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Macht der Marionetten

Björn Resener
Einleitung

ITALIEN. Am 29. April dieses Jahres stehen eine Hand voll Student_innen auf der Straße vor der literarischen Fakultät der Universität Neapels. Sie betrachten die Schriftzüge, die Faschisten in der Nacht zuvor dort angebracht haben. »Antifas – Wir durchlöchern euch« steht dort geschrieben, ein Hakenkreuz ist daneben geschmiert. Das Entfernen derartiger Graffiti ist für die jungen Antifaschist_innen selbstverständlich, aber gerade hier ist es eine Herzensangelegenheit. Die Fakultät – in der ihr Kollektiv eine Aula besetzt hält – ist ihr täglicher Treffpunkt und die Parolen werden als gezielte Provokation empfunden. Doch sie sind mehr als das. Denn als sie gerade anfangen die ersten Buchstaben zu übermalen, werden die jungen Leute tatsächlich von bewaffneten Männern überfallen. Gemeinsam setzen sich die Angegriffenen zur Wehr und schlagen einen der Messerstecher zu Boden. Nach dem Überfall müssen drei von ihnen, aber auch ein Angreifer mit zum Teil schweren Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. 

Casa Pound Aktivisten beim Überfall auf eine Studentendemo am 29. Oktober 2008 in Rom. (Links mit gestreiftem Hemd: Der Vorsitzende des Blocco Studentesco und Casa Pound Kader Francesco Polacchi; rechts mit Gürtel in der Hand: Pietro Casasanta, Leiter des Ordnungsdienstes)

Der verletzte Messerstecher heißt Enzo Tarantino. Bei den kurz darauf stattfindenden Kommunalwahlen kandidierte er auf der Liste von Silvio Berlusconis Popolo della Libertà (PdL). Dass er am 16. Mai nicht viel mehr als 60 Stimmen auf sich vereinen konnte, lag sicherlich auch an der schlechten Presse, die der Überfall nach sich zog. Abgesehen von den verschenkten Stimmen scheinen die Ereignisse für die Partei des italienischen Ministerpräsidenten jedoch folgenlos zu sein. Der Skandal blieb aus, obwohl die PdL bewusst entschieden hatte mit Enzo Tarantino einen militanten Faschisten kandidieren zu lassen. In Neapel trat er seit Jahren bei Auseinandersetzungen mit Linken in Erscheinung. Für drei Monate hielt er mit seinen Kameraden ein Haus im Zentrum der Stadt besetzt, bis es im Dezember 2009 wegen einer erfolgreichen antifaschistischen Kampagne schließen musste.

Seit etwa zehn Jahren sind Häuser besetzende Faschisten in Italien keine Seltenheit mehr. Verantwortlich dafür ist ein Personenkreis, der seit ein paar Jahren unter dem Namen Casa Pound firmiert. Enzo Tarantino und seine Kameraden stellen den napoletanischen Ableger des Netzwerks dar. Doch der Ursprung des Phänomens liegt ca. 200 Kilometer weiter nördlich, in der italienischen Hauptstadt Rom.

1997 tauchten in der Metro, in Kneipen und an den Laternenpfählen der Stadt 15.000 Aufkleber auf. Sie zeigten nichts als ein Logo, zusammen gesetzt aus einem griechischen Zeta, einer Null und einem Alpha Zeichen. Danach wurden etliche Flugblätter verteilt, auf denen lediglich ein Gesicht mit einem Strichcode auf der Stirn, leeren weißen Augen und einem aufgeklebten Grinsen zu sehen war. Kurz darauf veröffentlichte eine Band namens »ZetaZeroAlfa« ihre erste Single und nicht viel später ein Album mit dem Titel »La dittatura del sorriso« (Die Diktatur des Lächelns). Die Tonträger verkauften sich außerordentlich gut und schon bald waren mehrere hundert KonzertbesucherInnen keine Seltenheit mehr. Einige Alben später tauchte das Logo der Band auf Bannern in den Kurven der römischen Fußballvereine A.S. Rom und Lazio auf, immer in den jeweiligen Vereinsfarben. Und selbst bei den Ultras Sur von Real Madrid, der Brigade Sud Nice aus Frankreich und den Ultras von Levski Sofia ist es inzwischen zu finden.

