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AfD-Jugend vor dem Neustart

Einleitung

Erst ein paar Monate ist es her, als sich die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative (JA)“ auf ihrem Zenit befand. Sie hatte so viele Mitglieder wie nie, die Präsenz in den Sozialen Netzwerken und der Presse war kaum zu übersehen. Mit einer Onlinekampagne nahm die Gruppe auf die wichtigen Ostwahlkämpfe 2024 Einfluss. Im Lager der extremen Rechten war sie republikweit zur bekanntesten Nachwuchsgruppe aufgestiegen. Vorerst ist Schluss. Anfang 2025, im zwölften Jahr ihres Bestehens, wurde die JA zuerst von ihrer Mutterpartei verstoßen, um sich einige Wochen später sang- und klanglos aufzulösen.

Anna Leisten JA
(Bild: Screenshot von Anna Leisten/Instagram)

„Another One Bites the Dust“ - Anna Leisten konnte die JA nicht retten. Laut ihrem instagram-account fand die dargestellte „Ostfront“-Übung der JA-Brandenburg am 29. Mai 2023 in Schöneiche bei Berlin statt.

Was ist passiert?

Anfang Dezember 2024 gelangten Pläne in die Öffentlichkeit, dass der AfD-Bundesvorstand plane, sich von der JA zu trennen und sie durch eine neue Jugendorganisation zu ersetzen, die „Patriotische Jugend“ heißen solle. Diese solle nicht mehr eigenständiger Verein neben der Partei sein, sondern direkt zu ihr gehören. Alle Mitglieder sollten gleichzeitig Parteimitglieder sein müssen und umgekehrt sollten alle AfD-Mitglieder, die jünger als 36 Jahren sind, automatisch Mitglied der Jugendorganisation werden. Beschlossen werden sollte das beim AfD-Parteitag im Januar 2025 in Riesa.

Gewünschte Effekte: Weniger Eigenständigkeit, dadurch bessere Kontrolle der Jugend durch die Partei. Das konnte nicht anders als eine frontale Absage an die gegenwärtige Praxis der JA verstanden werden. Angesichts dessen war das in der Öffentlichkeit vernehmbare Echo aus der JA zu den Plänen erstaunlich leise. Vor allem von der rührigen Brandenburger JA-Landesvorsitzenden Anna Leisten kamen Widerworte. Vor dem AfD-Bundesparteitag ließ sich Leisten unter dem Titel „Die JA muss bleiben“ von „CompactTV“ interviewen. In dem Gespräch schilderte Leisten den Weg der JA von einer aus ihrer Sicht anfangs zahnlos liberalen Truppe hin zum vitalen Rebellenverein. Anstatt farblosen Funktionärsnachwuchs zu produzieren, sei es Anspruch der JA, „Aktivisten“ hervorzubringen, die nicht in erster Linie auf Parteipfründe schielen würden. Kritik übte Leisten an der AfD-Bundeschefin Alice Weidel und am JA-Bundesvorsitzenden Hannes Gnauck, der dem gleichen JA-Landesverband wie sie selbst angehört.

Neben Leisten forderte noch der JA-Landesverband aus Schleswig-Holstein, die Organisation nicht anzutasten. Im Inneren der JA rumorte es sicherlich. JA-Vize-Chef Nils Hartwig soll laut Presseberichten in einem internen Chat geschrieben haben: „Jetzt heißt es, Stahlhelm auf und ab in den Schützengraben.“ Nach außen drang davon wenig. Der Zeitpunkt der Diskussion kurz vor der Bundestagswahl dürfte dazu beigetragen haben, eine allzu große öffentliche Schlammschlacht zu verhindern.

Breiter als das Lager der JA-Leute, die den Status Quo bewahren wollten, war die Fraktion der Auflösungsbefürworter. Einige JA-Landesverbände stellten klar, dass sie für Umstellungen offen seien. Die JA Rheinland-Pfalz meldete: „Wir halten eine Neustrukturierung für sinnvoll.“ Der entsprechende Parteitagsantrag wurde unter anderem von den AfD-Landesvorständen Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz eingebracht. Der JA-Bundesvorsitzende Hannes Gnauck sowie der Berliner JA-Chef Martin Kohler unterstützten ihn. Mit im Boot waren weitere mit der JA verbundene Funktionäre wie Bundesvorstand Dennis Hohloch oder die Ex-JA-Bundeschefs Damian Lohr (2018 bis 2021) und Carlo Clemens (2021 bis 2022).

Dann ging es schnell: Auf dem Parteitag wurde über den Auflösungsantrag weniger hart debattiert, als erwartet worden war. Mit 71,9 Prozent Zustimmung erreichte der Antrag problemlos die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Anna Leisten taumelte sichtlich wütend und irritiert Richtung Hallenausgang. Als nächsten Schritt hatte die JA formal ihre Selbstauflösung zu beschließen. Gelegenheit dafür bot der JA-Bundeskongress Anfang Februar 2025 in Apolda. JA-Bundeschef und Auflösungsbefürworter Gnauck reiste gar nicht erst an. Die notwendige Neun-Zehntel-Mehrheit für die Selbstauflösung wurde trotzdem erreicht. Laut JA-Webseite erfolgte die Selbstauflösung sogar einstimmig.

