Nationalismus und Rassismus in der CSFR
Antifas aus Prag „A-kontra“Im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) kommen die Länder des ehemaligen Ost-Blocks leider eher selten in den Fokus. Für diese Nummer haben wir deswegen zwei Beiträge aus Prag über die Tschechische und Slowakische Föderative Republik / Česká a Slovenská Federativní Republika (CSFR) eingeholt. Der Bericht über den 1.Mai in Prag wurde von der Zeitung „A-kontra“ für das Antifaschistische Infoblatt geschrieben.
Bezeichnend für die Situation im Europa der 1990er Jahre gibt es auch in der CSFR starke nationalistische und neonazistische Tendenzen. Die Entwicklung in der CSFR ging, wie in der DDR, schnell ab von den Bemühungen, etwas Eigenständiges auf die Beine zu bekommen. Zu schnell wurde die vollständige Rekapitalisierung des gesamten Landes als oberstes Ziel erklärt. Im Unterschied zur DDR kamen bei den ersten Wahlen in der CSFR die Bürgerbewegungen, die die starken Demonstrationen gegen die vorherige Regierung organisiert hatten, an die Macht. Damit kam Václav Havel auf den obersten Posten, ein Mann, der viele Jahre für seine nicht staatsfreundliche Meinung im Gefängnis verbracht hatte.
Wie sieht es nun zwei Jahre später aus?
Es haben sich starke konservative Positionen in der Politik herausgebildet. Sie gehen politisch gegen alle vor, die sich links von ihnen befinden. Das geht bis zur liberalen Bürgerbewegung „Občanské hnutí“ (OH), die aus der großen Bürgerbewegung des Herbstes 1989, dem Bürgerforum „Občanské fórum“ (OF), hervorgegangen ist. Da kommen dann Äußerungen, so auf die Tour: »Die und die Partei, dieser und jener Politiker sind eine große Gefahr für die Demokratie; nach der Zerstörung des Kommunismus ist es nun auch erforderlich, den Liberalismus zu zerstören; Vorsicht ist bei den Bolschewiken in der Mitte geboten. - Mir wäre es am liebsten, wenn es keine linksorientierte Presse gäbe - der Linksradikalismus sollte überhaupt unterdrückt werden... usw.«
Ihre Propaganda endet teilweise in der Forderung, die Kommunistische Partei (die als einzige KP des Ost-Blocks es ablehnt, die Bezeichnung »kommunistisch« aus dem Namen zu streichen) zu verbieten, für eventuelle Widersacher wurde der § 260 des Strafrechts bereitgelegt (er betrifft die Propaganda von Klassenkampf und Kommunismus, besser gesagt, stellt dies unter Strafe). Diese Kräfte haben durch den deutlichen Wahlsieg der Demokratische Bürgerpartei "Občanská demokratická strana" (ODS) starken Aufschwung bekommen, sie können jetzt ohne größere Behinderungen ihren Weg, zumindestens im tschechischen Teil der CSFR, durchziehen. Im slowakischen Teil hat Vladimír Mečiar von der "Hnutie za demokratické Slovensko" (HZDS) den Wahlsieg für sich verbuchen können. Damit werden die Stimmen nach einer Abtrennung der Slowakei immer lauter, weil gerade die HZDS für eine eigenständige Slowakei Wahlkampf gemacht hat und die konservativen tschechischen Wahlsieger eigentlich starke Bedenken gegenüber dieser Richtung geäußert haben.
