Interview mit der Antifacistická Akce (AFA) aus Tschechien
Gibt es rechte oder neonazistische Parteien im tschechischen Parlament?
Im Moment nicht. In den Jahren 1992 bis 1998 war die extrem rechte Partei »Republikáni« (Partei der Republikaner) im Parlament, die von den deutschen »Republikanern« inspiriert war. Bei den Wahlen erwarb sie damals bis zu 8 Prozent. Es gibt sie heute noch, aber sie spielt nur noch eine geringe Rolle. Ab 2000 entstanden mehrere extrem rechts orientierte Parteien. Seit dem Jahr 2007 wuchs die Bedeutung der »Delnická strana«1 (Arbeiterpartei), da sie in dieser Zeit anfing mit den Neonazis zu kooperieren. Sie zog den anderen extrem rechten Parteien die meisten Wählerstimmen ab, die sich insgesamt um die 1% bewegen. Dies reichte jedoch nicht für einen Sitz im Parlament aus. 2010 wurde sie verboten. Sie war somit die erste Partei, die in der Tschechischen Republik nach der Wende 1989 einem staatlichen Verbot unterlag. Das hatte jedoch wenig Erfolg, sie ist weiterhin unter dem Namen »Delnická strana sociální spravedlnosti« (die Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit) aktiv.
Gibt es in Tschechien rechte Subkulturen wie Neonazi-Skinheads, »Autonome Nationalisten«, rechte Hooligans oder ähnliches? Gibt es eine rechte Musikszene?
Die extrem rechte bzw. neonazistische Szene in der Tschechischen Republik ist ähnlich der in anderen europäischen Ländern. Sie fing an, sich nach dem Wendejahr 1989 zu formieren. In der ersten Phase bestand sie überwiegend aus rassistisch orientierten Neonazi-Skinheadgruppen und konzentrierte sich vor allem auf Straßengewalt und subkulturelle Aktivitäten.
Seit dem Jahr 2000 ist eine langsame Umorientierung auf politische Arbeit zu beobachten. Damit hängt die Ablehnung des Neonazi-Skinhead-Images und die Suche nach neuen Trends – vor allem dem der »Autonomen Nationalisten« – zusammen. Seit Anfang der 1990er Jahre tauchten auch rassistische Hooligans auf, die sich oft mit dem Rest der extrem rechten Szene mischen. Heutzutage dagegen sind die Hooligans oft die stärksten Gegner der Neonazis.
Die rechte Musikszene profilierte sich auf eine ähnliche Art. Aus der Tschechischen Republik stammen ein paar Bands, die einen gewissen Ruhm innerhalb der internationalen neonazistischen Szene erworben haben. Es handelt sich vor allem um die Bands »Buldok« und deren Nebenprojekt »Thodverthur« sowie »Excalibur« und »Beowulf«. Bedeutung haben daneben die Kapellen »Juden Mord«, das »Projekt Vandal« und »Before the War« aus der Slowakei.
Spielt in Tschechien die Kirche eine große Rolle? Gibt es einen thematischen Zusammenhang zwischen Rechten und der Kirche oder Religiosität?
Die Tschechische Republik ist sehr säkular. Es gibt ein paar Vereine, die den orthodoxen Katholizismus mit dem Autoritarismus und dem Konservatismus verbinden. Sie waren in der Vergangenheit aber nicht erfolgreich. In den letzten Monaten hatte die Initiative »DOST!« – (GENUG!) einige Erfolge, die sich euroskeptisch und konservativ orientiert. In deren Kreisen finden sich auch ein paar extreme Rechte und Klerofaschisten. Die Gründe für deren relativen Erfolg sind wohl in deren Akzent auf Euroskeptismus und dem Verlassen (oder Nichtbetonen) von religiösen Themen zu suchen.
Was sind die thematischen Schwerpunkte der extrem rechten und neonazistischen Szene?
Die neonazistische Szene bedient sich der üblichen Themen. Bei öffentlichen Auftritten kommt jedoch am meisten das Thema Antiziganismus zu Wort. Antisemitismus tritt eher innerhalb der neonazistischen Gruppen auf, die öffentliche Präsenz ist begrenzt. Etwas häufiger jedoch wird der Antizionismus verbalisiert. In den letzten Jahren präsentieren sich die Neonazis auch homophob, vor allem im Zusammenhang mit den Veranstaltungen von Queerparaden in der Tschechischen Republik.
Die Anti-Antifa Tätigkeit wird unter den Neonazis verbal ziemlich hervorgehoben, in der Realität begegnen wir dieser aber kaum. Neonazistische sowie auch weitere autoritäre Vereine bekennen sich zum Antikommunismus, aber innerhalb der neonazistischen Szene gibt es auch eine »antikapitalistische« Strömung, was bestimmte Reibereien verursacht.
Wer sind sonstige rechte Akteure und welche Themen greifen diese auf?
