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Spielabbruch!

Einleitung

»Wir haben immer danach gesucht, wo es die härtesten Auseinandersetzungen gab. Und von heute aus betrachtet kann man sagen, dass das Stadion ein wenig das Training für die Guerilla war, um sie dann später ’77 in die Stadt zu tragen. Nach dem Spiel Mailand-Neapel sind wir mit den Rufen ›Neapel, Neapel: Fick Dich!‹ von San Siro losgelaufen. Und weg die Scheiben vom Bus. Das endete dann so, dass die Polizei auf uns schoss. Wir rannten und Du hörtest – disch, disch – die Kugeln. Und wir riefen ›Autonomia Operaia‹ und haben den Laden von Fiorucci plattgemacht, der bei jeder Demo plattgemacht wurde.« (Nanni Balestrini, I Furiosi, S. 85/86).

Der Spruch »Gott mit uns« stand auf den Koppelschlössern der Reichswehr und der Wehrmacht. Hier als Transparent bei einem Spiel zwischen AS Roma und AS Livorno.

Es ist lange her, dass die politische Hegemonie in den Stadien Italiens links war. Spätestens im Laufe der 1990er Jahre lösten sich die vormals eher linken Fangruppen auf oder drifteten nach rechts.

Wie nahezu sämtliche Strukturen Italiens, wird auch die Fußballszene von einem undurchschaubaren Filz aus Neofaschismus und Mafia beherrscht. Letztlich geht es ums Geschäft. Da im Stadion grundsätzlich dieselben Regeln wie in der Gesellschaft gelten, lässt es sich auch mit denselben Allianzen regieren. Die Grenzen zwischen Fanklubs, Neofaschismus, organisiertem Verbrechen und groß angelegtem Finanzbetrug der Vereine sind fließend. Und überall kontrollieren die Fanklubs den Markt mit Fanartikel und Auswärtsspielen.

Beim Derby gegen AS Roma im Januar 2005 grüßte der Kapitän von Lazio Roma, Paolo Di Canio, die Fankurve der Irriducibili Lazio (irriducibili = die Unbeugsamen) mit dem faschistischen römischen Gruß. Mitte Dezember wiederholte er dieses während des Spiels gegen AS Livorno, und am 17. Dezember gegen Juventus Torino. »Ich bin ein Faschist, aber kein Rassist«, sagt der 37jährige. Um seine Einstellung zu manifestieren ziert ein eintätowiertes »Dux« (lat. Führer bzw. Duce) seinen rechten Oberarm und das »Rutenbündel« (Zeichen der ital. Faschisten) seinen Rücken. Aus seiner Sympathie für den faschistischen Diktator Benito Mussolini machte er noch nie einen Hehl.

Lazio Roma

Silvio Berlusconi, selbst Besitzer des früher traditionell linken Vereins AC Milano, gab dem Faschisten Di Canio sofort Schützenhilfe: »Ich kenne Di Canio sehr gut, er ist ein guter Junge. Er ist nur ein wenig extrovertiert.« Bereits 2004 zeigte Di Canio seine Verbundenheit mit den Irriducibili Lazio, indem er bei den MTV-Awards eines ihrer T-Shirts trug. Die faschistischen Irriducibili Lazio sind eine der größten italienischen Ultragruppen Italiens mit angeblich bis zu 7.000 Mitgliedern. Sie vertreten offensiv faschistische Positionen und versuchen diese ins Stadion zu tragen. Schon 1998 hissten sie beim Derby gegen AS Roma ein 18 Meter langes Transparent mit der Aufschrift »Auschwitz ist Eure Heimat, die Öfen Euer Zuhause«.

Doch auch beim Erzrivalen AS Roma sieht es nicht besser aus. Deren CUCS (Commando Ultra Curva Sud) schwenkten beim Spiel gegen den linksgerichteten Verein AS Livorno nicht zum ersten Mal Haken- und Keltenkreuzfahnen. Zudem führten sie ein in deutscher Sprache verfasstes Transparent mit der Aufschrift »Got mit uns« [Schreibweise übernommen]. Personen und Organisationen, die in den 70/80er Jahren dem Rechtsterrorismus in Italien zuzurechnen waren, intervenierten gezielt in die Fußballszene. Die Erwartung, schlagkräftige Anhänger zu gewinnen und die Massenwirkung des Vehikels Fußball für ihre Propaganda nutzen zu können, wurde erfüllt. Insbesondere bei den Fanklubs von Lazio Roma und AS Roma fielen die Bemühungen auf fruchtbaren Boden.

Allen voran sorgte sich Roberto Fiore (53), Gründer und heutiger Chef der faschistischen »Forza Nuova«, um Einflussnahme. Zu Beginn der 1980er Jahre flüchtete Fiore nach Großbritannien, weil er der Mitgliedschaft in der rechten Terrorgruppe »Nuclei Armati Rivoluzionari« (NAR – Bewaffnete Revolutionäre Zellen) verdächtigt wurde. Der NAR wurden über 100 Morde, unter anderem auch der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahre 1980, angelastet. Obwohl er in Abwesenheit zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurde, konnte er unter dem Schutz der britischen Regierung – und wohl auch als Agent des englischen Auslandsgeheimdienstes MI6 – in London ein Firmenimperium aufbauen. Schwerpunkt ist u.a. das Tourismusunternehmen »Easy London«.

