Neofaschistischer Vormarsch
Björn Resener»Sieg Heil!«, schreien viele der gut 500 Schüler im Chor, als sie die letzte Strophe der italienischen Nationalhymne beendet haben. Nicht wenige recken dabei den rechten Arm zum Saluto Romano empor. Es ist Freitagvormittag, der 8. Februar 2008 und der Blocco Studentesco, die Schüler- und Studentenorganisation der neofaschistischen Partei Fiamma Tricolore, demonstriert im Gedenken an die »Märtyrer der Foiben«. Gemeint ist damit die italienische Bevölkerungsminderheit in den kroatischen Provinzen Istrien und Dalmatien, an der, nach der Befreiung vom Mussolini-Faschismus, vereinzelt Racheakte verübt wurden.
Der revisionistische, weil entkontextualisierte Opfer-Diskurs ist inzwischen nicht nur in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sondern seit 2005 auch institutionalisiert. Die Berlusconi-Regierung machte den 10. Februar zum offiziellen Gedenktag für die italienischen Opfer der Tito-Partisanen. Und auch mit der mitte-links Koalition fand die Geschichtsklitterung kein Ende. So sorgte Staatspräsident Giorgio Napolitano1 im vergangenen Jahr europaweit für Aufsehen, als er Mussolinis Polizeichef in Kroatien und etwa 30 weiteren Opfern der Tito-Partisanen, anlässlich des Gedenktages posthum Orden verlieh.
Für den Aufmarsch hatten die Teilnehmer sogar schulfrei bekommen, denn in kulturellen Fragen der Schulpolitik darf das gewählte Schüler- und Studentenparlament mitbestimmen. Und dort hat die Liste der jungen Neofaschisten mit 23 Prozent der Stimmen einiges an Gewicht. Dabei vertritt sie offen antiparlamentarische Positionen und lässt auch sonst an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig. Ihre wichtigsten Kader sind allesamt Aktivisten des Casa Pound, einem von Neofaschisten besetzten Haus im Zentrum von Rom. Es stellt das infrastrukturelle und politische Herz der außerparlamentarischen, neofaschistischen Bewegung in der italienischen Hauptstadt dar.
Aus Angst vor Angriffen, oder auch als konstitutiver Teil des obligatorischen Outlaw-Habitus, wird das Haus rund um die Uhr bewacht. Neben vier Stockwerken mit Wohnungen befinden sich Büros für die römische Sektion der Fiamma Tricolore und die Zeitschrift Occidentale, aber auch die lokale Redaktion von Radio Bandiera Nera und das Bunker Noise Studio im Gebäude. Letztgenanntes ist nicht mehr als ein vergleichsweise gut ausgestatteter Proberaum, bietet jedoch mehr als 15 Rechtsrock-Bands die Möglichkeit kostenlos zu spielen. Die Bekannteste unter ihnen ist zweifellos »ZetaZeroAlfa«. Ihr Sänger Gianluca Iannone ist gleichzeitig der offizielle Kopf des außerparlamentarischen, militantrechten Milieus in Rom. Dabei scheint er vor allem für ihren kontinuierlichen Aktionismus verantwortlich zu sein.
Mehr Einfluss auf die jugendlichen Rechtsextremisten dürfte nur noch Gabriele Adinolfi zukommen. Dieser war bereits Gründungsmitglied der Terza Posizione, einer sich antikapitalistisch gebenden, neofaschistischen Organisation der 1970er Jahre, aus der die terroristischen Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR) hervor gingen. Als einige seiner Kameraden zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, ging er für 20 Jahre ins französische Exil, konnte sich bei seiner Rückkehr jedoch unbehelligt in der Öffentlichkeit präsentieren. Hier miemt er nun den rechten Intellektuellen, schreibt Bücher und Artikel in neu-rechten Zeitschriften, oder tritt als Referent bei Veranstaltungen auf. Dass die jungen Neofaschisten sich nicht nur für Rechtsrock, sondern auch für (rechte) Kultur- und Ideengeschichte, also Schriftsteller wie Antoine de Saint-Exupéry und J.R.R. Tolkien, oder Philosophen wie Giovanni Gentile und Ernst Jünger interessieren, ist maßgeblich auf den Ex-Exilanten zurück zu führen. Obwohl demokratische Wahlen für die selbsternannten Nationalrevolutionäre nicht mehr als ein Moment der Mobilisierung bzw. der Sichtbarkeit sind, kandidierte ihr »Capo« Gianluca Iannone bei den italienweiten Neuwahlen im April für die Listenverbindung von Fiamma Tricolore und La Destra2 .
