Gothia statt. Ein Blick auf die Teilnehmenden der jährlichen Versammlungen der VAG zeigen folgerichtig, dass sich CDU und AfD unter den Parteimitgliedern in der Gothia die Waage halten.

In diese Ansammlung von Rechtsanwälten und Immobilienunternehmern passt auch der Neuköllner CDU-Abgeordnete Robbin Juhnke sehr gut. Nachdem bekannt wurde, dass Juhnke, der auch im Präsidium des Berliner Abgeordnetenhauses sitzt, in einer Art Email-Verteiler der Gothia als „Lieber Bundesbruder“ angesprochen worden war, trat dieser aus der Schülerverbindung aus. Seine Mitgliedschaft in der Iuvenis hatte Juhnke bereits 2013 zugegeben.4 Damals hatte er bei der extrem rechten "Teutonia Würzburg" einen Vortrag gehalten. In der Burschenschaft selber sei er nie Mitglied geworden, so Juhnke (zur Struktur der BBG siehe unten). Die Partei beliess es dabei. Damit ist Juhnke der bisher einzige aus der Berliner CDU, der aus dem rechten Sumpf in der Gothia Konsequenzen ziehen musste.

Auch dem Nauener Stadtverordneten der CDU Eckart Johlige beispielsweise, über dessen Mitgliedschaft in der Gothia schon seit vielen Jahren berichtet wurde, hat dies nie geschadet. In seiner Rechtsanwaltskanzlei sind mindestens zwei weitere Gothen aktiv, darunter Patrick D. Albertsmeyer, der wiederum viele Jahre Vorsitzender der CDU in Alt-Pankow war (siehe oben).

Waffen, Waffen Waffen

Die Veröffentlichungen im SPIEGEL haben an einer Stelle Konsequenzen gezeitigt. Anfang Februar 2024 teilte der Reservistenverband auf Nachfrage auf „X“ mit, dass die auf dem Haus der Gothia residierende Reservistenkameradschaft „Freiherr von Lützow“ aufgelöst wurde. Das hätte man deutlich früher haben können. Bereits im Jahr 2007 fragte die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Ulla Jelpke in einer Kleinen Anfrage nach Verbindungen exakt dieser Reservistenkameradschaft zur Burschenschaft Gothia. Sie verwies u.a. auf Veranstaltungen der Kameradschaft in den Räumen der Gothia. Die Bundesregierung antwortete, dass die entsprechenden Treffen nicht zu beanstanden seien. Um dies zu illustrieren wurde extra erwähnt, dass es sich z.B. um Grillen oder Weißwurstessen handeln würde. 17 Jahre später hat der Reservistenverband hoffentlich endgültig die Reißleine gezogen.

Seit Jahren, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der zeitweise selbst für den Generalbundesanwalt unter Rechtsterrorverdacht stehenden Gruppierung „Nordkreuz“ in Mecklenburg-Vorpommern, sind die Verbindungen des Reservistenverbandes zur extremen Rechten wieder deutlicher ins öffentliche Interesse gerückt. Immer wieder hatte der Vorsitzende des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, beteuert, gegen Rechtsradikale im Verband vorzugehen. 

Offenbar aber ohne Stringenz. Sonst wäre schon früher aufgefallen, dass das Symbol der Reservistenkameradschaft auch die Farben der Gothia enthielt und der Alte Herr Mario Meusel Ansprechpartner der Reservistentruppe war. Warum ist dies brisant? Allgemein wird angenommen, dass im Reservistenverband ausschließlich ehemalige Angehörige der Bundeswehr zusammenkommen. Das ist nicht so. Auch Zivilisten können Mitglied werden und über den Verband das Bedürfnis für einen waffenrechtliche Erlaubnis begründen. Weiterhin finden im Reservistenverband Schieß- und Wehrübungen statt, über die man nicht nur gegebenenfalls Zugang zu Kriegswaffen erhält, sondern auch in militärischen Taktiken ausgebildet werden kann. Etwas, das für alle "Tag X"-Fanatiker von großem Interesse ist.

