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Sachsen: „Bau einer Brandmauer ist nicht vorgesehen“

Steven Hummel und Anika Taschke (Gastbeitrag)
Einleitung

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der CDU mit der extremen Rechten auf der kommunalen Ebene eigentlich? Ein Blick nach Sachsen zeigt ein düsteres Bild.

CDU Sachsen Witschas
(Bild: aushoywoj.bsky.social)

Brandmauern seien der „Tod der Demokratie“ findet der lokale CDU-Landrat.

Im Dezember 2021 ist sich Friedrich Merz noch ganz sicher: „Wenn irgend­jemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“1 Im Sommerinterview im Juli 2023 klingt das dann anders: Kommunalpolitik sei schließlich „etwas anderes als Landes- und Bundespolitik“, bei der klaren Abgrenzung gehe es lediglich „um gesetzgebende Körperschaften“, auf kommunaler Ebene hingegen brauche es einen pragmatischeren Umgang.2 Nachdem Merz für seine Äußerungen auch viel Kritik aus der eigenen Partei einstecken muss, rudert er kurz darauf zurück: Die Brandmauer stehe natürlich auch auf kommunaler Ebene. Doch entspricht das eigentlich der Realität? 

Die Frage der Zusammenarbeit oder Abgrenzung zur extremen Rechten wird sich nach den Kommunalwahlen im Mai und Juni 2024 in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nochmal viel stärker stellen. Der Text wurde vor den Kommunalwahlen fertiggestellt und kann daher dessen Ergebnisse nicht berücksichtigen. Von einer allgemeinen Stärkung der extremen Rechten in diesen Wahlen ist allerdings auszugehen.

CDU und AfD

Doch wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der CDU mit der extremen Rechten auf der kommunalen Ebene nun eigentlich? Ein Blick nach Sachsen zeigt ein düsteres Bild. So lehnt beispielsweise der 2022 gewählte Bautzner CDU-Landrat Udo Witschas eine Abgrenzung zur AfD ab. Brandmauern seien der „Tod der Demokratie“, daher sei ein Bau dieser nicht vorgesehen.3 

Diese Nicht-Abgrenzung der CDU lässt sich im Kreistag Bautzen auch mehrfach praktisch beobachten: Im September 2019 wird Frank Hannawald (AfD) mit 49 Stimmen zum zweiten stellvertretenden Landrat gewählt, die AfD hat im Kreistag lediglich 29 Sitze. Zahlreiche weitere Stimmen kamen offenbar von der CDU. Deren Fraktionsvorsitzender Matthias Grahl spricht damals von einem „normalen Vorgang im Kommunalen“.4 Im Dezember 2022 beantragt die AfD im Kreistag Bautzen Leistungen auf diejenigen Menschen zu konzentrieren und zu beschränken, „die als Kriegsflüchtlinge oder als politisch Verfolgte im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden“. Allen anderen Geflüchteten solle der Aufenthalt möglichst unangenehm gestaltet werden, beispielsweise sollten sie keine Sprachkurse oder andere Integrationsleistungen mehr absolvieren können. Eingebracht wird der Antrag durch den AfD-Abgeordnete Henry Nitzsche. Dieser war von 1994 bis 2002 Landtagsabgeordneter und von 2002 bis 2009 Bundestagsabgeordneter, bis 2006 für die CDU. Nach seinem Austritt aus der CDU gründete er 2008 die Wählervereinigung „Bündnis Arbeit-Familie-Vaterland Liste Henry Nitzsche“ und 2011 die Wählervereinigung „Bürgerbewegung Pro Sachsen“. 19 der 24 CDU-Kreistagsmitglieder stimmen schließlich für den AfD-Antrag.

In das Bild von Bautzen passt dann auch, dass der CDU-Oberbürgermeister Karsten Vogt mindestens zweimal auf den (extrem) rechten Montagsprotesten in Bautzen gesprochen hat.

Kooperationen

In Bautzen ist die Brandmauer der CDU zur extremen Rechten irgendwo zwischen stark löchrig und nicht vorhanden anzusiedeln. Die genannten Fälle von Kooperationen fügen sich dabei in ein größeres Gesamtbild ein: Zwischen Juni 2019 und Dezember 2023 haben die Autor*innen des Artikels für eine Studie der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ 121 konkrete Fälle für Kooperationen zwischen demokratischen und extrem rechten Parteien/Fraktionen recherchiert. 

