AfD-Lokalpolitik: Mit den Eliten gegen sie
Valentin Domann (Gastbeitrag)Die kommunalpolitischen Strategien der "Alternative für Deutschland" (AfD) nach ihrer Normalisierung zwischen Frontalangriff und Selbstverharmlosung.

Die AfD-Ahrensfelde mit Marco Länger (4.v.l) präsentiert sich mit dem AfD-Politiker Gunnar Lindemann (Mitte mit Hosenträger) an einem AfD-Wahlkampfstand.
Während in Brandenburg, Thüringen und Sachsen in den vergangenen Wochen auf Landesebene intensiv um die „Brandmauer“ der bürgerlichen Parteien gegenüber der AfD gerungen wurde, scheint im Lokalen ihre Kooperation bereits gang und gäbe. Die Gremien der kommunalen Selbstverwaltung, so das gängige Argument, würden lediglich sachpolitische Entscheidungen abwägen, die auf rationalen statt auf ideologischen Abwägungen beruhten, weshalb die Parteibücher der Beteiligten vernachlässigbar seien.
Dieses Denken übersieht jedoch die strategische Bedeutung, die die AfD der Kommunalpolitik beimisst. Dabei gibt sie sich nicht einmal Mühe, ihre Erwägungen diesbezüglich zu bemänteln. Björn Höcke attestierte den Kommunalwahlen 2019 etwa, dass sie die AfD „in Verbindung mit den Menschen vor Ort bringen [werden]. Und dann werden sie uns nicht mehr los, komme, was da will“.1
Und tatsächlich wurde man sie vielerorts nicht mehr los. Neben den zahlreichen Wahlerfolgen sind es insbesondere etablierte Lokalpolitiker:innen, die maßgeblich zur Festigung der AfD vor Ort beitragen. Der Eintritt des vormals parteilosen und seit 13 Jahren amtierenden Bürgermeisters Arne Raue im brandenburgischen Jüterbog etwa verdeutlicht den vielerorts vollzogenen Dreischritt weg von einer anfänglichen Skandalisierung über eine Normalisierung hin zur offenen Dominanz der Partei.
Lokale Eliten spielen also eine entscheidende Rolle – und die AfD hat offenbar ein Strategiespektrum für den Umgang mit ihnen entwickelt. Eine Längsschnittstudie2 aus Brandenburg zeigt dessen Extreme: hier der Kurs des Frontalangriffs, dort alltägliche Taktiken der Selbstverharmlosung. Betrachtet wurden in der Studie u.a. Ahrensfelde und Seelow, also eine Gemeinde des suburbanen Speckgürtels und eine ländliche Kleinstadt im Osten Berlins.
Lokale AfD zwischen Frontalangriff und Selbstverharmlosung
Falk (Gerd) Janke ist das Gesicht der Partei im Raum Seelow. Er steht für den Kurs des Frontalangriffs auf etablierte Kommunalpolitiker:innen. Besonders den ehemaligen Bürgermeister hatte Janke als Gegner aufgebaut, der für zahlreiche Missstände herhalten musste. So wurde der SPD-nahe Lokalpolitiker als Personifikation für die vermeintliche Korruption der politischen Klasse ganz allgemein adressiert. Janke, zeitweiliger Büroleiter des nun selbst unter Korruptionsverdacht stehenden Petr Bystron3,3 versuchte ein Bild von engen Seilschaften rings um den Bürgermeister zu zeichnen, die sich selbst bereichern und kritische Stimmen wie ihn kleinhalten würden. Als wichtiges Medium in dieser Auseinandersetzung fungierte „Seelow.TV“, dessen Gründer Mario Nieswandt eng in die Struktur rings um das "Compact Magazin" eingebunden war.4 Im sonst überschaubaren Programm des Online-Senders werden ausführliche Interviews mit Janke zu einem vorgeblichen Korruptionsskandal und anderen Themen ausgesendet.
Das unversöhnliche Verhältnis Jankes zur kommunalpolitischen Elite geht seiner AfD-Aktivität zeitlich voraus, sorgte er zunächst auf Tickets anderer Rechtsparteien in der Stadtverwaltung für Turbulenzen. Nur mit der CDU (deren Mitglied er nach Eigenaussage von 1990 bis 2001 war) konnte seine damalige Wählervereinigung „Die Rechte – Mut zur Wahrheit“ zwischenzeitlich eine Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung bilden, während im Kreistag nur die DVU ein Bündnis einging. Bei anderen kommunalpolitischen Gehversuchen in der „Schill“-Nachfolgepartei „Offensive D“ blieb Janke weitgehend isoliert und selbst die AfD wollte ihn zunächst nicht als Mitglied aufnehmen.5 Damit steht Janke für einen Anti-Elitismus im Lokalen, der in weiten Teilen der lokalen Gemeinschaft auf wenig Gegenliebe stößt. Das zeigte sich in der deutlichen Wahlniederlage im Sommer 2023, als er sich (mit Schützenhilfe u.a. von Tino Chrupalla und Jürgen Elsässer) ins Rennen um die Nachfolge seines überraschend verstorbenen Rivalen einbrachte.6
Auf der anderen Seite des strategischen Spektrums steht das Ehepaar Inka Länger und Marco Länger, die in Ahrensfelde eine Strategie der Selbstverharmlosung verfolgen. Die selbstständige Physiotherapeutin und der Fahrzeuglackierer sehen von Provokationen der lokalen Elite weitestgehend ab. Viel eher inszenieren sie sich als die „guten Nachbar:innen“, als produktive und hilfsbereite Mitglieder der lokalen Gemeinschaft. Insbesondere in der Gemeindevertretung wirkt ihr Agieren vor allem darauf bedacht, sich geräuscharm einzugliedern; ein Verhalten, das von einigen etablierten Kräften honoriert wird. So wurde Inka Länger auf Gemeindeebene mit dem Vorsitz des Ausschusses für Soziales und Kultur betraut und auch in einer späteren Wahlperiode in dem Amt bestätigt. Marco Länger wurde derweil auf Kreisebene, ohne jede Not und mit Stimmen aus anderen Fraktionen, zum ersten Stellvertreter des Kreistagsvorsitzenden gewählt.
