Es ist Zeit zu handeln! Roma im Norden der tschechischen Republik
Ramona Gehring Jens ThörichtIn Varnsdorf fand am 29. Januar 2012 eine antiziganistische Demonstration statt. Etwa 200 Demonstrant_innen fanden sich zur Auftaktkundgebung auf dem Beneš-Platz ein. Anlass für diesen antiziganistischen Aufmarsch war der Tod einer 62-jährigen Varnsdorferin Mitte Januar 2012. Als Ursache für den Tod der Frau geben tschechische Neonazis angebliche Spätfolgen eines Überfalls auf sie an, der sich in der Sylvesternacht ereignet haben soll. Behauptungen, der Zwischenfall habe sich vor einer Romaunterkunft – dem »Hotel Sport« – ereignet, konnten nicht bestätigt werden. Seit früheren antiziganistischen Ausschreitungen, wird das Gebiet um das »Hotel Sport« mit Videokameras überwacht. Auf dem Überwachungsvideo ist von einem derartigen Angriff nichts zu sehen. Allerdings war die Frau schon lange Zeit schwer krank. Alle mit diesem Fall betrauten Personen sehen keinerlei Zusammenhang zwischen dem angeblichen Überfall und dem Tod der Frau. Die Polizei hatte eine forensische Autopsie angeordnet, um die genaue Ursache ihres Todes festzustellen. Diese ergab, dass die Frau an einer Hirnblutung verstarb.1
Zweiter Auslöser war der angebliche Übergriff auf einen 43-jährigen Mann in einer Bar in Ceska Lipa. Die Polizei stellt jedoch richtig, dass sich der Mann die Verletzungen selbst beigebracht habe. Ein großer Teil der Teilnehmer_innen waren vor allem VertreterInnen der extremen Rechten aus der »Dělnické strany sociální spravedlnosti« (DSSS), übersetzt »Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit«. Ebenfalls anwesend waren Mitglieder der »Autonomen Nationalisten Liberec«. Diese hatten sich schon im September an Ausschreitungen beteiligt. Führend bei den Septemberausschreitungen soll Milan C., ein Liberecer Taxifahrer gewesen sein. Auch Vertreter_innen der ostsächsischen NPD hatten sich zu dieser Demonstration eingefunden. »Die NPD aus Zittau wird kommen ;-)«, antwortete die Zittauer NPD-Stadträtin Antje Hiekisch auf die Einladung vom stellvertretenden Landesvorsitzenden der DSSS, Petr Kotáb. Unter den Teilnehmer_innen aus Deutschland befand sich der NPD-Kreisgeschäftsführer Torsten Hiekisch (Zittau), der Kreisvorsitzende der NPD Görlitz Ralf-Michael Gläßer und Sandro Gutsche aus Sohland. Letzterer wurde 2010 wegen Beihilfe zu einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.2
Nach der Kundgebung formierte sich ein Demonstrationszug, in dessen Verlauf sich noch einmal etwa 200 Menschen anschlossen. Dabei wurden Transparente und Plakate mit der Aufschrift »Stop cernému rasismu« (»Stopp Schwarzen Rassismus«) gezeigt. Die Teilnehmer_innen skandierten rassistische und nationalistische Parolen wie »Nic nez narod« (deutsch: »Nichts als die Nation«), »Cechy Cechum« (deutsch: »Böhmen für die Tschechen«) und »Cikáni tun práce« (deutsch: »Zigeuner zur Arbeit«). Nach Augenzeugenberichten soll aus der Gruppe der deutschen Teilnehmer_innen vor dem »Hotel Sport« »Gute Heimreise« gerufen worden sein.
Eine Situationsbeschreibung:
Wir dürfen bei der Betrachtung nicht auslassen, dass wir über eine Region sprechen, die als »strukturschwach« angesehen wird. Firmen investieren nicht, das Bildungsniveau ist schlecht und die Infrastruktur miserabel. In den Jahren 2008 und 2009 haben etliche Firmen Arbeitsplätze abgebaut, bei den noch vorhandenen haben sich die Arbeitsbedingungen generell verschlechtert. Wenn wir dort nach Gründen fragen, warum die Sinti und Roma abgelehnt werden, wird mit an erster Stelle »Kriminalität« genannt. Während der antiziganistischen Demonstrationen wurde erwähnt, dass es »Fakt« ist, dass die Kriminalitätsrate im letzten Jahr um 200 Prozent gestiegen sei. Der Varnsdorfer Vizebürgermeister Karel Dubsky sagte bei einer Bürgerversammlung im September 2011, dass es keinen Grund für die Anti-Roma-Proteste gebe, da die Kriminalität vor Ort nicht wachse, sondern »markant abgenommen« habe.3 Weiterhin wurden gewalttätige Zwischenfälle als Begründung für die Hetze gegen Sinti und Roma angeführt.
