Transatlantische Rechte – Italien unter der Regierung Meloni
Björn Resener (Gastbeitrag)Seit dem 22. Oktober 2022 regiert in Italien eine rechte Koalition unter Führung der postfaschistischen "Fratelli d’Italia" (FdI). Die Partei ist direkter Nachfolger der "Alleanza Nazionale" (AN)1, welche wiederum aus der neofaschistischen "Movimento Sociale Italiano" (MSI)2 hervorging. Zwar war die MSI eine legale Partei im demokratischen System, de facto war sie aber die Nachfolgerin der faschistischen Parteien von Benito Mussolini.
In den „bleiernen Jahren“ der 1960er und 1970er waren Protagonisten der MSI in rechtsterroristische Aktivitäten verstrickt. Anschläge sollten damals im Rahmen der „Strategie der Spannung“3 ein Klima schaffen, in dem ein (neo)faschistischer Putsch zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung akzeptiert werden würde.
Angeführt werden "Fratelli d’Italia" wie auch die Regierung von Giorgia Meloni. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass eine Frau dieses Amt besetzt. Sie ist aber auch die erste Regierungschefin mit neofaschistischer Vergangenheit. Die heute 47-jährige war seit Anfang der 90er Jahre im MSI aktiv. Als 19-jährige bezeichnete sie Benito Mussolini in einem TV-Interview als den besten Politiker, den Italien im letzten Jahrhundert hatte.
Transatlantische Ausrichtung
Im EU-Parlament sind Melonis "Fratelli d’Italia" bei den Europäischen Konservativen und Reformern organisiert. Aktuell präsidiert Meloni die Fraktion sogar. Ausser den FdI haben sich dort – neben anderen Rechtsparteien – die von den Kaczynski-Brüdern gegründete, polnische "Prawo i Sprawiedliwość" (PiS) und die "Sverigedemokraterna" angeschlossen. Letztere ist ebenfalls eine Partei mit neofaschistischen Wurzeln. Die Allianz eint ihre migrationsfeindliche, wertkonservative und transatlantische Ausrichtung.
Juniorpartner der Regierung Meloni sind die "Lega per Salvini Premier" (Lega)4 von Matteo Salvini und "Forza Italia", die Partei des mittlerweile verstorbenen, ehemaligen Regierungschefs Silvio Ber-lusconi. Während "Forza Italia" im EU-Parlament zur selben Fraktion wie die deutsche CDU gehört, ist die "Lega" Teil der Fraktion "Patrioten für Europa". Zu dieser gehören auch die "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ), Marine Le Pens "Rassemblement National", Victor Orbans "Fidesz" und andere Rechtspopulist:innen. Die hier organisieren Rechtsparteien sympathisieren mehr oder weniger offen mit Vladimir Putin.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs verlor die "Lega" wegen ihrer Putin-Nähe immer mehr Wähler:innen an die "Fratelli d’Italia". Angesichts der Kräfteverhältnisse in der italienischen Regierung ist es kaum überraschend, dass Italien weiterhin an der Seite der Ukraine steht und die Sanktionen gegen Russland unterstützt. Selbst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte Meloni vor der Europawahl als „Europäerin“ geadelt und ihr die Hand für eine Zusammenarbeit gereicht. Als Italien jedoch bei der Postenvergabe nach der Europa-Wahl unberücksichtigt blieb, erlebte diese Freundschaft eine erste Krise.5 Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass Meloni ihr Land nun in eine politisch isolierte Rolle manövriert, wie dies etwa Ungarns Regierungschef Victor Orban getan hat. Denn Italien ist auf die Milliar-denzahlungen aus dem europäischen Aufbaufonds angewiesen und angesichts hoher Staatsverschuldung auch auf Brüssels Milde.
Wertkonservative Wende
Klassisch rechts agiert die Regierung Meloni vor allem in der Innenpolitik. Im italienischen Wahlkampf hatte die Premierministerin die Themen Migration und Sicherheit bespielt. So durfte es nicht verwundern, dass ihre Regierung die Abschiebehaft für Migrant:innen ohne Bleiberecht auf 18 Monate verlängerte. Ausserdem sorgte sie dafür, dass in Zukunft auch
jugendlichen Straftäter:innen ab 14 Jahren schnell eine Gefängnisstrafe droht. Darüber hinaus hat die Regierung das sogenannte Bürgergeld gestrichen. Italien wird damit ab 2025 zum ersten EU-Staat, der kein universelles Mindestsicherungssystem mehr kennt. Sie wolle „die Armen nicht in der Armut halten“ dozierte die Premierministerin zu diesem Entscheid. Nur Arbeit könne zu einer Verbesserung ihrer Lebensumstände führen. Für die fast drei Millionen Menschen, die aktuell von den 780 Euro Sozialhilfe leben, klingen solche Belehrungen wie blanker Hohn. Fast 70 Prozent der Bürgergeld-Beziehenden lebt im Süden des Landes. Dort ist die Arbeitslosigkeit mit 14.6 Prozent fast drei Mal so hoch wie im Norden.
