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»Barbarei oder Menschlichkeit«

Einleitung

Mike, seit vielen Jahren aktiv in der britischen Antifa-Bewegung, vertrat bei der Rostocker Demonstration »Antifascist Action« und die internationale englischsprachige Zeitung »Searchlight«. In Britannien wurden am 9. November letzten Jahres nach den Übergriffen in Hoyerswerda Solidaritätsaktionen vor deutschen Einrichtungen durchgeführt, was nach dem Rostocker Pogrom fortgeführt wurde. Wir befragten Mike nach seinen Eindrücken kurz nach der Rostocker Antifa Demonstration.

Bild: flickr.com; Clayton Parker; CC BY-SA 2.0

AIB: Du hast gestern erwähnt, daß Deine Familie aus Deutschland geflüchtet ist. Mit welchen Gefühlen bist Du hierhergekommen?

Mike: Immer wenn ich zurück nach Deutschland komme, habe ich sehr gemischte Gefühle. Ist es wie nach Hause kommen oder ist es etwas anderes? Und mit all diesen Vorfällen in Rostock war ich Freitagabend sehr nervös, als ich wieder im Flugzeug saß und über Berlin blickte. Als wir nach Rostock führen, hatte ich keine Vorstellung: Würden zur Demonstration jüngere oder ältere Menschen kommen, würden es nur einige wenige sein? Tatsächlich haben dann 20.000 Personen demonstriert, jüngere und ältere, Männer und Frauen, ein großer Querschnitt. Es tat mir gut, antifaschistische Brüder und Schwestern zu treffen und ich war froh, gekommen zu sein.

AIB: Gab es Parallelen zwischen dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und der Geschichte Deiner Familie, die aus Rumänien kam?

Mike: Ja, mein Vater war Rumäne und jüdischer Abstammung. Als er nach Deutschland kam, waren die Spannungen, der Antisemitismus und die Fremdenfeindlichkeit gegen ihn als Rumänen sehr stark. Er entschied früh, Deutschland zu verlassen. Dies war gut für unsere Familie, sonst hätten es viele von uns nicht überlebt. Einige aus unserer Verwandtschaft wurden im Holocaust umgebracht. Aber worauf es wieder hinweist – auf dieser Grundlage von Rassismus und Antisemitismus konnten die Nazis aufbauen und es macht mich besorgt zu sehen, wie sich deutsche Geschichte wiederholt.

AIB: Du hast Lichtenhagen und den Ort gesehen, wo sich das Heim für die Flüchtlinge und die vietnamesischen ArbeiterInnen befand. Wie konnte es zu den Übergriffen kommen und was ging Deiner Meinung nach in der Bevölkerung von Lichtenhagen vor?

Mike: Was einem unmittelbar durch den Kopf geht, es muß eine völlig reaktionäre Gruppe von Leuten sein. Als die Neonazis reinkamen, gaben ihnen LichtenhagerInnen Unterstützung aufgrund ihrer ökonomischen Schwierigkeiten. Aber nachdem wir einige Zeit auf der Demonstration verbracht und vorher schon länger auf deren Beginn gewartet hatten, wurde klar, daß diese Leute Vorurteile haben, daß der Kampf aber noch läuft, ob sie sich auf die Seite der Neonazis schlagen. Und ich konnte sehen, als wir durch die Straßen liefen, die Haltung der Leute ist gespalten. Es war nicht klar, daß sie alle für die Neonazis waren, so wie es in Britannien zum Beispiel berichtet wurde. So war es nicht.

AIB: Als Du gestern die Demonstration sahst — was für einen Eindruck hast Du von der antifaschistischen Bewegung?

Mike: Sie hat mich sehr beeindruckt. Ich bin davon ausgegangen, daß vor allem junge Leute kommen würden und natürlich waren sie vertreten. Aber es war gut, daß solch eine Anzahl von Leuten mittleren Alters, aus meiner Altersgruppe und ältere, da waren. So ist ein wirklich guter Anfang gemacht worden. Das Problem ist, es liegt noch ein großer Berg vor uns - was den weiteren Kampf betrifft. Es ist ein guter Anfang und wir müssen ihn mit allen unseren Kräften in Britannien unterstützen. Und wir werden es tun

AIB: Was ist die wichtigste Botschaft, die Du zu Deinen GenossInnen in Britannien mitnimmst?

Mike: Information, genaue Information darüber, was passiert, denn es ist eine große Gefahr in Britannien, daß die Leute denken, daß alle Deutschen Rassisten, alle Deutschen Faschisten sind. Wir müssen ihnen erzählen, daß es auch eine bessere, eine anständigere Bevölkerung gibt, eine Bevölkerung, die von den 20.000 DemonstrantInnen vertreten wird. Wir müssen genauestens informieren darüber, was passiert, daß ein großer Kampf gegen Rassismus und Faschismus stattfindet. Und daß wir in Britannien ihn unterstützen können, ihn unterstützen müssen. Hierher gekommen zu sein und Solidarität gezeigt zu haben, ist nicht genug. Denn wir können die große Aufgabe, die vor uns liegt, sehen und es liegt in unserer Verantwortung bei "Searchlight" und "Antifascist Action", alles zur Unterstützung Eurer Kampagne zu tun. Nach der Demonstration hatten wir sehr nützliche Diskussionen über die Möglichkeiten, mit denen wir in Britannien Eure Kampagne unterstützen können. Und die erste Sache wird etwas um den 9. November herum sein. Vielleicht eine Veranstaltungsreihe, vielleicht andere Dinge. Es liegt an den Brüdern und Schwestern in Deutschland, uns zu sagen, wie wir helfen können, denn wieder ist Deutschland mit einer traumatischen Bedrohung konfrontiert, eine Herausforderung, die nur Barbarei oder Menschlichkeit zuläßt, aber eine Herausforderung, die uns alle in Europa betrifft. Und wir brauchen eine europaweite Antwort.