Dass es sich hierbei stets um Vereine mit politisch rechten AnhängerInnen handelt, darf nicht verwundern. Denn »ZetaZeroAlfa« ist nicht bloß irgendeine Rockband mit geschicktem Marketing. Ihr Bandleader ist Gianluca Iannone, ein ehemaliger Skinhead und bis zum Verbot der Organisation im Jahre 1993 aktiv im »Movimento Politico Occidentale«, einer für italienische Verhältnisse außergewöhnlich antisemitischen Organisation. Trotz dem unterscheidet sich sein Projekt sowohl textlich, als auch musikalisch von anderen Rechtsrock-Bands. Die Inhalte sind politisch, aber weniger eindeutig und die Musiker beherrschen ihre Instrumente. Den eigenen Stil nennen sie Identitäts-Rock.

Die erste rechte Hausbesetzung wurde 1998 von Iannone und seinem Umfeld initiiert. Doch der Versuch scheiterte nach etwas mehr als einem Jahr. Erst vier Jahre später sollte es ihnen in Zusammenarbeit mit zwei anderen faschistischen Gruppen gelingen, eine ehemalige Schule in der Vorstadt in Beschlag zu nehmen. Sie tauften das Haus auf den Namen »Casa Montag«. Es war die erste rechte Besetzung in Rom, die nicht nach kurzer Zeit wieder aufgegeben werden musste. Der Grund dafür ist im engen Kontakt zwischen BesetzerInnen und der Destra Sociale zu suchen, dem parteiintern rechten Flügel der Alleanza Nazionale (AN). Denn zu diesem Zeitpunkt wurde die Region Lazio von Francesco Storace, einem ihrer Führer regiert. So konnten ab Sommer 2002 im »Casa Montag« unbehelligt Konzerte und Seminare stattfinden. Außerdem war dort die Redaktion der Zeitung Montag beheimatet.

Doch schon nach wenigen Monaten überliessen Iannone und seine AnhängerInnen das Haus den anderen Gruppen, um ihre Aktivitäten ins Zentrum Roms zu verlegen. Ein Jahr später besetzten AktivistInnen der AN-Jugendorganisation Azione Giovani das »Foro 753« in der Nähe des Kolosseums. Walter Veltroni – damals noch Bürgermeister Roms – ließ die Rechten gewähren, schließlich hätten auch die Linken tolerierte Besetzungen in der Hauptstadt. Euphorisch ein Haus auch unter der Ägide eines nicht-rechten Bürgermeisters halten zu können, nannte der AN-Nachwuchs ihr Haus fortan »nonkonforme Besetzung« – Occupazione Non Conformista (ONC) – und bezeichnete sich mit rebellischem Gestus als »nonkonforme Rechte«.

Ende 2003 tauchten in der Umgebung des »Foro 753« Flugblätter auf, die nach der verschwundenen Katze mit dem Namen Pound suchten. Im Stil des »ZetaZeroAlfa«-Marketings waren die Flugblätter ein Hinweis darauf, was kurze Zeit später im Viertel passieren sollte: Am 26. Dezember besetzte der Personenkreis um Gianluca Iannone ein sechsstöckiges Haus in der Nähe des Hauptbahnhofs Termini. Auch sie bezeichneten es als »nonkonforme« Besetzung und gaben dem Projekt den Namen »Casa Pound«. Namensgeber war der US-amerikanische Poet Ezra Pound, der den italienischen Faschismus unterstützte. An der Fassade des Hauses wurde ein Transparent mit einem Zitat von ihm angebracht: »Gegen jede Form von Zins.«

Die Besetzung markierte den Anfang der politischen Kampagne für den »Mutuo Sociale« (Sozialkredit). Im Kern wurde dabei die Eröffnung einer staatlichen Institution gefordert, die zinsfreie Kredite für den ersten Wohnungskauf vergibt. Außerdem soll dieser Einrichtung die Aufgabe zukommen, kleine Firmen mit dem Bau von Immobilien zu beauftragen. Die fertigen Wohnungen müssen dann ohne Gewinn verkauft werden. Die Idee ist keineswegs neu, sondern dem Entwurf der Verfassung der Repubblica Sociale Italiana (RSI)1 entnommen.

