Feuer löschen statt Brände mauern
Jana Schäfer (Gastbeitrag)Parteien der gesellschaftlichen Mitte benutzen eine mehrdeutige Chiffre, um sich von „der Rechten“ abzusetzen: Die Brandmauer. Die Frage, ob sie hält, ist akut. Diese Idee bietet wenig selbstbefähigende Strategien an, um die Verhältnisse zu verbessern, die der Rechten überhaupt die Chance einräumen, sich als Heilsbringer zu inszenieren und faschistische Praxis zu normalisieren.
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Der Begriff der Brandmauer ist in aller Munde. Er behauptet, dass durch Verweigerung der Zusammenarbeit die „Rechte Gefahr“ gebannt werden könne. Dabei bringt der Begriff selbst mindestens zwei Probleme mit sich, die eher als Brandbeschleuniger wirken.
Zum einen suggeriert er, dass es eine klare Trennungslinie zwischen brennendem und nicht brennendem Raum gebe. In Ost- wie in Westdeutschland, in den Diskursen und Praktiken der Parteien und Wähler*innenvereinigungen, finden sich aber Parallelen zur AfD. Beispiele sind die Unionsparteien sowie die Freien Wähler in Bayern oder Sachsen, die eine Zusammenarbeit akzeptieren und gemeinsame Ideen normalisieren.1 Die AfD mag im verbalen Schlagabtausch also als extrem und gefährlich eingestuft werden, aber ein Blick in die Parteiprogramme enthüllt, dass Verbindungslinien existieren, z.B. in einer traditionalistischen Familien- und Geschlechterpolitik, in einer national orientierten Wirtschaftspolitik und in völkisch-nationalistischer Migrations-, Grenz- und Heimatpolitik. Im parlamentarischen Umgang mit der AfD zeigt sich: Parlamentarier*innen verschaffen der AfD längst Legitimität durch Zusammenarbeit.2
Zum anderen regt sich die Erinnerung an eine andere Mauer. Die Teilung der Gesellschaft durch die Mauer und ihre Überwindung wurde im gesellschaftlichen Diskurs sowohl negativ als auch positiv gedeutet bzw. hatte konkret Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Ost und West. Einerseits gibt es Überlegungen darüber, wie es nach der Vereinigung der Staaten 1989/1990 zur Abwertung der Kultur der DDR und des Ostens kam, die ‚den Osten‘ insbesondere mit Rassismus und Rückständigkeit identifizierte.3 Das ist ein Narrativ, das zumindest zu Kränkungen beigetragen hat. Gleichzeitig kam es zur Entwertung der ökonomischen und kulturellen Produktion im Osten, die auch zu Armut, interner Migration und dem Verfall der politischen Beziehungen beigetragen hat.
Andererseits hat die AfD selbst in vergangenen Wahlkämpfen mit dem Slogan „Vollende die Wende“ einen positiven Bezug zum Protest der DDR-Bürger*innen geschaffen. Beide, die negative wie die positive Folie, schaffen Bezugspunkte für Bürger*innen im deutschen Osten, die eine Vorstellung von Schmähung und Abgehängt werden wie auch die von einem demokratischen Geist miteinander verknüpfen.1 Demokratieforscher*innen warnen, dass AfD-Wähler*innen sich durch den Begriff der Brandmauer darin bestätigt sehen könnten, dass ihnen (weiter) Unrecht widerfährt.4
Gerade im Bezug zu diesen Ausschluss- und Abstiegsnarrativen hat Theodor W. Adorno schon in den 1960er Jahren Thesen darüber aufgestellt, dass Rechtsradikalismus und Faschismus mit diskursiv angefeuerten Abstiegsängsten zusammenhängen und unterschiedliche Studien bezeugen heute, dass gerade auch Austeritätspolitik zu Wahlgewinnen rechter Parteien beiträgt.5 Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass die AfD Wähler*innen ausgeprägte Abstiegsängste haben. Gepaart mit einem ausgewiesenen Rassismus (der sich u.a. in der Zuschreibung von Gewalt und Kriminalität gegenüber BPoC widerspiegelt) bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, haben sich viele in der Vorstellung eingerichtet, dass nur ein nationalistisches Aufbäumen ihre Position verbessern oder zumindest absichern könne.
Der Begriff ist also bedeutungsschwanger und er lenkt von zentralen strategischen Zielen ab: Einer Zukunftsvision für eine, wie Massimo Perinelli schreibt, „Gesellschaft der Vielen“ und kooperative Strategien dafür, wie wir dort ankommen. In Anbetracht der aktuellen Situation brauchen wir strategisch also keine Mauern, sondern – für den Übergang – Feuerlöscher. Und diese können nicht in einem Linkspopulismus mit betont nationalistischen und verschwörungstheoretischen Overtones à la BSW gefunden werden.6
Brände löschen geht nur von Hand, nicht nur durch Parlamentarier*innen, sondern in Einbeziehung nachhaltiger globaler Solidarität, Repräsentation, Kooperation, Redistribution, Anerkennung und Gerechtigkeit interessierte Zivilgesellschaften. Es wäre naiv zu glauben, dass eine Mauer einen Brand auf Dauer aufhalten kann, denn ob virtuell oder materiell, Mauern können umgangen oder zerstört werden – zumal wenn die Erbauer der Mauer sie selbst in diskursive Brandbeschleuniger tauchen.