Dominierend war der Vorwurf, die Sinti und Roma würden sich Sozialleistungen erschleichen und Arbeitsplätze wegnehmen. Nach dem Verlust von Arbeitsplätzen in der Region gibt es heutzutage nicht viele Möglichkeiten, einen neuen zu finden, die Arbeitgeber haben viele Möglichkeiten einen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu konstruieren. Sei es durch Trennung von Mitarbeiter_innen in Lohn-Kategorien, durch die berufliche Qualifizierung, Arbeitsproduktivität, Alter oder Geschlecht. Dabei sind auch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus effiziente Werkzeuge, um die Konkurrenz innerhalb der Arbeitenden und der Arbeitssuchenden zu vertiefen und zu verstärken. Das hat zur Folge, dass der Unmut wächst, wenn Minderheiten teilweise Arbeitsplätze erhalten, nur weil sie weniger Arbeitslohn verlangen als die einheimische Bevölkerung. Die arbeitslose einheimische Bevölkerung sprach von schweren Angriffen auf ihre Löhne und ihren Lebensstandard, allerdings ohne eine Empörung gegen die Firmen, die die Arbeitsbedingungen verschlechtert haben. Stattdessen wurde den Sinti und Roma die Schuld gegeben.
Zum einen wird es als störend empfunden, dass die Sinti und Roma immer noch eine Gemeinschaft bilden, die zusammenhält. Zum anderen wird ihnen die Schuld an den schlechten Lebensbedingungen gegeben. Sie werden als »Sozialschmarotzer« angesehen und gelten als »Unangepasste«. Immer lauter ertönt der Ruf nach einem starken Staat. Die Forderung nach mehr Härte geht Hand in Hand mit dem aktuellen politischen Reformkurs. Die Geschichte wiederholt sich: Wenn die Unterdrückten, die Arbeiter_innen für Disziplin, Gehorsam, Null-Toleranz und eine starke Regierung Partei ergreifen, dann werden sie die Ersten sein, die dafür bezahlen. Nur wenige Menschen haben begriffen, dass jemand ohne Qualifikation wenig Chance hat, einen Job in der Region Sluknov zu finden, egal welche Hautfarbe er hat.4 In den westlichen europäischen Ländern kämpfen Sinti und Roma mit Ausgrenzung und sehen sich der latenten Gefahr ausgesetzt, in den Balkan abgeschoben zu werden. Dramatischer ist es in den osteuropäischen Ländern. Hier geschehen Morde, Brandanschläge, Hetzjagden – in einigen Regionen unter den Augen der Polizei.
Unterstützung gesuchtNach dem Beginn der Pogrome gab es den Wunsch der Betroffenen, dass Hilfe auch aus Deutschland geleistet wird. Sei es in Form von Berichterstattung über die Zustände in der Region, sei es in Form von praktischer Hilfe. Daraufhin gründete sich die Initiative »Solidarity with Czech Roma«. Menschen, die darin aktiv sind sammeln sachsenweit Kleidung und verteilen diese direkt vor Ort. Auf tschechischer Seite wird die Initiative »Solidarity with Czech Roma« von Aktivist_innen aus Novy Bor, Liberec und Prag unterstützt. Ebenfalls wurde gewünscht, bei neuen Aufmärschen den Sinti und Roma vor Ort durch Anwesenheit zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Die lokalen Roma haben die Idee, eine nicht mehr genutzte Kirche als sozialen Treffpunkt zu nutzen. In diesem wollen sie Angebote für Menschen schaffen, die wie sie selbst sozial benachteiligt werden. Dieses Vorhaben kann ebenfalls mit Spenden aber sicherlich bald auch mit Arbeitseinsätzen vor Ort unterstützt werden.
Dankenswerter Weise hat der »Tamara Bunke Verein für internationale Jugendverständigung« sein Konto für Geldspenden an die Roma bereitgestellt. »Alle eingehenden Spenden werden ohne Abzüge direkt an die betroffenen Roma weitergeleitet. Um eine gerechte Verteilung der Spenden zu gewährleisten, wurde der Zentralrat der Sinti und Roma mit der Bitte angeschrieben, uns dabei behilflich zu sein. Da wir transparent arbeiten, sind wir gern bereit alle eingehenden Spenden sowie die Weitergabe zu dokumentieren und öffentlich zu machen«, so die Vereinsvorsitzende.
Der Verein unterhält nachfolgende Bankverbindung:
Inhaberin: Tamara Bunke Verein
Kontonummer: 3000082580
BLZ: 850 501 00
Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien
Betreff: Roma CZ