Im Gegensatz zum Reservistenverband zeigte sich der „Bund der Militär- und Polizeischützen“ (BDMP) gänzlich unbeeindruckt von seinen Verbindungen zur Gothia. Hier treffen sich nicht nur aktive und ehemalige Polizisten und Militärs um mit Dienstwaffen zu trainieren, sondern es wird auch das dynamische Schießen geübt. Etwas, das im Zusammenhang mit Bürgerkriegsszenarien von hoher Relevanz ist. Die „Schießleistungsgruppe (SLG) Berlin-Südwest e.V.“ im BDMP war fest in der Hand der Gothen. Der komplette Vorstand besteht aus Angehörigen der Burschenschaft. Dirk Wüstenberg fungiert immer noch aktuell als Vorsitzender, Geschäftsführer ist Rüdiger Knörig (Kandidat der AfD zur BVV-Wahl Berlin Treptow-Köpenick 2021) und Schatzmeister Johannes Roeder. Nicht öffentlich nachvollziehbar ist, wo die SLG trainiert. Fast hat man den Eindruck, dass man sich privat trifft. Da der BDMP als Schießsportverband anerkannt ist, müsste von dort Interesse nach Aufklärung der Verbindungen zur Gothia bestehen, eine öffentliche Reaktion des Verbandes blieb aber bisher aus, auch nachdem bekannt wurde, dass die Burschenschaft inzwischen Verdachtsfall des "Landesamtes für Verfassungsschutz" in Berlin ist.

Schaut man sich weitere Angehörige der Gothia an, fällt auf, dass wirklich viele über waffenrechtliche Erlaubnisse als Schütze oder Jäger verfügen und aktiv mit Schusswaffen umgehen. Dies muss alarmieren, steht doch selbst in dem Aktionsplan von Innenministerin Faeser der Punkt „Rechtsextremisten konsequent entwaffnen“ formal ganz oben. 

Richtig bizarr wird es aber, wenn sich ein "Alter Herr" der Gothia, Arne Becker, findet, der sogar als Waffengutachter u.a. bei Gerichten arbeitet. Auf seiner Homepage präsentiert er eine P08, die auch von der deutschen Wehrmacht im Vernichtungskrieg eingesetzt wurde und dazu ein Schießbuch von 1938/39.

Nicht verwunderlich ist, wie viele Bundesbrüder der Gothia in der Bundeswehr Karriere machten oder noch heute aktiv sind. Mehrere Bundesbrüder der Gothia wurden mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr ausgezeichnet, darunter Norman Plaster, Ronald Philipp und Harald Bensen. Bensen, Rechtsanwalt in Neukölln und zeitweilig auch Vorsitzender der VAG, bekleidete acht Jahre das Amt des Vorsitzenden Richters des Landesschiedsgerichts im Berliner Reservistenverband.

Bezüge zur „Zivilmilitärischen Zusammenarbeit“ (ZMZ) der Bundeswehr sind mit Blick auf die Mitgliedschaft in einer extrem rechten Burschenschaft grundsätzlich von Belang, da hier sensible Informationen insbesondere zu kritischer Infrastruktur und Pläne zur Landesverteidigung geteilt werden. Diese Sorge ist umso berechtigter, da es im oben erwähnten „Nordkreuz“-Komplex eine Schnittstelle zur ZMZ gab. Hier fällt sofort der CDU-Politiker Guido Kaupert ins Auge. Er ist Sportschütze, ehemaliger Unteroffizier der Bundeswehr und in der hessischen „Zivilmilitärischen Zusammenarbeit“ aktiv. Ebenfalls aktiv in der Reserve, und das an einer sensiblen Stelle, ist Gothia-Mitglied Ronald Philipp. Er gehört zur Verstärkungsreserve am „Zentrum für Informationsarbeit“ der Bundeswehr, die sich auf Medienarbeit im Spannungsfall vorbereitet.

