Italienisch für Anfänger
Angelo Di Marco und Lars Röhm – RomItalien hat schon immer eine gewisse Faszination auf Deutschland ausgeübt: sei es als Inspiration für die Linke, auf den Spuren Goethes oder für ein Stelldichein mit Venus und Bachus an der adriatischen Küste. Es genügt jedoch, sich einmal aus den historischen Altstädten herauszubewegen und einen Blick in die gängigen Tageszeitungen zu werfen, um einer gewissen Unruhe, die sich Land auf Land ab verbreitet, gewahr zu werden.
Linke wie Rechte Regierungen haben die Heimat des dolce far niente innerhalb der letzten zehn Jahre auf eine tour de force in Richtung europäische Auflagen und Weltmarktfähigkeit geschickt. Anders gesagt: das italienische Gesellschaftsgefüge bröckelt an allen Ecken und Enden. Im Zuge des Projektes, die Europäische Union bis 2010 im Dienstleistungssektor weltweit als Marktführer zu etablieren, ist es vor allem der Arbeitsmarkt an dem gewaltig gerüttelt wird.
Was in Deutschland mit den Hartz-Gesetzten für den größten gesellschaftlichen Wandel seit dem Zweiten Weltkrieg gesorgt hat, wurde zuvor schon in Italien als die so genannte Legge Biagi ausprobiert. Und so hat sich selbst im Land der traditionellen, katholischen Großfamilie das Gefühl der finanziellen Unsicherheit zum Teil in eine zunehmende Individualisierung und einen zunehmenden Egoismus übersetzt. Doch auch eine Krise steht niemals nur auf einem Bein. So nimmt es nicht Wunder, dass auch der Wandel von einem Land, welches bis vor wenigen Jahrzehnten ein reines Auswanderungsland war, hin zu einem Einwanderungsland nicht ohne Spuren zu hinterlassen vorbeizieht.
Und so wechseln sich Afrikaner, Chinesen, Araber und Albaner darin ab, die Neugier, aber auch das Misstrauen der Bevölkerung auf sich zu ziehen und zuweilen den Sündenbock für alles Mögliche, das im Lande schief läuft abzugeben. Mit der letzten EU-Osterweiterung – aber auch schon zuvor – fällt diese Rolle hauptsächlich den Rumänen und den Roma zu.
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann
Die schwächelnde italienische Wirtschaft will in erster Linie eines: billige Arbeitskraft. Wie in jedem anderen Land, bringt jedoch vor allem eine Bevölkerungsschicht eben diese erforderlichen Qualitäten mit – die der Immigranten. Im Falle der Rumänen gilt es jedoch zwei Dinge zu beachten, welche diese Gruppe von Migrantinnen und Migranten ein wenig abhebt: zum einen die Tatsache, dass es sich um EU-Bürger handelt und zum anderen die bilateralen Beziehungen Italiens und Rumäniens vor der EU-Erweiterung. So hatte bereits die Regierung Berlusconi einiges auf die Karte gesetzt, die Wirtschaft anzukurbeln, in dem in Rumänien billig produziert und fleißig exportiert wird.
Der freie Fluss von Kapital steht auf einem Blatt, die Bewegungsfreiheit von Personen steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Und somit bemühte sich die ehemalige Mitte-Rechts Regierung, vor allem unter Federführung von Postfaschisten und Lega Nord, die Einwanderung auf das Nötigste zu reduzieren – d.h. die Lücken für unterbezahlte und Schwerstarbeit im heimischen Arbeitsmarkt zu schließen. Mit der letzten EU-Erweiterung hat sich die Mitte-Links Regierung Prodis dazu entschlossen, sich unter die Länder zu reihen, die nicht – wie seinerzeit die BRD beim EU-Beitritt Polens – die Einwanderung bzw. die Bewegungsfreiheit der neuen EU-Bürger begrenzen. Es verwundert kaum, dass diese neue Situation in Rumänien – vor allem unter den ausgegrenzten Bevölkerungsschichten wie den Roma – die Hoffnung auf ein besseres Leben jenseits der Adria auf den Fährten des von der Italienischen Wirtschaft in Rumänien gemachten Geldes wecken. Dass sich diese Hoffnung nur in den seltensten Fällen bewahrheitete, bleibt das tragische Schicksal migrantischer Biografien.