Korruption und Spekulation auf dem Immobilienmarkt sind in der Tat eine der wichtigsten sozialen Fragen in der italienischen Hauptstadt. Hier leben rund drei Millionen Menschen und sozialer Wohnungsbau ist eine Rarität. 70 Prozent aller Italiener_innen wohnen in Eigentumswohnungen und junge Menschen kommen äußerst selten in gesicherte Beschäftigungsverhältnisse, weshalb sich selbst 30-jährige oftmals nicht leisten können bei den Eltern auszuziehen. Für junge Menschen ist das ein existenzielles Problem. Für die Faschisten hingegen ist es eine direkte Bedrohung der Kernfamile, da kaum jemand zusammenziehen und eine eigene Familie gründen kann.

Der Wunsch, das Ideal der italienischen Familie zu retten und der positive Bezug auf die faschistische Vergangenheit offenbarte das Potenzial die fraktionierte Rechte Roms zu einen. Im Kampagnenkomitee fanden die Neofaschisten von Casa Pound mit offen faschistischen Parteien wie der Fiamma Tricolore und den Postfaschisten der Alleanza Nazionale zusammen. Die Stimmen der »nonkonformen« HausbesetzerInnen und ihrer AnhängerInnen dienten hier von Anfang an als Verhandlungsmasse. Im Gegenzug sollten die Parteien die Forderung nach dem »Mutuo Sociale« in ihr politisches Programm aufnehmen.

Letztlich gingen die rechten HausbesetzerInnen vor den Parlamentswahlen 2006 sogar ein Bündnis mit der Fiamma Tricolore ein. Dies führte zwar nicht zu nennenswerten Wahlerfolgen für die Partei, aber das Casa Pound Netzwerk wurde durch diese Zusammenarbeit gestärkt2 . Nach den Parlamentswahlen 2008 hatte Gianluca Iannone innerparteilich so viel Macht, dass er zu einer echten Gefahr für die traditionellen Parteieliten geworden war. Ein Parteiausschluss sollte die Gefahr bannen. Doch als Reaktion auf den Rauswurf entschieden sich mehrere lokale Ableger von Fiamma Tricolore lieber Iannone zu folgen. Die von ihm aufgebaute SchülerInnen- und StudentInnenorganisation »Blocco Studentesco« brach komplett mit der Partei. In mehreren Städten wurden die Parteibüros von Iannones AnhängerInnen besetzt. Kurz darauf gründete dieser »Casa Pound Italia« mit lokalen Ablegern im ganzen Land.  

Die Politik von Casa Pound unterscheidet sich deutlich vom blinden Aktionismus anderer offen faschistischer Splittergruppen, denn sie verfolgt Strategien. Der Kopf dahinter heißt Gabriele Adinolfi. Dieser war bereits Gründungsmitglied der Terza Posizione, einer sich antikapitalistisch gebenden, faschistischen Organisation der 1970er Jahre, aus der die rechtsterroristischen Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR) hervorging. Als einige seiner Kameraden zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, ging Adinolfi für 20 Jahre ins französische Exil, konnte sich bei seiner Rückkehr jedoch unbehelligt in der Öffentlichkeit präsentieren.

Hier mimt er nun den rechten Intellektuellen, schreibt Bücher und Artikel in rechten Zeitschriften, oder tritt als Referent bei Veranstaltungen auf. So etwa auf der Sommerakademie der Synergies Européennes. Dass die jungen Faschisten sich nicht nur für Rechtsrock, sondern auch für rechte Kultur- und Ideengeschichte, also Schriftsteller wie Antoine de Saint-Exupéry und J.R. Tolkien, oder Philosophen wie Giovanni Gentile und Ernst Jünger interessieren, ist maßgeblich auf den Ex-Exilanten zurückzuführen.

