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Die Radikale Gestaltungsmacht der Thüringer AfD

Kai Budler (Gastbeitrag)
Einleitung

Es sollte einer der Höhepunkte der Veranstaltungsreihe „Blaue Welle“ werden, die das extrem rechte Magazin „Compact“ 2024 in verschiedenen Städten zur Unterstützung der AfD organisierte. Am Abend der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wollte man am Landtag in Erfurt auf einer „Großleinwand den Countdown zur Auszählung“ verfolgen. Noch immer heißt es auf der Homepage des Magazins: „Feiern Sie mit uns die, so Gott will, neuen Ministerpräsidenten der Freistaaten, Björn Höcke und Jörg Urban“.

Muhsal AfD Thüringen
(Bild: Screenshot YouTube@WELTVideoTV)

Die AfD-Landtagsabgeordnete Wiebke Muhsal (Mitte) wurde keine Landtagsvizepräsidentin in Thüringen. Screenshot: YT/@WELTVideoTV

Doch mit dem Verbot der „Compact Magazin GmbH“ fiel das großspurig angekündigte Event in der Thüringer Landeshauptstadt aus und damit auch der Versuch, am Wahltag symbolisch und öffentlich das Vor- und Umfeld der Partei einzubinden. Dies aber sei, sagt nicht nur der Neurechte Benedikt Kaiser in der rechten Zeitschrift „Zuerst!“, der einzige Weg für eine Landes-AfD, die zwar stärkste Fraktion im Landtag ist, trotzdem aber keine reale Machtoption hat. Kaiser fordert: „Was wir benötigen, ist also das gemeinschaftliche, effektive und professionelle Zusammenspiel aus einer patriotischen Wahlpartei – AfD in der Bundesrepublik Deutschland und FPÖ in Österreich - und ihrem außerparlamentarischen Vorfeld, das die Partei antreibt und ‚das Feld bestellt‘“. Doch nicht nur am Wahlabend treibt es das von Kaiser und Co. so sehr bemühte Vorfeld nicht auf die Straße, auch der Wahlkampfabschluss der AfD mit Alice Weidel und Björn Höcke am Vortag zieht nur rund 1.000 Personen auf den Erfurter Domplatz, für die Partei ein denkbar schlechtes Ergebnis, sie hatte mit mehr als 2000 Teilnehmer*innen gerechnet. 

Angesichts der knapp 397.000 Zweitstimmen bei der Landtagswahl für die AfD gibt es eine eklatante Lücke zwischen denen, die im Freistaat die AfD wählen, und jenen, die sich dazu in der Öffentlichkeit durch Kundgebungen und ihre Teilnahme an solchen bekennen. Als Weidel und Höcke im April 2023 auf einem Aufmarsch in der Landeshauptstadt den Schulterschluss übten, folgten dem Aufruf sogar weniger als 1.000 Personen.

2015 war das noch anders, als sich zu Zeiten der steigenden Migrationszahlen wöchentlich bis zu 8.000 Personen hinter der AfD auf Erfurts Straßen versammelten und sich die Partei als Speerspitze der rassistischen Proteste inszenierte. Ihre damalige Mobilisierungsfähigkeit hat die Partei in den vergangenen Jahren eingebüßt, die aktuellen Teilnehmer*innen sind Personen aus dem neurechten Spektrum, Neonazis und die Stammwähler*innen. Immerhin hatte bei einer Umfrage mehr als die Hälfte der AfD-Wähler*innen in Thüringen angegeben, die Partei aus Überzeugung zu wählen. Damit ist nicht nur eine Normalisierung der Partei um den Faschisten Björn Höcke weiter vorangeschritten, gleiches gilt auch für die Themen und das Selbstbewusstsein ihrer Netzwerke und Vorfeldorganisationen. 