Im Herzen der Demokratie

Bereits Anfang 2022 sorgte eine Personalie im Deutschen Bundestag für Aufsehen. Bundesbruder Norman Plaster sollte damals Leiter des Referats „Polizei und Sicherungsaufgaben“ werden. Nachdem dies öffentlich wurde, schob man ihn auf einen anderen Leitungsposten, der zwar nicht sicherheitsrelevant ist, aber viel Potential für politische Einflussnahme bietet. Plaster ist bis heute Referatsleiter im Wissenschaftlichen Dienst und dort für den Bereich Zivil-, Straf,- und Verfahrensrecht, Medienrecht, Bau und Stadtentwicklung zuständig. 

Der Wissenschaftliche Dienst greift immer wieder mit seinen Ausarbeitungen in politische Debatten ein oder sogar in parlamentarische Befassungen. Zuletzt griffen rechte Medien ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zum geplanten Demokratiefördergesetz auf. In der Ausarbeitung wird eine spezifische Rechtsprechungskompetenz des Bundestages in Zweifel gezogen. Von Seiten der AfD wurde daraufhin das Gesetzesvorhaben als verfassungswidrig attackiert. 

Kurze Wege hat er im Bundestag zu seinem Schwager und ebenfalls Gothia-Mitglied Thorsten Elsholtz. Elsholtz lädt für einzelne AfD-MdB zu Hintergrundgesprächen und unterstützt deren Pressearbeit. Beide finden sich auch in der Übersicht zu den Vorständen der "Vereinigung Alter Gothen e.V." und sind damit keine einfachen Mitglieder sondern Verantwortungsträger der Burschenschaft.

Es wird allerhöchste Zeit, dass die Burschenschafter-Netzwerke in den Institutionen und Vereinen offengelegt werden und Politik und Behörden daraus Konsequenzen ziehen.

Die Struktur der "Berliner Burschenschaft Gothia" (BBG)

Die "Berliner Burschenschaft Gothia" (BBG) arbeitet wie ein nicht eingetragener Verein. Die Finanzen und die Infrastruktur jedoch stellt die im Vereinsregister eingetragene "Vereinigung Alter Gothen" (VAG, gegründet 1955), die in ihrer Satzung festhält: "Der Verein hat die Aufgabe, den Zusammenhalt der aus der Berliner Burschenschaft Gothia hervor gegangenen Altakademikern, die Erhaltung und Entwicklung des burschenschaftlichen Gedankens nach den Grundsätzen der Deutschen Burschenschaft (...) zu pflegen und zu fördern, sowie die aktive Burschenschaft (...) ideell und materiell zu unterstützen. Er unterhält hierzu ein Studentenwohnheim." 

Die Arbeit auf dem Haus (adH) und die Vermietung der Studentenzimmer organisieren die Burschen eigenständig. Auf dem Gothenhaus wohnten in den vergangenen Jahren zwischen 6 und 9 Personen, so die Auskunft der Senatsinnenverwaltung auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke.5 Neben der Aktivitas (den studierenden Burschen) gehören auch einige wenige Bundesschwestern und sogenannte Con-Kneipanten mit eingeschränkten Rechten der BBG an. Zusammen mit den Alten Herren der VAG dürften insgesamt etwa 80 bis 100 Personen diesem Kreis angehören.

Die aktivsten Mitglieder der BBG sind die Mitglieder der "Iuvenis Gothia" oder "Erste Berliner Schülerverbindung Iuvenis Gothia".  Die "Iuvenis" wurde angeblich 1981 am Lilienthal-Gymnasium in Steglitz gegründet. Die Junggothen unterhalten rege Freundschaften zu anderen Verbindungen wie der "Pennalen Burschenschaft Ernst Moritz Arndt" (EMA) aus Greifswald, der "Markomannia Aachen Greifswald" oder der "Redaria-Allemannia Rostock", mit denen man sich teilweise mehrfach jährlich trifft. Zusammen mit der "Markomannia" und der "Redaria" bildet die "Gothia" das "Norddeutsche Dreieck". Zusammen mit anderen Pennalen Bünden trifft man sich beim "Allgemeinen Pennäler Ring" (APR).