In der explizit neonazistischen Szene ist seit langem der »Národní odpor«2 (Nationaler Widerstand) der Hauptakteur. Die Gruppe entstand um das Jahr 1998 aus den Resten des Neonazi-Musiknetzwerks »Blood and Honour«. Er vereint vor allem orthodoxe Neonazis. Daneben gibt es seit 2004 auch die »Autonomen Nationalisten«, die in der letzten Zeit die meisten Aktivitäten übernommen haben. Sie profilieren sich eher faschistisch und stellen die modernistische Strömung dar. Heutzutage gibt es zwischen beiden Gruppen eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten.
Einige autoritäre und rassistische Themen kann man ab und zu auch von »normalen« politischen Parteien hören. Es ist jedoch bisher nicht zu einer Verbindung zwischen der »großen Politik« und der rechten Szene gekommen. Am meisten nähert sich diesem die bereits erwähnte Initiative »DOST!« an.
Was sind die Strategien und Aktionsformen?
Die Aktivitäten der Neonazis sind auf der einen Seite durch Kontinuität gekennzeichnet, auf der anderen Seite sind sie konzeptlos und unsystematisch. Der größte Teil der Aktionen ist spontan, egal ob es sich um Demonstrationen oder Gewalt handelt. Zwischen den Jahren 2007 und 2009 waren wir Zeugen eines Anwachsens der Neonazi-Szene, vor allem dank der Verbindung von »Autonomen Nationalisten«, »Nationalem Widerstand« und der Arbeiterpartei. Nach den Wahlen 2010 (die Arbeiterpartei bekam 1,25%, was als Misserfolg empfunden wurde) distanzierten sich die »Autonomen Nationalisten« von der Arbeiterpartei, was zu einer Spaltung zwischen diesen beiden, sowie den »Autonomen Nationalisten« und dem »Nationalen Widerstand« führte.
Gewalt spielt für die Neonazis eine große Rolle, sie ist neben dem Image das Verlockende, was junge Leute zu den Neonazigruppen zieht. Seit 1989 kamen bei Neonaziattacken ungefähr 25 Menschen ums Leben. Die Zahl der Verletzten geht in die Tausende. Die schwerste Zeit war die ersten Hälfte der 1990er Jahre, heute ist die Situation um vieles ruhiger.
Gibt es Kontakte zu deutschen Neonazis?
Es gibt diese auf mehreren Ebenen. Um die Jahrtausendwende herum gab es Kontakte zwischen der tschechischen Szene und den Hammerskins Sachsen, genauso wie es Verbindungen zum »Nationalen Widerstand« gab, wodurch auch die tschechische Analogie »Národní odpor« – entstand. Später nahmen Kontakte zwischen den Vertretern des »Nationalen Widerstand«, der Arbeiterpartei und der deutschen NPD zu.3 Dieser Zusammenarbeit, die bis heute besteht, verdanken die tschechischen Parteien die Übernahme der Taktik der NPD (sich der neonazistischen Szene zu öffnen) und brachte der »Delnicka Strana« größere Popularität.
Welche gesellschaftliche Relevanz bzw. welchen gesellschaftlichen Einfluss haben rechte Strömungen in Tschechien?
Der gesellschaftliche Einfluss ist sehr begrenzt. Neonazismus wird in weiten Teilen der Gesellschaft als negativ empfunden. Die Neonazis werden meistens als Gewalttäter und Extremisten gesehen. Der einzige Punkt, an dem sich neonazistische Themen mit der öffentlichen Meinung berühren, ist die feindliche Einstellung gegenüber der Minderheit der Roma und Sinti. Die meisten politisch aktiven Neonazis versuchen deshalb, in der Öffentlichkeit das Image der Neonazis loszuwerden.
- 1Anmerkung der Redaktion: Als deren Führer galt zeitweilig der Neonazi Tomas Vandas
- 2Anmerkung der Redaktion: Als einer ihrer Führungskader galt zeitweilig der Neonazi Patrick Vondrak. Er unterhält Kontakte zu deutschen Neonazis.
- 3Im Jahr 1998 haben sich die Gründer des »Nationalen Widerstand« ohne Erfolg bemüht, eine legale Abzweigung der »Jungen Nationaldemokraten« zu gründen. Später nahmen Kontakte zwischen den Vertretern des »Nationalen Widerstand«, der Arbeiterpartei und der deutschen NPD zu. Auf der tschechischen Seite ist eine der Hauptkontaktpersonen Tomás Králík (»Autonome Nationalisten«), der vor allem Kontakte zur sächsische NPD und dem »Freien Nationalisten« Maik Müller (Dresden) pflegte. Der »Nationale Widerstand« in Karlsbad hat gute Verbindungen zur sächsischen NPD und zur bayrischen Neonazigruppe um Matthias Fischer. Die Aktivisten des »Nationalen Widerstand« in Prag und Brünn sollen gute Kontakte zu dem deutschen Neonazifuntionär Steffen Pohl pflegen, der häufig mit seiner damaligen Freundin, der Neonazifunktionärin Anne-Marie Doberenz in die Tschechische Republik gereist sein soll. Diese persönlichen Kontakte wiegen offenbar schwerer als die parteioffiziellen. Die meisten Neonazis, die Kontakte nach Deutschland pflegen, gehören zu dem »moderneren« Neonaziflügel.