Feuer löschen, von Hand, von unten, von uns
Es gibt reichlich Bestrebungen, die aktuellen Feuer zu löschen und nachhaltige demokratische bis revolutionäre Praxis zu etablieren. Beispiele für wehrhafte und Verantwortung übernehmende parlamentarische und außerparlamentarische bottom-up Politik und community-building gibt es an vielen Orten – und auch Beispiele für ihre Bedrohung. An manchen Orten haben Kommunistische Parteien heute wieder Erfolg: Etwa eine kommunistische Bürgermeisterin im österreichischen Graz und Kommunist*innen im Salzburger Landtag. Diese Politiker*innen machen primär Sozialpolitik: Sie kümmern sich um Wohnbau, Mietverhältnisse, Heizungsausfall, sind erreichbar und spenden einen Teil ihres Gehalts. Sie löschen also aktiv Feuer im Alltag der Bürger*innen und sprechen diejenigen, die sich vom Abstieg bedroht sehen, ganz direkt an.
Überzeugte Rassist*innen kann man mit dem Modell wohl nicht bekehren, aber vielleicht diejenigen, die eine vereinfachte antidemokratische Eliten- und Kapitalismuskritik vertreten.
Organisierte Selbstbefähigung, als lokale politische Perspektive setzt sich fort in der Zusammenarbeit kommunalpolitischer Akteur*innen und Nicht-Regierungs-Organisationen, die soziale Arbeit, (migrantische) Selbsthilfe, Umweltpolitik, Antigewaltarbeit, Mietenpolitik, Demokratieförderung etc. miteinander verknüpfen. Sie setzen sich gezielt für mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit für Individuen und Gruppen ein und stellen sich selbstbefähigend „global-lokalen“ Problemen. Sie arbeiten an den Feuern, die die AfD ausnutzen möchte.
Diese Organisationen sind im Alltag „von Rechts“ bedroht, ihre Finanzierung durch die Sparpolitik gefährdet.7 Um nachhaltig Feuer zu löschen, braucht es eine Langzeitstrategie, die historische Zusammenhänge in den Blick nimmt: Die an den Nationalsozialismus, an Kolonialismus, an die globalen Verwicklungen des Kapitalismus und des cis-heteronormativen Patriarchats erinnert, Bildungs- und Reflexionsangebote macht, sich global und post-migrantisch solidarisiert – aber nicht im Namen von Staaten oder des Kapitals, sondern um von individueller und struktureller Gewalt betroffene Menschen zu emanzipieren und das Fortbestehen von Machtverhältnissen zu stören.
Aktivist*innen stellen sich vor und in die heißen Zonen – meist haben sie ja kaum eine Wahl, da sie um ihre eigenen Rechte kämpfen.8 Wir mögen uns nicht immer eins sein, letztlich verfolgen wir aber ein Ziel: Eine freiere und sicherere Welt für alle. Diese politische Praxis macht uns zu Feuer-löschenden und nicht Brand-mauernden – wenn man den Konventionen der Metapher gerecht werden möchte.
Letzten Endes geht es nicht, aber dann doch um Begriffe. Denn als Ideologeme lenken Begriffe unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Fokus oder sie lenken schlicht ab. Eine Brandmauer suggeriert, dass ein einfach einzudämmender Raum brennt und nicht die Republik. Wo soll man denn eine Brandmauer überhaupt hin bauen? Wen soll sie ein- und aus-mauern? Das Bild eines leicht einzudämmenden Feuers funktioniert hinten und vorne nicht, wenn ungleich- und fremdmachende Politik die Gesellschaft fundamental teilt und der Ausbeutung und Exklusion freigibt.
Man muss den Rechten ihre Themen wegnehmen, ja – aber durch antikapitalistische, antirassistische, anti-heteronormative Bildung, on-the-ground zivilgesellschaftliche Sozialpolitik und Parteien, die sich für ihre Basis interessieren. Nicht, indem man ihnen nach dem Mund redet. Das ist alles natürlich in einer brennenden Welt nicht so einfach – aber auch da könnte man statt allein mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu mauern, mit kooperativer und solidarischer Praxis und Ehrlichkeit Feuer und Konflikte klein halten oder gar nicht mehr entstehen lassen.
(Jana Schäfer kam 1991 als Spätaussiedlerin mit ihrer Familie aus Kirgistan nach Deutschland und wuchs im Westen auf. In den deutschen Osten führte sie ihre Arbeit an der BTU Cottbus. Sie ist Soziologin mit Interesse an Migration, Rassismus, Gewalt, Gender und Sexualität, – und der Überwindung von Gewaltverhältnissen.)
- 1a1b
mdr.de/nachrichten/sachsen/politik/landtagswahl/freie-waehler-keine-brandmauer-abgrenzung-afd-100.html
- 2
Hummel, Steven & Anika Taschke (2023) Hält die Brandmauer?
- 3
Heft, Kathleen (2018): Brauner Osten – Überlegungen zu einem populären Deutungsmuster ostdeutscher Andersheit. Feministische Studien, 36(2), 357-366.
- 4
berliner-zeitung.de/news/demokratieforscher-simon-franzmann-ist-gegen-pauschale-brandmauer-gegen-afd-li.2158524
- 5
dezernatzukunft.org/en/unnotige-schwerlastprobe/
- 6
jungle.world/artikel/2024/18/montagsmahnwachen-wagenknecht-partei-nach-der-farce-die-tragoedie
- 7
tagesspiegel.de/politik/sparen-im-sozialen-und-beim-klima-so-will-lindner-die-haushaltslucken-schliessen-10872010.html
- 8
Lierke, Lydia & Massimo Perinelli (2020) Erinnern Stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive. Verbrecher Verlag; JALTA – Positionen zur jüdischen Gegenwart; Decolonize Berlin; Kunst gegen Rechts und Lea Zey im Ostjournal etc