Hier wird der Wert deutlich, den lokale Eliten in kleinen Gemeinden Verhandlungslösungen (ggü. Mehrheitsabstimmungen) beimessen. Neue politische Akteur:innen können dann auf die Unterstützung der Etablierten hoffen, wenn man mit ihnen dealen kann. In solchen Settings schließen sich zugleich die Reihen gegenüber jenen, die Aufsehen erregen. So trifft es in Ahrensfelde eine nicht-rechte kommunale Wählergemeinschaft, die im Februar 2020 den arglosen Umgang mit der AfD vor dem Hintergrund eines Fotos kritisiert, das das Ehepaar Länger gemeinsam mit Björn Höcke beim Kyffhäuser-Treffen zeigt. Die Wählergemeinschaft wird in einer Gemeindevertretungssitzung zurecht gerufen: Zu harsch sei die Kritik vorgebracht und insbesondere der CDU-Bürgermeister würde unfair angegangen – ein Vorwurf, der noch lange nachhallt und den Ruf der Wählergemeinschaft vor Ort beeinträchtigt.
Das Problem mit dem Mehrebenensystem
An dieser knappen Gegenüberstellung können einige Facetten lokaler AfD-Strategie im Umgang mit kommunalpolitischen Eliten ausgemacht werden. Zunächst scheint der Weg der Selbstverharmlosung insofern effektiver, als dass die Parteivertreter:innen sich hier kaum bemerkt in Verfahrensprozesse integrieren und mit der Zeit selbst in die Zirkel lokaler Eliten aufsteigen. Die „Zähmung“, die sich von der Integration der AfD versprochen wird, tritt jedoch nicht ein, da die Bewegungspartei es versteht, sich sowohl als Teil als auch gegen die lokalen Eliten zu inszenieren. So nimmt das Ehepaar Länger etwa zentrale Aufgaben in einem Protest gegen eine Ortsumfahrungsvariante ein.7 In solchen Settings kann die AfD nun Eliten der Landes- oder Bundesebene als dämonisierte Gegner:innen ausmachen – wenn die sonst so „netten Nachbar:innen“ hier unversöhnliche Positionen beziehen, normalisiert das diese vor Ort.
Der Konfrontationskurs, wie ihn etwa Falk Janke verfolgt, lässt sich hingegen nicht leicht in politische Resultate übersetzen, bewirkt er doch eher, dass sich breite Allianzen bilden, um verdiente Eliten vor Anfeindungen zu schützen. Anti-Elitismus im Lokalen bringt Janke damit kaum Zuspruch vor Ort ein, jedoch nutzt er seine Auftritte auf Gemeindeebene als Karrieresprungbrett und ist inzwischen über ein Direktmandat in den Brandenburger Landtag eingezogen – als Berufspolitiker nun also selbst formal Teil der verhassten politischen Klasse.
Dieser kleine Exkurs verdeutlicht also auch, wie die AfD unterschiedliche subnationale politische Ebenen strategisch einzusetzen vermag. Wie kaum eine andere Partei versteht sie sich darauf, vermeintliche Misserfolge auf der einen (z.B. Gemeinde-) in Erfolge auf der anderen (z.B. Kreis- oder Landes-) Ebene umzumünzen. Dieses Vorgehen macht sie in besonderem Maße resilient gegenüber sich formierenden Widerständen, die oft nur eine politische Arena in den Blick nehmen (können).
- 1
www.mz.de/deutschland-und-welt/politik/bjorn-hocke-fordert-verfassungss…
- 2
https://zeitschrift-suburban.de/sys/index.php/suburban/article/view/923
- 3
Vgl. AIB Nr. 143: „Chinesisches/Russisches Geld für die AfD“
- 4
Vgl. AIB Nr. 144: „Das Compact-Verbot“
- 5
https://aktionsbuendnis-brandenburg.de/falk-janke-einmal-durch-die-rech…
- 6
https://aktionsbuendnis-brandenburg.de/wahl-in-seelow-vom-erdrutsch-kei…
- 7
Valentin Domann, Matthias Naumann, Gala Nettelbladt: Infrastrukturelle Territorialisierung der radikalen Rechten. In: Das Ende rechter Räume. Autor*innenkollektiv Terra-R, Münster 2025.