Anders aber als noch in den vorangegangenen Legislaturen hat die AfD jetzt mit mehr als einem Drittel der Landtagssitze reale Gestaltungsmöglichkeiten in der Landespolitik, um ihre Klientel sowie deren Interessen und Forderungen zu bedienen. Dazu zählt beispielsweise der „Corona Untersuchungsausschuss“, dessen Einsetzung die Fraktion mit ihrem Drittel der Landtagssitze im Alleingang durchsetzen könnte. Mit ihm will die AfD erreichen, dass „die Kritiker der Coronamaßnahmen rehabilitiert werden, die Opfer, soweit es geht, Genugtuung erhalten, die Täter bestraft werden und jedem neue Machtmissbrauch der Regierung vorgebeugt wird“. Obfrau des Untersuchungsausschusses soll die AfD-Landtagsabgeordnete Wiebke Muhsal werden, die bei der Vorstellung des Antrages bewusst von einer „Hygienediktatur“ spricht und auf jene hinweist, die auf die Straße gegangen seien, „weil sie ein freies Thüringen, ein freies Deutschland, eine freie Gesellschaft wollten und immer noch wollen“. Mit Muhsals „Dank für euren unermüdlichen Einsatz für unsere Rechte und unsere Demokratie“ sendet sie ein deutliches Zeichen an die landesweit zeitweise bis zu zehntausend Akteur*innen und Teilnehmer*innen der „Corona-Proteste“. Vor ihnen hatten die Demokratieprojekte Mobit, IDZ, KomRex und ezra als „die größte rechtsextreme Mobilisierung seit Jahren“ gewarnt. Ihre zunehmende Radikalisierung habe sich „zu einer dauerhaften Krise für die Demokratie“ entwickelt, „mit der eine Zunahme von rechten Bedrohungen und Gewalt einhergeht“. Der AfD-Antrag für einen solchen Ausschuss könnte für CDU und das „Bündnis Sara Wagenknecht“ (BSW) zu einem Problem werden. BSW und vier CDU-Abgeordnete hatten vorher selbst einen Corona-Untersuchungsausschuss beantragt, der nach Meinung der AfD um ihren eigenen ergänzt werden könne. 

Eine solche Zusammenlegung wäre ein Schulterschluss mit der Höcke-Fraktion, ein Bruch der zentralen Wahlversprechen von CDU und BSW und würde für die in der ohnehin fragilen Regierungskoalition ebenfalls vertretene SPD ein Hindernis werden. Sie intervenierte bereits im November, als die CDU einen Tauschhandel mit der AfD plante – für die SPD ein möglicher „Dealbreaker“ für die damaligen Koalitionsverhandlungen und ein Zeichen der weiteren Machtoptionen der AfD im Landtag. Hintergrund ist die Sperrminorität der AfD-Fraktion, mit der sie u.a. die Wahlen zum Richter- und Staatsanwaltswahlausschuss blockieren kann, die neue Richter oder Staatsanwälte einstellen oder auf Lebenszeit berufen. Angesichts einer bevorstehenden Pensionierungswelle im Thüringer Justizsystem droht ohne die Ausschüsse ein Richtermangel, der den Rechtsstaat in Thüringen lahmlegen könnte. Die Idee der CDU: Wenn die AfD die Besetzung der Wahlausschüsse nicht blockiert, könnte sie anschließend bei der Wahl eines stellvertretenden Verfassungsrichters und des Landtagsvizepräsidenten auf die Unterstützung der Union bauen. Um ihre Kandidaten allein ins Amt zu wählen, reichen die Stimmen der AfD nicht aus. Nach der Ablehnung der wegen Betruges des Landtages rechtskräftig verurteilten Wiebke Muhsal als Landtagsvizepräsidentin ist der anschließend vorgeschlagene Jörg Prophet eine weitere Provokation. Kurz vor der Oberbürgermeister-Stichwahl in Nordhausen 2023 kamen Dokumente ans Licht, die Prophet ein geschlossenes revisionistisches Geschichtsbild nachwiesen. Trotzdem wollte die Thüringer CDU sich im Vorfeld der entsprechenden Landtagssitzung der Erpressungsmacht der AfD beugen, ohne dass diese bereits angewendet worden wäre.

Das Desaster der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages und die Blockadehaltung der AfD waren nur der Auftakt für das Vorhaben der Partei, nach der Macht im Parlament und in der Judikative zu greifen, die parlamentarische Demokratie lächerlich zu machen und sie von innen auszuhöhlen. Seine Fraktion weiß Höcke hinter sich, die bundesweit stärksten AfD-Ergebnisse bei einer Landtagswahl bestärken ihn auch gegenüber der Bundesspitze als Landes- und Fraktionsvorsitzenden in seiner Linie. Hinzu kommt der Einfluss auf die Partei durch Vertraute wie den Thüringer Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Sprecher des AfD-Bundesvorstandes Stephan Brandner. 

Auf europäischer Ebene ist Höckes Statthalter René Aust, Co-Vorsitzender der Fraktion „Europa der Souveränen Nationen“ und Leiter der AfD-Delegation im EU-Parlament. 

Im Thüringer Landtag unterdessen wird die AfD mit ihrem destruktiven Vorgehen und ihrer Erpressungsmacht auch weiterhin demokratische Strukturen und ihre Vertreter*innen vorführen. Die von der AfD hofierten Vor- und Umfeldorganisationen im Freistaat werden Fraktion und Partei dabei je nach ihren Fähigkeiten behilflich sein. Es steht zu befürchten, dass es dabei nicht bei verbalen Hilfestellungen bleiben wird.