Die folgende Zuwanderung verursachte ein Sperrfeuer der rechten Presse, allen voran jener aus dem Hause Berlusconi, die sich auf jedes, von Rumänen oder Roma begangene Delikt stürzten und ihnen die legitime Nachfolge der albanischen Mafia andichteten. Der Höhepunkt der Meinungsmache wurde allerdings erreicht, nachdem im Oktober 2007 in Rom die Frau eines hochrangigen Marineoffiziers von einem jungen Roma umgebracht wurde.
Die Jahre des Berlusconismus sind an Italien keineswegs spurlos vorbeigezogen und haben selbst die Mitte-Links Regierung Prodis mit einer gehörigen Dosis Populismus ausgestattet. So verwundert es kaum, dass am Tag nach dem Verbrechen per Eildekret auch die Abschiebung von EU-Bürgern im Falle einer Bedrohung für die öffentliche Sicherheit beschlossen wurde und innerhalb weniger Tage darauf bereits 24 Rumänen ausgewiesen wurden.
Law and order gegen den far west
Eine politische Binsenweisheit besagt, dass, wer ein Problem nicht lösen kann (oder nicht lösen will), ein anderes Problem braucht, um vom eigentlichen abzulenken. Unter Ex-Premier Berlusconi verbreitete sich schnell die Legende vom far west im eigenen Land, in dem jahrelang flüchtige und unauffindbare Mafiabosse in der Regel bei sich zu Hause vor dem Fernseher verhaftet werden und Zigeuner rauben und plündern, als ob es einen neuen Einfall der Barbaren gegeben hätte. Dabei ist Tatsache, dass die Kriminalitätsrate (Morde eingeschlossen) seit Jahren sinkt, während die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle steigt. Und bevor der »Pöbel« sich in den Kopf setzt der Regierung aufs Dach zu steigen hetzt man den einen Schlucker gegen den anderen auf.
Doch auch Prodi und sein Generalstab von Technokraten haben sich als Garanten zur Umsetzung von EU-Richtlinien einen Namen gemacht, was zu gewissen Kontinuitäten führt. Somit wurde das Anfang Januar verabschiedete Sicherheitspaket – welches das erwähnte Dekret in ein Gesetz fasst – der Regierung Prodi ein gekonnter Rundumschlag: gemeingefährliche EU-Bürger werden ausgewiesen, höhere Strafen für Verkehrssünder unter Alkoholeinfluss und ganz nebenbei und fast unter der Hand eine DNA-Datenbank für die Verfolgung schwerer Verbrechen und nicht zuletzt internationaler Terroristen verabschiedet. Alles streng im Einklang mit dem Antidiskriminierungsgesetz der EU.
Und während sich Rifondazione Comunista (RC) und die Partito dei Comunisti Italiani (PdCI) freuen, dass auch die schrittweise Umwandlung der Flüchtlingslager in eine Art Abschiebegefängnisse beschlossen wurde, machen sich die Bürgermeister der Lega Nord daran, Ausländern ohne nachweisbares Einkommen zu verbieten, ihren Wohnsitz anzumelden, sowie Ausländern ohne Papiere die standesamtliche Hochzeit zu gewähren. Da scheint der Zug der Mailänder Bürgermeisterin, keine Kinder von illegalen Migranten in Schulen und Kindergärten aufzunehmen, beinahe schon moderat. Und während eine Gegenbewegung mehr als dringend notwendig wäre, feiert die Politik das Ende der Ideologien.