Gezielt verschärft die Regierung Meloni auch den Druck auf gleichgeschlechtliche Eltern. Aktuell arbeitet sie daran, das Verbot von Leihmutterschaft auszuweiten. In Zukunft sollen auch diejenigen Italiener:innen mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können, die sich in Ländern eine Leihmutter suchen, in denen das legal ist. Heterosexuelle Paare können sich ihren Kinderwunsch in Zukunft immer noch durch Adoption erfüllen. Homosexuellen Paaren ist das nicht erlaubt. So zielt der neue Ansatz vor allem darauf, schwulen Paaren den Kinderwunsch zu verunmöglichen. Und daraus macht die Regierung auch kein Geheimnis. Carolina Varchi, die den Gesetzesentwurf als Parlamentarierin der "Fratelli d’Italia" einbrachte, präsentierte diesen explizit als „gegen die LGBT-Ideologie“ gerichtet. Doch auch lesbischen Eltern wird das Leben schwer gemacht: Bisher konnte eine leibliche Mutter sich und ihre Partnerin in einigen Gemeinden als Eltern eines Kindes registrieren lassen. Aber die Regierung hat eine Weisung an die Gemeindeämter erlassen, gleichgeschlechtliche Elternschaft nicht mehr offiziell zuzulassen. Gemeinden wie Mailand – wo solche Einträge bisher möglich
waren – haben nun von dieser Praxis Abstand genommen. In einigen Gemeinden versuchen die Staatsanwaltschaften bereits erfolgte Einträge löschen zu lassen. Für manche Familien könnte das zu einem existenziellen Problem werden: Stirbt die leibliche Mutter und ihre Partnerin wäre nicht mehr als anderer Elternteil registriert, würden gemeinsame Kinder zu Waisen und könnten zur Adoption freigegeben werden. Adoptieren dürfen in Italien jedoch nur heterosexuelle Paare.
Nicht zuletzt geraten auch Frauenrechte durch die post-faschistische Regierung zunehmend unter Druck. Anfang des Jahres brachte sie ein Gesetz durch die Parlamente, das Abtreibungsgegner:innen direkten Zugang zu den verpflichtenden Beratungsgesprächen ermöglicht. So haben diese die Chance, die Frauen unter Druck zu setzen. Einige sollen dazu gebracht worden seien, die Herzschläge des Fötus anzuhören, bevor sie sich dem Schwangerschaftsunterbruch unterziehen konnten.
Und im Sommer verhinderte Italiens Regierungschefin beim G7-Gipfel im eigenen Land, dass sich das Gremium – wie im Vorjahr in Japan – zu Gunsten des Rechts auf Abtreibung positionierte. Mit ihrem Widerstand gegen Schwangerschaftsabbrüche kann sich Italiens Regierungschefin nicht nur als Verteidigerin konservativer und christlicher Werte inszenieren. Sie folgt auch einem bevölkerungspolitischen Ziel: In Italien bekommen Frauen statistisch gesehen nur 1,24 Kinder. Das Land gehört damit vor Malta und Spanien zu den absoluten Schlusslichtern in Europa.
Neofaschistische Kontinuität
Ebenfalls diesen Sommer wurde bekannt, dass der neofaschistische Verein "Acca Larentia" von der FdI-nahen "Fondazione Alleanza Nazionale" 30.000 Euro für den Kauf einer Immobilie erhalten hat. Dabei handelt es sich um ein kleines Lokal, das in den 70er Jahren von der MSI genutzt wurde. Das Gebäude ist ein Wallfahrtsort der italienischen Neofaschist:innen. Jedes Jahr treffen sich dort am 7. Januar Hunderte, um mit faschistischem Gruss ihren verstorbenen Kameraden zu gedenken. Im Vorstand der "Fondazione Alleanza Nazionale" sitzen Fabio Rampelli und Arianna Meloni. Letztgenannte ist nicht nur die grosse Schwester der Regierungschefin, sondern auch für die Mitgliederentwicklung der Fratelli d’Italia zuständig. Rampelli ist ebenfalls FdI-Mitglied und Vize-Präsident des italienischen Abgeordnetenhauses. Präsident des Vereins "Acca Larentia" – der das Geld von der FdI-nahen Stiftung organisierte – ist Giovanni Feola. Dieser tritt auch als italienischer Vertreter der "Casa Pound" nahen Europäischen Front für Syrien auf. Im Mai letzten Jahres unternahm er gemeinsam mit "Casa Pound" Chef Gianluca Iannone6 eine Solidaritätsreise in den von Diktator Bashar al-Assad kontrollierten Teil von Syrien. Auf der Facebook-Seite des Vereins finden sich Nachrufe für Offiziere der Waffen-SS, MSI-Aktivisten und italienische Rechtsterroristen der „bleiernen Jahre“.
Trotz anderslautender Beteuerungen haben Meloni und ihre "Fratelli d’Italia" offenbar große Mühe gänzlich mit ihrer neofaschistischen Vergangenheit zu brechen.
- 1
Vgl. AIB Nr. 83: „Alte Liebe rostet nicht“ und AIB Nr. 106: „Guter Stadtrat ist teuer“
- 2
Der „Movimento Sociale Italiano“ (abgekürzt MSI) war eine neofaschistische italienische Partei, die 1946 von ehemaligen Funktionären und Anhängern der faschistischer Staatspartei (PFR) gegründet wurde.
- 3
Vgl. AIB Nr. 69: „Geheimstrukturen in Italien“ und AIB Nr. 133: „Der Anschlag von Bologna“
- 4
Vgl. AIB Nr. 78 „Italienisch für Anfänger“ und AIB Nr. 137: „Neue italienische Rechtsaußenregierung“
- 5
Nachtrag: Der rechte italienische Politiker Raffaele Fitto wurde als einer der Vizepräsidenten von Kommissionspräsidentin von der Leyen vorgeschlagen. Fitto gehört zur "Fratelli d'Italia". Er ist seit dem 1. Dezember 2024 Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Kommissar mit der Zuständigkeit für Kohäsion, Reformen, Regionalentwicklung und Städte in der Kommission von der Leyen II.
- 6
Vgl. AIB Nr. 92: „Macht der Marionetten“