Ob die Vernunft siegen wird und sie sich letztendlich einigen werden, wird die Zeit bringen. Bemerkenswert an den Wahlen ist außerdem, daß die extrem rechte „Sdružení pro republiku – Republikánská strana Československa“ (SPR-RSČ)“ (Vereinigung für die Republik – Republikanische Partei der Tschechoslowakei) im tschechischen Teil eine Menge Stimmen auf sich vereinigen konnten. Geht man nach der Stimmung auf der Straße, ist das allerdings gar nicht verwunderlich. Rassistische und neonazistische Tendenzen bekommt man überall zu spüren. Ein Teil des Programms der „Sdružení pro republiku – Republikánská strana Československa“ beinhaltet die Übersiedlung von Roma-Familien in die Slowakei und damit treffen sie auf viel Zustimmung in der Bevölkerung. Der Vorsitzende Miroslav Sládek ist ein geschickter Demagoge und Populist. Seine geäußerte Kritik an der »Demokratie« ist treffend formuliert und wird damit schnell akzeptiert. Der Einfluß dieser Partei auf die militante Neonaziszene hält sich noch in Grenzen, obwohl auch hier bereits Vereinigungsbestrebungen da sind. Es gibt eine Vielzahl von militanten neonazistischen Parteien und Organisationen in beiden Teilen der CSFR.
Im tschechischen Teil sind das in erster Linie die „Český nacionalněsocialistický tábor“ (ČNST-Vlajka), das Tschechische Nationalsozialistische Lager - Die Flagge und „Národní obec fašistická“ (kurz NOF), die „Nationale Faschistische Gemeinde“. Diese wiederum haben mehrere illegale Organisationen, wie z.B. die »Böhmischen Löwen« oder die »Nationale Interessensgemeinschaft« gegründet. Alle diese Parteien sind in erster Linie stark antisemitisch orientiert. Das geht soweit, daß sie überprüfen, ob Politiker und Beamte auch ja nur arische Vorfahren haben. In der Slowakei existiert ebenfalls eine „nacionálně socialistická aliance“ (nationale sozialistische Allianz). Die nationalistischen Tendenzen werden dort aber auch von fast jeder politischen Partei getragen, einige Parteien machen das ja schon in ihrem Namen deutlich. Besonders in der Slowakei kommt dabei noch das Element der starken Rekatholisation und den daraus resultierenden Einflüssen der Kirche auf das Leben der Menschen hinzu.
Zusätzlich ist da noch der Fakt, daß die Katholische Kirche eine Stütze des klerofaschisten Regimes gewesen ist. Besonders die tschechischen Neonazis sind stark an einem Ausbau der Kontakte nach Deutschland interessiert. Bestehen tun diese bereits. Ende 1991 fand aus Anlaß eines »Endstufe«-Konzertes in Teplice (Nordtschechei) ein deutsch-tschechisches Neonazitreffen statt. Das Konzert mußte kurzfristig abgesagt werden, was sie wiederum nicht davon abhielt, gemeinsam die Straßen mit einer Welle von Gewalt zu überziehen. Auch der "Geburtstag von Adolf Hitler" am 20. April wird regelmäßig und intensiv gefeiert. Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß die militante neonazistische Bewegung in erster Linie von Neonazi-Skinheads verschiedener Richtungen getragen werden. Die einen beziehen sich mehr auf den deutschen Nationalsozialismus, wo hingegen sich die anderen mehr auf tschechische faschistische Traditionen berufen. Die neonazistische Gewalt auf der Straße nimmt auch in der CSFR bedrohliche Ausmaße an. Grabschändungen auf jüdischen Friedhöfen sind an der Tagesordnung, Roma können sich ihres Lebens nicht immer sicher sein. Darüber mehr am Beispiel des 1. Mai.
Der 1. Mai in Prag
In der CSFR kam es nach dem Zerfall des sogenannten »realen Sozialismus« zu zunehmenden rassistischen und neonazistischen Tendenzen in der Bevölkerung und zur Entstehung von Gruppen und Bewegungen, die diese Ideen verbreiten. Bis jetzt hat sich keine gesellschaftlich wichtige Gruppe - weder staatliche Organe, Polizei, Justiz, politische Parteien noch andere gesellschaftliche Organisationen - dazu bereit gefunden, sich entschieden dagegen zu stellen. Die einzige Ausnahme bildet die autonome Szene, vor allem die Anarchisten (die jedoch gerade erst dabei sind, sich zu formieren) und einige Roma-Organisationen.
Die sogenannte »Roma-Frage« entwickelt sich immer dramatischer, und die Unfähigkeit, die der Staat und die gesamte Gesellschaft zeigen, wenn es um deren Lage geht, bilden einen wichtige Grund für die Formation neonazistischer Bewegungen. Die Romas bilden in der CSFR die zahlreichste nationale Minderheit, die gleichzeitig am schnellsten zuwächst. Bezeichnend für die Situation ist auch die Tatsache, daß es keine genauen Statistiken über ihre Anzahl gibt. Man vermutet, daß ca. 800.000 Romas in der CSFR leben, d.h. sie bilden ca. 5% der Gesamtbevölkerung. Da sich die Romas jedoch unter der Regierung des vergangenen Regime nicht organisieren konnten und ihre Nationalität und Identität unterdrückt und liquidiert wurden, sind die neu entstehenden Organisationen unfähig, die Interessen der Romas effektiv zu verteidigen. Diese Situation wurde auch im Verlauf der 1. Mai- Geschehnisse in Prag deutlich.
Neben den Kommunisten, die am Rande von Prag eine bürgerliche Feier veranstalteten, waren es einzig die Anarchisten, die zu einer Demonstration im Zentrum von Prag, auf dem traditionellen Meeting-Platz der Arbeiter, aufrief. Gleichzeitig formierte die Neonazi-Skinhead-Bewegung eine Demonstration gegen Anarchisten, Romas und andere »unerwünschte Objekte«. Diese Aktion fand auch schon traditionell auf der »Letencka Plan« (ausgedehntes Parkgelände gegenüber des Fußballstadions) statt. Von dort aus pflegten die Neonazi-Skinheads und ihre Anhänger in vorhergehenden Fällen durch Prag in Richtung Roma-Viertel zu marschieren, wo dann ihre gewalttätigen Aktionen beinahe einen Pogrom- Charakter erreichten.
Deshalb nahmen sich die Anarchisten vor, bei der Demonstration nicht nur auf den Sinn des 1. Mai hinzuweisen und gegen die „Lügen und Betrügereien“ aufzutreten, wie das Hauptmotto auf den Flugblättern verkündete, sondern auch die Neonazi-Skinhead-Demonstration und deren Umzug durch Prag zu verhindern. Nach einer kurzen Kundgebung auf der Halbinsel »Strelecky ostrov« machten sich ca. 700 bis 1.000 der versammelten Autonomen auf den Weg zur »Letencka Plan«, wo sie mit den Neonazis zusammentrafen. Es kam zu Auseinandersetzungen, die von ca. 100 Leuten auf beiden Seiten getragen wurden. Im Laufe der Zeit änderte sich das Kräfteverhältnis immer mehr zu Gunsten der Anarchisten und so gelang es schließlich, die Neonazi-Skinheads zu vertreiben. Erst in diesem Moment griff die mit Schutzschildern ausgerüstete Polizeieinheit ein, der es gelang, die beiden Lager zu trennen.
Traditionsgemäß wandte sich der Polizeieingriff vor allem gegen die Anarchisten, obwohl bei den Neonazi-Skinheads Schußwaffen sichergestellt worden waren. Es gelang der Polizei jedoch nicht, die formierten Anarchisten auseinanderzutreiben. Erst später erfolgten mehrere Verhaftungen von Demonstranten an verschiedenen Orten in Prag. Ihre klar ersichtlich unberechtigten Angriffe riefen Proteste in der Öffentlichkeit hervor. Dabei wurden auch unbeteiligte Zuschauer und Journalisten angegriffen. Ein Fotograf wurde zu Boden gestoßen und von der Polizei verprügelt. Dabei wurde seine gesamte Fotoausrüstung zerstört. Die Informationen in den Medien wurden von den offiziellen Stellen verzerrt; der Präsident Vaclav Havel z.B. erwähnte den Zwischenfall als „unbedeutenden Zusammenprall“.