Autoritäre Taktiken in den USA
Xavier Bonnet, Brooklyn (Gastbeitrag)Auf eine extrem rechte Trump-Regierung ist die US-Linke kaum vorbereitet. Eher sind sich progressive NGOs über die Gefahren eines Trump-Autoritarismus bewusst.
Unerfahrenheit, ideologische Erstarrung, Gaza – Teile der radikalen Linken in den USA legen angesichts eines möglichen Trump-Siegs bei den Novemberwahlen eine bemerkenswerte Ignoranz an den Tag. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, weil das Land bereits vier Jahre Trump von 2016 bis 2020 hinter sich hat. Gab es keine Lernprozesse?
Laut dem altgedienten radikalen Linken Bill Fletcher, der auf über ein halbes Jahrhundert Organisationsarbeit, unter anderem auch in der Führung des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO zurückblicken kann, mangelt es vielen jungen US-Linken „an einer politischen Strategie zu gewinnen“. Moralismus und die Weigerung, sich in die Untiefen von Bündnispolitik begeben zu wollen, stünden im Vordergrund. Aber auch Ältere würden den Ernst der Lage nicht begreifen sagte der 70-Jährige. In einem Land mit über 350 Millionen Menschen sei eine „breite Front“ von ganz links bis zu den Konservativen „eine Voraussetzung, um die Make-America-Great-Bewegung wieder zurückzudrängen“.
Paul Garver, ebenfalls ein linkes Urgestein und führendes Mitglied bei den Democratic Socialists of America, ist ähnlicher Meinung. Der jungen Linken um die größte sozialistische Organisation des Landes fehle es „an tiefsitzendem Hass auf Faschismus und Autoritarismus“, meint er, aber „intellektuell ist dennoch ein Verständnis dafür da“. Neofaschismus und Trumpismus würden gerne mit Neoliberalismus gleichgesetzt. Die Republikaner-Partei und die Partei der Demokraten gelten dann gerne als „zwei Seiten derselben kapitalistischen Medaille“.
Dass breitenwirksame antifaschistische Bündnisse von US-Linken auf den Weg gebracht werden, bleibt wegen dieser Grundhaltung – und weil die Linke in den USA so oder so eine winzige Minderheit ist – jedenfalls ausgeschlossen. Dazu kommt, dass manche die Agitation gegen US-Waffenlieferungen an Israel und die Wahlkampfaufrufe gegen „Genocide Joe“ beziehungsweise seit Bidens Rückzug „Genocide Kamala“ zur politischen Priorität erklärt haben.
Ein besseres Verständnis von Faschisierung, Trumpismus und Autoritarismus scheint bei progressiven US-Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu herrschen. Etliche von ihnen arbeiten an einem Rahmenwerk zur Risikominderung („risk mitigation framework“) und fragen sich: Welche Gefahren drohen der Organisation, ist die Sicherheit der Angestellten, der Vorstandsmitglieder und der Partner-Organisationen gewährleistet? Könnte die Finanzierung von Projekten, von Löhnen, von Bürokosten etc. ins Wackeln geraten? Wie ist es um den Ruf der Organisation in sozialen Medien bestellt? Was ist diesbezüglich zu befürchten? Steht die Organisation in rechtlicher Hinsicht auf soliden Füßen? Auf welche Schwachstellen könnten Washingtoner Bundesbehörden stoßen, um der Organisation zu schaden?
Die Leiterin einer in New York beheimateten NGO, die fast 20 Angestellte hat und sich international für Frauenrechte einsetzt, nennt zum Selbstschutz, als dringendste Aufgabe und Priorität, die professionelle Vernetzung der gesamten progressiven NGO-Szene. Ihrer Ansicht nach habe sich „parallel zur Rechtsentwicklung und Trumpisierung der Republikaner-Partei die extreme Rechte professionalisiert“. Den demokratiefeindlichen Profis gehe es um die „systematische Zurückdrängung und letztendlich Zerschlagung von allem, was der America-First-Bewegung im Wege stehen könnte“. Weiter sagt sie: „Und sie werden, wenn sie das Weiße Haus kontrollieren, dort ansetzen, wo es rechtlich am einfachsten ist: progressiven NGOs und ihren Geldgebern das Leben schwermachen, ihnen letztendlich den Geldhahn zudrehen.“
Zum besseren Verständnis: NGOs haben in den USA, wo die sozialstaatlichen Netze äußerst löchrig sind, große Bedeutung. Oft erfüllen sie als private Träger Funktionen, die in Westeuropa vom Sozialstaat geleistet werden. Sie werden überwiegend durch Spenden von Individuen und Organisationen oder Mitgliederbeiträge finanziert. Staatsknete fällt nicht ins Gewicht. Sie fungieren als gemeinnützige Wohlfahrtsorganisationen auf dem sehr ausgeprägten NGO-Markt. Reguliert wird dieser von der Bundesfinanzbehörde, dem „Internal Revenue Service“, der den NGO-Status auf Antrag vergibt, solange die Organisation finanzielle Dokumente veröffentlicht und auf manche „politische Aktivitäten“, etwa zu Wahlaufrufen, verzichtet.