Mit 46 Fällen ist Sachsen das am stärksten vertretene Bundesland. Hier gab es in den kreisfreien Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig, den Kreistagen Bautzen, Meißen, Mittelsachsen, Plauen und Vogtlandkreis sowie den Stadt- und Gemeinderäten Döbeln, Gohrisch, Freiberg, Görlitz, Heidenau, Limbach-Oberfrohna, Markranstädt, Meißen, Pirna, Plauen, Radebeul, Wurzen, Zittau, Zwickau entsprechende Kooperationen. Neben der CDU (29 Fälle in Sachsen) finden sich auch Beispiele für Kooperationen bei FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und verschiedenen kommunalen Wählervereinigungen.

Inhaltliche Schnittmengen

Die zahlreichen Kooperationen zwischen AfD und CDU deuten auf inhaltliche Schnitt­mengen beider Parteien hin. So stimmt die Leipziger CDU im Februar 2023 in der Haushaltsdebatte einem AfD-Antrag zur „Streichung der Baumaßnahmen am ‚Conne Island‘“ zu. Damit soll offensichtlich ein unliebsames „Zentrum von und für Linke, Jugend-, Pop- und Subkulturen“ (Selbstverständnis des Conne Island) finanziell unter Druck gesetzt werden, beziehungsweise langfristig die städtische Unterstützung entzogen werden, weil dessen politische Ausrichtung ein Dorn im Auge der Konservativen und (extrem) Rechten ist. Der Antrag scheitert aufgrund der rot-rot-grünen Stadtratsmehrheit in Leipzig. Entsprechende Mehrheitsverhältnisse sind im restlichen Sachsen nicht vorzufinden.

In Dresden stimmten im März 2024 AfD, CDU, FDP und Freie Wähler5 gemeinsam für den AfD-Antrag „Dresden als Modellregion: Bezahlkarte statt Bargeld, Sachleistungsprinzip für Asylbewerber konsequent umsetzen.“ Der Antrag wird mit knapper Mehrheit (33:32:0) angenommen. Im Antrag wird unter anderem die Mär von „Anreizen“ des deutschen Sozialsystems verbreitet. Der Oberbürgermeister Dirk Hilbert legte kurz danach Widerspruch gegen den Beschluss ein. Allerdings nicht wegen politischer Bedenken, sondern weil die Karte in Dresden voraussichtlich erst später eingeführt werden könnte als die ohnehin durch die Ampel-Regierung bundesweit mögliche Bezahlkarte und der Stadt Dresden damit finanzielle Nachteile entstünden. Diskriminierend und einschränkend bleibt die Bezahlkarte, egal von wem und auf welcher Ebene sie beschlossen wurde. Das Beispiel der Abstimmung im Dresdener Stadtrat macht aber deutlich, dass in diesem konkreten Fall CDU und FDP bereit sind mit der (extremen) Rechten zusammenzuarbeiten, um gemeinsame politische Ziele durchzusetzen.

Ausblick

Wir plädieren für einen stärkeren Fokus auf die kommunale Ebene und Kommunalpolitik. Die hier getroffenen Entscheidungen wirken sich direkt auf das Leben der Menschen vor Ort aus. Auch mit einer Verschlechterung der Mehrheitsverhältnisse in zahlreichen Kommunen sollten wir nicht nur hypnotisiert auf das Wahlergebnis starren, sondern auch darauf, was nach den Kommunalwahlen, vor allem in den konstituierenden Sitzungen, passiert: Wer bildet mit wem Fraktionen, wer arbeitet mit wem zusammen, wer reicht gemeinsame Anträge ein und stimmt gemeinsam ab oder wählt extrem rechtes Personal in Posten?

Die Publikation „Hält die Brandmauer? Studie zu Kooperationen mit der extremen Rechten in ostdeutschen Kommunen“ kann auf der Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung kostenlos heruntergeladen und bestellt werden. Ergänzungen zu den vorliegenden Daten der Studie sind erwünscht und können per E-Mail an anika.taschke [at] rosalux.org und hummel [at] rosalux-sachsen.de gesendet werden.

Steven Hummel ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Bildungsreferent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und ist ehrenamtlich bei der Dokumentations- und Rechercheplattform chronik.LE aktiv. Sein Schwerpunktthema ist die extreme Rechte.

Anika Taschke ist Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Referentin für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit.