Skip to main content

Antisemitismus in der AfD

Stefan Dietl (Gastbeitrag)
AfD Soros Kachel
(Bild: Montage mit Screenshot social media; sharepic AfD und flickr; ken fager; CC BY-NC-SA 2.0)

Ein Social-Media-Clip der AfD-Bundestagsfraktion mit Stephan Brandner.

„Aber es gibt keine Antisemiten mehr“ – mit diesen Worten beginnen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die letzte These ihrer „Elemente des Antisemitismus“. Sie wurde der „Dialektik der Aufklärung“ erst 1947 hinzugefügt und reflektiert den Antisemitismus nach der Shoa. Gemeint ist damit selbstverständlich nicht, dass mit der Befreiung der Konzentrationslager auch der Antisemitismus aus der Welt verschwunden wäre. Es gibt vielmehr nach der militärischen Niederschlagung des Nationalsozialismus keine Antisemit*innen mehr, weil niemand als Antisemit*in gelten möchte.

Auch die AfD will in Anbetracht der deutschen Verantwortung für den millionenfachen Mord an den europäischen Jüd*innen und der damit verbundenen Ächtung des offenen Antisemitismus in weiten Teilen der Öffentlichkeit partout nicht als antisemitische Partei wahrgenommen werden.

Trotzdem ist ihre kurze Geschichte geprägt von zahlreichen einschlägigen Skandalen. Immer wieder attackiert die Partei unter Rückgriff auf antisemitische Stereotype prominente Vertreter jüdischen Lebens, teilen AfD-Politiker*innen in sozialen Medien antisemitische Karikaturen oder relativieren die Verbrechen des Nationalsozialismus. Wird in deutschen Parlamenten am Holocaust-Gedenktag an die Opfer der Shoa erinnert, bleiben die Plätze zahlreicher AfD-Abgeordneter leer oder die Parlamentarier*innen verlassen – wie etwa bei einer Rede Charlotte Knoblochs im bayerischen Landtag – während der Gedenkveranstaltung demonstrativ den Saal.

Nachdem am 9. Oktober 2019, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, ein Rechtsterrorist versuchte, schwerbewaffnet in die Synagoge von Halle einzudringen und – als ihm dies nicht gelang – zwei Menschen ermordete, verharmloste die AfD die antisemitische Gewalttat. Stephan Brandner, zu dieser Zeit Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, teilte auf Twitter einen Beitrag mit der Frage: „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Schließlich seien ja „Deutsche“ zum Opfer des „Amokläufers von Halle“ geworden. Der AfD-Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich tat den Angriff auf die Synagoge als „Sachbeschädigung“ ab und postete auf Facebook: „Was ist schlimmer, eine beschädigte Synagogentür oder zwei getötete Deutsche?“ Beide Aussagen implizieren, dass Jüd*inen keine Deutschen sind. Während Brandner verschweigt, dass der Angriff ursprünglich der Synagoge galt und mit der Beschreibung als Amoklauf vom politischen Motiv des Attentäters ablenkt und stattdessen das Narrativ des geistig verwirrten Einzeltäters lanciert, bagatellisiert Ulbrich das versuchte Massaker. 

Den Vorwurf des Antisemitismus weist die AfD dennoch regelmäßig weit von sich und inszeniert sich gar als einzige Verteidigerin jüdischen Lebens vor „importierten Antisemitismus“. 

Bereits in ihren „Elemente des Antisemitismus“ beschreiben Horkheimer und Adorno einen Formwandel des Judenhasses – einen modernisierten Antisemitismus –, der heute auch die AfD prägt. Während niemand mehr Antisemit*in sein möchte, boomen Israelhass, Geschichtsrevisionismus und Verschwörungserzählungen. Insbesondere der verschwörungsideologische Antisemitismus - die Vorstellung „die Juden“ würden im Hintergrund das Weltgeschehen orchestrieren - fungiert in der AfD als einigendes Band, das die verschiedenen Strömungen der heterogenen Partei zusammenhält.