In der jüngeren Vergangenheit war in der Bundes-JA das Modell dominant geworden, welches Anna Leisten in ihrem Brandenburger Verband durchgesetzt hatte: immer radikaler, immer aktivistischer; Parolen, Stil und Vorgehensweise ganz offen entlehnt von der „Identitären Bewegung“. Stolz präsentierte sich Leisten auf Social Media mit „White-Power“-Geste und warb für den „Solidarischen Patriotismus“ (vgl. AIB Nr. 145). Ergebnisse davon waren einerseits Wachstum und Aufmerksamkeit für die Organisation. Andererseits wurde die behördliche Einstufung der JA als „gesichert rechtsextremistisch“ zementiert, auch ein Verbotsverfahren erschien als realistische Bedrohung. Ohnehin wünschten sich viele in der AfD anstatt des knalligen Aktivismus eine leise abzuwickelnde Qualifizierung von Nachwuchs für die chronisch unter Personalmangel leidende Partei. In ihr Gebaren ließ sich Leisten nicht hineinreden, verprellte auch Fürsprecher und manövrierte sich so in eine Sackgasse.

JA-Bundeschef Gnauck hatte noch 2021 erklärt, dass die JA zur AfD gehöre wie „der Adler zu Deutschland“. Nun hatte er selbst für die Auflösung seiner eigenen Gruppe argumentiert. Die Entfremdung auch radikaler AfD-Leute wie Gnauck von der JA kann als Reflektion einer Verschiebung im Machtgefüge der Partei interpretiert werden. Lange trieb die JA die Radikalisierung der AfD mit voran und stand dabei an der Seite des „Flügels“, der nunmehr schon vor mehreren Jahren seine Auflösung erklärt hat. Dieses Netzwerk war nicht nur eines der Sammelbecken für offen extrem rechts orientierte Teile der Partei, sondern für einen marktschreierisch lauten, polarisierenden Stil bekannt.

In letzter Zeit haben in der Partei einige Funktionäre ein neues Netzwerk gebildet. Dazu gehören jüngere AfD-Politiker wie Gnauck, Dennis Hohloch, René Springer oder Damian Lohr. An ihrer extrem rechten Ausrichtung besteht kein Zweifel. Aber sie geben sich innerhalb der Partei kooperativer und kompromissbereiter, wollen der Partei perspektivisch eine Koalitionsfähigkeit ermöglichen und dafür auch „seriöses Auftreten“ ins politische Repertoire aufnehmen. Die Leisten-JA, die mit der Brechstange agierte und jede Rücksichtnahme verweigerte, war mit den Ansprüchen der „Professionalisierer“ nicht kompatibel. Ihre innerparteiliche Macht bewies das neue Netzwerk in Riesa. Beim Parteitag konnte es sich nicht nur in punkto JA-Auflösung, sondern auch in anderen Punkten durchsetzen.

Die JA bezog ihr politisches Vokabular aus dem Kosmos der um das Zentrum in Schnellroda positionierten neofaschistischen Autoren. Doch auch die „Professionalisierer“ haben dorthin Verbindungen. In der JA-Zukunftsfrage traten die Schnellroda-Leute dementsprechend nicht als entschiedene Verteidiger des Status Quo auf. Götz Kubitschek erklärte immerhin, dass die Auflösung kein gutes Zeichen sei, da zu starke „Mandatsvernunft“ dazu führen könnte, aus der AfD eine „weitere Altpartei“ zu machen. Der österreichische „Identitären“-Kopf Martin Sellner beschränkte sich im Wesentlichen auf praktische Tipps: Die bisherigen JA-Aktivposten sollten sich konstruktiv einbringen und Ämter und Funktionen in der neuen Jugendorganisation besetzen, damit so viel wie möglich der bisherigen Ausrichtung und Ästhetik fortgeführt werden könne. Der von der JA fast schon zur Ikone stilisierte Autor Benedikt Kaiser bescheinigte der JA nach Riesa in nüchternem Tonfall „eklatante eigene Fehler“ und befand, dass der Weg der „Integration der JA in die AfD zum Schutz und zur besseren Koordination“ richtig sei. Die „politikfähigen Idealisten“ in der JA sollten sich nicht entmutigen lassen: „Das ist kein Ende, sondern ein Neubeginn.“

Der Bundestagswahlkampf wurde von der Auflösung der JA nicht wesentlich beeinträchtigt. Es fiel auf, dass die noch existierende JA sich in ihrem Engagement eher zurückhielt. Anders als bei den Ostwahlkämpfen 2024 gab es keine eigene Kampagne. Das Wahlergebnis der Partei wurde davon nicht getrübt. Den allermeisten Aktiven der bisherigen JA sind Brücken gebaut – sie können sich ermutigt fühlen, in neuem Rahmen weiterzuarbeiten. Eine Abkehr von den neofaschistischen Inhalten, die die JA propagiert, wurde ohnehin nie gefordert.

Zeitplan und weitere Details für die Neugründung standen zu Redaktionsschluss noch nicht fest. Schon einmal, zwischen 2018 und 2019, stand eine Auflösung der sich immer weiter radikalisierenden und durch die Partei schwer zu kontrollierenden JA im Raum. Dazu kam es damals nicht, aber immerhin wurde ein Neustart der bestehenden Gruppe inszeniert. Am Ende stand mitnichten eine Domestizierung. Wohin die Entwicklung diesmal gehen wird – extrem rechte Nachwuchsschmiede im „professionellen“ Antlitz, doch wieder aktivistisch- rawallige Formen oder eine Mischung – das wird sich zeigen.