Im Mai 2008 – im Zuge des Bruchs mit der Fiamma Tricolore – veröffentlichte Adinolfi einen weiteren richtungsweisenden Artikel. Darin konstatiert er die Marginalität der faschistischen Splitterparteien und legt dar, dass Berlusconi und seine Partei die Perspektive zur Realisierung der Vision von Casa Pound darstellen. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2011 war der Messerstecher Tarantino deshalb auch nicht der einzige Kader aus dem faschistischen Netzwerk von Casa Pound Italia, der auf den Listen der Regierungspartei kandidierte. In den beiden toskanischen Städten Arezzo und  Figline Valdarno, sowie in Marino – das in der Region Lazio liegt – zogen auf diesem Weg sogar Casa Pound Italia Aktivisten in die kommunalen Vertretungen ein.

Für Silvio Berlusconi gehören derartige Bündnisse in mehrerlei Hinsicht zum politischen Kalkül. Landesweit sichert es ihm noch immer die Mehrheit der Stimmen, wenn er von der politischen Mitte des Landes, bis zu den Faschisten alle politischen Positionen auf seinen Listen vereint. Außerdem versucht er seit jeher den in Italien konstitutionell verankerten Antifaschismus aus der Verfassung und der politischen Kultur des Landes zu verdrängen. Dass er schon in seiner ersten Regierungszeit im Jahre 1994 mit dem Movimento Sociale Italiano (MSI) den Nachfolger der faschistischen Partei Benito Mussolinis in die Koalition holte, galt damals als Tabubruch. Heute – unzählige Tabubrüche später – scheint ein Bekenntnis zum Faschismus von der Mehrheit der Italiener_innen als eine politische Position unter anderen, d.h. als völlig normal empfunden zu werden.

Kein Wunder also, dass inzwischen viele Faschisten und Post-Faschisten in Silvio Berlusconi den fähigen und autoritären Führer sehen, nach dem sie sich so lange gesehnt haben. Auch sind viele von ihnen bereits in der PdL organisiert, denn im März 2009 kam es zur offiziellen Vereinigung von Berlusconis alter Partei Forza Italia und der MSI-Nachfolgerin Alleanza Nazionale. Zwar ging mit der 1995 erfolgten Umbenennung der MSI auch ein Paradigmenwechsel einher – weg vom offenen Bekenntnis zum Faschismus – jedoch hatten die Faschisten mit der parteiinternen Destra Soziale und in Teilen der Jugendorganisation Azione Giovani auch weiterhin zwei wichtige Foren innerhalb der Partei.

Ohne bedeutsame politische Konzessionen war es ihnen auf diesem Weg möglich, erst in der Regierung und nun sogar in der stärksten Regierungspartei Fuß zu fassen. Am deutlichsten wird diese Entwicklung in der Personalie Gianni Alemanno3 . Der heutige Bürgermeister von Rom war ein berüchtigter rechter Straßenschläger und musste Anfang der 1980er Jahre ins Gefängnis, weil er einen Molotov-Cocktail gegen die sowjetische Botschaft geworfen haben soll. Unter dem Anzug trägt er nach eigenen Aussagen immer noch den Anhänger mit dem stilisierten Keltenkreuz – ein in Deutschland verbotenes Symbol für die Vorherrschaft der weißen Rasse.

Seit Alemanno 2008 zum Bürgermeister Roms gewählt wurde, haben viele Faschisten der unterschiedlichsten Generationen Anstellungen im politischen Apparat der Hauptstadt gefunden. Sein Chefsekretär Antonio Lucarelli war beispielsweise Funktionär von Forza Nuova, einer klerikalfaschistischen Partei, die politische Kontakte zur NPD unterhält. Außerdem ist er ein alter Kamerad von Gianluca Iannone, denn auch er gehörte zur Gruppe derer, die 1998 die erste rechte Besetzung in Angriff nahmen. Weiter unten auf der Karriereleiter gehören sogar einige der vergleichsweise jungen Aktivisten von Casa Pound Italia zum Personal. Das sichert ihnen nicht nur ein erträgliches Einkommen, sondern erleichtert es auch ihren Kameraden an kommunale Gelder zu kommen. Der Mythos der »nonkonformen« Rechten dürfte unter diesen Umständen immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren. Aber zumindest scheint sich das Arrangenemt mit den Mächtigen im wahrsten Sinne des Wortes auszuzahlen.