Wie in der Rechten insgesamt hat auch in der AfD der Antisemitismus nicht zuletzt die Funktion eines Weltdeutungs- beziehungsweise Welterklärungsmusters. Der Kapitalismus als abstrakter, non-personeller und schwer zu durchdringender Herrschaftszusammenanhang wird erklärbar gemacht durch die Darstellung eines eingeschränkten Personenkreises, der ganz konkret die Geschicke der Welt lenke. In der AfD finden sich Anhänger*innen sämtlicher bekannter Verschwörungsmythen. Finstere Mächte vergiften die Welt mit „Chemtrails“ oder Strahlung. Erdbeben und andere Naturkatastrophen werden von Geheimdiensten ausgelöst. Krankheiten wie die Corona-Pandemie sind bewusst herbeigeführt und dienen der Versklavung der Menschheit. Strippenzieher*innen destabilisierten die Gesellschaft, um Profite zu machen und die eigene Macht zu steigern – oder wollen gar durch gezielte Migration die ganze Bevölkerung austauschen. 

Gerade der Verschwörungsmythos der „Umvolkung“ oder des „Großen Austauschs“ findet in der AfD unter Funktionär*innen, Anhänger*innen und Wähler*innen großen Zuspruch. Der Glaube daran zieht sich durch die verschiedensten Strömungen der Partei – von völkischen Nationalist*innen über Nationalkonservative bis hin zu christlichen Fundamentalist*innen. Auch das von Medien und Öffentlichkeit gerne als - scheinbar gemäßigtes - Gegengewicht zum offen faschistischen Flügel der AfD präsentierte wirtschaftsliberale Lager der Partei, greift immer wieder auf die antisemitisch kontierte Verschwörungserzählung der gesteuerten Migration zum Bevölkerungsaustausch zurück. So warnt nicht nur Björn Höcke vor einem „bevorstehende[n] Volkstod durch Bevölkerungsaustausch“, auch Alice Weidel phantasiert von einem „Umsiedlungsprogramm, das in Europa keinen Stein mehr auf dem anderen lässt“. Geht es nach Beatrix von Storch, ist dieses Programm bereits Realität. Die „Pläne für einen Massenaustausch sind längst geschrieben“ behauptet die ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei auf Twitter. Dem ehemaligen Partei- und heutigen Ehrenvorsitzenden der AfD Alexander Gauland kommt das zweifelhafte Verdienst zu, die von der „Identitären Bewegung“, „Freien Kameradschaften“ und Rechtsterrorist*innen geprägte Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“ an der Spitze der Partei etabliert zu haben. Immer wieder greift Gauland darauf zurück. So, wenn er Angela Merkel vorwarf, sie wolle „den Bevölkerungsaustausch unumkehrbar machen“ oder wenn er behauptet, das deutsche Volk werde „ungefragt und gegen seinen Willen ersetzt“. „Die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten, damit die in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch beenden können“, so Gauland 2019 beim berüchtigten Kyffhäusertreffen.

Als Drahtzieher*innen der Weltpolitik personalisiert werden in den verschiedenen Verschwörungsmythen, die in der AfD kursieren, oft imaginierte Vertreter*innen des „Weltjudentums“, wie der aktuelle Hauptfeind antisemitischer Verschwörungsideologie George Soros. Der jüdische Milliardär steht als Chiffre für das antinationale Weltjudentum, das mit seiner Allmacht nationale Gemeinschaften und Identitäten zerstöre, um seine Gier zu befriedigen. Im Denken antisemitischer Verschwörungsideolog*innen hat Soros weltweit mittlerweile den Platz der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild eingenommen, die im 19. Jahrhundert und während des Nationalsozialismus bevorzugte Zielscheibe antisemitischer Propaganda war. Ob Trump, Orban, Bolsonaro, Putin oder die AfD – sie alle greifen heute auf George Soros als Projektionsfläche zurück, wenn es gilt, die antisemitischen Ressentiments ihrer Anhänger*innen zu mobilisieren. Indem sie ihre Hetze gegen Soros richten, versuchen sie einerseits dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen – man kritisiere ja allein Soros und nicht das Judentum per se – andererseits sind ihre Anhänger*innen in der Lage, die Chiffre zu entschlüsseln und wissen, dass sich die Hetze gegen Soros letztlich gegen das „Weltjudentum“ richtet. 