Seine Kandidatur motivierte, auch über Rom hinaus, etliche der angeblich non-konformistischen Nachwuchsfaschisten zu einer Beteiligung am Wahlkampf. Dass aber mit weniger als drei Prozent der Stimmen nicht einmal die echten Spitzenkandidaten des Rechtsaußen-Bündnisses den Einzug in das Abgeordnetenhaus schafften, ist vor allem dem rassistischen Diskurs der rechten Zentrumsparteien zu verdanken. So eröffnete Silvio Berlusconi3 seinen Wahlkampf mit der Parole: »Keine Toleranz für Roma, Illegale und Kriminelle« und die rechte Seperatistenpartei Lega Nord warb mit einem Indianer-Plakat und dem Text: »Sie haben die Immigration erlitten, heute leben sie in den Reservaten«. Zusammen mit der post-faschistischen Alleanza Nazionale stellen sie nun wieder die neue Mehrheit im Parlament. Die Fiamma Tricolore wiederum lässt sich gern auf die vermeintliche Unterwanderung durch die »Casa Pound« Schützlinge ein. Denn einerseits werden dem veralteten Parteiapparat junge Mitglieder zugeführt und andererseits erhält sie durch die jugendlichen Squadristen4 street-credibility, mangels derer sie in den letzten Jahren vielerorts Stimmen wie auch Aktive an die neonazistische Forza Nuova5 verlor.
Straßengewalt
Das latent xenophobe Klima Italiens spiegelt sich jedoch nicht nur in den Wahlergebnissen wieder, es entlädt sich auch auf der Straße. So kommt es auch in Rom immer wieder zu Übergriffen auf MigrantInnen und Homosexuelle. Allein zwischen 2004 und 2006 gab es zudem etwa 30 spontane Angriffe auf Linke. Nicht selten setzten die Neofaschisten hierbei Messer ein. So auch am 27. August 2006, bei der Attacke auf den 26 Jahre alten Antifaschisten Renato Biagietti, der infolge seiner Stichverletzungen noch am selben Tag verstarb.
Daneben kam es seit 2003 auch immer wieder zu organisierten Überfällen auf soziale Zentren und linke Veranstaltungen. Oft ließen die Angreifer dabei Schwerverletzte und abgebrannte Autos zurück. Im Juni 2007 beispielsweise wurde ein Konzert der linken Punkband »Banda Bassotti« überfallen. Bereits auf dem Weg zum Angriffsziel wurde eine Person mit neun Messerstichen verletzt und eine andere mit Schlagstöcken zusammen geschlagen. Für diesen Angriff und weitere, im Rahmen von Fußballspielen begangene Gewalttaten, sind nun Ende Februar 16 rechte Fußballfans festgenommen worden, von denen einige Mitglieder bei Forza Nuova sind. Offenbar hatte sich die Gruppe mit den Angriffen auf das von der Kommune von Rom mitorganisierte Konzert und die Polizeiwache, die als Rache für die tödlichen Schüsse auf Gabriele Sandri6 überfallen wurde, zu weit aus dem Fenster gelehnt.
Sicher ist, dass sie nicht die Einzigen sind, die derartige Überfälle begehen. So überfielen am 12. Juli 2007 auch zwei dutzend Neofaschisten um Gianluca Iannone das besetzte Haus Casal Bertone, wurden jedoch durch die BewohnerInnen in die Flucht geschlagen. Dass trotz dieses glücklosen Auftritts auch von ihnen eine reale Gefahr für Leib und Leben ausgeht, zeigt der Angriff auf einen Schüler, dem neun Tage nach dem Foiben-Marsch des Blocco Studentesco vor seinem Haus aufgelauert wurde. Er wurde mit Schlagringen traktiert und am Kopf verletzt, weil er eine antifaschistische SchülerInnendemo organisiert hatte. Die zunehmende Desensibilisierung der Gesellschaft gegenüber der extremen Rechten und die weit verbreitete Überzeugung, dass eine links-rechts Polarisierung anachronistisch sei, erschwert die Konstituierung breiter, antifaschistischer Bündnisse. So kann dem Vormarsch der Neofaschisten nicht viel entgegen gesetzt werden. Die, auf der Demonstration des Blocco Studentesco gerufene, provokative Parole »Dove sono gli antifascisti?« trifft also durchaus den Nagel auf den Kopf: Wo ist der Geist der Resistenza7 , die tief verwurzelte, antifaschistische Kultur Italiens geblieben?
- 1Partito Democratico (PD) ehemals Partito Communista Italiano (PCI).
- 2La Destra (Die Rechte) ist eine, sich um Francesco Storace gruppierende, Rechts-Abspaltung der post-faschistischen Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini.
- 3Forza Italia
- 4Squadristen waren ursprünglich die Mitglieder der von Benito Mussolini gegründeten »Squadre di Azione Fascista«, jener Sturmabteilung, die für den faschistischen Terror gegen die Arbeiterbewegung verantwortlich waren.
- 5Forza Nuova ist eine neofaschistische Partei, die in Konkurrenz zur Fiamma Tricolore steht. Laut italienischen Antifaschisten soll deren Auslandsbeauftragter Umberto Bonino die NPD im September 2007 zu einem Aktionscamp in Rom eingeladen haben, an welchem auch Jens Pühse teilgenommen haben soll.
- 6Gabriele Sandri war ein Fußballfan von Lazio Rom und wurde am 11. November2007 in seinem Auto sitzend von einem Polizisten erschossen.
- 7Die Resistenza bezeichnet vor allem den Partisanenwiderstand gegen die italienischen Faschisten und die deutsche Besatzung (1943–45), der schließlich zur Selbstbefreiung Norditaliens führte.