Aus dem Exil gründete Fiore 1997 die faschistische »Forza Nuova« (FN) mit Sitz in Rom. Diese Partei versammelt Faschisten, rechte Abtreibungsgegner, Antisemiten, Neonazi-Skinheads und eben Hooligans. Im März 1999 kehrte er nach Italien zurück. Der FN-Chef unterhält gute Kontakte zur NPD und war in den letzten Jahren mehrmals in Deutschland. Im November 2003 schloss sich die FN mit dem »Movimento Sociale – Fiamma Tricolore« (MSFT) von Alessandra Mussolini und der »Fronte Sociale Nazionale« (FSN) von Adriano Tilgher (bis 1976 bei der rechtsterroristischen Vereinigung »Avanguardia Nazionale«) zum Bündnis »Alternativa Sociale« (AS) zusammen. Bei den Europawahlen 2004 erreichten sie 1,2 % (ca. 398.000) der Stimmen. Für die im April 2006 stattfindenden Parlamentswahlen hat Berlusconis »Forza Italia« ein Wahlbündnis mit der faschistischen AS unter dem Namen »Casa delle Libertá« geschlossen.

In Rom übt die FN über ihre Unterorganisation »Base Autonoma« Einfluss auf die Fanklubs von Lazio und AS aus. »Base Autonoma« kontrolliert etwa die AS-Fanklubs »Tradizione e Distinzione« und »Banda de Noantri«. Als im März 2004 nach Ausschreitungen anlässlich des Derby Lazio vs. AS in Rom drei Anführer faschistischer AS-Fanklubs festgenommen wurden, kam sogar Alessandra Mussolini zum Besuch ins Gefängnis. Nicht anders geht es im Norden des Landes zu. So sollen Mitglieder der Irriducibil Inter von Inter Mailand mit Unterstützung der »Forza Nuova« hinter zahlreichen Überfällen und Brandanschlägen im Jahre 2004 auf linke Zentren der gesamten Lombardei stehen (vgl. AIB Nr. 66).

Auf die faschistischen Parolen antworten die Klubmanager meist mit: »Die Politik muss raus aus den Stadien!« (Franco Sensi; Klubchef vom AS Roma). Doch solange Faschisten (Di Canio) dort den römischen Gruß zeigen, Trainer (AS Bari) in Kameras Sätze sagen, wie: »Neger sollen gefälligst zu Hause bleiben!«, faschistische Fanklubs verhindern, dass schwarze oder israelische Spieler verpflichtet werden können (Hellas Verona; Udinese Calcio; Lazio Roma) und linke Spieler für das Grüßen mit der geballten Faust (Cristiano Lucarelli/AS Livorno) eine dreimal höhere Strafe als Di Canio bekommen, ist damit nur eins gemeint: »Linke Politik raus aus den Stadien!«.

Und das ist kaum verwunderlich. Denn das Stadion kann als Spiegel der gesellschaftlichen Zustände gelten. Und zur Zeit sieht es nicht so aus, als ob sich die italienische Gesellschaft aus dem fester werdenden Griff der faschistisch-mafiosen Clique um Berlusconi, Fini, Mussolini, Fiore etc. pp. befreien kann oder will.

Strategie der Spannung 2006

Am Samstag, dem 11. März 2006, rief das faschistische »Movimento Sociale – Fiamma Tricolore« zu einer Wahlkampfkundgebung in Mailand auf. Antifaschisten mobilisierten zu einer Gegenkundgebung. Ähnlich wie bei einem faschistischen Aufmarsch am 11. November 2001 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mehrere hundert Antifaschisten versuchten gegen 12.30 Uhr zum Auftaktort der Faschisten zu gelangen. Der Aufmarsch sollte erst gegen 16.00 Uhr beginnen. Dennoch wurden sie von der Polizei angegriffen. Während der antifaschistischen Demonstration soll in den Reihen der Polizei angeblich eine Nagelbombe detoniert sein, durch die zahlreiche Carabinieri verletzt wurden. Ob dieses der Wahrheit entspricht, ist bislang noch nicht bestätigt.

Ob Tatsache oder taktisches Gerücht, erinnert diese Meldungen an das Italien der 70er und 80er Jahre. Damals begingen rechte Gruppen zahlreiche Terroranschläge mit hunderten von Verletzten und Toten, um diese der Linken in die Schuhe zu schieben. Dem Staat sollte so eine Legitimation zu einem härteren Durchgreifen geliefert werden, um schließlich das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Rechten zu verschieben – die Strategie der Spannung. Der Verdacht, dass es sich auch hier um einen rechten Anschlag in dieser bitteren Tradition handelt, liegt nahe.

Nach der Detonation wurden die Demonstranten eingekesselt und angegriffen. Mehrere Autos wurden angezündet, ein Wahlbüro der rechten »Alleanza Nazionale« brannte ab, acht Polizisten und acht Carabinieri wurden verletzt.

Mindestens 45 Antifaschisten sind festgenommen und in richterlich bestätigter Untersuchungshaft. Wie während des G8-Gipfels in Genua, wurden die Antifaschisten auf der Wache systematisch mißhandelt. In der Folge distanzierten sich sämtliche linken Parteien und Gruppierungen von den Ausschreitungen. Die Presse nannte mehrere Verhaftete mit vollem Namen unter Angabe ihrer Vorstrafen. Im Jahre 2006 hat Italien keine Strategie der Spannung mehr nötig; die ohnehin schon marginalisierte Linke wird auch so zunehmend in die Enge getrieben.