Gängige Codes, wie die Rede von Globalisten, Strippenziehern oder einer transatlantischen Elite zeigen nicht nur Eingeweihten, wer gemeint ist, knüpfen die damit verbundenen Zuschreibungen doch an klassische, über Jahrhunderte gepflegte antisemitische Stereotype an. So bei Björn Höcke, der das Klischee des die Nationen zersetzenden Juden bedient, wenn er den Verfassungsschutz als „Exeutivorgan für den völkerauflösenden und als pervers zu bezeichnenden Geist eines George Soros“ geißelt oder behauptet, die EU sei eine „Globalisierungsagentur“, die ihrerseits den „als pervers zu bezeichnenden Geist eines George Soros“ exekutiere. Dass Höcke im Zusammenhang mit George Soros und bei seiner Hetze gegen „Globalisten“ und „internationale Spekulanten“ immer wieder auf eine sexualisierte Sprache und die Beschreibung ihrer vermeintlichen Machenschaften als „pervers“ zurückgreift, ist ebenfalls nicht zufällig. 

Seit jeher ist die Sexualität von Jüd*innen Gegenstand antisemitischer Propaganda. Jüd*innen werden mit sexueller Abweichung und Lüsternheit in Verbindung gebracht. Kaum eine Ausgabe des berüchtigten nationalsozialistischen Hetzblatts „Der Stürmer“ kam ohne Karikaturen und Beiträge zur jüdischen Sexualität aus. Insbesondere das Bild des älteren Juden als Verführer junger Mädchen – nicht aufgrund seiner Attraktivität, sondern seiner Macht und seines Geldes – war ein wiederkehrender Topos der nationalsozialistischen Propaganda. Wenig erstaunlich also, dass auffällig oft Frauen als Helfershelferinnen von George Soros dargestellt werden. Hier verbinden sich Antisemitismus und misogyne Vorstellungen, indem Frauen zu willenlosen Puppen, gesteuert von machtvollen Strippenziehern, erklärt werden. Angela Merkel titulierte Höcke beispielsweise als „Soros-Kundin“ und Außenministerin Annalena Baerbock und FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann degradierte er zu „globalistischen Handpuppen“.

Wie tief dieses verschwörungsideologische Denken in der AfD verankert ist, zeigt unter anderem eine parlamentarische Anfrage der Partei, in der diese von der Bundesregierung wissen möchte, welche Regierungsmitglieder sich mit Alexander Soros, dem Sohn von George Soros, getroffen haben. Soros ist dabei die personifizierte Verkörperung der Vorstellung einer im Geheimen agierenden weltweiten Elite, die in der AfD meist als „Globalisten“ oder „globalistische Elite“ bezeichnet wird. „Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und weil sie die Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch den Takt vor“, heißt es in einem Aufsatz von Alexander Gauland mit dem Titel „Populismus und Demokratie“, der in der extrem rechten Zeitschrift „Sezession“ erschien. In der Flüchtlingskrise sei diese Elite laut Gauland eine Allianz mit der internationalistischen Linken eingegangen, zur „Förderung der Migration und der Aufweichung nationaler Strukturen“. Die Opfer dieser „geförderten“ Migration, seien die „einfachen Menschen“, die „ihre Heimat verlieren“. Wie Lars Rensmann in seiner vom American Jewish Committee (AJC) herausgebenen Studie „Die Mobilisierung des Ressentiments“ festhält, reproduziert Gauland damit „den klassischen antisemitischen Topos einer globalen, wurzel- und heimatlosen Elite, die heimlich alle möglichen Institutionen, Medien und Verbände infiltriert habe und dominiere, und die auf Weltherrschaft aus sei“. Zugleich bedient er mit seiner Anspielung auf ein vermeintliches Bündnis von Kapital und Linken die antisemitisch aufgeladene Erzählung einer Zusammenarbeit von „roter“ und „goldener“ Internationale gegen die Nation. Dabei werden Juden für Revolutionen, Kommunismus und Sozialismus ebenso verantwortlich gemacht wie für Liberalismus, Kapitalismus und alle anderen Erscheinungsformen der Moderne.