Entscheidend ist das Kürzel 501C3, das jeder NGO-Mitarbeiterin bekannt ist. Denn es leitet einen Paragraphen ein, der den steuerlichen Status solcher Organisationen definiert. Sie fördern als Hauptaktivitäten etwa Religion, Literatur, Ausbildung, Wissenschaft, Kunst, Sport, Kinderschutz und Tierschutz, aber auch soziale Zwecke, und sind deshalb steuerbefreit. Dasselbe gilt für Spenden, die von einer Privatperson oder einem Unternehmen an eine 501C3-NGO gehen. Dieser Status ist ihre Geschäftsgrundlage – und damit auch der Hebel, an dem die radikale Rechte ansetzt.
Versuche, gegen progressive Strukturen vorzugehen, gibt es bereits. Im Mai 2024 forderten die Republikaner-Abgeordneten Virginia Foxx (Bildungs- und Arbeitsausschuss) und James Comer (eine Art Ausschuss für Kontrolle und Haushalt) die Finanzministerin Janet Yellen auf, gegen 20 NGOs wegen „verdächtiger Aktivitäten“ Ermittlungen einzuleiten. Aufgelistet waren darin nicht nur die klassischen Gruppen aus der Palästina-Protestszene im Zusammenhang mit den Encampments auf amerikanischen College-Geländen, sondern auch schwerreiche Privatstiftungen wie die Open Society Foundations (Soros-Stiftung), der Rockefeller Brothers Fund, die Tides Foundation sowie die Bill & Melinda Gates Foundation. Virginia Foxx bezeichnete die Student:innen in den Camps als „koordiniert und gut organisiert“ und möglicherweise „auf außenstehende Gruppen oder Einflüsse“ zurückzuführen.
Bezeichnenderweise sagte sie dem extrem rechten Ex-Präsidenten wenige Tage nach der Veröffentlichung des Briefs volle Unterstützung in dessen New Yorker Gerichtsverfahren zu. Gegen Donald Trump werde eine „politische Hexenjagd“ betrieben.
In einer Reihe von Republikaner-dominierten Bundesstaaten wurden entsprechende Gesetze bereits festge-schrieben. In Florida unterzeichnete dessen Gouverneur Ron DeSantis 2021 ein „anti-riot“-Gesetz. Es enthält eine Reihe neu erfundener Straftatbestände und sieht Strafrechtsverschärfungen nicht nur für Teilnehmer:innen an öffentlichen Protesten vor, sondern auch von NGOs, die solche Proteste unterstützen. Im Bundesstaat Georgia wurden 42 Baumschützer, die gegen „Cop City“, eine geplante riesige Polizeiausbildungsstätte, protestiert hatten, wegen „Inlandsterrorismus“ angeklagt. Und nicht nur das: auch der „Atlanta Solidarity Fund“, der sich für die Inhaftierten einsetzt, wurde mit Repressionen überzogen. Drei seiner Gründer wurden unter dem Vorwand der Geldwäsche und der Veruntreuung von Geldern verhaftet. Der Generalstaatsanwalt von Georgia legte mit der Anklage nach einem Anti-Mafia-Bundesgesetz gegen die drei und 58 weitere Aktivist:innen nach. Einigen drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.
Dass sich die Repressionsschraube, die in einzelnen Bundesstaaten einem Versuchslabor gleich bereits angezogen wird, auch bundesweit Praxis werden könnte, wird bei NGOs heiß diskutiert. Es sei „allerhöchste Zeit, dass Spendernetzwerke und Stiftungen in die Sicherheitsbedürfnisse, die nachhaltige Sicherheitsinfrastruktur und den juristischen Beistand von Bewegungen investieren“, heißt es in einer Email eines mittelgroßen, progressiv ausgerichteten Spendernetzwerks. Die polizeiliche Repression sei 2017 während der Proteste gegen die "Dakota-Access-Pipeline“ („Standing Rock“) auf Druck der Lobbygruppen für fossile Energie verrechtlicht worden, mit ingesamt 300 Strafrechtsverschärfungen.
Das „Global Network of Movement Lawyers“ mit Sitz in New York und ein Netzwerk von Anwälten aus über einem Dutzend Ländern bemüht sich um weitere Vernetzung. Sie versuchen, „autoritäre Taktiken, die weltweit angewandt werden, zu analysieren und Widerstandsstrategien zu entwickeln“. Und: „Um der steigenden Gefahr des Autoritarismus entgegenzuwirken, benötigen wir dringend mehr Anwälte, die Organisatoren für sozialen Wandel als rechtliches Rückgrat dienen“. Denn um Gegenmacht aufbauen zu können, gehe es um sehr viel mehr als nur einen Fall oder eine politische Initiative. „Je näher wir uns vertraut machen mit den Taktiken des Autoritarismus-light und sie als Frühwarnungen begreifen, desto eher können wir das Hineinrutschen in den Faschismus aufhalten“.