Das in der AfD verankerte Verschwörungsdenken führt nicht nur die verschiedenen heterogenen Lager der Partei zusammen, sondern stößt auch bei ihrer Wähler*innenschaft auf fruchtbaren Boden. So zeigt eine repräsentative Befragung des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig die noch vor der Corona-Pandemie durchgeführt wurde, die Verankerung des von der AfD genährte Verschwörungsmythos einer geheimen Elite, welche die Geschicke der Welt bestimmt. Demnach stimmen rund 35 Prozent der AfD-Wähler*innen der Aussage zu, dass „die meisten Menschen nicht erkennen, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden.“ 43 Prozent gingen davon aus, dass es „geheime Organisationen“ gäbe, „die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.“ Und 60 Prozent der AfD-Wähler*innen dachten, „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte.“ Angesichts dieses Zuspruchs ist es wenig erstaunlich, dass die Partei dieses Verschwörungsdenken nicht nur in der Migrationspolitik bedient. Egal ob Corona, Krieg oder Klimakrise - zur Erklärung wird auf das schändliche Wirken finsterer Mächte zurückgegriffen.

Gerade im Zuge der Corona-Pandemie erreichte die Verbreitung verschwörungsideologischer Vorstellungen eine neue Dimension. Die Proteste gegen die Maßnahmen zum Schutz vor dem potenziell tödlichen Virus führten zu einer bisher nicht gekannten Normalisierung antisemitischer Symbolik und Codes. Verschwörungserzählungen wie die der „QAnon“-Bewegung wurden in Deutschland erstmals einem breiteren Publikum bekannt und gewannen zahlreiche Anhänger*innen. Altbekannte antisemitische Weltdeutungen wurden dem modernen Verschwörungsnarrativ angepasst. Aus dem Mythos der Brunnenvergiftung zu Pestzeiten wurde die Entwicklung des Virus durch „geheime Mächte“ im Labor. Laut Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, waren die Proteste von Querdenken und Co. geprägt vom Glauben, „dass eine geheime Elite das Virus in die Welt gesetzt habe, dass die Bürger zu Marionetten würden et cetera. 

Das alte antisemitische Narrativ der jüdischen Weltverschwörung wurde der aktuellen Situation angepasst. Rechtsextreme konnten daran nahtlos anknüpfen, die Erzählungen verstärken und damit Zugang zu Menschen finden, die sie vorher schwerer erreicht haben“. 

Neben antisemitischen Verschwörungsmythen prägten auch die Leugnung und Relativierung der Shoa und des Leides der Verfolgten des NS-Regimes die Proteste. Sei es durch die anmaßende Gleichsetzung der selbsternannten „Freiheitskämpfer*innen“ gegen die Corona-Maßnahmen mit NS-Widerstandskämpfer*innen wie Sophie Scholl, sei es durch das Tragen des sogenannten „Judensterns“ mit der Aufschrift „Ungeimpft“. Die AfD setzte sich schnell an die Spitze der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. AfD-Politiker*innen traten als Redner*innen auf, fungierten als Anmelder*innen, finanzierten die Proteste und erklärten sich selbst zum „parlamentarischen
Arm der Querdenken-Bewegung“. Die AfD-Bundestagsfraktion verschaffte Aktivist*innen der Querdenken-Szene sogar Zugang zum Bundestag und ermöglichte ihnen so im Vorfeld der Abstimmung über ein neues Infektionsschutzgesetz Politiker*innen anderer Parteien zu bedrängen. 

Auch den Krieg in der Ukraine integriert die AfD in ihr antisemitisch geprägtes Verschwörungsdenken. So erklärte Björn Höcke bei einer Demonstration von AfD und PEGIDA am 24. Februar 2023 – dem Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine –, Deutschland sei „nicht souverän“, sondern ein „fremdbestimmtes“ und „teilbesetztes Land“. Es herrsche ein „erstarrtes Besatzungsrecht“. Dies gelte jedoch nicht nur für die Bundesrepublik, auch die USA seien „fremdbestimmt von einer kriegsgeilen, globalistischen Elite, die unsere Länder in die Irre führt, die die Menschen manipuliert und die uns für die Zukunft nichts Gutes will“. Zugleich rief er die 800 Teilnehmenden zum Widerstand auf. „Dieser Elite müssen wir das Handwerk legen“, so Höcke.

Ein Aufruf, den es ernst zu nehmen gilt, denn aus Verschwörungsideologien werden schnell Vernichtungsphantasien – und letztlich auch Taten, wie beispielsweise der antisemitische Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 zeigt.